Macron: "Wir brauchen keine neuen Gasverbindungen"

Flansch-Verbindung einer Pipeline; Bild: Wikimedia/GNU FDL

Gaskrise: Deutschland und Spanien machen Druck auf Frankreich, damit Paris seinen Widerstand gegen die Pyrenäen-Pipeline MidCat aufgibt. Macron hält sie aber für unnötig, er fordert stattdessen mehr Stromtrassen.

Nach neunjähriger Pause war es am vergangenen Mittwoch soweit. Erstmals fanden wieder bilaterale deutsch-spanische Regierungskonsultationen statt. Die wurden im nordwestspanischen Galicien abgehalten. Kanzler Olaf Scholz hatte das halbe Kabinett auf eine Klassenfahrt nach A Coruña an die Atlantikküste mitgenommen.

Dort regiert eine schwache sozialdemokratische Minderheitsregierung, unterstützt von linken Kräften, in einer Region, die seit vielen Jahrzehnten fest in der Hand der ultrakonservativen Volkspartei (PP) ist. In A Coruña hatte die PP auch bei den Kommunalwahlen 2019 mehr Stimmen als die Sozialdemokraten (PSOE) erhalten, aber ihr fehlten rechte Bündnispartner, was sich aber bei den Wahlen im Mai ändern könnte.

Neben dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte Scholz auch Finanzminister Christian Lindner (FDP), die grüne Außenministerin Annalena Baerbock und zudem noch weitere sechs Ressortchefs der Ampel dabei. Es ging bei dem Treffen stark um Verteidigungspolitik und natürlich war in diesem Rahmen die Energiefrage besonders wichtig. Schließlich will man sich von der russischen Energieabhängigkeit befreien.

Nachdem Scholz den Vorstoß des spanischen Regierungschefs Pedro Sánchez vor dem Nato-Gipfel im Juni, Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern, zurückgewiesen hatte, gab es im Folgenden Zeichen eines klares Einschwenken des spanischen Sozialdemokraten auf die Scholz-Linie.

Telepolis hatte gleich zu Beginn des Ukraine-Krieges über eine vergessene Pipeline berichtet, die jetzt angesichts der Energiekrise und Gasknappheit zu einem großes Thema geworden ist und einen zentralen Raum bei den spanisch-deutschen Konsultationen eingenommen hat: die MidCat.

"Die Pipeline würde einen massiven Beitrag zur Entspannung der Versorgungslage leisten", wirbt Scholz für den Weiterbau. Schon im April hatte der deutsche Botschafter in Madrid gedrängelt, um Sánchez auf die deutsche Seite zu ziehen.

Dessen Regierung hatte das Projekt vor drei Jahren gestoppt, da es Frankreich für unrentabel hielt. Spanien hatte im Dauerkrieg mit dem abtrünnigen Katalonien daran auch das Interesse verloren, denn man will in Katalonien keine Infrastrukturmaßnahmen vornehmen.

Da aber nun Scholz die Fertigstellung einfordert, springen die Genossen in Spanien. "Deutschland unterstützt MidCat absolut", sagt der deutsche Botschafter Wolfgang Dold im April.

Warum die Pipeline nicht fertiggestellt wurde

Als Scholz dann im August ebenfalls offen drängelte, war man bei den Sozialdemokraten in Madrid plötzlich wieder bereit, dass im Jahr 2013 begonnene Projekt wieder aufzunehmen. Eigentlich, so lauteten die Planungen, sollte MidCat schon 2022 fertiggestellt sein.

Schon jetzt könnte also Gas über die Pyrenäen fließen und über das französische Gasnetz damit auch nach Deutschland. Die Röhre von der katalanischen Metropole Barcelona, wo im Hafen die größte Regasifizierungsanlage Europas steht, wurde schon bis Hostalric an den Rand der Pyrenäen gelegt.

Die Pipeline sollte über 235 Kilometer ins französische Barbaira führen. Allerdings fehlt noch der Anschluss über den "South Transit Eastern Pyrenees" (Step) genannten Abschnitt, dem dann plötzlich die Genehmigung verweigert wurde.

Offiziell war mit einer mangelnden Notwendigkeit und mit hohen Kosten für ein Projekt argumentiert worden, das die EU in Brüssel noch bis 2019 auf der Liste der "prioritären Infrastruktur" stehen hatte. Insgesamt sind schon etwa eine halbe Milliarde Euro in das Projekt investiert worden.

Nach der Forderung von Scholz überbot man sich im August dann aber mit Ankündigungen in Spanien. Die spanische Vizepräsidentin Teresa Ribera meinte, Step könnte auf der spanischen Seite in nur acht Monaten fertiggestellt werden.

Das ist reichlich unrealistisch, da es auch starken Widerstand von Umweltschützern gibt. Dazu kommt die überbordende Bürokratie und Koalitionsstreit. Der linke Koalitionspartner "Unidas Podemos" (UP) will, anders als die Grünen in Deutschland, kein Geld mehr in fossiler Infrastruktur versenken. Doch die Sozialdemokraten haben für UP eine Brücke parat.

Einerseits sollen für die Kosten nun die europäischen Steuerzahler aufkommen. Die sollen die Suppe auslöffeln, die man in Madrid – aber auch in Paris - eingeschenkt hat. So hatte Ribera klargestellt, die auch Ministerin für den Ökologischen Übergang ist, dass die Pyrenäen-Pipeline "sehr bedeutende Investition" erfordere. Und um dem ganzen nun einen grünen Anstrich zu geben, wirft man nun verstärkt das Zauberwort Wasserstoff in die Debatte.

Berlin und Madrid, so erklärte Scholz nun auf der gemeinsamen Pressekonferenz in Galicien, seien sich einig, dass man in Europa mehr Versorgungsnetze brauche. Beschlossen wurde deshalb bei den Konsultationen ein gemeinsamer Aktionsplan.

Der soll unter anderem dazu führen, dass 2025, mit dreijähriger Verspätung, dann doch Gas über die MidCat-Pipeline über die Pyrenäen fließen kann. Und Sánchez betonte, dass es nicht allein um Gas gehe: "Es geht auch um Wasserstoff", auf den Spanien stark setze.

Das Zauberwort "Wasserstoff"

"Wir wollen, dass Spanien 2030 eine Potenz für grünen Wasserstoff ist, wo zehn Prozent des gesamten grünen Wasserstoffs der Europäischen Union produziert werden kann", fabulierte Sánchez. Eingefordert wurde auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Sánchez auch europäische Solidarität. Man müsse für "bezahlbare Energie" sorgen, dass ein "ganz, ganz wichtiges gemeinsames Anliegen unserer beiden Regierungen", sagte der Bundeskanzler.

An diesen Äußerungen und Vorstellungen ist eigentlich so ziemlich alles illusorisch. Zwar wird in Spanien nach der Vollbremsung durch die Konservativen nun wieder erneuerbare Energie zugebaut, dass aber bis 2030 tatsächlich so viel Überschüsse da sein könnten, um viel Wasserstoff für Europa zu produzieren, ist hanebüchen.

2021 hat Spanien gerade knapp 47 Prozent des Stroms über Erneuerbare produziert. Es gibt in Spanien keinen überschüssigen Strom aus Sonnen-, Wind- oder Wasserkraftanlagen. Zudem steigt auch hier der Verbrauch, 2021 um 2,6 Prozent, weil unter anderem immer mehr Elektrofahrzeuge hinzukommen.

Dass dieser nicht existierende Wasserstoff, der aus nicht existierendem überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien dann aufwendig über die Pyrenäen-Pipeline in Richtung Nordeuropa transportiert werden soll, führt die Planungen dann endgültig ad absurdum.

Schon technisch ist das unter anderem wegen der Frage der Versprödung der Stahlröhren praktisch unmöglich, bestehende Pipelines für den Wasserstofftransport zu nutzen.

Darauf hat unter anderem der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages mit aller Klarheit hingewiesen. Es ist alles andere als effizient und billig, auf Wasserstoff zu setzen (siehe: Warum Wasserstoff als Erdgas-Ersatz ein Märchen ist).

Sánchez schlägt sich nun in der MidCat-Frage aber voll auf die Seite von Scholz. Er verprellt damit den französischen Nachbarn, der von dem Vorhaben der Pyrenäen-Pipeline alles andere als überzeugt ist. Wie wir unten sehen werden, hat Macron in diesem Fall sogar gute Argumente auf seiner Seite.

Scholz und die deutsche Regierung setzen entweder in völliger Unkenntnis der Gegebenheiten auf das Projekt oder sie wissen um das Wasserstoff-Märchen und nutzen es nur dazu, um das Vorhaben grün zu bemänteln.

Real setzt Deutschland mit dem Weiterbau der Pipeline weiter auf fossile Brennstoffe. Real hofft man in Berlin nämlich auf Gas-Kapazitäten, die theoretisch irgendwann einmal über Spanien nach Nordeuropa fließen könnten.

Die größte Flüssiggas-Infrastruktur in ganz Europa

Denn auf der iberischen Halbinsel, vor allem in Spanien, findet sich ein Drittel der Regasifizierungskapazität Europas, etwa 30 Prozent davon allein in Spanien.

"Wir besitzen die größte Flüssiggas-Infrastruktur in ganz Europa", erklärte deshalb stolz Ministerpräsident Sánchez. Er bot Deutschland und anderen Ländern an, eben diese Kapazitäten zu nutzen.

Denn die spanischen Anlagen sind alles andere als ausgelastet. Er bot also die Möglichkeit an, Flüssiggas per Schiff hier anzulanden, um es in das europäische Gasnetz einzuspeisen. Das kann aber, weil es bisher nur zwei kleine Pipelines durch das Baskenland gibt, in großer Menge nicht über die Pyrenäen fließen.

Angelandet wird in Spanien derzeit allerdings besonders viel und umweltschädliches LNG-Frackinggas aus den USA. Das ist sogar noch klimaschädlicher als Kohle ist, weil viel Methan freigesetzt wird, das 120 Mal schädlicher als Co2 ist. Das sollte für Grüne eigentlich eine No-Go-Zone sein, aber da Habeck nun auch beim Atomausstieg umfällt, wundert einen das auch nicht.

Vor Augen halten sollte man sich auch, dass Flüssiggas-Lieferungen über Tanker eine begrenzte Kapazität haben. Dazu dauert die Entladung lange. Für die Entladung eines LNG-Frachters und die Regasifizierung braucht es etwa zwei Wochen. Das ist dann gerade einmal der deutsche Gasbedarf für einen Tag.

Eigentlich würde auch die MidCat-Pipeline nur einen Sinn machen, auch das aber bestenfalls erst in drei Jahren, wenn wieder viel Gas aus Algerien über die zwei bestehenden Pipelines aus Algerien nach Spanien fließt. Doch Spanien hat es sich, mit Unterstützung der grünen Baerbock aus Berlin, mit dem einst größten Gaslieferanten verscherzt.

Man hat sich, gegen das Völkerrecht in der Westsahara-Frage auf die Seite von Marokko geschlagen. Auch dafür wird die zweifelhafte Wasserstoff-Strategie zur grünen Bemäntelung genutzt.

Bis im vergangenen Dezember war noch Algerien der größte Gaslieferant Spaniens. Da Madrid den Algeriern aber ein ums andere Mal vor das Schienbein getreten hat, sogar den Rivalen Marokko nun mit Gas beliefert, droht das Land den Spaniern sogar, den Gashahn völlig abzudrehen.

Längst machen die USA das große Geschäft mit dem umweltschädlichen und teuren LNG-Frackinggas. Absurderweise, angeblich will man sich doch aus der Abhängigkeit von Russland befreien, hat Spanien seine Importe aus Russland zudem massiv gesteigert.

Wurden früher zehn Prozent importiert, waren es im Juni sogar schon fast 25 Prozent. So viel Gas hat Spanien noch nie aus Russland importiert.

Russland ist hinter den USA nun auf den zweiten Rang bei Gaslieferungen vorgerückt. Soll also russisches Gas per Schiff in Spanien angelandet werden, um es in Spanien aufwendig zu regasifizieren, um es dann über die Pyrenäen-Pipeline in Richtung Deutschland zu leiten? Absurder geht kaum, wenn man an die beiden Nord Stream-Pipelines denkt.

Deshalb ist die große Frage, woher das Gas überhaupt kommen soll, dass über MidCat fließen soll. Dass es Wassersstoff nicht sein wird, ist schon geklärt. Es ist dann aber auch die Frage, ob es Sinn macht, weiter an einer Pipeline zu basteln, die frühestens in drei Jahren fertiggestellt werden würde und dann auch für den Transport von Wasserstoff eigentlich ungeeignet ist. Auch deshalb beißen Berlin und Madrid in der Frage in Paris auf Granit.

Die Wirklichkeitsnähe Macrons

Macron sagte kürzlich unmissverständlich vor einem Gespräch mit Bundeskanzler Scholz: "Wir brauchen keine neuen Gasverbindungen." Und man kann einen Fakt nicht bestreiten, den Frankreichs Präsident auf den Tisch gelegt hat. Nicht einmal die beiden kleinen Pipelines über Larrau in den Bergen oder über Biriatu an der Atlantikküste sind ausgelastet.

Macron brachte, anders als die wolkigen Aussagen von Sánchez und Scholz, Wirklichkeitsnähe:

Die Realität ist, dass wir über zwei Pipelines zwischen Frankreich und Spanien verfügen. Die Realität ist auch, dass die sogar in der aktuellen Stress-Situation seit Februar nur zur 53 Prozent ihrer Kapazität genutzt werden.

Emmanuel Macron

Mit Bezug auf Daten aus dem August, merkte Macron auch den Fakt an, dass über diese beiden Pipelines, Frankreich nun sogar wieder Spanien mit Gas beliefert. Das bestätigen auch spanische Medien, die davon berichten, dass die Firmen in dem Land, das angeblich über eine so tolle Gasinfrastruktur verfügt, Gaseinkäufe aus Frankreich über die beiden bestehenden Pipelines verdoppelt haben.

Es werde nun sogar doppelt so viel Gas aus Frankreich importiert wie ein Jahr zuvor, wird mit Daten des Gasnetzbetreibers Enagas berichtet.

Aber es kommt noch besser. Die theoretische Leistung, mit der Gas aus Spanien nach Frankreich und damit nach Deutschland geleitet werden könnte, wurde sogar gerade weiter deutlich gesteigert. In der Grenzstadt Irun hat gerade ein neuer Kompressor den Probebetrieb beendet, wie sogar die spanische Regierung betont hat.

Die Kapazität wurde für die Pipeline Euskadour um 75 Prozent von zwei auf 3,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr gesteigert. Das Gas kann nun schneller und stärker komprimiert durch die Röhre fließen. Insgesamt haben beide Pipelines in Richtung Frankreich nun eine Kapazität von 8,5 Milliarden Kubikmeter.

Angesichts der Tatsache, dass in der Zukunft die Auslastung beider Röhren sogar unter die Marke von 50 Prozent fallen dürfte, stellt sich wahrlich die Frage, ob es nötig und angemessen ist, mit MidCat eine weitere Pipeline zu bauen. Die würde zudem eine nur eher bescheidene Kapazität von gut sieben Milliarden Kubikmeter beisteuern.

Angesichts der Röhrenträume von Scholz und Sánchez stellt Macron auch deren Zeitplan in Frage. Es werde etliche Jahre dauern, bis eine neue Pipeline quer über die Pyrenäen fertig sei, verweist er auf den Widerstand von Umweltschützern.

Deshalb ist es für ihn "absolut falsch", dass über MidCat alsbald die europäischen Gasprobleme gelöst werden könnten. "Ich verstehe das nicht", sagte er. Macron fügte mit Blick auf einen Ausspruch von Charles de Gaulle an: "Ich verstehe nicht, warum wir wie Pyrenäen-Ziegen auf diesem Thema herumspringen müssen, um das Gasproblem zu lösen."

Macron verweist darauf, dass man in Paris bereit sei, alle sinnvollen Netzverbindungen auszubauen. Aber er verweist mit Blick auf MidCat auch darauf, dass eben die Gas-Pipelines nur wenig ausgelastet sind. Wären sie zu 100 Prozent ausgelastet, würde er "Ja" zu der Pyrenäen-Pipeline sagen. Zudem seien aber weder die Gasterminals in Spanien noch die Gaskraftwerke dort ausgelastet.

Letztlich plädiert Frankreich dafür, dass Stromnetz auszubauen, was auch schon geschehen sei, statt aufwendig Gas zu transportieren. Damit argumentiert er allerdings wieder sehr nationalistisch, da im Atomstaat Frankreich oft mit Strom geheizt wird und das Land in diesem Winter ohne große Solidarität aus den Nachbarländern angesichts des altersschwachen Atomparks vor dem Blackout steht, auf den Macron seine Bevölkerung schon einstellt.

Es ist inzwischen ziemlich klar, dass man die vielen kaputten Meiler in Frankreich nicht bis zum Winter ans Netz bringen wird, die unter anderem wegen Korrosion abgeschaltet sind. Der Blackout droht aber sogar, wenn es der EDF gegen alle Voraussagen gelingen würde, alle Meiler wieder in Betrieb zu nehmen.

Denn auch dann würden sie nur bis zu 64 Gigawatt auf die Waage bringen. Als es im Winter im Januar 202 wirklich winterlich kalt wurde, brauchte Frankreich 102 Gigawatt. Diese Lücke ist kaum über die Strom-Solidarität der Nachbarn zu schließen.