Sanktionen, Konfiszierung russischer Gelder und Trump: So zerstritten ist die EU wirklich
![Fahnen der USA und EU nebeneinander, wehen in entgegengesetzte Richtung](https://heise.cloudimg.io/width/700/q75.png-lossy-75.webp-lossy-75.foil1/_www-heise-de_/imgs/18/4/7/8/9/3/4/5/shutterstock_1897898131-b55ce03fb4fded83.jpeg)
Hier weht jetzt ein anderer Wind. Bild: Africa Stock/ Shutterstock.com
Die EU zeigt sich nach außen einig. Doch es brodelt, wie interne Protokolle zeigen. Worüber man in Brüssel streitet – und hofft, Trump zu "beeinflussen".
Vor dem Treffen der EU-Außenminister Anfang der Woche in Brüssel, bei dem es um die zahlreichen Krisen in Europa und der Welt ging, zeigte sich das Auswärtige Amt zuversichtlich. In einer Mitteilung betonte man dort die Bedeutung von "verlässlichen und vertrauensvollen transatlantischen Beziehungen" sowie einer "europäischen Geschlossenheit in den Beziehungen zu den USA".
Man wolle "aktiv auf die USA zugehen und Angebote unterbreiten". Die EU stehe "felsenfest an der Seite der Ukraine" und arbeite "für ein einheitliches und koordiniertes außenpolitisches Handeln der EU".
Interne Dokumente über Beratungen hinter verschlossenen Türen zeichnen wieder einmal ein deutlich anderes Bild. Die Depeschen zu den Debatten vor dem Gipfel, die Telepolis einsehen konnte, offenbaren Unstimmigkeiten, Bedenken und kontroverse Diskussionen.
All das findet in der öffentlichen Darstellung kaum Platz. Telepolis hat daher auf Basis diplomatischer Protokolle die vier kontroversesten Themen analysiert, die vor dem Treffen für Zwist sorgten.
1. Ungarn: Weiter gegen Russland-Sanktionen
Das brennendste Thema, das in der Mitteilung mit keinem Wort erwähnt wird, ist der anhaltende Widerstand Ungarns gegen eine Verlängerung der Russland-Sanktionen. Ungarn halte mit Blick auf die Verlängerung der Strafmaßnahmen gegen Moskau an seinem Prüfvorbehalt zur Verlängerung der Sanktionen fest, heißt es in einem Vorbereitungsbericht.
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Budapest begründete seine Haltung mit der Sorge um die eigene Energieversorgung; man befürchte wirtschaftliche Schäden. Dieser Dissens bricht die demonstrative europäische Einheit. Moskau wird sich dessen bewusst sein.
2. Verwendung eingefrorener russischer Guthaben
Mehrere EU-Staaten forderten den Dokumenten zufolge, die direkte Nutzung des in der EU eingefrorenen russischen Zentralbankvermögens zur Unterstützung der Ukraine.
Im Vorfeld des Ministertreffens in Brüssel hatten sich vor allem Polen, Litauen und Estland für die Nutzung des russischen Zentralbankvermögens eingesetzt. Frankreich, Belgien, Griechenland und Luxemburg waren – wie auch Deutschland – strikt dagegen.
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Die Europäische Union diskutiert schon längere Zeit kontrovers über die Möglichkeit, eingefrorene russische Guthaben zur Unterstützung der Ukraine einzusetzen. Bereits vor knapp einem Jahr waren mehr als 200 Milliarden Euro an russischen Geldern in der EU eingefroren worden. Nach internationalem Recht können sie nicht einfach beschlagnahmt werden.
Als Alternative beschloss die EU, zumindest die Zinserträge dieser Gelder zugunsten Kiews zu verwenden. Das sind für die Ukraine etwa zwei bis vier Milliarden Euro pro Jahr.
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Nach Einschätzung von Oliver Diggelmann, Völkerrechtler an der Universität Zürich, ist auch die Beschlagnahmung der Zinserträge nach herkömmlicher Lesart nicht rechtens, da fremdes Staatsvermögen zwar eingefroren, aber nicht beschlagnahmt werden darf.
Trotz aller Bedenken gibt es aber auch Stimmen, die für eine Weiterentwicklung des Völkerrechts plädieren, um im Extremfall eines Angriffskriegs Ausnahmen zu ermöglichen. Allerdings wäre dafür ein breiter internationaler Konsens erforderlich. Und der fehlt im Fall der Ukraine.
Kritiker in der EU warnen daher vor einem Vertrauensverlust in westliche Währungen und einem gefährlichen Präzedenzfall. Als Kompromiss steht der Vorschlag im Raum, der Ukraine Kredite zu gewähren, die durch die eingefrorenen Gelder abgesichert wären.
In jedem Fall: Das Risiko läge bei der EU. Insbesondere Belgien, unterstützt von Luxemburg und den Niederlanden, möchte mögliche Ansprüche und Haftungsrisiken für Finanzinstitutionen wie Euroclear minimieren.
Eine Beschlagnahmung russischer Staatsgelder sei "nicht absehbar", heißt es in den Berichten. Nicht nur in Berlin schweigt man in der Außenkommunikation zu diesem zentralen Punkt der Russlandpolitik.
3. US-Sanktionen gegen Internationalen Strafgerichtshof
Ein weiteres Thema, über das die Außenministerien nur ungern sprechen: Die Sorge über mögliche US-Sanktionen gegen den Internationalen Strafgerichtshof wächst. Vertreter der Niederlande brachten mit Blick auf mögliche IStGH-Sanktionen die Inkraftsetzung des Blocking-Statuts ins Spiel.
Das Blocking-Statut, auch EU-Blocking-Verordnung genannt, ist eine Maßnahme der Europäischen Union, um europäische Unternehmen vor den Auswirkungen extraterritorialer Sanktionen von Drittstaaten zu schützen.
Ursprünglich wurde das Statut 1996 als Reaktion auf die US-Sanktionen gegen Kuba, Iran und Libyen erlassen. Es verbietet EU-Unternehmen, bestimmte ausländische Sanktionen zu befolgen, die von der EU als rechtswidrig eingestuft werden. Sollte es dazu kommen, wäre das ein offener Konflikt zwischen ehemals Verbündeten.
4. Möglicher Bruch mit Washington
Die Sorge, dass ein Eklat im Bereich des Möglichen liegt, ist in Brüssel deutlich spürbar. Nach außen wird darüber der diplomatische Mantel des Schweigens gelegt: Die größte Diskrepanz zwischen öffentlicher Darstellung und internen Protokollen zeigt sich beim Thema USA.
Während die Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes die Bedeutung der transatlantischen Partnerschaft beschwört, ist in den internen Berichten von großer Sorge über die neue US-Regierung die Rede. Erwähnt werden Gespräche des Kabinettschefs von EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen mit Beratern von US-Präsident Donald Trump.
Man habe den Eindruck, dass die Linie des Weißen Hauses gegenüber Russland und der Ukraine noch nicht vollständig festgelegt sei. Dies biete, so heißt es in den Protokollen, "Gelegenheit zur Beeinflussung".
Hinter dem Versuch, auf die Trump-Administration einzuwirken, steht demnach Björn Seibert. Er ist Kabinettschef der EU-Kommissionspräsidentin und gilt als einer der einflussreichsten Mitarbeiter bei der Koordination und Umsetzung ihrer politischen Agenda.