CDU-Politikerinnen nehmen SPD-Politikern den Neowilhelminismus ab

Ursula von der Leyen. Foto: EU-Parlament. Lizenz: CC BY 2.0

Nach Annegret Kramp-Karrenbauer hält auch Ursula von der Leyen eine "Hunnenrede" und fordert, die EU müsse die "Sprache der Macht lernen"

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1897 forderte der damalige deutsche Reichskanzler Bernhard von Bülow für seinen Kaiser Wilhelm II. ein deutlich selbstbewussteres geopolitisches Auftreten seines Landes, wozu er die später berühmt gewordene Formulierung benutzte: "Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne."

Drei Jahre später wiederholte der mit einem "Persönlichen Regiment" herrschende Hohenzollernkaiser diesen Anspruch anlässlich einer gemeinsamen europäischen Intervention gegen den Boxeraufstand in China noch einmal etwas grober und ungeschickter, was über eine breite Berichterstattung in der britischen Presse als "Hunnenrede" in die Geschichte einging (vgl. So kriegsgefährlich wie die Flottenpolitik Wilhelms II.).

Im 21. Jahrhundert werden solche Ansprüche weniger für ein aus Berlin dominiertes Deutsches Reich, sondern für eine aus Berlin dominierte Europäische Union laut: Die designierte deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (deren schnarrend-preußische Sprechweise auch formal an die Vergangenheit erinnert), verlautbarte gestern, "Europa" müsse "eigene Muskeln aufbauen", "die vorhandene Kraft gezielter einsetzen, wo es um europäische Interessen geht" und "auch die Sprache der Macht lernen", weil "Soft Power" nicht mehr ausreiche, um sich in der Welt zu behaupten". Dazu müsse man sich umfangreichere militärische Fähigkeiten zulegen.

Vorstoß der Nachfolgerin

Kurz davor hatte Annegret Kramp-Karrenbauer, die Nachfolgerin Ursula von der Leyens im Bundesverteidigungsministerium, an der Bundeswehruniversität in München eine Rede mit ähnlichem Tenor gehalten (vgl. Mehr deutsches Militärengagement: "Tun wir es nicht, verzwergen wir uns"). Man könne, so die Saarländerin, in der Weltpolitik "nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen", weil man "globale Interessen" habe:

Wir sind die Handelsnation, die von internationaler Verlässlichkeit lebt. Wir sind neben China führend in der internationalen Containerschifffahrt - und auf freie und friedliche Seewege angewiesen. Und wir sind in der Mitte eines Europas, das von sicheren Grenzen und gleichzeitig kraftvollem Miteinander lebt - nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in Wissenschaft und Kultur, unserem gesellschaftlichen Leben. Das gibt es nicht zum Nulltarif. […] "Wir müssen […] auch etwas tun und Initiative ergreifen, damit aus Haltung und Interesse Wirklichkeit werden kann" (Annegret Kramp-Karrenbauer)

Neben einer Präsenz der Bundeswehr im Pazifik und im Orient schwebt ihr dazu unter anderem ein Ausbau des "Engagements" in Afrika vor.

Schröder, Schulz, Gabriel

Bevor CDU-Politikerinnen das Thema für sich entdeckten, waren vor allem SPD-Politiker wie Gerhard Schröder (vgl. Eurasische Gegenmacht), Martin Schulz (vgl. Von der Arbeiterpartei zur EU-Partei) und Sigmar Gabriel (vgl. Sigmar Gabriels neuer Wilhelminismus) mit solchen Forderungen aufgefallen.

Gabriel etwa hatte als deutscher Außenminister 2017 in einer Grundsatzrede gefordert, dass die EU und deren Führungsmacht Deutschland weltpolitisch selbstbewusster agieren sollten, weil die Vereinigten Staaten nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten als weltpolitische Gestaltungskraft geschwächt seien. "Deutschland", so Gabriel, müsse deshalb "mehr tun und wagen", weil eine Welt ohne Führungsmacht "brandgefährlich" sei und es "keinen bequemen Platz an der Seitenlinie internationaler Politik mehr" gebe.

Bei den Wählern hatte diese Positionen damals keine Mehrheit, wie eine Umfrage der Körber-Stiftung zeigte: Höhere deutsche Rüstungsausgaben wurden darin von einer Mehrheit von 51 Prozent abgelehnt. Gegen eine gemeinsame europäische Armee hatten aber 58 Prozent nichts - möglicherweise auch in der Erwartung, dass sich dadurch wie beim "Merging" von Unternehmen Kosten einsparen ließen. Mit 52 Prozent plädierte eine deutliche Mehrheit von neun Punkten außerdem für eine außenpolitische Zurückhaltung Deutschlands - nur eine Minderheit von 43 Prozent ist für mehr "Engagement", wie Gabriel es vorschwebte.

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