Schwierige Heimkehr
Seite 4: Das Leben geht weiter
Die meisten polnischen Darsteller wollten mit Heimkehr nichts zu tun haben. Aber einige ließen sich durch Drohungen und/oder Versprechungen zum Mitmachen bewegen. Dafür zuständig war der österreichisch-polnische Schauspieler Igo Sym, der durch Rollen in Filmen wie Café Elektric (mit Marlene Dietrich), Ich heirate meinen Mann oder Serenade bekannt geworden war. Sym kooperierte mit der Gestapo, wurde von einem polnischen, im Untergrund tagenden Gericht zum Tode verurteilt und während der Dreharbeiten zu Heimkehr, am 7. März 1941, in seiner Wohnung in Warschau erschossen. Auf Befehl von Goebbels wurden Massenexekutionen im Generalgouvernement angedroht sowie vorübergehend die Theater und Varietébühnen geschlossen. Als "Sühnemaßnahme" tatsächlich hingerichtet wurde - nach heutigem Forschungsstand - schließlich ein Mann, der bereits in einer anderen Sache die Todesstrafe erhalten hatte.
Nach dem Abzug der Deutschen versuchten die Behörden, der polnischen Mitwirkenden habhaft zu werden. Boguslaw Samborski, im Film der Bürgermeister, setzte sich rechtzeitig nach Südamerika ab. Tadeusz Zelski, der Darsteller des polnischen Außenministers, starb während der Ermittlungen. Einige der anderen Darsteller und Statisten wurden identifiziert und zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die Deutschen und die Österreicher kamen viel besser davon, erhielten allenfalls kurzfristige Berufsverbote oder mussten eine Weile warten, bis sie ihre Unbedenklichkeitsbescheinigung erhielten. Gustav Ucicky inszenierte ab 1947 wieder Filme (Singende Engel). In den 1950ern drehte er Heimatfilme wie Der Jäger von Fall (1956). Bei Der Edelweißkönig (1957) war er wieder mit Gerhard Menzel vereint, seinem alten Drehbuchautor im Dritten Reich. Menzel arbeitete 1944/45 am Buch zu einem nicht mehr fertiggestellten Liebeneiner-Film mit einem für die Nachkriegszeit programmatischen Titel mit: Das Leben geht weiter. Das Drehbuch zu Verspieltes Leben (1949) schrieb Menzel noch unter Pseudonym. 1950, in Willi Forsts Die Sünderin, stand dann wieder sein richtiger Name im Vorspann.
Den Finkenbauer in Der Edelweißkönig spielt Attila Hörbiger, einst Mitglied Nr. 6.295.909 der NSDAP, der seine Karriere nach dem Krieg bald fortsetzen konnte, 1950 vom Theater in der Josefstadt ans Burgtheater wechselte und von 1947 bis 1951 als Jedermann bei den Salzburger Festspielen auf der Bühne stand. Wegen ihrer Rolle in Heimkehr heftig angegriffen wurde Paula Wessely, Hörbigers Frau (beide hatten 1936 auch im austrofaschistischen Propagandafilm Ernte mitgewirkt). Wessely gehört zu den ganz wenigen Schauspielerinnen und Schauspielern, die im Dritten Reich Rollen in Hetzfilmen übernahmen und später in Interviews sagten, dass sie sich dafür schämten. Ihr zufolge wurde ihr zu spät klar, wo sie da mitmachte. Außerdem habe sie aus Angst vor den Konsequenzen nicht abgelehnt und sich bedroht gefühlt, weil sie eine bekennende Katholikin war und viele jüdische Freunde hatte. Ihr Gönner, der US-Kulturoffizier Otto de Pasetti, begründete auch damit die Aufhebung des kurzfristigen Berufsverbots durch die Amerikaner. "Wir können einen Menschen nicht deswegen bestrafen, weil er sich nicht dem KZ aussetzte", sagte er den Salzburger Nachrichten (15.12.1945). "Und dies war der Grund des Verdiktes der Kommission, welches von uns bestätigt wurde und das lautet: Paula Wessely darf wieder auftreten."
Nach allem, was man weiß, musste niemand, der die Mitwirkung in einem bestimmten Film verweigerte, mit Haft oder gar der Verschleppung in ein Konzentrationslager rechnen. Allerdings konnte es sich negativ auf die Karriere auswirken, so wie es umgekehrt gut für die Karriere war, wenn man mitmachte (Wesselys Gagen gehörten zu den höchsten im Dritten Reich). Das ist der objektive Befund. Wie es sich aus der subjektiven Sicht der Betroffenen verhält, ist schwer zu beurteilen. Interessant ist immer, wie es nach 1945 weiterging. Otto de Pasetti hielt es für gut und richtig, Paula Wessely eine Rolle zu geben, die jene als Marie Thomas in Heimkehr vergessen machen sollte. Dank seiner Fürsprache wurde sie in Der Engel mit der Posaune (1947/48) als Henriette Stein besetzt.
Bei diesem Melodram gab es eines jener Veteranentreffen von Mitwirkenden an den NS-Propagandafilmen, die nach 1945 gelegentlich stattfanden, um eine neue Zeit einzuläuten, in der man an das Gewesene nicht mehr erinnert werden wollte. Regie führte Karl Hartl, Produktionschef der Wien-Film, als dort Heimkehr entstand. Die Musik komponierte Willy Schmidt-Gentner, wie bei Heimkehr. An der Kamera stand Günther Anders, wie bei Heimkehr. Attila Hörbiger ist auch wieder mit dabei. Paula Wessely als Henriette Stein bringt sich nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten um, weil sie nach NS-Maßstäben eine "Halbjüdin" ist. Man kann der Meinung sein, dass ihre Rolle in Heimkehr dadurch wettgemacht wurde. Degoutant finden kann man es aber auch. Erst eine Nationalsozialistin und Antisemitin und dann, quasi als Buße, ein jüdisches Nazi-Opfer gespielt - wo da die zuvor bekundete Scham geblieben war, weiß ich nicht genau.
Der Film über die Geschichte der Wiener Klavierbauer-Familie Alt von 1888 bis 1948 wurde ein großer Publikumserfolg. 1950 drehte das Ehepaar Wessely-Hörbiger wieder mit Gustav Ucicky. In Cordula spielt Paula Wessely eine Kellnerin, die in Kriegszeiten in einem Bergdorf ein uneheliches Kind erwartet, den Verdacht ertragen muss, dass ein geistig behinderter Knecht der Vater ist und am Ende in die Stadt zieht, weil sie da besser für ihren Sohn sorgen kann. "Ihr Glaube", weiß das Filmprogramm zu berichten, "daß einmal die Zeit kommen wird, in der nicht Haß und Krieg die Welt regieren, hält sie aufrecht und läßt sie voller Hoffnung in die Zukunft schauen."
Film ohne Gewissen
Das wollen wir ihr gönnen. Ich als Nachgeborener hätte allerdings gern gewusst, was die Publikumslieblinge der Adenauerzeit - von Paula Wessely über Carl Raddatz und Paul Dahlke bis zu Willy Birgel - getrieben hatten, als doch noch Hass und Krieg die Welt regierten, oder zumindest einen Teil davon. Wegsperren und verstecken ist keine Lösung. Das, was im Dritten Reich an anti-polnischem und antisemitischem Schrifttum veröffentlicht wurde, ist problemlos verfügbar: im Versandhandel der Neonazis, zum Herunterladen und auch im regulären Buchhandel. Durch Verbote erreicht man wenig. Die wirksamsten Mittel gegen die Neonazis sind und bleiben Information, Bildung, Maßnahmen zur Stärkung der Intelligenz ganz allgemein.
NS-Propagandafilme funktionierten im Kontext eines faschistischen Staates, den es zum Glück nicht mehr gibt. Aus diesem Zusammenhang gelöst, sind Filme wie Feinde oder Heimkehr, wie widerlich man sie auch finden mag, wichtige Zeitzeugen. Ich habe noch nie einen Film aus der Produktion des Dritten Reichs gesehen, der mir die Nazis um ein Deut sympathischer gemacht hätte, und das Sehen dieser Filme ist oft nicht angenehm. Aber aus jedem von ihnen lerne ich etwas Neues, bei jedem stellen sich mir neue Fragen. Wie war das wohl, als den "Volksdeutschen" im Osten, umgesiedelt oder nicht, in "Feierstunden" und in Anwesenheit von Nazi-Prominenz, Heimkehr vorgeführt wurde? Was waren die Langzeitfolgen? Wie gingen Menschen, die solche "Vorbehaltsfilme" im Dritten Reich noch sehen durften oder sogar mussten, mit den Déjà-vu-Erfahrungen um, welche die Realität und das Kino der Nachkriegszeit für sie bereithielt?
Neulich habe ich Preis der Nationen gesehen, ein Heimatvertriebenen- und Eingliederungsdrama von 1956 mit Carl Raddatz als Tierarzt. Winnie Markus findet ihr Glück auf dem Rücken der Pferde wie einst Willy Birgel in … reitet für Deutschland (1940/41). Am Anfang kämpft sich ein Treck von Deutschen durch eine Winterlandschaft. Diesen Treck gab es auch in Nacht fiel über Gotenhafen (1959) und in anderen Spielfilmen der Nachkriegszeit. Den Weg in eine Heimat, in der sie noch nie gewesen sind, suchen allerdings nicht die einem polnischen Exekutionskommando entkommenen Wolhyniendeutschen, sondern Deutsche, die auf der Flucht vor den Russen sind. Wer heute "Treck aus dem Osten" hört, denkt mit großer Wahrscheinlichkeit an die Vertriebenen, an Maria Furtwängler in Die Flucht und dergleichen. In der NS-Propaganda war der "Treck aus dem Osten" etwas völlig anderes. Die Bilder allerdings sind die gleichen.
Wurde das Trauma der nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs real erfahrenen Vertreibung aus den Ostgebieten dadurch noch schlimmer, dass man so etwas zuvor schon im Kino gesehen hatte? Und wenn ja, auf welche Weise? Was gaben die Vertriebenen an ihre Kinder weiter? Verschmolz in der Erinnerung die Wirklichkeit mit der Fiktion? War den Vertriebenen immer klar, wer wann Opfer und wann Täter war, wo die Grenze zwischen solchen Hetzfilmen und der Realität verläuft und wie das eine mit dem anderen zusammenhängt? Das sind Fragen, die man anhand von Filmen wie Feinde oder Heimkehr diskutieren könnte und auch sollte, weil die sich daraus ergebenden Probleme bis in die Gegenwart reichen. Indem man Unangenehmes in den Giftschrank sperrt, wird man sie nicht lösen.
Oskar Roehlers Jud Süß - Film ohne Gewissen fand ich nicht so daneben wie die Kritiker, die ihn in Grund und Boden geschrieben haben. Aber an Roehlers Stelle hätte ich einen Film über Heimkehr gemacht. Da ist alles drin, was man braucht, um den ganzen Aberwitz des Dritten Reichs und der "Vergangenheitsbewältigung" zu zeigen. Volksdeutsche in Polen, die heim ins Reich geholt und doch nur von Ostpolen nach Westpolen zwangsumgesiedelt werden. Deutsche in Polen, Ostpreußen oder dem Sudetenland, die im Kino einen "Treck aus dem Osten" sehen, dann selbst in so einem Treck stecken, weil die Russen kommen und schließlich den "Treck aus dem Osten" wieder im Kino sehen, jetzt allerdings unter ganz anderen Vorzeichen. Ein Regisseur, der 1941 einen in der ostpolnischen Stadt Luzk angesiedelten, im Jahr 1939 spielenden Film über deutsche Opfer jüdischer Schurken und den Einmarsch der rettenden Wehrmacht dreht, für die Aufnahmen an den "Originalschauplätzen" aber nach Westpolen und Ostpreußen ausweichen muss, weil die Wehrmacht Luzk im echten Leben erst noch erobern muss, was dann während der Dreharbeiten prompt geschieht, worauf die deutschen Eroberer (die Volksdeutschen, die im Film gerettet werden, waren nicht mehr da) die jüdische Bevölkerung ermorden. Eine Schriftstellerin, die mit Hasstiraden voll unterschwelligem Antisemitismus überschüttet wird, weil sie es gewagt hat, an den antisemitischen Hassfilm zu erinnern und die dann alle liebhaben müssen, weil sie den Nobelpreis erhält. Und eine Schauspielerin, die erst als antisemitische Nationalsozialistin auftritt (innerlich dagegen und privat mit Juden befreundet) und danach als jüdisches Opfer der Nationalsozialisten, damit alles wieder gut ist. Da raucht einem der Kopf. Nur von einer Wiederauferstehung der in Luzk erschossenen und in Auschwitz vergasten Juden ist mir nichts bekannt. Trotz Engel mit der Posaune.
Im Filmmuseum München findet vom 16. bis zum 18. März 2012 in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und dem Bundesarchiv das Link auf ./36487_1.pdf "Vom Umgang mit NS-Filmen" statt. Bei der Diskussion am Samstagabend spricht auch Hans Schmid.
Weitere bereits erschiene Folgen der Serie "Das Dritte Reich im Selbstversuch":
Teil 1: Hitlerjunge Quex
Teil 2: Hans Westmar - Ein deutsches Schicksal
Teil 3: Braune Volkstänzer im russischen Wald
Teil 4: Nicht ohne die Gestapo, oder auch: Ich will meine Mutter wiederhaben!
Teil 5: Ritt in die Freiheit
Teil 6: Die Russen kommen! Aber wo?
Teil 7: Verräter und Unternehmen Michael
Teil 8: Robert und Bertram und Die Rothschilds
Teil 9: Fälschung und Entartung im NS-Kino
Teil 10: Gefahr aus dem Bierkeller
Teil 11: "Es wird ein Signal, ein Weckruf sein!"
Teil 13: "… reitet für Deutschland"
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