"Wir werden mehr sein"

Die spanische Jugend säuft und veranstaltet "Macrobotellóns" - die französische protestiert

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Die spanische Jugend macht seit Jahren den „Botellón“, d.h. sie trifft sich, ausgerüstet mit Plastikflaschen, die mit Alkoholmischgetränken gefüllt sind, auf öffentlichen Plätzen zum Trinkgelage. Mit dem „Macrobotellón“ läuft ein Wettbewerb, welche Stadt mehr Trinker versammelt. Dabei kommt es schon mal zu Straßenschlachten, wenn die Polizei gegen sie vorgeht. Dahinter steht ein soziales Problem, wie sich auch an der regional unterschiedlichen Ausprägung zeigt.

Während sich die Jugend in Frankreich gegen die Einführung Verträge für junge Berufsanfänger massiv wehrt, macht die Jugend im spanischen Staat den Botellón. Dabei hätten sie viel mehr Gründe für Streik und Protest. Was in Frankreich gerade versucht wird, in homöopathischen Dosen einzuführen, zeitigt hier längst Urstände. Unbefristete Verträge gibt es praktisch kaum noch, Zeitverträge, teilweise für Stunden, sind üblich. An der hohen Jugendarbeitslosigkeit ändert das nichts. Sie liegt weit über dem Durchschnitt in der EU (Spanien in der Reformkrise).

Mixtur für den Bottelon in Donostia

Doch statt dagegen auf die Straße zu gehen, versammelt sich die Jugend zum Absaufen auf Plätzen. Der Botellón war und ist dennoch eine Antwort auf die Ausgrenzung der Jugend. Die Preise in Kneipen sind mit der Einführung des Euro 2002 durch das beliebte Aufrunden und einer anhaltend hohen Inflation in die Höhe geschnellt. Die Löhne halten nicht Schritt, die Familien verlieren an Kaufkraft. Dazu kommt die Tatsache, dass viele sich bis über beide Ohren verschuldet haben, um an eine Wohnung zu kommen (Spanien vor Immobiliencrash?). Da bleibt wenig Geld für die traditionelle Kneipenrunde, also trifft man sich auf Straßen und Plätzen. Das Taschengeld reicht noch dafür, sich eine billige Flasche Rotwein zu kaufen und mit klebrigem Cola zum ekligen „Kalimotxo“ zu mixen. Billiger Schnaps oder süße Liköre, beim Discounter für vier Euro zu haben, steigern den Effekt, sind aber nicht geeignet, um die ganze Nacht durchzustehen.

Seit Jahren gibt es das Phänomen des Botellón. Die konservative Volkspartei (PP) rannte in ihrer Regierungszeit, in Tradition mit Don Quijote, gegen die Windmühle an. Statt sich den Ursachen zu widmen, versuchte sie erfolglos das Phänomen so zu bekämpfen, wie sie fast jedem sozialen oder politischen Phänomen begegnet, das ihr nicht passt (Spanien will den Botellón verbieten). Der Botellón wurde schließlich verboten und man ließ die Polizeigewalt auf die Jugend los, die sich an den Wochenenden auf öffentlichen Plätzen vieler Städte traf (Madrider Polizei verhindert Macrobotellón).

Weit entfernt davon, das Problem zu lösen, hat die PP das Phänomen damit noch verstärkt. Für einige Jugendliche, entpolitisiert oder schon Gegner der PP, entwickelte sich der Botellón auch zu einem feucht-fröhlichen Ausdruck des Protests, permanenten organisierten Widerstand gab es außer im Baskenland, Katalonien und Galicien im Rahmen der Ölpest kaum. Nur bisweilen ging die Jugend gegen die PP auf die Straße, um gegen die spanische Kriegsbeteiligung im Irak oder gegen eine Bildungsreform zu protestieren, die die Macht der reaktionären katholischen Kirche ausweitete und das öffentliche Bildungssystem ausblutete. Die PP, die allgemein das Land in bleierne Zeiten der Diktatur zurückführen schien, machte mit ihrem Verbot den Botellón auch zur Widerstandshandlung und so er erst richtig Hip.

Die Situation hat sich mit dem Wahlsieg der Sozialisten (PSOE) geändert. Noch herrscht eine positive Stimmung. Auf die Straße gehen in Madrid nun meist die Anhänger der PP. Die Jugend feiert, obwohl sie eigentlich nicht viel zu feiern hat. Die Verschuldung der Familien hat sich extrem zugespitzt, von einer eigenen Wohnung wagen sich viele nicht einmal zu träumen, die Inflation ist noch gestiegen und die Kaufkraft gesunken. An den prekären Arbeitsbedingungen hat sich auch nichts geändert (Verschulden auf Lebenszeit in Spanien).

Trotzdem riefen am 16. Februar Kids in Sevilla erstmals per Internet und SMS zum Macrobotellón auf. Ein voller Erfolg: 5.000 Kids gaben sich öffentlich mit guter Laune die Kanne und feierten ausgelassen. Von etlichen Tonnen Müll, verdreckten und zum Teil vor Pisse stinkender Hauseingänge (Begleiterscheinung jedes größeren Fests) abgesehen, verlief das Treffen friedlich.

Bis Anfang März blieb das Thema in den großen spanischen Medien unbeachtet. Dann schrieb am 3. März die Zeitung El Mundo über den Trinkwettbewerb und zitierte SMS aus Madrid, die landesweit ähnlich die Handys fluteten: „Wenn es in Sevilla 5.000 waren, werden wir mehr sein. Botellón heute Nacht auf dem Campus. Gebs weiter.“ Der Bericht hatte Wirkung, der Andrang auf dem Campus hielt sich aber noch in Grenzen. Seit diesem Datum waren auch Internetforen in der Provinz voll mit Ankündigungen, die für den Trinkwettstreit am 17. März mobilisierten. El Pais brauchte noch eine Woche, um aus Agenturberichten über den Wettbewerb zu berichten. Die landesweite Berichterstattung der Medien sicherte den Erfolg des Städtespiels und so ließen Zehntausende in der Nacht die Flaschen klappern. Sieger wurde Granada, wo nach Angaben der Polizei etwa 20.000 Kids dem Trinksport frönten. Alles blieb dort friedlich, gemeldet wurden lediglich 23 Einlieferungen ins Krankenhaus wegen Alkoholvergiftung.

In den südspanischen Städten Granada, Cordoba oder Sevilla ging die Polizei nicht gegen die Feiernden vor. Anders sah es weiter im Norden aus. In Barcelona endete nach dem Verbot das versuchte Fest von 2.000 Personen in einer Straßenschlacht mit der Polizei, die gegen die Jugendlichen vorging. Etliche Verletzte und Verhaftete waren die Folge. Ähnliche Ergebnisse zeitigte auch das Vorgehen der Polizei in Salamanca.

Nach dem Fest …

Seither gibt es immer wieder Aufrufe auch in kleinen und mittleren Städten. Für das vergangene Wochenende waren auch Trinkgelage im Baskenland angesagt, wo das Phänomen weiter wenig verwurzelt ist. Wohl auch deshalb, weil hier ohnehin jeder Anlass für ausgiebige Feiern genutzt wird, die Arbeitslosigkeit geringer und die Kaufkraft höher ist. Die Verantwortlichen in Bilbao und Donostia-San Sebastian reagierten mit zaghaftem Widerstand. In Bilbao wurde der Etxeberria-Park und in Donostia der San Telmo Platz mit Gittern abgesperrt, wo sich üblicherweise am Wochenende einige Kids sammeln. Beide Bürgermeister hatten angekündigt, keine Aufstandsbekämpfungseinheiten auf die Jugend loszulassen. In Bilbao trafen sich etwa 1.500 Menschen auf einem Ausweichplatz, wobei nach Angaben der Lokalzeitung der Altersdurchschnitt weit über dem üblichen lag.

In Donostia fiel das Fest schlicht aus. Nur wenige Jugendliche näherten sich dem Platz, den vier wenig bedrohliche Lokalpolizisten sicherten. Die erklärten gegenüber Telepolis, sie würden abziehen, wenn mehr als 20 Jugendliche kommen. Das war nicht nötig. Gefeiert wurde in Bilbao und Donostia ganz traditionell in und vor den Kneipen auf den Straßen und Plätzen der Altstadt. Das Bürgermeisteramt im südspanischen Cordoba, von der Vereinten Linken (IU) regiert, denkt nun darüber nach, Räume für die Kids zur Verfügung zu stellen, wo sie auf ihre Art feiern können, ohne die Anwohner zu stark zu belästigen und eine minimale Aufsicht gegeben ist.

Der nächste Macrobotellón soll es kommendes Wochenende auf Mallorca stattfinden. Weil es auf der Insel keine Regulierung gibt, kann das Bürgermeisteramt von Palma das Treffen nicht verbieten, obwohl das Vereinigungen von Kneipenbesitzern fordern. Die fürchten um ihre Umsätze und treten deshalb auch anderswo gerne für Verbote ein. Eine Umfrage ergab, dass mehr als 60 % der Bevölkerung gegen die Verbote sind.

Die Frage bleibt, wann die trüben Zukunftsaussichten auch der spanischen Jugend die gute Laune verderben und sie für Jugendzentren, bezahlbare Wohnungen oder einen vernünftigen Job auch gegen die sozialistische Regierung auf die Straße gehen. Das wird dann geschehen, wenn deren Vorschusskredit angesichts der ökonomischen Krise verspielt ist. Die stetig steigenden Zinsen verkleinern den finanziellen Spielraum der Familien weiter und eine Reform des Arbeitsmarkts, mit einer effektiven Beschränkung der prekären Beschäftigung, ist weiterhin nicht in Sicht. Die Verhandlungen sind blockiert, weil die Regierung den Kündigungsschutz weiter aufweichen will und Probezeiten ausweiten will (Spanien schlittert weiter in Richtung Abgrund). Wie schnell die Feiern umschlagen können, hat sich in Barcelona schon gezeigt.