Von bellenden Hunden und bissiger Politik: Merkels Putin-Problem
Eine Hundeszene zwischen Putin und Merkel sorgt bis heute für Diskussionen. Machtgste oder Missverständnis? Gastbeitrag über Tiere, Menschen und Misstrauen.
Wenn du in Washington einen Freund brauchst, dann besorge dir einen Hund.
Harry Truman
Was geht in den Köpfen derer vor, die sich nun freuen, dass weitreichende westliche Waffen in Russland einschlagen? Nicht auf der Krim, nicht im Donbass, sondern auf urrussischem Boden, vom Westen geliefert, von Westen gesteuert, vom ukrainischen Stellvertreterkrieger nur abgefeuert.
Würden diese alles glauben, was sie in der Vergangenheit über Putins Charakter sagten, müsste ihnen das Hinterteil auf Grundeis gehen. Sie führen direkten Krieg gegen einen Psychopathen, Narzissten, Lügner, Mörder, einen Wiedergänger unerbittlicher Diktatoren (Hitler, Stalin, russische Zaren) und erwarten nun was: ein Gewissen, Zurückhaltung, Selbstkontrolle?
Dann gibt es noch die ganz Forschen. So philosophierte jüngst ein US-Admiral über begrenzte nukleare Schläge, aus denen man auch noch siegreich hervorgehen würde.
Inzwischen tummeln sich offenbar viele "im Luftreich des Traums", dessen Beherrschung Heinrich Heine im "Wintermärchen" allein den Deutschen zugeschrieben hatte.
Oder haben etwa die recht, die in Putin immer den ängstlichen kleinen Mann mit dem "Rattengesicht" sahen, der, um seine Männlichkeit aufzupeppen, etwa die deutsche Kanzlerin 2007 mit seiner großen schwarzen Labrador-Retriever Hündin Koni bedrohte - zu mehr sei er nicht fähig, wie Merkel 2014 bemerkt haben soll:
Ich verstehe, warum er das tun muss – um zu beweisen, dass er ein Mann ist. … Er hat Angst vor seiner eigenen Schwäche. Russland hat nichts, keine erfolgreiche Politik oder Wirtschaft. Alles, was sie haben, ist das.
Im Exklusiv-Interview mit der Sunday Times zu ihrem Buch, für das nur 30 Minuten anberaumt waren, ging es auch um die Hündin Koni. Zur Hundeepisode 2007 erklärte Merkel, sie habe in Putins Augen gesehen, dass er die Situation genoss. Sie habe die Zähne zusammengebissen und sei nach dem Motto verfahren: "Erkläre niemals, beschwere dich nie."
Dieses Motto hält Merkel allerdings nicht durch, wie man der herabsetzenden Bemerkung 2014 und allen folgenden Äußerungen zur Hunde-Episode entnehmen kann. Man stelle sich außerdem vor, ein nichtwestlicher Regierungschef würde unser Land so abqualifizieren, wie das Merkel 2014 machte. Das war nicht sehr weit entfernt von der Auffassung eines John McCain, der Russland als eine gigantische Tankstelle bezeichnete, die sich als Land maskiert. Wer solchen Fehlurteilen aufsitzt, kommt auch zu anderen falschen Schlüssen.
Inzwischen hat Russland (in Kaufkraftstandards) die deutsche Wirtschaft überholt.
Gegenüber der Bild sagte Putin in einem Exklusiv-Interview im Jahr 2016, er habe im Jahr 2007 nicht gewusst, dass Merkel Angst vor Hunden hätte. Als ihm sein Fehler (er habe ihr eine Freude machen wollen) bewusst geworden sei, habe er sich entschuldigt.
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2023 urteilte das ZDF: Diese Aussage von Putin ist eine Lüge. Denn Merkels außenpolitischer Berater Heusgen hatte im Interview erklärt, dass er 2006 seinen russischen Kollegen angerufen und ihm gesagt habe, dass Merkel einst von einem Hund gebissen worden sei. Daher möchte sie Putins Hund beim Antrittsbesuch nicht um sich haben. 2006 schenkte Putin Merkel einen Stoffhund, mit der Bemerkung, so Merkel bei Osang, dass er von ihrer Hundephobie wisse. (ab Minute 1:15:00)
Heusgen kam gegenüber dem ZDF zur Schlussfolgerung, dass Putins Tat 2007 verdeutlichte, dass er "in seiner DNA dieser KGB-Mann" ist.
Das ZDF zieht einen Psychologen zurate
Auch ein Psychologe war beim ZDF zur Stelle, der meinte, wenn es so gewesen sei, und Putin von der Angst Merkels vor Hunden wusste, dann sei es eine Machtdemonstration gewesen. Das offenbare eine dunkle Seite: Man spielt gerne mit den Ängsten anderer und genießt es.
Tatsächlich war Merkel im Jahr 1995 während einer Fahrradtour von einem Jagdhund ins Knie gebissen worden. Ganz unverhofft, ganz und gar untypisch für das bisherige Verhalten des Hundes. (Mehrere deutsche Medien verschoben diese Hundebiss-Erfahrung in Merkels Kindheit.)
Merkel, Hunde und Journalisten
Der Stern berichtete 2014, seit 1995 hätte sie Angst vor Hunden und keine Illusionen mehr über Journalisten. Die hätten zu diesem Vorfall gefragt, als sei es umgekehrt gewesen – so, als habe sie den Hund gebissen.
Bei der Deutschen Welle war nachzulesen, dass Putin die Kanzlerin in Sotschi gefragt hätte, ob der Hund sie störe.
Das US-Journal Politico beschrieb im Jahr 2019 die Putin-Bemerkung gegenüber Merkel wie folgt:
Der Hund stört dich doch nicht, oder? Sie ist ein freundlicher Hund und ich bin sicher, dass sie sich benehmen wird.
Im Gespräch mit Osang im Jahr 2022 im Berliner Ensemble verneinte die Ex-Bundeskanzlerin eine entsprechende Anfrage Putins. Über eine Entschuldigung Putins sagte sie nichts. Sie glaubte, Putin ließ den Hund absichtlich zu, aber als Bundeskanzlerin müsse sie über ihren Ängsten stehen.
Laut Sunday Times im Jahr 2024 hat Merkel vor Hunden "Todesangst".
Tatsächlich ging Merkel damals sehr freundlich mit der schwanzwedelnden Labradorhündin um, die sich mit dem Rücken zu ihr setzte, so als wolle sie sie beschützen.
Aber dazu muss man das Video sehen, und nicht nur das Foto, dass sie angeblich "völlig erstarrt vor Angst" zeigt, und das auch heute immer wieder neu die Runde macht.
Normalerweise ist es so, dass sich fast alle Politiker gerne mit Tieren inszenieren, so wie auch in Hollywoodfilmen nur "Die Guten" Tiere um sich haben, vorzugsweise Hunde oder Katzen. Wer Tiere liebt, liebt auch Menschen, so die Suggestion.
Ein alter Artikel im Guardian beschäftigte sich mit dem Zusammenhang zwischen Hunden und Politik.
Die erwähnte Fotostrecke der DW erinnert ebenfalls daran.
In den USA gibt es sogar ein Museum zu den Tieren von US-Präsidenten.
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Auch US-Präsident Joe Biden kam schnell auf den Hund. Erst erwies sich Major als bissig. Dann Commander. Letzterer hatte innerhalb eines Jahres mindestens 24-mal zugebissen.
Wegen Commander (ein junger, offenbar völlig unerzogener Deutscher Schäferhund) begann ich mich zu fragen, wie man die Sache "mit dem Hund" in Sotschi 2007 bewerten muss. Welches Spiel wurde da gespielt?
Was wäre gewesen, wenn die friedliche Labradorhündin aus heiterem Himmel, so wie damals 1995 dieser kleine, für die Jagd untaugliche Hund, die Frau Bundeskanzlerin gebissen hätte?
Im Blitzlichtgewitter des Pressetermins. Das wäre zum diplomatischen Supergau geworden.
Woraus ich schließe, dass Putin, selbst wenn er Merkel irritieren wollte, sich völlig sicher gewesen sein muss, dass seine Hündin auf keinen Fall aggressiv werden würde. Das muss auch die blitzgescheite und in hohem Maße kontrollierte Merkel gewusst haben.
Ausweislich des Videos war die deutsche Kanzlerin wohl einen Moment erschreckt, um dann ganz entspannt freundliche Gesten in Richtung Hündin zu machen. War die "Todesangst" tiefer Erleichterung gewichen?
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Von Putin weiß man, dass er ein Hundeliebhaber ist. Großer Hunde. Besonderer Hunde. Kampfhunde gehören nicht in sein Sortiment. Er ist der Anführer des Packs.
Putin verschenkte ebenfalls gerne Hunde. Sein Hundegeschenk an Frankreich war eine politische Solidaritätsgeste nach dem Terroranschlag im Bataclan.
Internationale Gesprächspartner beschenkten Putin ebenfalls mit Hunden. Als ein Zeichen politischer und auch persönlicher Wertschätzung.
Koni, die Labradorhündin, war allerdings ein Geschenk von Schoigu im Jahr 2000. Koni war Putins Lieblingshund und in Russland sehr beliebt und berühmt. War es Zufall, dass Koni der gleichen Rasse angehörte wie Buddy, der Hund von Präsident Clinton? Die eine schwarz, der andere braun.
Dass Putin seine Hunde im Griff hat, demonstrierte er beispielsweise mit einem Akita, einem Geschenk der japanischen Regierung, im Kreml gegenüber japanischen Journalisten. Der Akita kläffte zwar feste, aber bei der Vorführung wurde klar, dass dieser Hund und Putin ein Gespann waren, das sich durch Zeichen und Belohnungen verstand.
Die diplomatische Botschaft vor dem Interview lautete eindeutig: Seht, ich ehre euer Geschenk. Ich kümmere mich persönlich darum.
Immer wieder ließ Angela Merkel die Hundeepisode von 2007 wieder aufleben. Auch in den Memoiren. Damit sich alle erinnern, dass Putin ein Erzschurke ist: "Jederzeit bereit, auszuteilen"...
Ein Artikel in der FAZ 2010 über Putin und seine Labradorhündin Koni kam zu einer anderen Einschätzung. Dort stand eingangs: "Tatsächlich erinnern sich Journalisten, die Bundeskanzlerin habe in Gegenwart von Koni wie versteinert gewirkt. Viele von Merkels Begleitern gaben sich regelrecht empört über Putins sadistische Ader." Im Anschluss beurteilte das die Verfasserin dies als "Verschwörungstheorie". Putins Labradorhündin Koni sei vor allem dadurch bekannt geworden, dass sie "bei Pressekonferenzen den Journalisten die Kekse wegfraß". Und sie "hatte ja stets brav vor Merkel Platz gemacht".
Das jedenfalls würde die Bemerkung von Merkel in Sotschi 2007 erklären, wonach sie gesagt haben soll, dass der Hund wenigstens keine Journalisten fresse.
Das bringt mich zu einer anderen Episode, die im Berliner Ensemble 2022 eine Rolle spielte.
Dort erklärte die Ex-Bundeskanzlerin ihre fundamentale Differenz mit Putin. Zum ersten Mal hätten sie in Sotschi, "das war der berühmte Besuch mit dem Hund" darüber gesprochen.
Für ihn (Putin), so Merkel (und sie könne ja jetzt darüber sprechen, weil er selber darüber gesprochen habe) sei der Zerfall der Sowjetunion die schlimmste Sache des 20. Jahrhunderts. Merkel: "Und ich habe ihm gesagt: Weisste, für mich war das der größte Glücksumstand meines Lebens … und so konnte ich eben in die Freiheit und dann auch das machen, was mir Spaß und Freude macht, und da war schon ganz klar, dass da ein großer Dissens ist…."
Sieh da, sie duzten sich also.
Osang ließ Merkel reden. Merkel unterstellte, Putin trauere der Sowjetunion nach. Sie verglich tatsächlich Äpfel mit Birnen und interpretierte Putins Aussage nach der neuesten Mode. Dass ihr das Gedächtnis einen Streich gespielt haben könnte, muss man ausschließen. Frau Merkel war – wie immer – im ganzen Gespräch hellwach und hoch konzentriert. Sie wusste, was sie tat. Sie beschrieb die Natur des Konflikts falsch. Zudem tat sie auch noch so, als weihe sie die Zuhörer in ein großes Geheimnis einer hochrangigen Diskussion ein.
Interessanterweise kam auch die Journalistin der Sunday Times nach ihrem kurzen Interviewtermin mit Merkel zum Schluss, dass bei Merkel alles kontrolliert abläuft. Selbst ihre Begrüßungsgeste hätte "einschüchternd" gewirkt. Merkel schien alles und jeden zu durchschauen wie "ein menschliches Röntgengerät".
Als kluge Frau und einst Teil der Regierungsmannschaft von Lothar de Maizière weiß Merkel selbstverständlich, dass der Mauerfall und die deutsche Einigung zwar womöglich das Ende der Sowjetunion beschleunigten, aber tatsächlich die Sowjetunion ebenfalls ihre Zustimmung dazu gab, dass auch Frau Merkel in die Freiheit konnte, um das zu tun, was ihr Spaß und Freude machte: Macht, Macht, Macht. So wurde Merkel von Kohl beschrieben.
Die Sunday Times erinnerte recht genüsslich auch daran.
Putin redete dagegen im Jahr 2005 nicht über die deutsche Einheit. Er sprach über die Geschichte seines Landes und hatte das Ende der Sowjetunion öffentlich als eine große geopolitische Tragödie des 20. Jahrhunderts bezeichnet, aber auch eine Begründung für diese Bewertung geliefert:
Vor allem sollten wir anerkennen, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion eine große geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts war. Für die russische Nation wurde es zu einem echten Drama. Dutzende Millionen unserer Mitbürger und Landsleute befanden sich außerhalb des russischen Territoriums. Darüber hinaus hat die Desintegrationsepidemie Russland selbst infiziert.
Im russischen Original könnte der erste Satz auch als "die" größte geopolitische Katastrophe verstanden werden.
Putin Sätze gingen damals um die Welt. Sie wurden 2005 noch vollständig wiedergegeben. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass die Kanzlerin auch diese Aussagen zur Kenntnis nahm, womöglich auch im Original nachschaute und schon wissen wollte, wie Putin dachte. Wozu also bis 2007 warten, wenn man sich doch schon 2006 traf? (Das war der Besuch mit dem Stoffhund.)
Viel interessanter ist, dass Merkel im Gespräch mit Osang kaum eine Minute zuvor Putins Beurteilung inhaltlich bestätigt hatte. Denn sie erklärte, dass sie sich letztlich in ihrer ganzen Kanzlerschaft mit den Fragen und Konstellationen beschäftigt habe, die aus dem "Zerfall" der Sowjetunion entstanden seien. Die Auflösung der Sowjetunion war also ein Vorgang von so großer historischer Tragweite, dass er auch die deutsche Bundeskanzlerin offenbar unentwegt beschäftigte.
Aber wollen wir mal annehmen, dass "die Sache mit dem Hund" 2007 mit traumatischen Erinnerungsbeschwerden verbunden ist, allerdings im weiteren Verlauf des Gesprächs 2022 auch zu einer weiteren unfreiwilligen Wahrheit führte. Denn Merkel erläuterte gegenüber Osang 2022, dass seit 1990 immer dieser "Punkt Russland" blieb, sie nicht Putins Meinung teile, aber es eben auch nicht gelungen sei, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die das hier (sie meinte den Ukraine-Krieg) verhindert hätte.
Darüber müsse man nachdenken, das würden dann auch die Historiker tun. So entsorgte Merkel sehr elegant jede Frage, ob die fehlende Sicherheitsarchitektur auch etwas mit deutscher Politik im Allgemeinen und ihrer Politik im Besonderen zu tun haben könnte, beispielsweise mit ihrer Zustimmung, die Nato-Tür für die Ukraine und Georgien grundsätzlich aufzustoßen, obwohl sie wusste, dass das Putin als eine "Kriegserklärung" empfinden würde. (Anmerkung: Alles, was in Russland Rang und Namen hatte, beurteilte das so.)
Da war sie wieder, diese Arroganz, mit der die US-geführten Nato-Repräsentanten mit Einsprüchen anderer verfahren. Man nimmt sie wahr und schert sich nicht darum oder ist tief empört, dass andere es wagen, von eigenen Interessen auch nur zu reden. In der "regelbasierten Ordnung" gilt: Die USA haben globale Interessen, und die sind im besten Interesse aller. So wird tatsächlich "ausgeteilt".
Aber, um allen Missverständnissen vorzubeugen, stellte Merkel im Gespräch mit Osang nach diesem kleinen Ausflug in die Wahrhaftigkeit (fehlende Sicherheitsarchitektur) klar, dass es keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung für den brutalen, das Völkerrecht missachtenden Überfall auf die Ukraine gibt.
Ein Völkerrechtsbruch ist nicht entschuldbar und muss auch als solcher benannt und verurteilt werden. Ganz d'accord.
Russland brach das Völkerrecht am 24. Februar 2022.
Nur, wie war das einst mit dem Irak und Frau Merkels Begeisterung, bei diesem Völkerrechtsbruch mitzumachen?
Die DW prüfte ihre spätere Aussage, sie wäre nie für diesen Krieg eingetreten und beurteilte diese als "falsch".
Im Februar 2003 hatte Merkel einen Artikel in der Washington Post veröffentlicht, in dem sie als damalige deutsche Oppositionsführerin den USA versicherte, dass der deutsche Kanzler Schröder in Sachen Irak nicht für alle Deutschen spreche
Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass sich später auch die Schröder-Regierung mit dem Verdacht auseinandersetzen musste, sie habe den USA beim Krieg gegen den Irak geholfen. Zudem gab es dazu einen spektakulären Freispruch eines deutschen Berufssoldaten im Jahr 2005, der einen Einsatzbefehl aus Gewissensgründen verweigerte
Das ist das elende Problem, das Merkel & Co. allesamt mit sich herumschleppen, wenn es um Russland geht. Sie sehen die Splitter, aber nicht den Balken im eigenen Auge und merken nicht einmal, dass der "Rest" der Welt, also die globale Mehrheit, die Heuchelei und die Doppelstandards längst durchschaut.
Auch das Minsk-Abkommen und die Übergabe der Amtsgeschäfte an Scholz spielten im Osang-Gespräch eine Rolle. Merkel war zufrieden, dass sie den Stab ordentlich an Olaf Scholz weitergereicht hatte. Der wusste bei allem Wichtigen Bescheid. Natürlich fragte Osang nicht, wie das zusammenpasst, dass Merkel das Minsk Abkommen im Jahr 2021 als praktisch tot einschätzte (sie gab dafür Putin die Schuld), aber Scholz sich in Kiew und Moskau im Februar 2022 dafür öffentlich verbürgte, nun werde die Ukraine das Minsk -Abkommen erfüllen. Abgesehen davon, dass Merkel Ende 2022 dann das ganze Manöver der Minsk-Abkommen mit dem Versuch, für die Ukraine mehr Zeit zu kaufen, begründete.
Putin vertraute offenbar Merkel beim Minsk-Abkommen und war von ihrem Doppel-Spiel schließlich schwer enttäuscht.
Er hätte sich doch denken können, dass Merkel Rache für den Hund nehmen würde. Aber er fällt ja unter die biologische Kategorie "Männer".
Vielleicht log Putin aber auch, als er seiner Enttäuschung über Merkel Ausdruck verlieh. Bei dessen "KGB-DNA" liegt das gewissermaßen in den Genen.
Warum also sollte heute irgendwer Putins jüngste Warnung, dass der Konflikt in der Ukraine geopolitisch umgeschlagen ist, ernst nehmen?
Die neue Mittelstreckenwaffe, die Russland im Test gegen die Ukraine losschickte, könnte ganz Europa erreichen. Niemand kann sie abfangen. Russland informierte nur die USA kurz vor dem Start darüber, dass sie konventionell bestückt sei. Es reichte aus Moskauer Sicht, wenn man den Anführer des Rudels informiert. Wie überaus peinlich und demütigend für die europäischen Nato-Staaten, einschließlich Deutschland! Aber zurück zum Hund
Also, alles nur Lüge, Bluff?
Putin, so ein britisches Urteil, verhalte sich wie eine in die Ecke getriebene Ratte, nur ohne Zähne.
Schade, dass sich die lieben Briten nicht vertiefter mit Putins Hunden beschäftigten. Die beißen ja auch nicht.
Das spielten die Biden-Hunde, vor allem Major und Commander, in einer ganz anderen Liga.
Und: Die heutige Lage ist sehr viel gefährlicher als die Kuba-Krise. Zu dieser großen Krise gibt es im National Security Archive eine sehr gut recherchierte Beschreibung aus dem Jahr 2012.
Es gab damals Stimmen, die anders als Präsident Kennedy eine militärische Intervention in Kuba bevorzugten. Einer davon war Dean Acheson (einst US-Außenminister und auch ein Geburtshelfer der Nato). Ein Gespräch mit ihm dazu wird wie folgt beschrieben:
Ich glaube, ich kenne die Sowjetunion gut. Ich weiß, was sie angesichts ihrer Geschichte und ihrer Haltung in der Welt tun müssen. Ich denke, sie werden unsere Raketen in der Türkei außer Gefecht setzen. Was sollen wir dann tun? Nun, ich glaube, gemäß unserem NATO-Vertrag, mit dem ich ja etwas zu tun habe, müssten wir reagieren, indem wir eine Raketenbasis in der Sowjetunion außer Gefecht setzen. Was machen sie dann? Nun, dann hoffen wir, dass sich kühlere Köpfe durchsetzen und innehalten und reden. Dieses nicht zu Ende gedachte Szenario wurde damals der Welt durch die USA und die Sowjetunion erspart. Kennedy und Chruschtschow fanden eine einvernehmliche Lösung. Es gab auch brasilianische Vermittlungsbemühungen.
Und heute? Wo sind die "kühleren Köpfe", die nun innehalten und reden werden? Im Gespräch mit der Sunday Times äußerte sich Merkel auch zum Ende des Ukraine-Krieges. In schönster Unverbindlichkeit erklärte sie:
Ich glaube, dass wir zu einem bestimmten Zeitpunkt, und die Verantwortlichen von heute müssen diesen Zeitpunkt bestimmen, Gespräche brauchen werden. Es wird keine Lösung geben, die nur militärisch ist.
An einen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld glaubt niemand mehr. Alles, was aktuell von westlicher Seite unternommen wird, besteht allein darin, das Unvermeidliche hinauszuziehen und noch mehr Menschen im Krieg zu verheizen.
Wer bestimmt die aktuelle Politik in den USA? Ein abgewählter gebrechlicher Biden oder seine Entourage? Wer ist in den USA der Gesprächspartner für den Mann im Kreml? Weder Deutschland noch die EU sind im Spiel, von der Ukraine ganz zu schweigen. Im Nahen Osten brennt ebenfalls die Luft.
Nichts davon durchbricht die gemütliche deutsche Diskussion. Denn die Weihnachtszeit rückt näher. Schokoladenweihnachtsmänner bevölkern längst die Supermärkte, und so wie das Virus einst während der Pandemie Urlaub hatte (und das RKI auch), wird es wohl nun mit dem Krieg werden. Der macht auch Urlaub. Der Ex-Nato-Oberbefehlshaber, General Ben Hodges, der aktiv den Ost-West-Konflikt beförderte, ein Russlandhasser und kriegsfreudig ist, und der mit allen Prognosen zum Ukraine-Krieg immer falsch lag, verlautbarte: "Wir müssen die russische Panikmache ignorieren."
Na bitte. So können wir uns weiter wohlfühlen.
Wenn wir dann am 1. Januar 2025 das neue Jahr begrüßen sollten, wird gewiss die alte Überzeugung weiter gelten, dass Putin nur ein aufgeblasener Frosch ist, der nichts als drohen kann. Denn schließlich krachten nur Silvesterböller.
Nur Saluschnyj, der Ex-Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee und angeblicher Drahtzieher der Sabotage von Nord Stream, outete sich als aktuelle Spaßbremse.
Der sieht uns schon im Dritten Weltkrieg. Aber nur wegen der (angeblichen) Nordkoreaner auf russischem Boden.
Die Eurasian Times (Indien) notierte, die Vorführung der neuen russischen Mittelstreckenrakete Oreschnik sei nicht geschehen, um die USA zu provozieren, sondern um ein Umdenken zu befördern. Die Nachricht habe daran bestanden, dass Russland die Fähigkeit hat, zu vergelten und die Weisheit, nicht zu eskalieren.
Die von Russland neu vorgestellte Waffe "Oreschnik" (was man mit Haselstrauch, aber auch mit "Nussknacker" übersetzen könnte), begreife auch ich als Signal, endlich wieder "Neues Denken" zu üben.
Wir brauchen so schnell wie möglich eine ganz grundsätzliche Verständigung mit Russland, eine verlässliche inklusive internationale Sicherheitsarchitektur, die alle Staaten stützen, eine nachhaltige Abrüstung, darunter einen neuen Vertrag zum Verbot von Kurz- und Mittelstreckenraketen. Die geplante US-Raketenstationierung in Deutschland gehört in dieses Verhandlungspaket.+
Das ist der einzig gangbare Weg zu mehr Sicherheit für uns, für alle.
Die aktuelle Lage ist kein Pokerspiel.
Die Gefahr, dass wir allesamt vor die Hunde gehen, ist ganz real.
Petra Erler ist Geschäftsführerin der Strategieberatung European Experience Company GmbH. 1990 war sie nach den ersten freien Wahlen in der DDR Staatssekretärin für Europäische Angelegenheiten. Von 2006 bis 2010 war sie die Kabinettschefin von EU-Kommissar Günter Verheugen.
Dieser Text erschien zuerst auf der Substack-Seite unserer Autorin.