Warum Japan militärisch aufrüstet und beginnt, Waffen zu exportieren

Der japanische Premierminister Fumio Kishida in einem Kampfjet bei einem Besuch des Flugzeugträgers der US-Marine USS Ronald Reagan am 6. November 2022

Der japanische Premierminister Fumio Kishida in einem Kampfjet bei einem Besuch des Flugzeugträgers der US-Marine USS Ronald Reagan am 6. November 2022. Bild: US-Regierung

Tokios Pazifismus scheint vorbei. Man geht in die Offensive, mit US, UK und Italien an der Seite. Was China und Ukraine-Krieg damit zu tun haben. Gastbeitrag.

Japan hat sein selbst auferlegtes Verbot, letale Waffen zu exportieren, schrittweise aufgehoben. Einen neuen Höhepunkt erreicht dieser Prozess mit der Entscheidung vom letzten Monat, die Ausfuhr von Kampfflugzeugen der nächsten Generation, die gemeinsam mit Großbritannien und Italien entwickelt wurden, in Drittländer zu genehmigen.

Kiyoshi Sugawa ist Senior Research Fellow am East Asian Community Institute (EACI) und beriet drei japanische Regierungen.

Wenn man diese Änderung der Politik in Verbindung mit der gemeinsamen Erklärung der US-amerikanischen und japanischen Regierungschefs vom 10. April 2024 liest, ist es wahrscheinlich, dass Japan zugestimmt hat, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten Raketen zu entwickeln und zu produzieren sowie sie in Drittländer zu exportieren. (Das ist auch die jüngste Entwicklung in der Abkehr von der pazifistischen Verteidigungspolitik Japans, die auf die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgeht).

Was sind die Hintergründe und Auswirkungen von Japans Politikänderungen?

Aufweichung des Waffenexportverbots

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verzichtete die japanische Regierung auf die Ausfuhr von Waffen. Im Jahr 1967 stellte der damalige Premierminister Eisaku Sato klar, dass Japan keine Waffenexporte in kommunistische Länder, in Länder, deren Waffenexporte durch UN-Resolutionen verboten sind, oder in Länder, die in internationale Konflikte verwickelt sind, zulassen würde.

Im Jahr 1976 gab das Kabinett seines Nachfolgers Takeo Miki eine einheitliche Stellungnahme der Regierung heraus, die alle Waffenexporte verbot. Trotz einiger späterer Ausnahmen, wie der Lieferung von Technologien für die Raketenabwehr an die Vereinigten Staaten, blieb es eine nationale Politik Japans, keine Waffen zu exportieren.

Das Verbot von Waffenexporten begann im Jahr 2011 zu schwinden. In jenem Jahr lockerte das Kabinett des damaligen Premierministers Yoshihiko Noda, Vorsitzender der Demokratischen Partei Japans, die Vorschriften, um die gemeinsame Entwicklung von Waffen mit Ländern zu ermöglichen, die in Sicherheitsfragen mit Japan zusammenarbeiten. Auch ging es darum, Produkte an Partner des gemeinsamen Entwicklungsprogramms zu exportieren.

Auf der Grundlage dieser Ausnahmeregelung versuchte Japan 2015 und 2016, gemeinsam entwickelte U-Boote an Australien zu verkaufen.

Kooperationen mit den USA

Im Jahr 2014 ermöglichte das Kabinett des damaligen Premierministers Shinzo Abe den Export von Rüstungsgütern für Zwecke wie Rettung, Transport, Überwachung und Aufklärung. Im Rahmen dieser Reform begann Mitsubishi Electric erst letztes Jahr mit der Lieferung von Luftüberwachungsradarsystemen an die philippinische Luftwaffe.

Im Dezember 2023 genehmigte das Kabinett von Premierminister Fumio Kishida den Export von im Inland über eine Fremdlizenz hergestellten Waffen an den Anbieter der Lizenz. Auf diesem Wege werden PAC-2- und PAC-3-Raketen, die in Japan unter US-Lizenz hergestellt werden, in die USA exportiert und ersetzen damit praktisch das, was Washington der Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland zur Verfügung gestellt hat.

Diese Maßnahme geht Berichten zufolge auf ein Ersuchen der US-Regierung zurück.

Aufhebung des Verbots insgesamt rückt näher

Zuletzt hat Kishida am 26. März einen Kabinettsbeschluss gefasst, der die Ausfuhr von Kampfflugzeugen der nächsten Generation, die gemeinsam mit Großbritannien und Italien entwickelt werden, in Drittländer erlaubt. Gleichzeitig änderte der Nationale Sicherheitsrat die Durchführungsrichtlinien zu den drei Grundsätzen für den Transfer von Verteidigungsgütern und -technologie.

Obwohl die Regierung in dem Dokument drei Bedingungen für den Export von Kampfflugzeugen in Drittländer festlegt, hat die neue Änderung der Politik weitreichende Auswirkungen.

Erstens behauptet die Regierung, dass Exporte in Drittländer nur für die nächste Generation von Kampfflugzeugen erlaubt sind, die nun als einziges Produkt in den Durchführungsrichtlinien aufgeführt ist. Die gemeinsame Entwicklung von Raketen (Glide Phase Interceptor – GPI) und unbemannten Luftfahrzeugen wird jedoch bereits in Betracht gezogen.

In der jüngsten gemeinsamen Erklärung der USA und Japans wurden auch Raketen auf die Tagesordnung gesetzt. Sobald diese produziert sind, muss die Regierung sie nur noch in die Leitlinien aufnehmen.

15 Länder haben Abkommen mit Japan geschlossen

Zweitens müssen Japan und das Empfängerland "ein internationales Abkommen schließen, das die Verwendung der von Japan transferierten Verteidigungsgüter in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen vorsieht."

Derzeit haben 15 Länder solche Abkommen mit Japan unterzeichnet, darunter einige autoritäre Regime wie Vietnam und die Vereinigten Arabischen Emirate. Mit Bangladesch wird derzeit über den Abschluss eines ähnlichen Abkommens verhandelt. Die Zahl der Unterzeichnerstaaten, die vermutlich zum Kauf der gemeinsam entwickelten Waffen berechtigt sein werden, wird weiter steigen.

Drittens bleibt das Verbot, Kampfflugzeuge in ein Land zu exportieren, in dem derzeit Kämpfe im Rahmen eines bewaffneten Konflikts stattfinden, weiterhin in Kraft. Wenn beispielsweise morgen ein Kampfflugzeug der nächsten Generation fertiggestellt würde, könnte Japan es nicht in die Ukraine exportieren.

Nach dem Verkauf an einen berechtigten Käufer wäre es aber natürlich möglich, dass es in ein Land geliefert wird, das in einen Konflikt verwickelt ist.

Begründungen für die Deregulierung

Die jüngste Entscheidung wirft natürlich die Frage auf, warum Japan so entschlossen ist, die gemeinsame Entwicklung und den Export fortzusetzen, und man Großbritannien und Italien als seine Partner ausgewählt hat.

Ein Verzicht auf die gemeinsame Produktion und den Export in Drittländer wäre in erster Linie gleichbedeutend mit einem Verzicht auf die effiziente Einführung fortschrittlicher Waffensysteme in Japans Zukunft.

Als die Vereinigten Staaten mit ihren Verbündeten und Partnern die gemeinsame Entwicklung des F-35 begannen, konnte sich Japan nicht an dem Programm beteiligen, da sein Waffenexportverbot zu diesem Zeitpunkt noch intakt war. Infolgedessen musste Tokio viel mehr für den Kauf des Kampfflugzeugs bezahlen und auch viel länger auf die Auslieferung warten.

Da die Waffensysteme immer ausgefeilter werden und die Entwicklungskosten in die Höhe schnellen, würde sich ein Verzicht, an der gemeinsamen Entwicklung fortschrittlicher Waffensysteme teilzunehmen, sehr negativ auf die Rüstungsbeschaffungspolitik Tokios auswirken.

Unzufriedenheit mit US-Rüstungszielen

Darüber hinaus würden andere Teilnehmer eines gemeinsamen Entwicklungsprogramms die Teilnahme eines Staates, der dem Export in Drittländer nicht zugestimmt hat, effektiv disqualifizieren.

Was die Rüstungsbeschaffung betrifft, so ist Tokio mit Washington unzufrieden. 1987 begannen Japan und die Vereinigten Staaten mit der Koproduktion des aktuellen Unterstützungsjägers, der F-2.

Während des Prozesses übernahmen die USA jedoch die vollständige Kontrolle über die Entwicklung und weigerten sich, Japan Schlüsseltechnologien zur Verfügung zu stellen. In den späten 2000er-Jahren zeigte Japan Interesse am Kauf der F-22, wurde aber von den USA abgewiesen.

In den letzten Jahren haben Aspekte der US-Waffenentwicklungsziele die Bedürfnisse der japanischen Streitkräfte zur Verteidigung nicht erfüllt. Infolgedessen ist Tokio skeptisch geworden, was Washingtons Bereitschaft zur Flexibilität betrifft.

Abschreckung gegen China

Großbritannien hingegen scheint die japanischen Anforderungen an eine Partnerschaft bei der gemeinsamen Entwicklung der nächsten Generation von Kampfflugzeugen erfüllt zu haben.

Im Inland haben sich in den letzten 20 Jahren mehr als hundert Unternehmen aus der Rüstungsindustrie zurückgezogen, und es entsteht zunehmend das Gefühl einer Krise, wenn es darum geht, die rüstungsindustrielle Basis des Landes und die Arbeitsplätze zu erhalten.

Da die japanischen Unternehmen nur über begrenzte Erfahrung verfügen und der Inlandsmarkt noch zu klein ist, besteht die einzige Möglichkeit, die Industrie zu erhalten und zu fördern, in der gemeinsamen Produktion und im Export.

In der japanischen Regierung besteht der starke Wunsch, das Bündnis zu stärken und die Abschreckung gegen China durch die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten zu verbessern. Der Russland-Ukraine-Krieg hat die Regierung auch in ihrer Überzeugung bestärkt, dass es im Falle eines künftigen Konflikts mit China nicht ausreicht, sich allein auf die USA zu verlassen, und Japan eine breitere Unterstützung aus dem Westen benötigt.

Anschluss an den Westen

Aus dieser Sicht ist eine gemeinsame Entwicklung sinnvoll, um die Sicherheitsbeziehungen zum Westen zu vertiefen. Ferner hofft Japan, durch Waffenexporte nach Südostasien und anderswo ein günstigeres Sicherheitsumfeld zu schaffen.

Schließlich übt auch die Nostalgie nach der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg auf einige Japaner einen gewissen Reiz aus. Da der frühere Premierminister Abe für die "Demontage des Nachkriegsregimes" eintrat, wollen viele Abgeordnete der regierenden Liberaldemokratischen Partei wieder die "Kombination aus Militär und Nationalismus" verwirklichen, die vor dem Krieg bestand. Die Förderung der Rüstungsindustrie durch Waffenexporte ist ihr langgehegter Wunsch.

Nach der Genehmigung des Exports von gemeinsam entwickelten Waffen in Drittländer gelobt die politische Führung, dass Japan an seinen Grundprinzipien als friedliebende Nation festhalten werde.

Im Angesicht des starken Anstiegs der Verteidigungsausgaben und der Festlegung von "Gegenschlagskapazitäten" in der Nationalen Sicherheitsstrategie, die Angriffe auf andere nationale Territorien ermöglichen, sind aber nur wenige bereit, diese Worte für bare Münze zu nehmen.

Militärische Aufrüstung macht Japan allein nicht sicherer

Zumindest hat sich die Bedeutung der "friedliebenden Nation" völlig verändert. Während der Hauptpfeiler der traditionellen Vorstellung von einer pazifistischen Nation darin bestand, dass Japan seine militärische Enthaltsamkeit beibehält und nicht zu einer Bedrohung wird, betont Japan heute die Verstärkung der Abschreckung, um Frieden zu erreichen.

Leider ist es unwahrscheinlich, dass die jüngste militärische Aufrüstung Japans und der Anstieg der Waffenexporte allein die von Japan gewünschte Verbesserung des Sicherheitsumfelds bewirken werden.

Obwohl die Biden-Regierung nach dem Gipfeltreffen zwischen den USA und China im November 2023 den Dialog mit China offensichtlich intensiviert, hat Tokio in letzter Zeit praktisch kein Interesse an einer direkten Kommunikation mit China gezeigt.

Wenn Tokio auf Abschreckung setzt, indem es seine militärische Infrastruktur weiter ausbaut, Waffenexporte fördert und Allianzen stärkt, ohne Beijing (Peking) zu beruhigen, führt das unweigerlich zu einem Sicherheitsdilemma für beide Länder. Die eigentliche Sorge ist, dass Japan das Risiko unterschätzt.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Kiyoshi Sugawa ist Senior Research Fellow am East Asian Community Institute (EACI), einer unabhängigen Denkfabrik mit Sitz in Tokio. Von 2009 bis 2012 war er als Sonderforscher für Außenpolitik im Kabinettssekretariat des japanischen Premierministers tätig und beriet drei Premierminister unter der DPJ-Regierung. Kiyoshi ist der Autor von "How to Enhance Japan's Diplomatic Power" und "Second Korean War Scenario and Japan".