"Europa muss die katalanische Frage behandeln"
Der Linken-Parlamentarier Andrej Hunko hat, kurz vor den anstehenden Prozessen, die von Spanien inhaftierten katalanischen Politiker besucht
Es gibt Bewegung in Spanien, auch was die katalanische Frage angeht. Am Freitag hat Regierungschef Pedro Sánchez doch noch seinen Haushalt 2019 im Kabinett verabschiedet und will ihn offensichtlich nun durch das Parlament bringen. Dafür braucht er bekanntlich die Stimmen der katalanischen Unabhängigkeitsparteien.
Denn nur mit den Stimmen der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) und der Katalanischen Europäischen Demokratischen Partei (PDeCat) wurde er im vergangenen Juni per Misstrauensantrag gegen den konservativen Mariano Rajoy spanischer Regierungschef, ohne deren Stimmen geht nichts im Madrider Parlament.
Die Chancen dafür gehen derzeit aber gegen Null, obwohl Sánchez zuletzt auf leise Entspannungsgesten gesetzt und die sich vorbereitende Zuspitzung abgeblasen hatte. Mit einem schwachen Tauwetter wollen sich aber weder die ERC und noch weniger die PDeCat von Exil-Regierungschef Carles Puigdemont zufrieden geben. Der ERC-Parlamentspräsident hat deshalb schon einmal erklärt, dass die Sánchez-Regierung auch nicht unbedingt stürzen muss, wenn der Haushalt nicht durchkommt.
"Wenn es keine Bewegung gibt", sagte Roger Torrent, gebe es auch keine Zustimmung. Eine neue Rhetorik reiche nicht, sondern das müsse sich konkretisieren.
Die entscheidende Geste
Auch der ERC, der einer Zustimmung deutlich näher steht als die PDeCat von Puigdemont, fehlt eine entscheidende Geste. Der von Spanien geschasste und ins Exil (zurzeit Belgien) getriebene Puigdemont erklärte am Freitag, als Stellvertreter Quim Torra bei ihm zu Besuch war, um das weitere Vorgehen zu mit Blick auf die Haushaltsabstimmung in Spanien zu besprechen: "Uns fehlen keine Versprechen, uns fehlt die Umsetzung, und es ist keinerlei Vorschlag auf dem Tisch, der uns erlaubt, davon auszugehen, dass diese Versprechen das gleiche Schicksal erleiden, wie die, die uns zuvor gemacht wurden."
Im Prinzip stehen zwei Hindernisse im Weg, um den Haushalt zu verabschieden. So hat Torra, der Puigdemont den Protagonismus überließ und vor der Presse nur die Einleitung machte, stets wiederholt, dass ein Dialog über das Selbstbestimmungsrecht geführt werden müsse, dass man sich also nach schottischem Vorbild auf ein verbindliches Unabhängigkeitsreferendum einigt. Für die Verabschiedung des Haushalts würde aber schon eine klare Geste der Regierung in Bezug auf die politischen Gefangenen reichen.
Fern davon, sich in der Frage zu bewegen, hält auch Sánchez an der Repression fest. Demnächst beginnen die Prozesse wegen einer erfundenen Rebellion am Obersten Gerichtshof in Madrid. Sánchez könnte über die Generalstaatsanwaltschaft die Anklage zurücknehmen. Eine Steilvorlage hat er dafür aus Deutschland erhalten.
Deutsche Richter haben keine Hinweise für eine Rebellion gefunden, ja nicht einmal einen Aufruhr konnten sie erkennen, für den die Gewaltschwelle deutlich niedriger liegt. Sie wollten die Auslieferung Puigdemonts nur wegen Untreue gestatten. Den Vorwurf durften die Richter in Schleswig nicht prüfen, da der unter den Katalog des Europäischen Haftbefehls fällt.
Allein stehen sie damit nicht, denn auch ihre Kollegen in Belgien, Großbritannien und der Schweiz, wo sich ebenfalls ehemalige Regierungsmitglieder im Exil befinden, verweigern Spanien die Auslieferungen. Damit sind die spanischen Richter und Staatsanwälte mit ihren Vorwürfen isoliert.
"Sie rechnen aber alle damit, dass sie verurteilt werden“
Als der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko am Donnerstag sieben "politische Gefangene" im katalanischen Gefängnis Lledoners besucht hat, erklärten ihm die ehemaligen Minister und Aktivisten ebenfalls, dass die Regierung über die Generalstaatsanwaltschaft stets die Möglichkeit hat, absurde Anschuldigungen zurückzunehmen, womit eine Verurteilung sehr schwer würde.
"Sie rechnen aber alle damit, dass sie verurteilt werden“, hat Hunko im Telepolis-Gespräch nach dem Besuch erklärt. Es handele sich um "Rache“, sagte ihm der ehemalige Außenminister Raül Romeva.
Hunko kennt die Hintergründe, denn vor allem werden sie wegen des friedlichen Unabhängigkeitsreferendums im Oktober 2017 angeklagt, das gegen alle Widerstände aus Spanien durchgeführt wurde.
Darin hatten sich mehr als 90% für die Unabhängigkeit ausgesprochen, beteiligt am Referendum hatten sich 43 Prozent der wahlberechtigten Katalanen. Spanien hatte auch mit massiver Gewalt die Durchführung versucht zu verhindern. Hunko war Teil einer internationalen Beobachterdelegation, die eine "gut geplante militärähnliche Operation“ kritisierte und entsetzt war, wie spanische Sicherheitskräfte gegen friedliche Wähler vorgegangen sind.
Die fünf Gefangenen, mit denen Hunko im Gefängnis sprechen konnte, darunter auch der ERC-Chef Oriol Junqueras, hätten keine Hoffnungen in die spanische Justiz. "Aber sie rechnen damit, dass sie dann vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gewinnen.“
Trotz der Tatsache, dass Verurteilungen von bis zu 30 Jahren drohen, seien die ehemaligen Minister, sowie der frühere Präsident des großen Katalanischen Nationalkongress (ANC) Jordi Sànchez und der Chef der Kulturorganisation Òmnium Cultural sehr guter Dinge. "Ich fand es sehr beeindruckend und man spürt, dass es an allererster Stelle ein Kampf um Demokratie ist.“
Beeindruckend fand er auch die allgemeine Stimmung, die Stärke der Gefangenen und auch das entspannte Vorgehen in dem katalanischen Gefängnis. "Das war völlig anders als beim Besuch, den ich einst bei Arnaldo Otegi erlebt habe“. Damals kritisierte Hunko dessen Situation und den Umgang mit ihm im Telepolis-Gespräch scharf: "Auch in der Türkei habe ich so etwas noch nie erlebt“, sagte er.
Der Chef der baskischen Linkspartei EH-Bildu und vier weitere baskische Politiker saßen zu Unrecht sechseinhalb Jahre im Gefängnis, wie inzwischen bekannt ist. Straßburg hat kürzlich geurteilt, dass sie keinen fairen Prozess hatten. Auf solche Urteile stützen die Katalanen ihre Hoffnungen auf den Menschenrechtsgerichtshof.
Gesprochen habe man aber auch darüber, dass der Menschenrechtsgerichtshof gerade von der Türkei die Freilassung des kurdische Abgeordneten Selahattin Demirtaş fordert. Diese Fälle sind vergleichbar, im Fall der Katalanen vielleicht sogar noch zugespitzter, da Spanien Jordi Sànchez verweigerte, ins Parlament gelassen zu werden, um zum katalanischen Präsident gewählt zu werden. Jordi Turull wurde sogar noch nach dem ersten Wahlgang schnell inhaftiert, um seine Wahl im zweiten Wahlgang zu verhindern.
Allerdings warnte Hunko die Katalanen: "Der Gerichtshof in Straßburg steht von verschiedenen Seiten unter Druck.“
Spanien hat das Demirtaş-Urteil natürlich nicht gefallen, da man die katalanischen Abgeordneten ebenfalls nicht ins Parlament lässt. Sie sitzen zum Teil, wie der ehemalige Präsident des Katalanischen Nationalkongress Jordi Sànchez, seit fast 15 Monate in Untersuchungshaft. Im Fall Demirtaş hält Straßburg eine zweijährige Untersuchungshaft für unverhältnismäßig.
Spanien hat bisher aber den Weg zum Menschenrechtsgerichtshof blockiert. Sánchez und drei weitere Abgeordnete mussten gerade sogar mit einem Hungerstreik das Verfassungsgericht dazu zwingen, sich endlich mit ihren Beschwerden zu befassen. Das hätte eigentlich innerhalb von 30 Tagen geschehen müssen. Es wird in der kommenden Woche aber erst nach über einem Jahr geschehen. Damit wird der Weg nach Straßburg frei. Die Frage ist dann, ob Spanien auf den türkischen Weg fortschreitet und sich wie Erdogan einer Anordnung durch den Menschenrechtsgerichtshof widersetzt?
"Nach meiner Einschätzung widerspricht die Verhaftung von gewählten Abgeordneten den selbst erklärten demokratischen Werten der Europäischen Union“, sagt Hunko. Er fordert auch dazu auf, den Prozess zu beobachten, der im Februar beginnen soll.
Obwohl noch kein Termin bestimmt ist, forderte der zuständige Richter, dessen Unabhängigkeit bezweifelt wird, nun aber schon einmal vorsorglich die Verlegung der Gefangenen zurück nach Madrid. Damit würden sich ihre Haftbedingungen wieder deutlich verschlechtern, weshalb die Angehörigen der Gefangenen das Vorgehen scharf kritisieren.
Der Linken-Parlamentarier kündigt Initiativen auch in Deutschland an, um auf die Vorgänge aufmerksam zu machen. "Als Mitglied der parlamentarischen Versammlung des Europarates will ich mir deshalb ein Bild über die Haftbedingungen, die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtes und die anstehenden Prozesse verschaffen“, kündigte Hunko an.