Verbot von Kurzreisen über Ostern
Seite 2: "Übergriffig und grundgesetzwidrig"
- Verbot von Kurzreisen über Ostern
- "Übergriffig und grundgesetzwidrig"
- "Wiederkehr der Obrigkeitshörigkeit"
- "Eine Person, die im Auto sitzt, kann weder sich noch einen anderen anstecken"
- Mangelnde Rechtssicherheit
- "Das Bundesverfassungsgericht duckt sich weg"
- Gerichte, Medien und Parlamente werden in Postkrisenzeiten die Entscheidungen nicht wirklich aufarbeiten
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Das Infektionsschutzgesetz wurde geändert, neue Handlungsräume geschaffen.
David Jungbluth: Im Falle einer bundesweiten Epidemie ist jetzt der Bund - Landesgrenzen überschreitend - für die Einschränkung des Personenverkehrs zuständig. Von dieser Kompetenz hat der Bund bisher aber offensichtlich noch keinen konkreten Gebrauch gemacht, sodass die Länder zuständig bleiben. Ausflüge innerhalb eines Bundeslandes und auch über die Ländergrenzen hinweg sind erlaubt, wenn und soweit das nicht von den einzelnen Bundesländern anders angeordnet wurde. Bisher ist nach meiner Kenntnis nur Letzteres, und nur in einem Bundesland oder in einigen wenigen Bundesländern geschehen. Das Osterorakel der Kanzlerin kann daran nichts ändern.
Was bedeutet das nun konkret? Müssen sich Bürger nun an die Ansage der Kanzlerin halten oder nicht?
David Jungbluth: Es gilt nach meiner Einschätzung nach wie vor Landesrecht, und die getroffenen Anordnungen sind daher auch grundsätzlich von den Ländern auszuführen. Das ist nicht nur eine Frage der konsequenten Anwendung des föderalistischen Prinzips, sondern ergibt sich eindeutig schon aus Art. 30 GG, wonach die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.
Wir haben es also offensichtlich mit dem Novum einer Lex Merkel in Sachen "Osterreisen" zu tun, wenn die Bundeskanzlerin in ihrer Ansprache den Ländern in deren Kompetenz - übergriffig und grundgesetzwidrig - hineinredet. Frau Merkel hat daher, jedenfalls solange der Bund in diesem Kontext nicht eigene Rechtsverordnungen erlässt, in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin, hier nichts zu melden, was ich explizit in meiner Funktion als Rechtsanwalt und damit als Organ der Rechtspflege, feststelle.
Aber auch die in diesem Zusammenhang verlautbarten Stellungnahmen aus Oppositionskreisen (soweit Opposition im aktuellen Kontext überhaupt erkennbar ist) sind nicht als zielführend anzusehen.
Wie meinen Sie das?
David Jungbluth: Für die Linke hat Herr Korte laut Fokus die allgemeinen Kontaktsperren als richtig bezeichnet und lediglich die Grenzziehungsversuche zwischen den einzelnen Bundesländern beklagt, wodurch eine Art neuer Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehe: Menschen mit eintägiger Erholungsmöglichkeit am Meer und Menschen mit dauerhafter Aufenthaltsbegrenzung auf die Wohnung.
Warum ist diese Aussage nicht zielführend?
David Jungbluth: Konkrete Vorschläge zur Überwindung dieser Klassenspaltung sind dem nicht zu entnehmen, auch wenn Kortes Kritik an den Ausflugsverboten berechtigt ist. Im Kontext der insgesamt geltenden Kontaktsperre bleiben seine Anmerkungen vermutlich folgenlos. Außerdem übersieht Korte im Hinblick auf das Freizeitverhalten der Bevölkerung an Ostern einen wichtigen Fakt.
Nämlich?
David Jungbluth: Dass die Äußerungen der Kanzlerin zu diesem Thema keinerlei Rechtsverbindlichkeit für sich beanspruchen. Einer Opposition, die diese Bezeichnung verdient, wäre es überdies angemessen, das Problem bei der Wurzel zu packen und die Doppelfrage nach der Sinnhaftigkeit und nach der Angemessenheit der getroffenen Maßnahmen im Ganzen kritisch zu untersuchen, damit Stellungnahmen wie die des Herrn Korte nicht als duckspeak im Sinne George Orwells daherkommen.
Auch der Grünen-Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz hat sich geäußert.
David Jungbluth: Ja, er sagte, es sei nötig bundeseinheitliche Regelungen zu erlassen um "ein schlüssiges und transparentes Gesamtkonzept" zu haben, also "keine Kleinstaaterei". Das hört sich im ersten Moment natürlich toll an, im Ergebnis habe ich hierfür auch wenig Verständnis.
Warum?
David Jungbluth: Eine bundeseinheitliche Vorgehensweise hätte keineswegs zwingend ein liberaleres, weniger restriktives Vorgehen zu Folge - eher das Gegenteil: eine Hardcore-Law-and-Order-Regelung im Söderschen Sinne. Von Notz lässt - vielleicht aus politischem Opportunismus, vielleicht aber auch blanker Angst um seine Gesundheit - jedenfalls keinerlei Absicht erkennen, die angeordneten und vollzogenen Grundrechtseinschränkungen zurücknehmen oder wenigstens abmildern zu wollen.
Er beschränkt sich vielmehr auf eine bloße Kompetenzverschiebung, ohne einen Diskurs über die Frage der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen zu eröffnen. Eine Selbstbeschränkung, die in der aktuellen Situation als bloße Alibi-Opposition betrachtet werden kann: hohe, aufmerksamkeitsheischende Lautstärke bei großer Inhaltsleere. Und zusätzlich eine direkte Unterstützung der Bundesregierung in ihrem Bestreben noch weiterer Kompetenz- und Machtzentrierung.
Als kurzsichtig, wenn nicht gar unverantwortlich erscheint Notz überdies mit seiner Forderung auch mit Rücksicht auf die Gewaltenteilung: Diese verläuft nicht nur vertikal (als Exekutive, Judikative und Legislative), sondern auch und gerade horizontal, also zwischen Bund und Ländern. Der eigentliche Sinn des föderalistischen Prinzips ist es, das Entstehen von Machtkonzentration wie der des nationalsozialistischen Einheitsstaates zu verhindern. Genau deshalb hatten die alliierten Siegermächte nach 1945 dezentrale, föderale Verwaltungseinheiten installiert.
"Es gibt keinen Grund, dieser Anweisung der Bundeskanzlerin Folge zu leisten"
Nochmal zur Bundeskanzlerin
David Jungbluth: Die verlautbarten Grenzziehungen zu österlichen Ausflügen der Bundesbürger werden in der herrschenden psychischen Ausnahmesituation voraussichtlich dazu führen, dass die meisten von diesen am Osterwochenende auf Ausflüge verzichten werden. Die Aussage der Kanzlerin würde damit de facto gesetzliche Wirkungskraft entfalten und zu einer weiteren wesentlichen Einschränkung in der Ausübung diverser Grundrechte führen.
Und dazu war die Bundeskanzlerin nicht befugt?
David Jungbluth: Das ist in meinen Augen das zweite Kompetenzproblem: Auf verfassungsrechtlicher Grundlage könnte man der Kanzlerin im Bund-Länder-Verhältnis unter Umständen eine Befugnis zuerkennen, "Informationen und Warnungen" auszusprechen, was - in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - aus ihrer Kompetenz zur Staatsleitung (Art. 65 GG) ableitbar wäre.
Der Erlass von grundrechtsintensiven Maßnahmen ist aber nach der sogenannten Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts nur dem Parlament vorbehalten, das eine solche Entscheidung per Parlamentsgesetz zu treffen hätte. Das ist zugleich ganz generell ein wesentlicher Aspekt im Zusammenhang mit den aktuellen "Kontaktsperren": Hier werden nämlich ganz elementare Grundrechtseingriffe kurzerhand per Allgemeinverfügung (also mit einer Art allgemeinen Verwaltungsakt) oder aber in Form von Rechtsverordnungen verfügt, entweder von (obersten Landesbehörden) oder teilweise auch nur vom (Ober-)Bürgermeister.
Das geht bei der Quantität und Qualität dieser Grundrechtseingriffe so meines Erachtens nicht auf dem Wege einer ordre du mufti, sondern ganz grundsätzlich nur über die Parlamente, erst Recht dann, wenn die Maßnahmen auf eine gewisse Dauer angelegt sind, was aktuell ja offensichtlich der Fall ist.
In jedem Fall, und das ist die gute Nachricht, hat die mündliche Aufforderung der Bundeskanzlerin keinerlei Rechtsverbindlichkeit, da sie in keiner üblichen juristischen Handlungsform ergangen ist, sondern lediglich einen bloßen sogenannten "Realakt" darstellt, sodass es überhaupt keinen Grund gibt, dieser "Anweisung" Folge zu leisten, die auf dem simplen sprachlichen Kniff beruht, dass nicht sein kann, was nicht sein darf ("Kurzreisen innerhalb Deutschlands an die See, in die Berge oder zu Verwandten kann es dieses Jahr über Ostern nicht geben"). Oder eben doch.
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