Vorbereitung auf den nächsten Finanz-Crash
Eigentlich will die EZB umstrittene Anleihekäufe einstellen, bekommt aber den Freifahrtschein vom EuGH dafür. Das passt zu Beschlüssen zur "Reform der Eurozone" und zur "Vertiefung der Währungsunion", mit der unhaltbare Zustände verlängert werden
Dass die nächste Finanzkrise, Wirtschaftskrise oder eine Finanz- und Wirtschaftskrise kommt - wie ab 2008 zu beobachten war-, ist keine Frage. Die Frage ist nur, wann sie kommt. Es gibt zwar Zeitgenossen, die alle Jahre wieder den sofortigen Absturz des Finanzsystems beschwören, aber die Sache ist natürlich deutlich komplexer. Man kann deshalb nur vorhersagen, dass es im Kapitalismus die üblichen Wellenbewegungen gibt, dass Krisen zum normalen Erscheinungsbild des Kapitalismus gehören wie der Weihnachtsbaum zum Weihnachtsfest.
Ob die dem Kapitalismus immanenten Krisen tatsächlich für das gesamte Finanzsystem gefährlich werden wie nach 2008, hängt von verschiedensten Faktoren ab. Aber die Frage ist auch nicht, ob der der Kapitalismus abdankt, sondern ebenfalls nur wann. Denn ein auf ständigem Wachstum basierendes System kann in einer Welt mit begrenzten Ressourcen nur irgendwann gegen die Wand fahren. Doch zeigt der Kapitalismus seit langem eine ungeheure Überlebensfähigkeit. Totgesagte leben länger.
Allerdings werden die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung immer abenteuerlicher. Sie werden, wie man zum Beispiel an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sieht, entweder nur noch begrenzt zurückgefahren oder mutieren, wie Rettungsfonds für Banken, die angeblich als Krisenmechanismus geplant waren, dann zum Normalzustand.
Motorstottern und Bremsgeräusche
Klar ist, dass sich derzeit Krisenzeichen politischer und ökonomischer Natur häufen. Genannt seien hier nur beispielhaft einige Zeichen des Abbremsens in der weltweiten Konjunktur. So stottert der Wirtschaftsmotor in der Eurozone längst merklich. Die deutsche Wirtschaft ist zuletzt im dritten Quartal wieder geschrumpft. Würde sie im vierten Quartal ebenfalls schrumpfen, wäre die Rezession zurück. Das ist aber angesichts der deutlich um 8,5% gestiegener Exporte im Oktober (gegenüber dem Vorjahresmonat) und 0,7% gegenüber dem Vormonat eher unwahrscheinlich. Diese Zahlen hat die Statistikbehörde Destatis am Montag veröffentlicht.
Dass der Ölpreis wieder deutlich gefallen ist, ist gleichzeitig ein Parameter dafür, dass die Nachfrage weltweit insgesamt sinkt (auch wenn China günstige Preise gerade genutzt hat, um die Lager zu füllen), womit aber weitere Bremsgeräusche zu hören sind. Geringere Energiepreise bringen allerdings neue Erleichterungen für Produzenten, Transporteure und Konsumenten, denen mehr Geld für den Konsum bleibt.
Das stimuliert die Konjunktur, weshalb mit einer Rezession in Deutschland und der Eurozone kurzfristig nicht zu rechnen ist. Dass aber insgesamt massiv Druck gemacht wird, die Ölpreise, gegen die Interessen der erdölproduzierenden Länder eher auf dem derzeitigen Niveau zu halten, ist auch ein deutliches Zeichen dafür, dass sich einige über die klaren konjunkturellen Bremssignale schon bewusst sind und sie durch hohe Energiepreise nicht verstärken wollen.
Probleme
Denn Probleme gibt es ja allerhand. Da sind zum Beispiel die weiter bestehenden Russland-Sanktionen. Allerdings zeigt die Tatsache, dass die Forderungen der Ukraine, die sie wegen des Kertsch-Konflikts ausweiten wollte, praktisch wieder von der Tagesordnung verschwunden sind, eines deutlich. Man traut sich nicht, weiter über Sanktionen die Konjunktur zu belasten. Schließlich sind da ja noch die Schwierigkeiten zwischen den USA und China.
US-Präsident Trump hat den Konflikt mit China längst zu einem veritablen Handelskrieg ausgeweitet. Hier wird erwartet, dass der sich auch deutlich auf das US-Wachstum im vierten Quartal auswirken wird. Zudem ist der Konflikt um Huawei dazu geeignet, den Krieg weiter zu eskalieren.
Dass zunächst die USA das Reich der Mitte massiv mit Sonderzöllen überzogen haben, worauf China verhalten mit Vergeltungszöllen antwortete, macht sich schon massiv in chinesischen Exporten und Importen bemerkbar. Die Importe stiegen im November im Vergleich zum Vorjahresmonat nur noch um 3%, gab der chinesische Zoll bekannt. Erwartet worden waren mehr als 14%.
Die chinesischen Exporte sind zwar ebenfalls noch gewachsen, aber im Vergleich zum Vorjahr deutlich verhaltener. Statt wie im Oktober um 15,5% zu wachsen, waren es im November nur noch 5,4%. Im September wuchsen sie im Vergleich zum Vorjahresmonat sogar fast 21%. Vergessen wird oft, dass der Handel nicht nur über Zölle behindert wird. Es gibt diverse Möglichkeiten und auf viele Arten werden derzeitig chinesische Produkte bei der Einfuhr in die USA benachteiligt. Rechnet man das alles ein, "belasten die USA chinesische Exporte im Wert von 369 Milliarden Dollar", schreibt der Schweizer Tagesanzeiger.
Das sei ein Drittel mehr als die Güter, die durch die Zollaufschläge betroffen sind. Vor dem Handelskrieg waren 2017 etwa 70% aller Exporte Chinas in die USA - und umgekehrt - von Beschränkungen des jeweils anderen Landes betroffen. "Jetzt ist dieser Anteil auf 87 Prozent der Exporte Chinas in die USA und auf 92 Prozent der Exporte der USA nach China angestiegen."
Dazu haben wir natürlich noch ein abstürzendes Argentinien, eine fatale Situation in Brasilien und den ungelösten Brexit. Der harte Ausstieg, auf den derzeit vieles hinweist, könnte nach Ansicht der britischen Notenbank die Wirtschaft sehr stark belasten. Das hätte natürlich erhebliche Wechselwirkungen mit der EU und würde ebenfalls die Bremsspuren verschärfen. Das könnte ebenso der Katalysator für eine massive Krise sein, wie ein verstärkter Handelskrieg mit China oder eine Zuspitzung des Konflikts mit Russland.
Widersinniger Machtkampf der EU und Frankreichs Gelbe Westen
Vergessen sei hier natürlich nicht, dass sich die EU gerade einen widersinnigen Machtkampf um das Haushaltsdefizit mit dem drittgrößten Euroland Italien leistet, der ebenfalls massive Sprengwirkung entfalten kann. Hier sieht es aber danach aus, dass sich Brüssel nun selbst erneut vorführen wird, wie schon im Fall Portugals, und deshalb alsbald einlenken muss. Denn die Zugeständnisse, die Präsident Macron wegen der massiven Proteste der Gelbwesten angekündigt hat, sind eine Mogelpackung.
Da der neoliberale Macron nicht wie die Linke in Portugal an die Töpfe geht, wo es auch Geld zu holen gibt und reale Beschäftigung fördert, wird erneut ein Neoliberaler das Defizit deutlich ausweiten. In Portugal hat die Linksregierung mit einem sinnvollen Ausstieg aus der Austerität über intelligente Maßnahmen das Defizit genauso deutlich gesenkt wie die Arbeitslosigkeit.
Denn wer Steuern auf Überstunden abschafft, wie es Macron vorhat, schafft keine neue Beschäftigung und neuen Beitragszahler für die Sozialkassen, sondern verliert zudem Steuereinnahmen. Höhere Ausgaben sind programmiert, wenn man den Mindestlohn anhebt, aber die Firmen damit nicht belasten will, um von der Vermögenssteuer gar nicht erst zu sprechen.
Man kann aber kaum ein massives Defizitverfahren gegen das große Italien rechtfertigen, dass mit 2,4% unter der Stabilitätsgrenze von 3% bleiben will, wenn Frankreich sein Defizit deutlich über die Grenze katapultieren wird. (Ohnehin hatte Paris erst im September die Prognose von 2,4% auf 2,8% erhöht und erwartet werden nun etwa 3,5%).
So ist, da es sich beim abstürzenden Frankreich um den zweitgrößten Eurostaat handelt, angesichts der schon beschriebenen Konfliktherde damit zu rechnen, dass die EU-Kommission schnell auch deutlich leisere Töne gegenüber Italien spucken wird, zumal sich Rom verhandlungsbereit zeigt und nun auch noch Nachbesserungen anbietet. So ist auch hier tendenziell eher mit einer Entschärfung statt mit einer Zuspitzung zu rechnen.
Die Rufe, Italien über die "Finanzmärkte zur Räson" zu zwingen, werden wohl weitgehend verstummen. Man schneidet sich damit in der Eurozone ohnehin vor allem ins eigene Fleisch und spielt Spekulanten, Ratingagenturen und ihren Kunden in die Hände.
Und genau deshalb, weil die Krisenfaktoren zahlreich sind und eher zahlreicher werden oder zu eskalieren drohen, schmiedet man längst überall in Europa an Maßnahmen, um einer massiven Verschärfung der Lage begegnen zu können. Denn eine schwere Krise ist, wenn einer der Konfliktherde explodiert, wahrlich auch in absehbarer Zeit nicht auszuschließen, zumal man an den Finanzmärkten und an Immobilienmärkten eine deutliche Blasenbildung feststellen konnte.
Das Urteil des EuGH
In diesem Sinne darf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gewertet werden. Demnach wurde der EZB für eine Geldschwemme erneut freie Hand gegeben. Die EZB verstoße mit ihrem massiven Kauf von Staatsanleihen nicht gegen das Verbot der Staatsfinanzierung, erklärten die Richter. Das hat der EuGH damit begründet, dass kein EU Staat bevorzugt werde, was bezweifelt werden muss.
Schließlich zeigen schon die Drohungen gegen Italien (oder die Tatsache, dass Anleihekäufe für Portugal fast eingestellt waren), wie die EZB-Politik als Druckmittel oder sogar als Waffe eingesetzt wird. Kürzlich hatte ein Finanzwissenschaftler an der Universität Heidelberg vorgerechnet, dass sich die angeblichen Währungshüter auch in dieser Frage nicht an eigene Vorgaben halten. Denn das Anleihekaufprogramm (PSPP) sollte sich an einen vereinbarten Schlüssel halten, der sich an der Wirtschaftskraft der Länder orientiert.
Doch Friedrich Heinemann ist der begründeten Auffassung, dass ein Vergleich zwischen 2015 - dem ersten Jahr des PSPP - und 2017 belegt, "dass sich die Übergewichtung von hoch verschuldeten Euro-Staaten weiter verstärkt" habe.
Immer deutlicher verfehlt die EZB dabei ihr selbst gestecktes Ziel, die Anleihekäufe proportional zum EZB-Kapitalschlüssel auf die Mitgliedstaaten zu verteilen. Für die 2017 getätigten Käufe liegen die Anteile von Italien, Frankreich, Belgien und Österreich inzwischen um etwa zehn Prozent über dem Niveau, das der Anwendung des EZB Kapitalschlüssels entsprechen würde.
Friedrich Heinemann
Der Experte geht davon aus, dass diese Befunde "von Relevanz für die derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof befindliche Streitfrage" seien, inwieweit das PSPP-Programm noch dem ausschließlichen Bereich der Geldpolitik zugeordnet werden kann oder die Zuständigkeiten der EZB überschreite.
Eine geldpolitische Maßnahme sollte in ihrer Durchführung symmetrisch auf die Volkswirtschaften der Eurozone und die staatlichen Finanzierungsbedingungen wirken. Dies ist für das PSPP-Programm mit jedem Monat seiner Fortsetzung immer weniger der Fall.
Friedrich Heinemann
Doch Heinemann hat sich deshalb verrechnet, weil der EuGH immer wieder eine schönfärberische Sicht auf die Dinge hat und 2015 der EZB sogar erlaubte, dass die Notenpresse unbegrenzt laufen darf. Es handelt sich tatsächlich um ein Urteil im Krisenmodus, denn die EZB soll für künftige Krisen, die noch heftiger ausfallen können, als die letzte, alle Möglichkeiten zur Hand haben, zumal ihr Spielraum derzeit nur sehr eng ist. Es ist letztlich ein politisches Urteil.
Das Bundesverfassungsgericht duckt sich
Möglich war auch dieses Urteil des EuGH vom Dienstag aber nur, weil sich das Bundesverfassungsgericht in der Frage jeweils wegduckt, um keine Entscheidung fällen zu müssen. Dabei haben die Verfassungsrichter stets sogar massive Zweifel, ob nicht doch gegen die verbotene Staatsfinanzierung verstoßen wird.
Nach Auffassung des Senats sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die dem Anleihekaufprogramm zugrundeliegenden Beschlüsse gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstoßen sowie über das Mandat der Europäischen Zentralbank für die Währungspolitik hinausgehen und damit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreifen.
Bundesverfassungsgericht
Das schrieben die Richter 2017 und gaben die Souveränität erneut an den EuGH ab. Und der EuGH begründete seine Entscheidung schon einmal auf Basis einer Behauptung der EZB, wonach "allein die Ankündigung dieses Programms genügt habe, um die angestrebte Wirkung, d. h. die Wiederherstellung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus und der Einheitlichkeit der Geldpolitik, zu erzielen".
Das ist natürlich grober Unfug. Denn inzwischen hat die EZB Anleihen im Umfang von fast 2,6 Billionen Euro aufgekauft. Die Gefahren sind auch für die Steuerzahler in Deutschland weiter massiv gewachsen. Schon 2017 bezifferte sogar die EZB die Gefahren auf 95 Milliarden Euro. Telepolis resümierte damals:
Zu glauben braucht man diese Zahlenangabe angesichts des Umfangs der Ankäufe von mehr als zwei Billionen Euro(!) allerdings nicht. Die Kosten werden über eine sogenannte "Risikoteilung" klein gerechnet. Das Kalkül ist klar: Das Bundesverfassungsgericht soll erneut nicht gegen das einschreiten, was auch als "verbotene Staatsfinanzierung" kritisiert wird.
EZB-Geldpolitik kann Deutschland viele Milliarden kosten
Und ob die Anleihekäufe eingestellt werden, wie es die EZB angekündigt hat, muss auch abgewartet werden. Im Sommer wurde eine Wende in der Geldpolitik angekündigt, die ohnehin keine sein wird. Denn angeblich sollen ab Jahresende keine Anleihen mehr gekauft werden, aber an der Null- und Negativzinspolitik soll sich, anders als in den USA, weiter nichts ändern. In den USA saugt die Notenbank FED längst Geld über höhere Zinsen vom Markt.
Konjunkturpolitik statt Geldwertstabilitätspolitik
Da sich die EZB auch immer offener von ihrer Aufgabe verabschiedet hat, für Geldwertstabilität zu sorgen, sondern immer offener Konjunkturpolitik betreibt, darf damit gerechnet werden, dass die Anleihekäufe angesichts der konjunkturellen Entwicklung und den Problemen in Italien, Frankreich... entweder nicht auslaufen oder bald wieder aufgenommen werden.
Das Plazet des EuGH dafür hat man sich ja nun präventiv geholt. Interessant ist, dass die Richter ausgerechnet mit der Geldwertstabilität argumentieren. Demnach seien die Anleihekäufe gerechtfertigt, damit die EZB dieses Ziel wirksam umsetzen könne. Die Richter sollten vielleicht einmal auf den Webseiten der Europäischen Statistikbehörde nachsehen.
Das Ziel, die Inflationsrate von knapp 2% zu halten, verfehlt die EZB seit längerem. Im Oktober stieg sie auf 2,2%, nach 2,1% im September. Schon im Frühjahr war die Schwelle im Mai erreicht, weshalb längst hätte ein Zinsanstieg folgen müssen, um auch im Euroraum zu einer Zinsnormalisierung zu kommen, den Blasen zu begegnen und den geldpolitischen Spielraum angesichts möglicher Krisen zu vergrößern. Doch das hätte die Konjunktur belastet.
Geschehen ist deshalb nichts. EZB-Präsident Mario Draghi will die Zinsen noch länger bei Null belassen und kommt durch die Lage in Frankreich nun weiter massiv unter Druck. Mit Spannung werden nun seine Verlautbarungen nach der Zinssitzung am Donnerstag erwartet. Auch wenn er tatsächlich daran festhält, keine Anleihen mehr zu kaufen, heißt auch das nicht, das keine mehr gekauft werden.
Aller Voraussicht nach werden im Januar Gelder aus fällig gewordenen Anleihen wieder in neue Anleihen gesteckt. Das soll nach Schätzungen keine kleine Summe sein, sondern etwa 165 Milliarden Euro. Wir sehen also, dass die EZB, der EuGH weiterhin im Krisenmodus fahren, obwohl wir eine längere Phase mit deutlichen Wachstumsraten hinter uns haben.
Unhaltbare Zustände in der Eurozone
Einige Beobachter verweisen darauf, dass angesichts steigender Krisengefahren, auch im Eiltempo weiter an Maßnahmen gearbeitet wird, um "unhaltbare Zustände" in der Eurozone zu verlängern. So schreibt Gabor Steingart in seinem Morgenbriefing über das Treffen der Finanzminister, bei der eine "Einigung zur Reform der Währungsunion" vereinbart worden und "wichtige Entscheidungen in Richtung Vertiefung der Währungsunion getroffen worden" seien: "Das klingt nach europäischer Routine und wird von einem schläfrig gewordenen Brüsseler Pressekorps auch liebevoll so beschrieben."
Allerdings würden die "labilen Zustände in der Eurozone" nicht reformiert oder gar beseitigt, "sondern neue Mechanismen installiert und mit Geld ausgestattet, die genau diese labilen Zustände verlängern." Allein dürfte Steingart nicht mit der Einschätzung stehen, dass auch damit "nichts anderes als die organisatorische und finanzielle Vorbereitung auf den großen Ernstfall" getroffen werde:
Zusammenbruch der Anleihemärkte, die dann absehbaren Liquiditätsengpässe einiger Banken und damit einhergehend die Refinanzierungsschwierigkeiten jener Staaten, die schon heute auf immer neue Liquiditätsspritzen angewiesen sind.
Gabor Steingart
Man kann sich der Ansicht anschließen, dass sich der "perfekte Sturm" längst zusammenbraut, da 11 der 19 Eurozonen-Staaten schon den Stabilitätspakt verletzen. Es stimmt auch, dass die weltweite Verschuldung seit 2007 bis Ende 2017 um 42 Prozent gestiegen ist.
Der Schweizer Finanzprofessor Marc Chesney von der Universität Zürich weist auf die explodierten Schulden von Unternehmen hin. Natürlich werden Kreditgeschäfte dann zum großen Geschäft, wenn die Zinsen von den Notenbanken zur Stimulierung der Konjunktur auf immer neue Tiefstände geprügelt werden und Kredite fast nichts kosten.
Da nun aber in den USA die Zinsen wieder deutlich gestiegen sind, und nach Ansicht der FED weiter steigen sollen, steigt auch die Gefahr, dass Firmen ihre Schulden nicht mehr bedienen können. In den USA stehen die Unternehmen auf einem Schuldenberg von 9 Billionen US-Dollar. Das sei fast doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Chesney warnt deshalb, dass Kredite in "hohen Dosen" toxisch sind.
Doch der heutige Finanzsektor ist von dieser Droge abhängig.
Marc Chesney
Das große Risiko macht der Professor an der Universität Zürich dort aus, wo Kredite an Unternehmen vergeben wurden, die zum Zeitpunkt der Kreditvergabe schon knapp bei Kasse waren. Er beziffert diese unsicheren Unternehmenskredite weltweit auf 1,3 Billionen Dollar. Man habe aus der letzten Krise nichts gelernt, denn Kredite würden sogar ohne die üblichen Sicherheiten vergeben.
Die Folgen könnten erneut verheerend sein, ähnlich wie bei den verbrieften Hypothekenkrediten, die einen großen Anteil an der Finanzkrise ab 2008 hatten. Denn nun würden auch diese riskanten Firmenkredite wieder gebündelt und als neue Finanzprodukte verkauft.
"Wie vor zehn oder zwölf Jahren ist das System nicht nachhaltig und sogar instabil", resümiert Chesney und kommt zu einem ganz anderen Ergebnis, als meist verlautbart wird. Tatsächlich sind die Gefahren durch gestiegene Schulden weiter gestiegen, da zudem kaum etwas reguliert wurde. Nicht einmal eine geplante, ohnehin lächerliche Finanztransaktionssteuer zur Begrenzung gefährlicher Geschäfte, ist eingeführt worden.
Über diese Steuer auf Börsengeschäfte wird zwar alle Jahre wieder, wie auch jetzt mal wieder debattiert, wobei immer weiter abgespeckt wird. Trotz allem wird nie etwas daraus. Heutzutage kann, wegen dem Brexit, nicht einmal mehr die Standardausrede angeführt werden, die Briten würden blockieren.
Sogar die ehemalige Chefin der FED, die angesichts der Gefahren die Zinsnormalisierung eingeleitet hatte, kommt längst zum Ergebnis, dass die Lektionen aus der letzten Finanzkrise längst wieder in Vergessenheit geraten sind. Janet Yellen spricht von "gigantischen Löchern im System", warnt ebenfalls vor der enormen Verschuldung der Unternehmen und den Verbriefungen von schlechten Firmenkrediten. Und mit Chesney befürchten auch sie einen Flächenbrand, da die Zinsen derzeit steigen und sich auch die nächste Rezession bereits abzeichne.