Waffen für die Ukraine: Darf Streumunition über deutsche Straßen transportiert werden?
Streumunition bleibt auch nach Konflikten tödlich. Obwohl Geächtet, lagert sie in Deutschland. Wie geht die Bundesregierung damit um?
Streumunition – das ist konventionelle Munition, die kleinere Sprengkörper mit jeweils weniger als zwanzig Kilogramm Gewicht im Umkreis bis zu einem Kilometer verteilt. Es gibt kaum einen Staat, der ihren Einsatz nicht fürchtet und verurteilt.
Denn Streumunition wird vorwiegend hinter die Frontlinien gefeuert, bleibt dort oft lange als Blindgänger liegen, ohne zu detonieren und gefährdet die Bevölkerung noch lange nach Beendigung eines militärischen Konflikts. Zudem ist es wegen seiner geringen Größe schwer auffindbar und wird oft mit Spielzeug verwechselt.
Dennoch wird es auf fast jedem Kriegsschauplatz immer wieder eingesetzt, so offensichtlich auch in der Ukraine von beiden Seiten.
Das humanitäre Völkerrecht
Nun gibt es schon seit Generationen immer neue Versuche, wenn man schon den Krieg und seine Waffen nicht wirksam verbieten kann, doch seine Auswirkungen insbesondere für die unbeteiligte Zivilbevölkerung zu begrenzen, zu humanisieren.
Man wählte den Weg internationaler Verträge, die in den Haager Konventionen von 1899/1907 und den Genfer Konventionen von 1946 mit den jeweiligen Zusatzkontrollen unter dem Begriff des "humanitären Völkerrechts" zusammengefasst werden.
So lautet einer der ältesten Grundsätze der "Haager Landkriegsordnung" (HLKO) von 1907, "dass die Kriegsführenden kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes haben", Art. 22.
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Dieser Grundsatz wird in dem "Zusatzprotokoll I über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte" (ZPI) in den Einzelheiten weiterentwickelt zu einem umfassenden Schutz der Bevölkerung ausgebaut.
Doch hatte der Zweite Weltkrieg die Mangelhaftigkeit des Haager Rechts aufgedeckt, sodass Regeln erforderlich wurden, die auf die neuen Kampfmethoden und Kampfmittel antworten konnten. Das Internationale Rote Kreuz ergriff die Initiative, organisierte eine Internationale Konferenz, an deren Ende die vier Genfer Abkommen vom 12. August 1949 standen.
Auch sie wurden alsbald durch zwei Zusatzprotokolle ergänzt, die dennoch der Militärtechnik und Waffenentwicklung hinterherhinkten. Es sollte ein ewiges Hase-und-Igel-Wettrennen bleiben.
Übermäßiges Leiden vermeiden
Es folgten Abkommen über das Verbot bestimmter Waffen, die übermäßige Leiden verursachen und unterschiedslos wirken können oder solche, die vorwiegend mit Splittern verletzen. Auch Sprengfallen, Brandwaffen und blindmachende Laserwaffen wurden in separaten Abkommen verboten.
Im Jahr 1997 wurde in Ottawa von 89 Staaten das "Abkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über ihre Vernichtung" abgeschlossen.
Es trat 1999 in Kraft, fand weite Zustimmung, allerdings blieben 32 Staaten dem Abkommen fern. In ihm wurde ein absolutes Einsatzverbot mit einem absoluten Abrüstungsverbot gekoppelt, wie es bisher nur bei biologischen und chemischen Kampfmitteln durchgesetzt werden konnte.
Das Oslo-Abkommen
Diese Ottawa-Konvention ebnete zweifellos den Weg für den Abschluss ähnlicher Abkommen, wie 2005 das Verbot von Laserstrahlen und am 3. Dezember 2008 das Verbot von Streumunition. Der Vertrag wurde in Oslo von 94 Staaten unterzeichnet und trat am 1. August 2010 mit der Ratifizierung durch 30 Staaten in Kraft.
Er verbietet den Einsatz, die Entwicklung, die Herstellung, den Erwerb, die Lagerung und die Weitergabe von Streumunition. Derzeit sind ihm 111 Staaten beigetreten, u. a. die Bundesrepublik Deutschland, aber zum Beispiel nicht die Ukraine und Russland.
Beide Staaten sind deshalb nicht an das Verbot gebunden, wie auch die übrigen 80 Staaten nicht, die den Vertrag nicht unterschrieben haben, unter ihnen die USA.
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Wenn ein Staat dem Vertrag ferngeblieben ist, bedeutet das allerdings nicht, dass er bedenkenlos Streumunition verwenden kann. So würde ein Einsatz in bewohnten Gebieten z.B. gegen das Verbot unterschiedsloser Angriffe verstoßen, welches gewohnheitsrechtlich für alle Staaten gilt.
Auch das Verbot der Zufügung unnötiger Leiden könnte dem Einsatz im Einzelfall entgegenstehen. Umgekehrt wäre gegen den Einsatz kaum etwas einzuwenden, wenn sicher die Gefährdung der Zivilbevölkerung ausgeschlossen werden kann. Dieses sind Abwägungen, wie sie derzeit im Ukrainekrieg relevant sind, wo beide Seiten offensichtlich auf den Einsatz von Streubomben nicht verzichten wollen.
US-Streumunition in Deutschland
Anders ist die Situation in Deutschland, wo die Versendung von Streumunition der USA, die hier offensichtlich lagert, in die Ukraine zur Debatte steht. Die Bundesrepublik hat das Oslo-Abkommen im Jahr 2009 ratifiziert und ihre Lagerbestände an Streumunition, die zu den größten gehörten, bis 2015 weitgehend vernichtet.
Recherchen des NDR haben aber nun gezeigt, dass auf dem US-Stützpunkt Miesau Streumunition lagert und in die Ukraine transportiert wird. Zwar leugnet Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), etwas von der Lagerung der Munition in Deutschland und ihres Transports in die Ukraine zu wissen.
Aber die Tagesschau hat am 25. Juli 2024 berichtet, dass ein Sprecher der US-Armee für Europa und Afrika gegenüber Panorama schriftlich nicht nur die Lagerung von Streumunition in Miesau und deren Lieferung an die Ukraine bestätigt hat, sondern auch die Koordinierung aller Munitionsbewegungen mit dem Deutschen National Movement Control Center.
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Als Vertragspartei des Osloer Abkommens ist die Bundesrepublik an dessen Regeln gebunden, die in Art. 1 Abs. 1 bestimmen, dass jeder Vertragsstaat verpflichtet ist, unter keinen Umständen "irgendjemanden zu unterstützen, zu ermutigen oder zu veranlassen, Tätigkeiten vorzunehmen, die einem Vertragsstaat aufgrund dieses Abkommens verboten sind".
Man könnte die Vorschrift nun so auslegen, dass sie sich nur auf die Unterstützung von Vertragsparteien bezieht. Da die USA jedoch nicht Vertragspartei sind, wäre eine Transferlieferung aus Deutschland unproblematisch.
Das würde jedoch dem Sinn und der Intention des Abkommens widersprechen. Zudem verpflichtet Art. 21 die Vertragsstaaten, sich "nach besten Kräften" zu bemühen, Staaten, die nicht Vertragspartner sind, "vom Einsatz von Streumunition abzubringen" und zu ermutigen, das Übereinkommen zu ratifizieren.
Von all dem ist bei der Bundesregierung nichts zu finden, die selbst von der Lagerung der geächteten Munition nichts zu wissen vorgibt.
Auch die Versicherung der ukrainischen Regierung, dass die "ukrainischen Streitkräfte Streumunition innerhalb der international anerkannten Grenzen der Ukraine, unter Einhaltung des humanitären Völkerrechts und ausschließlich zur Zerstörung russischer militärischer Ziele (einsetzen), die außerhalb dicht besiedelter Gebiete liegen, um Schaden von der Zivilbevölkerung zu vermeiden" (Tagesschau v. 27. 7. 2024), vermag den Transfer nicht zu legalisieren.
Denn der Einsatz ist offensichtlich im östlichen Kriegsgebiet in den von Russland besetzten Provinzen geplant, wo die Unterscheidung zwischen Kriegs- und Zivilgebiet kaum mehr möglich erscheint, und die Summe der Verstöße gegen das Völkerrecht insgesamt so groß ist, dass die plötzliche Einhaltung der Regeln des Völkerrechts beim Einsatz der neuen Waffen eher unwahrscheinlich ist.
Das Kriegswaffenkontrollgesetz
Schließlich hat die Bundesrepublik das Verbot der Streumunition zusätzlich im Kriegswaffenkontrollgesetz von 1961 abgesichert. In Art. 18a heißt es unmissverständlich:
Es ist verboten, 1. Antipersonenminen oder Streumunition einzusetzen, zu entwickeln, herzustellen, mit ihnen Handel zu treiben, von einem anderen zu erwerben oder einem anderen zu überlassen, einzuführen, auszuführen, durch das Bundesgebiet durchzuführen oder sonst in das Bundesgebiet oder aus dem Bundesgebiet zu verbringen oder sonst die tatsächliche Gewalt über sie auszuüben, insbesondere sie zu transportieren, zu lagern oder zurückzubehalten.
Dieses Verbot ist eindeutig und gilt unabhängig davon, ob die verbotene Munition einem Staat gehört, der Vertragspartei ist oder nicht, und wo und unter welchen Bedingungen die Munition eingesetzt wird, auch für die Bundesrepublik.
Das Ziel beider Regelungen, des internationalen Oslo Abkommens und des nationalen Kriegswaffenkontrollgesetzes, ist das Gleiche, ein Kampfmittel wegen seiner unkontrollierbaren Gefährlichkeit aus der Welt zu schaffen. Dass das so schwierig ist und bisher immer wieder durchbrochen wird, liegt auch an Regierungen, für die die "Bitte" der USA verpflichtender ist, als das Verbot internationaler Verträge und der eigenen Gesetze – ein alter Kodex der Vasallität.