Den Krieg verlernen: Wenn Alt-Grüne die SPD aus falschen Gründen angreifen
Worte wie Defätist oder Lumpenpazifist sollen diffamieren. Sie können aber auch als Auszeichnung betrachtet werden. Ein Kommentar.
"Alle reden vom Krieg, vom Frieden nur wenige. Drohen wir, unseren Sinn dafür zu verlieren, wie man Frieden schafft und den Frieden bewahrt?" Solche Sätze hört man heutzutage zumindest in Bezug auf den Ukraine-Krieg selten in Deutschland.
Dabei kommen sie nicht einmal von einem Pazifisten, sondern von dem liberalen Journalisten Heribert Prantl, der kürzlich im Heyne-Verlag ein Buch mit dem programmatischen Titel "Den Frieden gewinnen – die Gewalt verlernen" herausgebracht hat. Darin wird betont, dass Prantl kein Pazifist ist und Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet. Doch Prantl zeichnet noch etwas aus.
Waffen, Dialog und Gesprächskanäle: Heribert Prantls Vision
Er ist "zugleich voller Respekt für alle, die nicht auf die Kraft der Waffen, sondern auf die Kraft des Rechts setzen. Denn den Frieden kann man nicht herbei bomben – er braucht das entschiedene Bemühen um Dialog, die Entschlossenheit, mit der gegnerischen Seite im Gespräch zu bleiben, den Willen, mit aller Kraft den Weg zu Friedensverhandlungen zu suchen."
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Ist Prantl etwa auch ein Defätist? Dieser Vorwurf wurde schon immer von Nationalisten aller Couleur gegen diejenigen gerichtet, die sich nicht im Krieg für die Interessen von Staat und Kapital verheizen lassen wollten. Doch nun erhebt das Duo Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie diesen Vorwurf gegenüber der SPD in der taz.
Tatsächlich handelt es sich um jenen Cohn-Bendit, der vor 55 Jahren mal als roter Danny durch die Medien geisterte und den Aufstand von Paris in alle Welt tragen wollte. Als Senior mit einer großen Pension von vielen Jahren Abgeordnetentätigkeit hat er schon lange seinen Frieden mit den gesellschaftlichen Verhältnissen gemacht.
Wenn Alt-Grüne die SPD von Rechts kritisieren
Mit dem jüngsten Beitrag will er beim prowestlichen Flügel der deutschen Rechten Anerkennung bekommen. Die haben schließlich die Sozialdemokraten schon immer als vaterlandslose Gesellen betrachtet und des Defätismus geziehen. Dabei stand die SPD spätestens seit 1914 Spalier, wenn der Staat zu den Waffen rief. Nun fährt das Duo Leggewie/Cohn-Bendit zumindest verbal schweres Geschütz gegen die SPD auf.
Deren Attacke richtet sich weniger gegen russische Kriegsverbrechen als gegen die grüne Konkurrenz, die implizit als Kriegspartei denunziert wird. So geht Defätismus: Für ein paar Punkte in den nächsten Kommunalwahlen nordet der Bundeskanzler seinen Kompass "Zeitenwende" in Richtung "München" ein.
Claus Leggewie / Daniel Cohn-Bendit, taz
Für alle, die nicht so geschichtskundig sind, haben die beiden auch hier noch mal nachgelegt:
1938 konnten sich der britische Premier Neville Chamberlain und sein französischer Kollege Edouard Daladier ein paar Monate als Friedensstifter feiern lassen, bevor das angeblich "beruhigte" Hitlerdeutschland, ganz nach Plan, den schrecklichsten Krieg der Geschichte auslöste.
Claus Leggewie/ Daniel Cohn-Bendit, taz
Die Entsorgung der deutschen Vergangenheit
Es wird kaum noch wahrgenommen, wie hier die deutsche Vergangenheit entsorgt wird. Dergleichen ist alltäglich geworden und es gibt kaum noch Menschen und Initiativen, die sich dagegen wehren. Mit dem München-Vergleich wird Putin mit Hitler gleichgesetzt.
Dass Hitler im Gegensatz zu Putin für die Shoah, den Massenmord an den europäischen Juden, verantwortlich ist, wird einfach nicht erwähnt. Auch das ist Alltag geworden und fällt nicht mehr auf.
Genau vor einer solchen Entwicklung haben deutschlandkritische Linke vor mehr als 30 Jahren gewarnt. Sie wurden als Schwarzmaler verunglimpft. Doch das Ausmaß der deutschen Geschichtsvergessenheit, das uns heute tagtäglich begegnet, hätten sich selbst die größten Pessimisten nicht vorstellen können.
Wie diese Geschichtsentsorgung funktioniert, zeigte unlängst die Deutschlandfunk-Sendung "Die Opfer werden instrumentalisiert". Für die Sendung wurde die langjährige Russland-Korrespondentin des Deutschlandfunks, Gesine Dornblüth interviewt.
Wenn die Opfer von Leningrad lieber vergessen werden sollen
Sie hatte vor mehr als zehn Jahren eine Sendung über die mörderische Blockade von Leningrad produziert und dort auch mit Überlebenden gesprochen. Die Zeitzeugen hatten mit ihr über die mörderischen Folgen der Blockade gesprochen und am Ende betont, dass sie die deutsche Bevölkerung nicht hassen und Frieden mit ihr haben wollen.
Das Thema der Sendung ist auch deshalb so wichtig, weil über die Leningrader Blockade, die mindestens eine Million Menschen das Leben gekostet hat, in Deutschland wenig bekannt ist. Entschädigungen für die Leningrader Bevölkerung gibt es nie. Hier wäre eine gute Gelegenheit, auch heute noch daran zu erinnern.
Doch die aktuelle Sendung nimmt eine andere Wendung. Dornblüth betont, dass sie nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine die damalige Sendung so nicht mehr machen könnte. Sie müsste an die im Krieg zerstörten ukrainischen Städte wie Mariupol denken.
Plötzlich wurde nicht mehr über die deutschen Verbrechen geredet, vielmehr steht Russland wieder am Pranger. Da werden auch die Lieder und Zeremonien zum Gedenken an die Opfer der Leningrader Blockade plötzlich zum typischen Putinismus und dann rückwirkend zur sowjetischen Propaganda.
Russen als Tätervolk und deutsche Ukraine-Begeisterung
Wenige Minuten später wird die sowjetische Politik für die vielen Toten der Leningrader Blockade verantwortlich gemacht. So wird die deutsche Verbrechensgeschichte in knapp 30 Minuten entsorgt.
Nicht mehr über die deutschen Verbrechen, sondern über den Stalinismus wird jetzt gesprochen "Es wurde nicht über die Täter geredet, sondern über die Opfer. Denn der Täter war der Staat", sagt Dornblüth und meint damit die Sowjetunion und nicht Deutschland. Russland habe die Geschichte im Gegensatz zu Deutschland nicht aufgearbeitet.
Hier zeigt sich, dass die Ukraine-Begeisterung in Deutschland sehr wohl etwas mit der deutschen Geschichte zu tun hat. Man solidarisiert mit der deutschfreundlichen Strömung in der Ukraine, die auch schon mit dem deutschen Faschismus zeitweilig zusammengearbeitet hat.
Aber es wird kategorisch abgelehnt, auch nur darüber zu diskutieren, ob an den russischen Vorwürfen, dass in es ultrarechte Tendenzen in der Ukraine gibt, etwas dran ist. Mal will partout keine ukrainischen Nazis erkennen, obwohl der Kult um den NS-Kollaborateur Stepan Bandera evident ist. Dafür wird dem russischen Staat vorgeworfen, Züge des Faschismus zu tragen.
Nur die Lumpen werden überleben
Wer sich an die Fakten hält und eben auch nach der Stärke der ukrainischen Ultranationalisten fragt, wird schnell als Putin-Troll abgestempelt. Darüber schreibt Gerald Grüneklee in seinen kürzlich erschienen Buch, "Nur die Lumpen werden überleben" kürzlich in Berlin vorgestellt.
"Derzeit ist in Mitteleuropa eine nationalistische und militärische Formierung zu erleben, wie es sie seit 1945 nicht mehr gab", beschreibt Grüneklee die politische Großwetterlage. In einem eigenen Kapitel schildert er, wie gerade die Grünen hier zur Speerspitze der Kriegsparteien werden. Wer die erwähnte Stellungnahme von Alt-Grünen wie Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie in der taz gelesen hat, wird diesen Befund nur bestätigen können.
Der Titel des Buches "Nur die Lumpen werden überleben" bezieht sich auf das Gerede vom Lumpenpazifismus, mit dem Linksliberale wie Sascha Lobo Menschen und Gruppen, die nicht kriegsbereit waren und sind, diffamierten. Grüneklee zeichnet in seinem Buch die lange reaktionäre Tradition nach, mit der missliebige Menschen als Lumpen ausgrenzt wurden.
Wer angesichts des Krieges mehr Unterstützung verdient
"Lumpen, das waren Menschen, die pauschal von der Obrigkeit verdächtigt werden, kriminell zu sein und sich gemeinschaftsschädlich zu verhalten... Lumpen, das waren Menschen, die ein öffentliches Ärgernis darstellten, weil man ihnen ihre Armut ansah..." Doch Grüneklee sieht den Begriff als Auszeichnung:
Die Begriffsherkunft des Lumpen verweist aber auch auf Menschen, die ihren eigenen Kodex hatten, ihre Überlebensstrategien – und die über beachtliche Widerstandskräfte verfügten, die sie jahrhundertelang recht resilient gegenüber staatlichen Zugriffen und Zwangsdiensten machten.
Gerald Grüneklee
Das bedeutet auch im russisch-ukrainischen Krieg konkret, die Menschen zu unterstützen, die nicht kämpfen wollen, mit denen kein Staat zu machen und kein Krieg zu führen ist.