Künstliches Wahrnehmungsgedächtnis

Nachdem LifeLog eingestellt wurde, will Darpa mit einem neuen Projekt möglichst viele, von Soldaten im Einsatz gesammelte Daten erfassen und automatisch auswerten

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Die Informations- oder, besser, die Aufmerksamkeitsgesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass mit den wachsenden Möglichkeiten, Daten zu erfassen, zu speichern und zu verarbeiten, auch die Begehrlichkeiten der Überwachung größer werden. In den von Angst und Sicherheitswünschen bestimmten Zeiten des "Kriegs gegen den Terrorismus" ist der Ausbau der Überwachung nur noch stärker ins Zentrum gerückt. An der Spitze der Entwicklung marschiert womöglich das Pentagon, das nun wieder ein Forschungsprojekt startet, um möglichst alles zu erfassen, was Soldaten auf dem Schlachtfeld wahrnehmen.

Das Projekt des Information Processing Technology Office (IPTO) der Darpa ist nicht neu, sondern nur eine Variante eines früheren Projekts, das im Rahmen des Projekts Total Information Awareness (TIA) von derselben Abteilung bereits unter dem Titel LifeLog angedacht worden ist (Nichts geht verloren - oder: Totale Überwachung). Mit Lifelog wollte man ein System schaffen, das den "Wahrnehmungsfluss einer Person in der Welt und in Interaktion mit dieser erfasst, speichert und zugänglich macht". Als Ziel von LifeLog wurde angegeben, "die 'threads' des Lebens eines Menschen im Hinblick auf Ereignisse, Zustände und Beziehungen verfolgen zu können". Neben den Wahrnehmungen sollten auch (Telefon)Gespräche, Surfverhalten, Emails und schlicht alles, was sich nur irgendwie aufzeichnen lässt, gespeichert werden.

Doch LifeLog wurde zusammen mit anderen Überwachungsprojekten des geradezu maßlos angetretenen Forschungs- und Entwicklungsprojekts Total Information Awareness schließlich vom Kongress gestoppt. Zu umstritten war selbst in Zeiten der Sicherheitshysterie die angestrebte Transparenz und auch der ehemalige General John Poindexter, der zwielichtige Leiter des Projekts (Kongress streicht Gelder für Pentagon-Überwachungsprojekt). Bestandteile des Darpa-Projekts werden jedoch weiter betrieben (Matrix und der "Terrorquotient") - und das vom IPTO ausgeschriebene Projekt Advanced Soldier Sensor Information System and Technology (ASSIST) ist nur eine abgespeckte Version von LifeLog, die, weil ganz auf Soldaten zugeschnitten, auch vorerst Diskussionen über Datenschutz und Privatsphäre vermeiden könnte. Allerdings verfolgt Microsoft mit MyLifeBits ein ähnliches Projekt.

Ziel von ASSIST soll es sein, mehr Informationen über Kampfeinsätze (battlefield awareness) durch Sensoren (Audio, Bild, Bewegung, Ort) zu gewinnen, die von den Soldaten mitgeführt werden. Man will aus den Erfahrungen lernen, indem man den Soldaten, die auch verbale Mitteilungen machen sollen, gewissermaßen über die Schulter schaut. Allerdings wird damit der "Job" des US-Soldaten noch viel mehr als bislang zum Paradigma des überwachten "Arbeitsplatzes". Ob die derart auf Schritt und Tritt überwachten Soldaten dies schätzen werden, ist eine andere Frage. Möglicherweise würde damit das Pentagon auch die Beweise für ein Fehlverhalten der Soldaten in Händen halten - oder könnte man sich nicht mehr herausreden, dass man nicht gewusst habe, wenn ein paar "isolierte" Fälle wie im Abu Ghraib-Skandal bekannt werden. Mit den gesammelten Informationen ließen aber auch künftige intelligente Systeme füttern, um etwa autonome Kampfroboter (Denn sie sollen wissen, was sie tun) oder auch nur digitale Assistenten zu entwickeln, die den Soldaten im Einsatz beraten..

Darpa ist noch ein wenig zurückhaltender. In der ersten Phase des Projekts gehe es um die Erfassung, Verarbeitung und Darstellung der von Sensoren aufgezeichneten Daten, in der zweiten auch um die automatische Erkennung von Objekten und Aktivitäten. Zunächst sollen Soldaten auf Patrouille mit den Sensoren Einzelbilder oder auch mit Videokameras kurze Sequenzen machen, diese kurz zur Kontextualisierung kommentieren und schließlich nach der Rückkehr editieren. Das Programm soll dann daraus "digitale Berichte" zur Information ausarbeiten. Minimalausstattung ist eine Digitalkamera, ein Mikrofon, GPS, ein Prozessor und ein Speicher, integriert in einem Helm oder in einer Jacke. Für die zweite Phase sollen dann mehrere unterschiedliche Sensoren zum Einsatz kommen, die sich auch automatisch aktivieren können und deren Daten automatisch ausgewertet werden.

Natürlich will man bei der Darpa, dass das System durch Erfahrung lernt. Die "digitalen Berichte", die auch in Echtzeit erfolgen können/sollen und so von den Kollegen oder den Vorgesetzten mitverfolgt werden können, sind nur eine Anwendungsmöglichkeit. Interessiert ist Darpa auch daran, mit einem solche System urbane und Innenräume exakt kartographieren zu können.