Spanien will Puigdemont und Gabriel in der Schweiz verhaften lassen
Obwohl die Eidgenossen das längst abgelehnt haben, fordert die spanische Staatsanwaltschaft ein Vorgehen über Interpol und zieht Repressionsschrauben weiter an
Die spanische Staatsanwaltschaft, als Ministerium ein direkter Ableger der Regierung, versteht nicht, dass sich Länder Europas nicht einfach zum verlängerten Arm spanischer Repression machen lassen. Das ist in Madrid bekanntlich anders, wo man sogar den deutsch-türkischen Schriftsteller Dogan Akhanli und den schwedisch-türkischen Journalisten Hamza Yalçin auf Basis eines Interpol-Haftbefehls verhaften ließ und bereit war, die Folteropfer an das türkische Regime auszuliefern.
Das würde Madrid gerne im Fall von Carles Puigdemont erreichen. So fordert das Ministerium vom zuständigen Richter Pablo Llarena entsprechende Schritte, denn Puigdemont wollte am Wochenende nach Genf reisen. Dort wird kommende Woche vor der UNO auch über die Menschenrechtslage in Katalonien debattiert. Zunächst wird der von Spanien abgesetzte katalanische Präsident aber am heutigen Sonntag auf dem Menschenrechts-Filmfestival in Genf auftreten.
Zum Thema hat Puigdemont viel beizutragen, denn er wurde über einen bisher zuvor nie eingesetzten Gummiparagraphen aus dem Amt und ins belgische Exil getrieben. Sonst wäre er, wie ehemalige Minister und politische Aktivisten, im Gefängnis wegen so grotesker Anschuldigungen wie "Rebellion" und "Aufruhr" gelandet, wie dies auch zahllose Juristen aus ganz Spanien anprangern.
Schwerwiegende Kritik von Juristen am spanischen Vorgehen
Sie kritisieren, dass Puigdemonts zivile und politischen Rechte – und nun auch die des von ihm ernannten Ersatzkandidaten Jordi Sànchez – ausgehebelt werden.
Denn obwohl er über alle Rechte verfügt, wurde Puigdemonts neuerliche Wahl zum Präsidenten nach dem erneuten Sieg der Unabhängigkeitsparteien bei den von Madrid angeordneten Zwangswahlen über juristisch bemäntelte Tricks genauso verhindert, wie vergangenen Montag die Wahl von Jordi Sànchez, den er als Ersatzkandidat vorgeschlagen hatte.
Am Freitag hat auch die Beschwerdekammer des Obersten Gerichtshof in Madrid die Beschwerde abgelehnt, die Sànchez gegen den Beschluss von Richter Llarena eingelegt hatte. Denn der lässt ihn und andere gewählte Vertreter nicht ins Parlament, womit ein demokratisches Wahlergebnis verfälscht und zudem tief in die Parlamentsautonomie eingegriffen wird.
Für renommierte Verfassungsrechtler wie Javier Pérez Royo ist das eine "unentschuldbare Ignoranz", mit der zunächst Richter Llarena und dann auch dessen Kollegen durch Rechtsbeugung Unrecht setzen. Der Andalusier Royo empfiehlt dem Parlamentspräsident Roger Torrent und anderen entsprechende Klagen, weil damit bisherige Entscheidungen des Richters "nichtig" geworden seien.
Da Sànchez "nur" wegen Aufruhr, aber bisher nicht wegen "Rebellion" angeklagt ist (womit ein bewaffneter Putsch strafrechtlich erfasst wird), soll er "mutmaßlicher Miturheber" der schwersten Straftat sein, die das spanische Strafrecht vorsieht.
Obwohl es nie gewalttätige Ausschreitungen gab, schließt sich die Beschwerdekammer des Gerichtshofs der Argumentation von Llarena an, mit der er die Teilnahme des ehemaligen Vizepräsidenten Oriol Junqueras an Sitzungen verhindert hatte.
Vorgehen gegen Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Er fabulierte dafür schwere Zusammenstöße bei möglichen Protesten herbei. Die Beschwerdekammer spricht unklar von "möglichen Protesten, die das friedliche Zusammenleben beeinträchtigen könnten".
Mit dieser Argumentation gibt es kein Demonstrationsrecht mehr! Stets können sie dieses Kriterium erfüllen. Besonders absurd ist das, da sogar mutmaßlichen Mitgliedern der baskischen Untergrundorganisation ETA die Teilnahme an Sitzungen ermöglicht wurde, während es im Baskenland zu heftigen Zusammenstößen kam, die ETA sogar besonders aktiv war und auch Gefangene befreit hat.
Dass es das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Spanien nicht mehr geben soll, ist längst klar. Bis nach Straßburg hat sich auch schon herumgesprochen, wie es darum im Königreich von "Diktator Francos Gnaden" schon steht. Das Problem trifft längst auch Spanier.
Polizeigewalt
In Murcia wurde am Freitag eine Art Ausnahmezustand (Terror-Alarmstufe) verhängt. Dort protestieren viele Bürger massiv seit einem halben Jahr dagegen, dass ihre Stadt durch eine Mauer geteilt werden soll. Sie fordern den versprochenen unterirdischen Verlauf der Schnellbahntrasse. Nun patrouillieren schwerbewaffnete maskierte Polizisten durch die Straßen.
Um gegen Polizeigewalt zu protestieren, die es auch dort gibt, werden zahllose Katalanen am 7. April zur Unterstützung nach Murcia reisen. Sie haben beim Referendum nur zu gut erfahren, wie Spanien brutal gegen die Bürger mit "militärähnlichen Operationen" vorgeht, die demokratische Freiheiten umsetzen wollen.
Dass Grundrechte nicht mehr gelten sollen, wird in harten Urteilen gegen Rapper und Twitterer längst deutlich. Das wird im postfaschistischen Spanien sogar immer offener von Richtern formuliert, die diese schützen sollten.
Als am Donnerstag der Regierungssitz und der Sitz der Kulturorganisation Òmnium Cultural auf der Suche nach Dokumenten zum Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober durchsucht wurden, warnte der Richter, der die Razzien angeordnet hatte, dass sich Òmnium der Rebellion schuldig mache, wenn sie ihre Anhänger zu Protesten gegen dieses Vorgehen der Guardia Civil mobilisieren würde, worauf bis zu 30 Jahre Haft stehen.
Spaniens Versuche, Puigdemont und Gabriel verhaften zu lassen
Puigdemont und Anna Gabriel, mit der er sich in Genf treffen wird, können zum Thema Menschenrechte dann so einiges erzählen. Das ist auch ein zentrales Ziel, weshalb sich die linksradikale Gabriel nach Genf abgesetzt hat.
Im Telepolis-Gespräch (siehe: "Ich werde für meine politische Arbeit vom spanischen Staat verfolgt")
machte sie deutlich, dass sie wegen der Verfolgung ihrer politischen Arbeit und aus Angst vor Angriffen spanischer Rechtsradikaler nach Genf geflüchtet ist. Sie will dort Menschenrechtsverletzungen einer internationalen Öffentlichkeit bekannt machen.
Klar ist, dass die Versuche Spaniens, Puigdemont und Gabriel in der Schweiz verhaften zu lassen, genauso verlaufen werden, wie alle bisherigen Versuche. In Belgien musste Llarena seinen Europäischen Haftbefehl zurückziehen, bevor die unabhängige Justiz sie dort angesichts der absurden Vorwürfe abgelehnt hätte. In Dänemark hatte er es nicht einmal versucht, als Puigdemont dorthin gereist ist.
Die Schweiz ist anderer Auffassung
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat Spanien gegenüber erklärt, dass man zur "Kenntnis genommen" habe, das Puigdemont "privat in die Schweiz reist" und "an verschiedenen Orten öffentlich" auftreten werde.
Die EDA erinnert, dass sein "aufenthaltsrechtlicher Status" durch das "Schweizer Recht und das Personenfreizügigkeitsabkommen geregelt" ist und er "als spanischer Bürger" sich im Schengen-Raum frei bewegen kann.
"Es steht ihm auch frei, politische Reden zu halten, solange er sich dabei an die schweizerische Rechtsordnung hält."