Sprache wichtiger als Herkunft: Was macht Deutsche zu Deutschen?

Frau mit Deuztschlandfahne

Wer ist deutsch? Bild: Nadezhda Manakhova/ Shutterstock.com

Die Sprache ist der Schlüssel zur Identität – nicht nur in Deutschland. Das zeigt eine Studie in 36 Ländern. Wie sich der Staat hier dabei selbst boykottiert.

Ex-Kanzlerin Angela Merkel kritisiert ihren Nachfolger im laufenden Wahlkampf; mehrere Christdemokraten haben das CDU-Parteibuch abgegeben, unter ihnen der Publizist Michel Friedman. Das geplante Zustrombegrenzungsgesetz der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag sorgt für Ärger. Mit umstrittenen Vorschlägen wie der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte und der Wiederaufnahme des Begrenzungsziels ins Aufenthaltsgesetz stößt der Gesetzentwurf auf heftigen Widerstand – auch in den eigenen Reihen.

Die Unionsparteien ficht das nicht an: Deutschland, sagen sie, stehe vor einer Überlastung seiner Integrationskapazitäten. Sie verweisen auf eine Umfrage von August 2024, die eine hohe Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Migrationspolitik der Ampelkoalition bestätigte.

Grüne und Linke kontern mit düsteren Warnungen vor den Folgen einer restriktiven Politik und verschärften Rhetorik. Und dass Unionsspitzenkandidat Friedrich Merz bewusst die Stimmen der AfD in Kauf nimmt, ist ein Tabubruch. Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben sich dieser Haltung angeschlossen. Ein Aussetzen des Familiennachzugs, so ihre Befürchtung, könnte die Integration massiv erschweren.

Vieles in dieser Diskussion lässt sich mit Zahlen belegen. Es sind aber auch viele Emotionen und Befindlichkeiten im Spiel, etwa wenn es um die Frage geht, wer zu Deutschland und seiner Gesellschaft gehört. Dabei ist gerade das ein fundamentaler Punkt, wenn es um die Akzeptanz der Bevölkerung für Geflüchtete und Immigranten geht.

Eine umfassende Umfrage des US-amerikanischen Meinungsforschungsinstitutes Pew Research Center, durchgeführt in 36 Ländern während der Jahre 2023 und 2024, hat ergeben: Es ist die Fähigkeit, die lokale Sprache zu sprechen, die für viele Menschen als entscheidend für die wahre Zugehörigkeit zu einem Land angesehen wird.

Die Sprachkenntnis wiegt schwererals in dem Land geboren zu sein oder dessen Sitten und Bräuche zu teilen. Am wenigsten bedeutsam wird die Zugehörigkeit zur historisch vorherrschenden Religion erachtet.

Die Umfrage, an der über 65.000 Personen weltweit teilnahmen, zeigt deutliche Unterschiede in den Einstellungen basierend auf Alter, Bildungsniveau und Ideologie. In den USA etwa sind Konservative und Liberale tief gespalten darüber, was jemanden zum "echten" Amerikaner macht. Während in den meisten höher entwickelten Ländern, die häufig große Einwanderergruppen beheimaten, weniger als die Hälfte der Erwachsenen der Meinung ist, dass die Geburt im Land für die volle Zugehörigkeit zur jeweiligen Gesellschaft wichtig ist, wird diese Ansicht in mittleren Einkommensländern von einer großen Mehrheit vertreten.

Religion und nationale Identität

Die Bedeutung der Religion für die nationale Identität variiert stark zwischen den Ländern. Während in Staaten mit mittlerem Einkommen wie Indonesien eine große Mehrheit der Bevölkerung der Religion eine hohe Bedeutung beimisst, ist die Ansicht in hoch entwickelten Ländern wie Australien, Singapur oder Japan weit weniger verbreitet.

Institutionelle und populäre Sichtweisen

Generell sehen Anhänger von rechtsgerichteten Parteien Sprache und lokale Sitten als besonders wichtig für die nationale Identität an. Dies deutet auf eine ideologische Kluft hin, die in vielen Gesellschaften hinsichtlich der Frage nach der nationalen Identität besteht. Die Forscher schreiben:

Einige der größten demografischen Unterschiede hängen mit der Weltanschauung zusammen. In vielen Ländern sagen politisch Rechte viel häufiger als politisch Linke, dass das Sprechen der Landessprache sehr wichtig für die nationale Zugehörigkeit ist. In den USA zum Beispiel geben Konservative um 50 Prozentpunkte häufiger als Liberale an, dass es sehr wichtig ist, Englisch zu sprechen, um wirklich Amerikaner zu sein (71 Prozent gegenüber 21 Prozent).

In mehreren der untersuchten europäischen Länder sind auch die Anhänger rechtspopulistischer Parteien eher der Ansicht, dass die Sprache für die nationale Identität sehr wichtig ist. In Schweden beispielsweise sind die Anhänger der Schwedendemokraten 40 Prozentpunkte häufiger der Meinung als Anhänger anderer Parteien, dass es sehr wichtig ist, Schwedisch zu sprechen, um ein richtiger Schwede zu sein (83% gegenüber 43%).

Pew Research Center

Sprache und nationale Identität

Die Studie zeigt, dass die lokale Sprache ein zentraler Aspekt der nationalen Identität ist. In Ländern wie den Niederlanden ist die Bedeutung der Sprache für ältere Menschen deutlich höher als für jüngere. Menschen mit geringerer Bildung neigen ebenfalls dazu, Sprache als wichtiger zu erachten.

Mit steigendem Wohlstand werden Sitten und Gebräuche für die Identitätsstiftung belangloser. So sagen beispielsweise etwa sechs von zehn Erwachsenen in Ungarn und Griechenland (62 Prozent bzw. 60 Prozent), dass es sehr wichtig ist, die lokalen Bräuche zu befolgen, um wirklich dazuzugehören. Nur ein Viertel der Deutschen und 17 Prozent der Schweden teilen diese Ansicht.

Die Umfrage belegt damit auch, dass nicht nur die Integration, sondern auch die Akzeptanz von einer sozialpolitisch begleiteten Migrationspolitik abhängt. De facto aber ist der Staat in Deutschland massiv überfordert.

Laut einer Umfrage befinden sich noch 23 Prozent der befragten Kommunen im "Notfallmodus" bei der Flüchtlingsaufnahme. Viele stoßen bei der Integration an ihre Grenzen. In Berlin stehen hunderte schulpflichtige Geflüchtete auf Wartelisten, weil die Bezirke keinen Schulplatz bieten können.

Sozialpolitik hält Migration nicht Schritt

Die hohe Zahl an Geflüchteten, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen sind, stellt die Sozialpolitik vor große Herausforderungen. Einer aktuellen Studie zufolge übersteigt der Bedarf an Wohnraum, Kita-Plätzen und Schulplätzen für Geflüchtete deutlich das verfügbare Angebot.

Die sogenannte Auszugskrise ist die größte Herausforderung. Etwa 25 Prozent der Menschen, die 2015/2016 nach Deutschland kamen, leben immer noch in Flüchtlingsunterkünften. Der jährliche Wohnungsbedarf wird auf 372.000 Wohnungen geschätzt, doch die Bautätigkeit deckt nur 79 Prozent des Bedarfs.

Ohne hinreichende Bildung und isoliert von der Bevölkerung aber scheitert die Integration – und damit wächst die Ablehnung in der Bevölkerung.