Aktionsplan E-Commerce: Kann die Politik Temu und Shein Einhalt gebieten?
Handel ruft nach staatlicher Hilfe gegen Temu und Shein. Doch kann der Aktionsplan E-Commerce die Billig-Giganten stoppen?
Shein mit seinem Firmensitz in Singapur und der europäischen Zentrale in Dublin unter dem Firmennamen Infinite Styles Ecommerce sowie Temu, die in Europa unter dem Firmennamen Whaleco Technology ebenfalls in Irlands Hauptstadt registriert sind, wirbeln den Handel in Deutschland derzeit so gewaltig auf, dass zahlreiche Anbieter hierzulande die Politik zu Hilfe rufen, um ihr Überleben sichern zu können.
Temu war zuerst in den USA erfolgreich
Temu wurde 2022 in den USA gegründet und ist ein Tochterunternehmen der an der US-Technologiebörse Nasdaq gehandelten PDD Holdings mit Sitz in Shanghai.
Nach dem Erfolg in den USA wurden verschiedene EU-Länder, darunter Deutschland, erschlossen. Das Unternehmen baut seinen Erfolg auf extrem niedrige Preise sowie eine konsequente Gamification seiner Plattform. Da Marken in diesem System keine Rolle spielen, sind die Hersteller der Produkte praktisch nicht zu greifen.
Temu ist ähnlich wie zuvor schon AliExpress ein Online-Marktplatz, der als Vermittler zwischen Verkäufern und Käufern fungiert. Das Unternehmen führt kein eigenes Warenlager. Produziert wird grundsätzlich erst nach Bestelleingang und nicht auf Lager, was die Logistikkosten dramatisch reduziert.
Wenn ein Produkt von europäischer Seite als nicht konform mit den europäischen Vorschriften gemeldet wird, nimmt man es umgehend aus dem Angebot. Alles, was nicht als Regelverstoß angeprangert wird, bleibt jedoch im Angebot, unabhängig davon, ob es europäischen Vorschriften entspricht oder nicht.
Amazon reagiert
Der Erfolg der chinesischen Wurzeln entsprungenen Onlineplattformen ist nicht nur für den deutschen Handel, der seine Waren inzwischen meist ebenso aus Fernost bezieht wie Temu oder Shein, eine Herausforderung.
Der internationale Handel grast wie zuvor Amazon die Märkte ab und kann nur noch mit der beinahe unbegrenzten Verfügbarkeit punkten. Beim Versand selbst leidet er jedoch unter Kostenproblemen.
Zur Kostensenkung bei der Auslieferung setzt man inzwischen vorwiegend auf die eigene Logistik mit endlos vielen Subunternehmern und örtlichen Depots im Lebensmitteleinzelhandel, wo der Besteller seine Sendungen selbst abholen darf.
Im Amazon-Heimatmarkt USA muss der weltgrößte Onlinehändler, der mit seinem Marketplace sich auch als Handelsplattform für Dritte platziert hat, zunehmend gegen agilere Konkurrenz aus China zur Wehr setzen.
Daher geht Amazon jetzt in den USA in die Offensive und plant eine eigene Billig-Plattform, welche es chinesischen Anbietern ermöglichen soll, ihre Artikel direkt an die US-Kundschaft zu verkaufen.
In Deutschland ruft der abgehängte Handel nach dem Staat
Soll es in Deutschland zumeist der Markt richten, wird jetzt ein Eingreifen des Staates gefordert. So stellt der Handelsverband Deutschland (HDE) mit Blick auf die zahlreichen Regelverstöße chinesischer Billig-Marktplätze fest, dass die Politik und die Behörden einen fairen Wettbewerb sicherstellen müssten.
Dabei steht auch die Politik im Wettstreit mit dem rasanten chinesischen Handel jetzt schon auf verlorenem Posten. Auch wenn das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) jetzt fordert:
Verbraucherschutz und faire Wettbewerbsbedingungen gelten auch im Onlinehandel – Anbieter aus Drittstaaten wie Temu und Shein untergraben die Standards des EU-Binnenmarkts, während ihr Marktanteil zunimmt. Wenn Rechtsverstöße nicht konsequent aufgedeckt und geahndet werden, schädigt das sowohl die Verbraucherinnen und Verbraucher als auch die deutschen Unternehmen.
Mit dem Aktionsplan E-Commerce formuliert das BMWK eine Strategie, die eine bessere Durchsetzung der EU-Vorgaben für alle Marktteilnehmer gewährleisten soll. Gefordert wird unter anderem eine stärkere Kontrolle durch Marktüberwachungsbehörden und den Zoll sowie eine konsequente Durchsetzung des Digital Services Acts (DSA).
Diese Forderungen lassen sich im EU-Binnenmarkt ohne grundsätzliche Umgestaltung des gemeinsamen Marktes und ohne hohen bürokratischen Mehraufwand nicht bewältigen.
Gegen den Wunsch der Verbraucher, Schnäppchen zu realisieren, die jeder wirtschaftlichen Vernunft Hohn sprechen, kommt letztlich keine Behörde an, welche sich an europäische Gesetze halten muss.
Der jetzt vorgestellte Aktionsplan E-Commerce ist der Wucht der europäischen Ableger der Online-Handelsplattformen chinesischen Ursprungs nicht einmal ansatzweise gewachsen, wenn man nicht das Risiko eingehen will, letztlich auch die deutschen Händler von ihren in China liegenden Quellen und Lieferketten abzuschneiden.
Das Einfallstor in die EU kann kurzfristig wechseln
Derzeit liefert Temu bis zu 400.000 Sendungen pro Tag über den Flughafen Lüttich in die EU, wo sich sechs Zöllner mit der Bearbeitung abgeben, bevor die Sendungen an ihre Empfänger in der EU geliefert werden.
Würde jetzt die Freigrenze von derzeit 150 Euro auf null abgesenkt, müsste der Zoll in Lüttich 400.000 Zollbescheinigungen ausstellen und an die Warenempfänger versenden oder die Zollbehörden in den Empfängerländern um Amtshilfe bitten.
Da die Sendungen direkt von den Herstellern verschickt werden, ist es einfach, Temu als Handelsplattform zu verbergen, ohne EU-Vorschriften zu verletzen. Niemand weiß, wie man Lieferungen, die über Temu oder Shein vermittelt wurden, von anderen Lieferungen unterscheiden kann. Und wenn man jetzt Lieferungen aus China in Lüttich grundsätzlich blockt, wird das nicht nur Temu-Kunden treffen.
Da die Ware aus China nur gegen Vorkasse produziert und geliefert wird, werden nur die Besteller von einer Liefersperre getroffen. Aufgrund der im Versand üblichen Prozedere können sich die Empfänger nicht einmal über den Verbleib ihrer Waren schlaumachen, weil zu solchen Anfragen nur der Versender berechtigt ist.