Wetter 2022: Ein Jahr der Extreme

Temperaturabweichungen 2022 in °C im Vergleich zur durchschnittlichen Temperatur des Zeitraums von 1981 bis 2010. Bild: World Meteorological Organization / NOAA

Hitzerekorde, Dürren, schnell sinkende Temperaturen: Das Jahr, das war, zeigt, wie unsicher unser Leben in der Klimakatastrophe wird. Auch in Deutschland nehmen die Extreme zu. (Teil 1)

Pakistan und Indien meldeten im März und April 2022 Rekordtemperaturen von bis zu 50 Grad im Schatten: Solche Temperaturen sind lebensgefährlich. Im Sommer wütete der Monsun in Pakistan derart, dass ein Viertel des Landes unter Wasser standen, 1.500 Menschen verloren ihr Leben.

Im Dezember sank die Temperatur in Australien – also im dortigen Sommer – in nicht einmal 24 Stunden um 50 Grad Celsius: So etwas gab es bislang nur in Katastrophenfilm wie in "The Day after Tomorrow".

Doch nicht nur weit weg spielte das Wetter 2022 verrückt, sondern auch in Deutschland. Das erste Wetterextrem des Jahres sorgte nicht für große Schlagzeilen. "In diesem März gab es mehr Sonne als sonst normalerweise in einem durchschnittlichen Juli", erklärt Andreas Friedrich, Sprecher des Deutschen Wetterdienstes.

Nach Messungen der Wetterstationen lag die Sonnenscheindauer in diesem März bei über 235 Stunden. Das ist mehr als das Doppelte des Durchschnitts der Periode 1961 bis 1990 mit 111 Sonnenstunden. Der Märzmonat 2022 war damit der mit Abstand sonnenscheinreichste seit Messbeginn 1951.

Viel Sonne bedeutet natürlich wenig Wolken und damit wenig Wasser: In Brandenburg und Berlin fielen im ganzen März nicht einmal drei Liter Regen pro Quadratmeter, wo doch sonst hier zwölfmal mehr im März "normal" sind. An der Mecklenburgischen Seenplatte, in der Uckermark und in Vorpommern registrierte der Deutsche Wetterdienst sogar weniger als ein Liter Niederschlag pro Quadratmeter. Auch andere Regionen litten 2022 schon früh im Jahr unter extremer Dürre – Süddeutschland und der Harz im Oberboden (bis 25 Zentimeter Tiefe), die Altmark, Teile der Pfalz, Niedersachsens und Badens im Unterboden (bis zu 1,8 Metern).

Die Ersten, die das Sonnenextrem spürten, waren die Bauern. "Darunter leiden Wintergetreide, Raps und auch die Frühjahrskulturen, die ausgesät worden sind, wie zum Beispiel Sommergerste oder Zuckerrüben", erklärte der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied. Auch die Kartoffeln kämen so "nicht richtig in die Gänge". Tobias Fuchs, beim Wetterdienst für das Fachgebiet "Klima und Umwelt" zuständig:

Die Zunahme der Frühjahrestrockenheit ausgerechnet in einem Zeitraum, in dem die Vegetation ‚erwacht‘ und einen hohen Bedarf an Wasser hat, führt zu erheblichen Beeinträchtigungen bei der Pflanzenentwicklung.

Ja, es ist der Klimawandel! "Unsere Daten zeigen, dass die Trockentage im Frühling in den letzten Jahren bereits deutlich zugenommen haben", sagt DWD-Sprecher Friedrich. Damit bestätigt sich, was die Wissenschaft vor 20 Jahren prognostizierte. Allerdings sind die Folgen wohl gravierender als bislang angenommen: Vieles, was von der Wissenschaft für die 2030er oder 2040er-Jahre prognostiziert wurde, lässt sich bereits jetzt beobachten. Und sorgt dann doch für Schlagzeilen.

Anfang Juli beispielsweise, als am Berg Marmolata in den italienischen Dolomiten ein Gletschersturz elf Bergsteiger in den Tod riss, acht weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Zuvor war es mit zehn Grad ungewöhnlich warm in 3.000 Höhenmetern, den Alpen schmilzt ihr Kitt, der Permafrost, weg.

Dann trockneten die Flüsse aus, der Po in Italien, in Deutschland die Weser, der Rhein. Dessen Pegel fiel im August in Emmerich erstmals auf minus zwei Zentimeter, ein neuer Negativrekord. Dass hier auf dem Niederrhein überhaupt noch Schiffe fahren konnten, lag lediglich daran, dass die Fahrrinne immer weiter ausgebaggert worden war.

Im Juli regnete es im Iran so stark, dass mehr als einhundert Menschen ihr Leben in den Fluten verloren. Dagegen war es hierzulande viel zu trocken, wegen großer Hitze und kaum Niederschlag brannten die Wälder. Wochenlang kämpften Feuerwehrleute gegen die Flammen in der Sächsischen Schweiz, der Harz brannte lichterloh, in Berlin war es der Grunewald.

Neue deutsche Hitzerekorde im Juli

Ende Juli 2022 verbreitete sich ein Video im Netz, das meterhohe Flammen an der Autobahn bei Kassel zeigt. Feuer in der Gohrischheide, die sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen liegt; Waldbrand nahe Treuenbrietzen (ebenfalls in Brandenburg) oder an der Bahnstrecke bei Lehrte (Niedersachsen) – nie gab es hierzulande mehr Brände als im Jahr 2022. Insgesamt vernichteten die Flammen 4.293 Hektar Natur in Deutschland. Der Berliner Grunewald ist nur rund 3.000 Hektar groß.

Mit Temperaturen um die 40 Grad gab es im Juli neue Hitzerekorde in Deutschland. Und weil es viel zu wenig regnete, war dieser Sommer lange auf Kurs Jahrhundertdürre: Nach den Daten des Deutschen Wetterdienstes fielen bis Ende August im Flächenmittel nur 104 Liter Regen pro Quadratmeter. Im Sommer 1911, dem bisherigen Rekordhalter, kamen insgesamt 125 Liter zusammen. Normal über das langjährige Mittel wären 245 Liter. Nur weil dann doch ein Tiefdruckgebiet kräftige Gewitter brachte, blieb der neue Dürrerekord aus.

Tatsächlich sagen Klimamodelle voraus, dass die mitteleuropäischen Sommer trockener werden und Wetterextreme zunehmen. Und die Wissenschaft belegt, dass wir uns bereits jetzt am oberen Rand der Modellvorhersagen befinden. Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hatte zum Ergebnis: Durch die globale Erwärmung wird es wahrscheinlicher, dass Wetterlagen in den Sommermonaten auf der Nord-Halbkugel länger anhalten, was dann zu mehr extremen Wetterereignissen führt.

So wie in diesem Sommer, in dem über weiten Teilen Europas eine Wetterlage anhielt, die seit Monaten warme Luft aus dem Mittelmeerraum zu uns führt, feuchte Westwinde wurden dagegen von einem Hochdruckgebiet über dem Kontinent blockiert.

Dann folgte ein Rekord-Oktober: Vielerorts kletterten die Temperaturen über 25 Grad. "Wir haben einen Oktober erlebt, dessen Temperaturen eher dem hierzulande typischen Mai entsprechen", urteilt DWD-Pressesprecher Uwe Kirsche. Mit einer Durchschnittstemperatur von 12,53 Grad lagt der diesjährige Oktober um 3,53 Grad über dem Wert der international gültigen Referenzperiode 1961 bis 1990.

Mitteleuropa erwärmt sich stärker als manch andere Region

Dadurch ist das Jahr 2022 insgesamt auf dem Weg, das wärmste aller Zeiten in Mitteleuropa zu werden. Demnach war es bis Anfang Dezember im Durchschnitt 2,4 Grad Celsius wärmer als im langjährigen Mittel. Besonders betroffen ist Südwestdeutschland: In Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und im Saarland war es sogar 3 Grad wärmer als normal.

Damit erwärmt sich Mitteleuropa deutlich stärker als manch anderer Teil der Welt. Zwar folgte der Frosteinbruch Mitte Dezember, weshalb 2022 wohl doch nicht als wärmstes Jahr in die deutsche Geschichte eingehen wird. Diesen Rekord hält 2018, dicht gefolgt von 2020, 2014 und 2019.

Heißer, trockener, extremer: "Der Klimawandel ist längst kein exotisches Phänomen mehr, das uns in Form von Extremwetter abends in den TV-Berichten der Auslandskorrespondenten aus fernen Ländern begegnet", sagt Tobias Fuchs vom Deutschen Wetterdienst.

Und: Viele Folgen des Klimawandels werden unumkehrbar sein, wie Ricarda Winkelmann, Professorin für Klimasystemanalyse an der Universität Potsdam, warnt:

Das Überschreiten von Kipp-Punkten gehört zu den größten Risiken des menschengemachten Klimawandels.

Zentrale Teile des Klimasystems – wie etwa die Eisschilde von Grönland und der Antarktis, die Atlantische Ozeanzirkulation oder der Amazonasregenwald – können auf einen weiteren Temperaturanstieg höchst nichtlinear reagieren, so Winkelmann:

Wenn diese Systeme sich erst einmal in einem kritischen Zustand befinden, also nahe ihres Kipp-Punktes, reicht eine kleine Störung, zum Beispiel eine kleine Änderung in der Temperatur aus, um weitreichende, teils unumkehrbare Folgen auszulösen.

Deshalb wäre echter Klimaschutz jetzt endlich so dringend nötig! Zum Beispiel mit einem Tempolimit. Und einem Kohleausstieg in naher Zukunft. Aber wir haben jetzt erst einmal neue LNG-Terminals und einen Erdgas-Liefervertrag mit Katar: Deutschland hängt mindestens bis 2041 an der fossilen Nadel. Der bündnisgrüne Vizekanzler Robert Habeck findet das: "super".

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