Die Zeit für Spanien läuft ab

Die mögliche Griechenland-Pleite und abstürzende spanische Regionen beschleunigen den Absturz, schon heute dürfte in Berlin über die Spanien-Rettung verhandelt werden

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Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat gedroht, sich aus der Griechenland-Hilfe zurückzuziehen. Damit rückt schon lange erwartete der Austritt des Landes aus Euro-Raum auf die Tagesordnung. Die Frage ist nur, ob es sich damit nur um eine Drohkulisse handelt, um das Land von Nachforderungen in Neuverhandlungen abzubringen, nachdem man dem Defizitsünder Spanien gleich mehrfach entgegengekommen ist. Für Spanien führt aber nun kein Weg mehr am Rettungsschirm vorbei. Nach Valencia muss nun mit Murcia die zweite Regionen von der Zentralregierung aufgefangenen werden, weitere dürften folgen. Madrid hat dafür aber kein Geld. Wegen hoher Zinsen, die immer gefährlicher steigen, kann es sich es auch nicht am Kapitalmarkt besorgen.

Der Spiegel hat berichtet, dass sich der IWF aus der Griechenland-Hilfe zurückziehen will. Ohne Quellen zu nennen, bezieht sich das Nachrichtenmagazin auf hochrangige IWF-Vertreter, die gegenüber der EU-Kommission in Brüssel deutlich gemacht hätten, dass die Washingtoner Finanzorganisation nicht mehr bereit sei, weitere Gelder für die Griechenlandhilfe zur Verfügung zu stellen. Ab Dienstag wird die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF wieder im Land prüfen, ob Griechenland seinen Reformverpflichtungen nachkommt, wobei längst bekannt ist, dass die Auflagen an vielen Punkten nicht eingehalten wurden.

Der Spiegel berichtet, es stehe schon fest, dass Athen seinen Schuldenstand nicht wie vereinbart bis zum Jahr 2020 auf rund 120% der Jahreswirtschaftsleistung drücken könne, wie es mit dem zweiten Rettungspaket beschlossen worden war . Dass dieses Ziel angesichts der Depression im Land illusorisch gewesen ist, stand aber bereits fest, als der Plan festgezurrt wurde. Weil trotz Schuldenschnitt und Hilfspaketen das Land in acht Jahren eine Staatsverschuldung haben sollte, die immer noch viel zu hoch ist, zeigt eigentlich an, dass es nie darum ging, dem Land eine Chance zu geben (Erleichterung nach geglücktem Schuldenschnitt in Griechenland). Man wäre, selbst wenn alles gegen alle Erwartungen doch hingehauen hätte, aber nur wieder ungefähr am Ausgangspunkt der Krise Ende 2009 angelangt, als die Staatsverschuldung 129% betrug. Hilfe oder Rettung sieht anders aus. Da sich aber die privaten Anleger wie Banken, Fonds und Versicherungen weitgehend aus Griechenland zurückgezogen haben, kann nun immer offener über den Rauswurf Griechenlands aus dem Euroraum nachgedacht werden. Die Risiken wurden mittlerweile weitgehend auf die europäischen Steuerzahler verschoben, indem die Frankfurter EZB massiv griechische Staatsanleihen gekauft hat und zudem schon zwei Rettungspakete geschnürt wurden. Es ist kein Geheimnis, dass sich private Gläubiger seit drei Jahren aus Griechenland zurückziehen. Deren Verluste würden sich nun in engen Grenzen halten, sollte Griechenland in die Pleite geschickt werden (Keine Einigung zur Griechenland-Nothilfe 2.0).

Man kann das auch mit den Worten von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sagen: "Ich glaube, für viele Fachleute, für die FDP und auch für mich hat ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone längst seinen Schrecken verloren." Gegenüber der ARD [http://www.tagesschau.de/inland/roesler-sommerinterview100.html erklärtr] er im Sommerinterview klar und deutlich: "Wenn Griechenland seine Auflagen nicht erfüllt, dann kann es keine weiteren Zahlungen an Griechenland mehr geben." Gleichzeitig zeigte sich der Vizekanzler "mehr als skeptisch", dass die Hellenen ihre Auflagen erfüllen können.

Diese Linie ist nun wahrlich in der Bundesregierung nicht neu. Schließlich hält Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Austritt Griechenlands aus dem Euro schon seit längerem für "verkraftbar". Im Mai erklärte er: "Europa geht so schnell nicht unter." Man habe in den letzten zwei Jahren viel gelernt und Schutzmechanismen eingebaut: "Die Ansteckungsgefahren für andere Länder der Eurozone sind geringer geworden und die Eurozone ist insgesamt widerstandsfähiger geworden", meinte er. Ob das eine reale Einschätzung ist, darf aber bezweifelt werden, auch wenn man sich die Ereignisse in Spanien und Italien anschaut, das ebenfalls schon taumelt).

Schon im Februar wollte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) dem Land den Austritt aus dem Euro schmackhaft machen. "Ich rede nicht davon, Griechenland rauszuschmeißen, sondern Anreize für einen Austritt zu schaffen, die sie nicht ausschlagen können." Er meint, das Land habe außerhalb der Währungsunion größere Chancen, "sich zu regenerieren und wettbewerbsfähig zu werden" und natürlich, da es weiter in der EU bleibt, kann es auch weiterhin auf Gelder aus Brüsseler Töpfen rechnen.

Der Stier stürzt ab. Bild: R. Streck

Für Spanien wird die Lage nun bedrohlich

Es steht nach dem heißen Euro-Sommer im letzten Jahr ein zweiter bevor, weil man sich in der EU zwar ständig teuer neue Zeit erkauft, sie aber nicht nutzt. Vielleicht will man aber auch kein anderes Ergebnis, sondern die Planungen für eine Spaltung Europas umsetzen. Eigentlich hatte die spanische Regierung auf geruhsamere Sommertage gehofft, nachdem die Bankenrettung über den europäischen Rettungsfonds (EFSF) am Freitag in trockene Tücher gebracht wurde. Doch weit gefehlt. Da nun auch die spanischen Regionen die Hände nach Rettungsmilliarden austrecken, um ihre Pleite abzuwenden, setzt sich die Überzeugung durch, dass es nicht bei einer begrenzten Bankenrettung nicht bleiben wird.

Dass sich die Rezession in Spanien im zweiten Quartal verschärft hat, trägt auch nicht dazu bei, das Vertrauen zu steigern. Nach 0,3% im Vorquartal schrumpfte die Wirtschaft zwischen April und Juni um 0,4%, weil der Binnenkonsum einbricht. Dabei ist das erst der Anfang. Die Last von vier Sparplänen in nur sechs Monaten ist noch nicht bei den Menschen angekommen. Der zuletzt verkündete Sparplan in einem Umfang von 65 Milliarden Euro (10% der jährlichen Wirtschaftsleistung), führt nicht nur zu massivem Widerstand, sondern wird nach Griechenland und Portugal auch Spanien erst so richtig in die Rezession treiben.

Valencia und Murcia sind Pleite, weitere Regionen werden folgen

Am Freitag stellte nun als erste Region die Pleite-Region Valencia einen Rettungsantrag bei der Zentralregierung. Inzwischen schält sich heraus, dass die Region ein Finanzierungsloch von etwa 3,5 Milliarden Euro hat. Am Sonntag kündigte auch die Nachbarregion Murcia einen Rettungsantrag an. Das führte dazu, dass die Zinsen für spanische Staatsanleihen am Montag auf neue Rekordwerte stiegen. War der Risikoaufschlag am Sekundärmarkt gegenüber Bundesanleihen schon am Freitag nach dem Rettungsantrag Valencias auf 612 Basispunkte gestiegen, schoss er am Montag sogar auf 640 Punkte hoch. Die Renditen, mit denen die Anleihen gehandelt wurden, stiegen erstmals über die Marke von 7,5%. Die Marke von 7%, an der Griechenland, Irland und Portugal einen Rettungsantrag gestellt hatten, wurde deutlich gerissen. Kapital flieht aus dem Land, weil es den Konservativen nicht mehr zugetraut wird, die Probleme noch in den Griff zu bekommen.

Mit dem Absturz der konservativen Regionen wird zudem deutlich, dass eine kreative Bilanzierung nicht nur bei Banken üblich ist (Muss Bankia abgewickelt werden?), weshalb immer neue Milliardenlöcher in den Regionen auftauchen. Murcias Regierungschef Ramón Luis Valcárcel stimmte seine Bevölkerung nach Valencia am Sonntag auf Rettungszeiten ein. Im Interview erklärte er gegenüber der Lokalzeitung La Opinion, die kleine Mittelmeerregion benötige schnell "200 bis 300 Millionen Euro". Auf die klare Frage, ob seine Regierung den Rettungsfonds anzapfen will, sagte er unzweideutig: "Natürlich, wir wünschen das und hoffen, dass er bis September verfügbar ist". Er kündigte zugleich neue Sparmaßnahmen an, da der Region das Geld "nicht geschenkt" werde, sondern es mit "harten Auflagen" verbunden sei.

Es war deshalb mehr als erstaunlich, dass die "Regionalregierung Murcias" kurz darauf den eigenen Regierungschef dementierte. Mit "Nachdruck" wies seine Regierung die Worte ihres höchsten Vertreters in einer Presseerklärung zurück, "dass es eine Entscheidung" über einen Antrag gäbe. Man fragt sich angesichts des konservativen Chaos, wer eigentlich regiert, denn offensichtlich sind die Strukturen nicht geklärt und es tobt ein Machtkampf.

Doch interessanter ist eigentlich die Frage, woher frisches Geld für Murcia sonst kommen soll, wenn es nicht aus dem Rettungsfonds für angeschlagene Regionen der Zentralregierung (FLA) kommt. Die Region wird, wie Valencia und andere Regionen, von den Rating-Agenturen bereits als "Ramsch-Anleihe" bewertet. Deshalb können sie sich über die Finanzmärkte praktisch kein Geld mehr besorgen. So war es kein Wunder, dass am Montag schließlich Valcárcel das Dementi seiner Regierung wieder dementiert hat. Er bestätigte, dass Murcia 300 Millionen aus dem FLA beantragt.

Weil neben Murcia und Valencia weitere Regionen am Abgrund stehen, hatte die konservative Regierung in Madrid erst am Donnerstag den FLA aus dem Boden gestampft, um ihre Finanzierung mit weiteren 18 Milliarden Euro zu sichern. Dass diese Summe reicht, muss stark bezweifelt werden. Erst kürzlich musste Madrid den Regionen und Städten mit 35 Milliarden Euro aushelfen, weil zum Teil seit fast drei Jahren keine Rechnungen mehr bezahlt wurden (Spanien plant Schuldenschnitt für private Gläubiger). Das war einer der Tricks, wie das offizielle Defizit in den Regionen über lange Zeit aufgehübscht wurde. Nur das Baskenland, Navarra und Galizien brauchten keine Unterstützung der Zentralregierung.

Die Lage ist aber auch im großen Kastilien-La Mancha ernst. Die Region wird, wie Murcia und Valencia, auch von den Parteifreunden des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy regiert. Dieser Region steht sogar die Generalsekretärin von seiner Volkspartei (PP) vor. Doch die von María Dolores de Cospedal geführte Region schoss 2011 mit einem Haushaltsdefizit von sogar 7,3% den Bock ab. Dagegen misst sich das Defizit von Murcia mit 4,3% fast bescheiden aus (Nach der Zentralregierung wollen auch spanische Regionen die Defizitziele aufweichen).

Die Sparvorgaben der sozialistischen Vorgängerregierung wurden in den von den Konservativen regierten Regionen schlicht ignoriert, weshalb das Haushaltsdefizit des Staates gleich drei Mal nach oben korrigiert werden musste. Statt geplanten 6% wuchs es vor allem aufgrund des Sparunwillens der von den Konservativen regierten Regionen schließlich auf fast 9% an. In der Heimat des Don Quijote und in der ebenso von den Konservativen registrierten Kantabrien wurde aber am Montag plötzlich schnell präventiv dementiert, Nothilfe beim FLA beantragen zu wollen. Da aber "zum jetzigen Zeitpunkt" angefügt, kann man sich ausrechnen, was von derlei Dementis zu halten ist. Sobald der FLA aktiviert ist, werden auch diese beiden Regionen zugreifen.

Auch Kastilien-La Mancha und andere Regionen haben keinen Zugang mehr zu den Finanzmärkten und werden als Ramsch eingestuft. Auch sie können praktisch nur noch über den Staat an frisches Geld kommen. Dass die 18 Milliarden Euro im staatlichen Rettungstopf ausreichen, muss man nicht glauben. Die mit mehr als 140 Milliarden Euro verschuldeten Regionen müssen noch in diesem Jahr noch etwa 36 Milliarden Euro refinanzieren und dazu benötigen sie mindestens weitere 15 Milliarden Euro, um überhaupt über die Runden kommen zu können.

Benötigt Spanien 300 Milliarden mehr zur Rettung?

Woher all dieses Geld kommen soll, wenn Madrid schon die Bankenrettung mit bis zu 100 Milliarden nicht ohne externe Hilfe stemmen konnte, bleibt ein spanisches Geheimnis. Angesichts der Rekordzinsen kann die Regierung nicht an die Kapitalmärkte gehen. Ihr bleibt nur, komplett unter den Rettungsschirm zu gehen. Das hat Wirtschaftsminister Luis de Guindos am Montag noch einmal zurückgewiesen. Es werde "keine Rettung geben", sagte er. Doch das klingt wie vor fünf Wochen, als die Regierung beschwor, auch für die Bankenrettung keine Hilfe zu benötigen, und am nächsten Tag erklärte, den Antrag stellen zu wollen (Spanien stellt Nothilfe-Antrag).

Inzwischen ist aber eigentlich für alle klar, dass es nur noch eine kurze Zeit dauern wird, bis Spanien unter den Rettungsschirm geht. Dass daran kein Weg vorbeiführt, war lange klar). Man versucht Spanien einen Stück weiter auf den Weg zu bringen, weil auch die Situation für Italien immer gefährlicher wird, dessen Schulden in Höhe von zwei Billionen Euro jeden bisherigen Rettungsrahmen sprengen würde. Da Spanien ständig von der EZB fordert, einzuschreiten und wieder spanische Anleihen zu kaufen, hat die EU-Kommission nun gefordert, Spanien solle den Anleihekauf beim Rettungsfonds EFSF beantragen. Das will Spanien nicht, denn damit wären stärkere Auflagen und eine verstärkte Kontrolle verbunden. Angesichts des Chaos in den Finanzen der von der PP geführten Regionen und Banken, schlummern offensichtlich auch in den Bilanzen der Zentralregierung Milliardenleichen, die man offenbar lieber im Keller lassen will.

Allerdings ist eine deutlich stärkere Kontrolle auch mit dem Rettungsantrag verbunden, über den offenbar schon am Dienstag diskutiert wird. Dann treffen sich Finanzminister Schäuble und De Guindos nämlich in Berlin, wohin der spanische Wirtschaftsminister eilig aufbricht. Die britische Tageszeitung Guardian berichtet, dass konkret über eine Rettungssumme von 300 Milliarden Euro gesprochen werde. Das deckt sich mit anderen Berechnungen, die ebenfalls davon ausgehen, dass Spanien zu den 100 Milliarden für die Bankenrettung weitere 300 Milliarden Euro braucht, um zwei Jahre nicht für hohe Zinsen Geld an den Finanzmärkten aufnehmen zu müssen.