Elf Dinge, die ich als Radfahrerin nicht mehr hören kann
Seite 2: 2. Straßen sind für Autos gemacht
- Elf Dinge, die ich als Radfahrerin nicht mehr hören kann
- 2. Straßen sind für Autos gemacht
- 3. Es gibt nicht genug Platz für Radwege, ohne dass es zu Stau kommt
- 4. Radfahrer:innen sind gefährlich
- 5. Radfahrer:innen sind selber schuld
- 6. Radfahrer:innen wollen, dass alle aufhören Auto zu fahren
- 7. Autofahrer:innen zahlen für die Straße, also sollten sie Vorrang haben
- 8. Autofahrer:innen haben Recht!
- 9. Radfahren ist bloß eine Modeerscheinung
- 10. Es gibt einen Krieg gegen das Auto
- 11. Menschen brauchen Autos
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Stimmt es, dass Straßen für Autos gemacht sind? Straßen gibt es seit tausenden von Jahren, genutzt zu Fuß, mit Karren, Kutschen, Pferden, Bussen, Rädern und Autos. Erst in den letzten sieben, acht Dekaden wurde entschieden, den Autos Vorrang einzuräumen. Straßen kontrollieren nicht uns, wir kontrollieren sie. Wir sind diejenigen, die sie planen und bauen. Wir entscheiden, wie und auf welche Weise wir sie nutzen wollen. Wir machen sie sicher und komfortabel.
"Adolf Hitler ganz allein/ Baute er die Autobahn. / Keiner trug ihm einen Stein / Keiner rührte Mörtel an." heißt es in Kurt Bartschs Gedicht Adolf Hitler ganz allein.
Es waren die Nazis, die auf das Auto setzten und Autobahnen bauten. Sie gaben damit das große Vorbild für die USA ab, die nach dem Zweiten Weltkrieg damit begannen, ihr Interstate-Highway-System aufzubauen. Die Zentrierung auf das Auto schuf ein ganz eigenes Design und leistete der Zersiedelung und dem Flächenfraß Vorschub.
Der durch das Auto umgestaltete Raum veränderte sich komplett. Mittelklasse-Familien zogen aus der Stadt an den Stadtrand, um dort ihren Traum vom Eigenheim wahr werden zu lassen.
Jahrtausendelang erfüllten Straßen unterschiedliche Zwecke. Fortan gab es nur noch das LoS-Prinzip – Level of Service, das der Frage folgte: Wie gut funktioniert die Straße für Autos? In Deutschland wurde das LoS-Prinzip übernommen und fand Eingang in das "Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS)". Dort sind die Qualitätsstufen der Straßen definiert von Qualitätsstufe A (gute Verkehrsqualität) bis Stufe F (schlechte Verkehrsqualität).
Es interessierte nicht mehr, wie sicher eine Straße für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen ist oder wie gut sie sich für den öffentlichen Verkehr eignet; einzig das Auto zählt. Die Maßeinheit, die fortan galt, war: Wie viele Autos, können eine Kreuzung in einer bestimmten Zeitspanne passieren?
Alles, was den Autofluss aufhält, ist schlecht. Straßen werden verbreitert, Rechtsabbieger angelegt auf Kosten von Bürgersteigen. Alles was hemmt – Übergänge, Ampeln u.a. – wird möglichst beseitigt.
Das Problem ist: Je besser die Auto-Infrastruktur, desto bequemer das Fahren, desto mehr Autoverkehr. 1955 lag die Autodichte in Nordrhein-Westfalen bei 31 PKW pro tausend Einwohner. 2019 waren es bereits 563 PKW pro Tausend Einwohner.
Mittlerweile gibt es bei vielen Planern ein Umdenken, was die Beurteilung von Straßen angeht. Standard ist aber immer noch das bereits angeführte Handbuch, nach dem weiterhin Straßen ausgebaut werden.
Zudem hat sich unsere gesamte Wahrnehmung durch die Zentrierung auf das Auto derart rückgebildet, dass es vielen schwerfällt, sich überhaupt etwas anderes als den brutalen Ist-Zustand vorzustellen. Den meisten Menschen gelingt es nicht einmal, die Benachteiligung von Fußgänger:innen, Radfahrer:innen und Menschen, die öffentliche Verkehrsmittel nutzen, wahrzunehmen, geschweige denn sich etwas anderes vorzustellen.