Warum der Umbruch der europäischen Stromversorgung gefährlich chaotisch verläuft

Seite 2: Das Problem der alternden Infrastrukturen

Wir stehen aber nicht nur wegen der Energiewende vor großen Umbrüchen. Ein Großteil der europäischen Infrastruktur kommt in den nächsten Jahren an ihr Lebens- und Nutzungsende. Die Mehrzahl der Kraftwerke ist mittlerweile 40 bis 50 Jahre alt. Teilweise sogar älter. Damit müssen in den nächsten Jahren auf jeden Fall weitreichende Neuerungen eingeleitet werden.

Das rechnet sich aber unter den derzeitigen rein betriebswirtschaftlichen Betrachtungen und der unsicheren Rahmenbedingungen nicht. Investitionen werden daher gerne aufgeschoben, was die Störanfälligkeit erhöht. Wenn aber erst dann investiert wird, wenn es sich rechnet, ist es bereits zu spät.

Allein in Deutschland gibt es über 1.150 Großtransformatoren, wovon rund 500 Stück bereits über 60 Jahre alt sind. Die Produktionskapazität beträgt jedoch nur mehr zwei bis vier Stück pro Jahr.

Der liberalisierte Strommarkt hat in vielen Bereichen zum Abbau der Reserven und Redundanzen geführt. Das, was in anderen Infrastrukturbereichen akzeptabel sein mag, könnte bei der überlebenswichtigen Strominfrastruktur ein böses Ende haben.

So wie bei der Truthahn-Illusion: Ein Truthahn, der Tag für Tag von seinem Besitzer gefüttert wird, nimmt aufgrund seiner täglich positiven Erfahrungen (Fütterung und Pflege) an, dass es der Besitzer nur gut mit ihm meinen kann. Ihm fehlt die wesentlichste Information, dass die Fürsorge nur einem Zweck dient: Am Tag vor Thanksgiving, bei dem die Truthähne traditionell geschlachtet werden, erlebt er eine fatale Überraschung.

Diese Metapher kommt bei außergewöhnlichen Ereignissen mit enormen Auswirkungen zum Tragen, sogenannten Extremereignissen ("X-Events") oder strategischen Schocks. Wir verwechseln dabei gerne die Abwesenheit von Beweisen mit dem Beweis der Abwesenheit.

Extremwetterereignisse

Alldem nicht genug, müssen wir auch noch erwarten, dass in Europa wie bereits in Australien, Kalifornien oder Texas die Extremwetterereignisse in den kommenden Jahren zunehmen werden. Damit sind auch schwerwiegende Infrastrukturschäden und -ausfälle zu erwarten. Gerade die Dürre der vergangenen Jahre macht konventionellen Kraftwerken, die das Kühlwasser aus Gewässern entnehmen müssen, enorm zu schaffen. Gleichzeitig verringert sich die Leistungsfähigkeit von Wasserkraftwerken durch sinkende Pegelstände.

Im anderen Extremfall führen Hochwässer oder Starkregenereignisse zum Problem bei der Stromerzeugung, wie etwa im Juni 2020, wo durch ein Starkregenereignis das größte polnische Kohlekraftwerk und parallel dazu weitere Erzeugungsanlagen ausgefallen sind, was zu einer kritischen Versorgungslücke führte.

Auch Pumpspeicherkraftwerke können durch eine verspätete Schneeschmelze wie 2021 an ihre Grenzen geraten. Es wird ein neuer Tiefststand erwartet, wo nur mehr rund zehn Prozent der theoretischen Kapazität zur Verfügung stehen.

Auch Energiezellen werden von solchen Ereignissen nicht verschont bleiben. Jedoch kann das Risiko von großflächigen Ausfällen deutlich reduziert werden. Zellen weisen nicht per se eine höhere Versorgungssicherheit auf. Aber sie helfen, den potenziellen Schaden zu verringern, und das wird aufgrund der dargestellten Probleme immer wichtiger. Grenzenlose Struktur schaffen extreme Abhängigkeiten.