Syrien - Christen in Angst

Seite 3: Die syrische Rebellion und die Christen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Während sich 2011 einige Christen an den Protesten beteiligten, ging das Gros der christlichen Bevölkerung aufgrund der raschen Militarisierung, Radikalisierung und Islamisierung des Aufstandes sehr früh auf Distanz.

Ungeachtet dessen befinden sich unter den bekanntesten Politikern der von Islamisten unterwanderten Opposition auch einige Christen. Das Assad-Regime stellt sich selbst als Schutzmacht der Christen dar und unterstreicht seine Verbundenheit mit der christlichen Glaubensgemeinschaft etwa durch medienwirksame Auftritte wie Assads Auftritt im bekannten christlichen Wallfahrtsort Maaloula im April 2014.

Im Verlauf des an Schärfe zunehmenden Krieges gab es immer mehr Befürchtungen, dass die als eher "regimefreundlich" geltende Haltung von Christen sie zur Zielscheibe bewaffneter nicht-staatlicher Gruppen macht. Diese Ängste werden von dem Regime auch aktiv instrumentalisiert. Unter dem Assad-Regime war die Situation der syrischen Christen ruhig. Sie erfuhren weitgehende Toleranz und waren keiner gezielten religiösen Verfolgung ausgesetzt.

Assad hatte sich selbst als "Beschützer der alawitischen, christlichen und sonstigen Minderheiten" erklärt, die er vor radikalen Muslimen beschützen würde. Manche Geistliche bezeichneten dies jedoch bloß als machtpolitische Geste, der keine Taten folgten. Offen wird sich jedoch nicht getraut, gegen das Regime zu sprechen, weil Christen stärkere Repressionen befürchten. So appelliert auch die Kirchenführung - jedenfalls offiziell - an ihre Gläubigen, sich aus politischen Konflikten herauszuhalten, um nicht zwischen den politischen Blöcken aufgerieben zu werden.

Umfragen ergaben, dass eine deutliche Mehrheit der syrischen Christen zu Beginn des Konfliktes hinter Assad stand. Seit Beginn der Proteste sind jedoch auch tausende syrische Christen dem Konflikt zu Opfer gefallen. Dabei ist oft unklar, ob die Taten von Anhängern des Regimes und seinem Sicherheitsapparat oder von radikalen Muslimen aus den Reihen der islamistischen Opposition ausgingen.

Die GfbV als eine Menschenrechtsorganisation, die für die Rechte verfolgter oder bedrohter ethnischer, sprachlicher und religiöser Minderheiten eintritt, ist in großer Sorge, vor allem über das Schicksal der nicht-arabischen und nicht-sunnitisch-muslimischen Bevölkerung Syriens. Mindestens 45 Prozent der syrischen Bevölkerung besteht aus Angehörigen der ethnischen und religiösen Minderheiten.

Bedrohung durch totalitäre islamistische Ideologie

Auch wenn sich Christen und andere Minderheiten der Assad-Diktatur nicht aktiv widersetzen, waren Minderheiten in Syrien mit dieser Unterdrückungspolitik nicht "einverstanden". Anfänglich waren die Proteste gegen Assad auch mit Hoffnungen der Minderheiten verbunden. Nun haben die ethnischen und religiösen Minderheiten Syriens jedoch Anlass zu befürchten, dass es ihnen in einem neuen Syrien unter der von der Türkei oder Katar unterstützten Opposition kaum besser ergehen wird.

Mit der Verfolgung der wenigen Christen in den Regionen, die von pro-türkischen Rebellen beherrscht werden, gingen alle Hoffnungen auf einen demokratischen Wandel in Syrien verloren. Nun sind die syrischen Minderheiten einer neuen Bedrohung ausgesetzt, nämlich der totalitären islamistischen Ideologie, die Dschihadisten aus der ganzen Welt mit Gewalt durchsetzen wollen und die innerhalb der syrischen sunnitischen Opposition teilweise auf fruchtbaren Boden fällt.

Die Mehrheit der etwa 21 Millionen Syrer ist arabisch und bekennt sich zum Islam. Dabei ist die Bevölkerung zumeist der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zuzurechnen. Zur schiitischen Minderheit werden die Drusen, die Ismailiten sowie die Alawiten, zu denen auch Präsident Bashar al-Assad gehört, gezählt.

Die nicht-muslimische Bevölkerung Syriens besteht vor allem aus Christen und aus Yeziden. Diese religiösen Minderheiten leben in ständiger Angst und Ungewissheit. Die schleichende Radikalisierung der Opposition ist eine große Gefahr für religiöse Minderheiten, da die radikalen Islamisten Angehörige solcher Bevölkerungsgruppen meistens als "Ungläubige" ansehen.

Verlierer des Krieges

Anfang Dezember 2013 wurden zwölf syrisch-orthodoxe Nonnen aus ihrem Kloster entführt, nachdem islamistische Gruppen die Stadt Maalula einnahmen. Obwohl ein Video veröffentlicht wurde, in dem die Nonnen aussagten, von den Islamisten in Sicherheit gebracht worden zu sein, sagte die Oberin des Klosters aus, die Frauen würden von den Islamisten als "menschliche Schutzschilde" genutzt. Die Nonnen wurden Anfang März 2014 schließlich frei gelassen.

Als am 16. Dezember 2013 das christliche Dorf Kanayé besetzt wurde, zwangen Dschihadisten die Bevölkerung unter Drohung eines Blutbades dazu, sich an islamistische Gesetze zu halten. Zwangskonvertierungen wurden angedroht. Damit wiederholt sich ein Muster der Eroberung welches auch schon in benachbarten Dörfern eingesetzt wurde.

Des Weiteren wurde berichtet, dass islamistische Gruppen, deren Ziel es ist, Christen endgültig aus Syrien zu treiben, Kirchen zerstört hätten. Dabei seien geistliche Bücher und Ikonen verbrannt sowie Kreuze auf den Kirchen mit islamistischen Fahnen ersetzt worden. Christen und andere Minderheiten werden so immer mehr zu den großen Verlierern des Krieges.

Während nahezu alle anderen Gesellschafts- oder Religionsgruppen teils massive Unterstützung aus dem Ausland erhalten, wird die christliche Bevölkerung de facto von den Kirchen im Westen weitgehend im Stich gelassen.

Sie müssen ohnmächtig mit ansehen, wie sie immer mehr zwischen die Fronten geraten und dabei ihre kulturellen, gesellschaftlichen und religiösen Einrichtungen zerstört werden. Da sie, mit Ausnahme einer bewaffneten christlichen Miliz der Assyrer/Aramäer in der Provinz al-Hasakeh, die einzige unbewaffnete Bevölkerungsgruppe darstellen und sie durch die mittlerweile destabilisierte Staatsgewalt keinerlei Schutz erwarten können, trauen sich viele Christen nicht einmal mehr auf die Straße.

Kinder gehen oft nicht mehr zur Schule, junge Männer verstecken sich aus Angst, zum Militärdienst eingezogen zu werden, und selbst gut ausgebildete Frauen geben oft ihren Job auf. Denn die Gefahr ist zu groß, auf dem Weg zur Arbeit auf offener Straße entführt zu werden. Trotz der "Neutralität" der Christen in Syrien ist das Elend des Krieges längst bei ihnen angekommen. Die allgegenwärtige Bedrohung veranlasst viele von ihnen dazu, ihr Zuhause aufzugeben und zu fliehen.