Was kostet die Welt?

Kosten-Nutzen-Analysen zeigen: Wir unternehmen zu wenig, um uns gegen zwar unwahrscheinliche, aber katastrophale Risiken vom Kaliber etwa eines Asteroideneinschlags zu schützen

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Entführte Flugzeuge, die gegen ein Hochhaus gelenkt werden; eine Flutwelle, die mehreren hunderttausend Menschen das Leben kostet - im Werbespot und im Science-Fiction Film wurden diese Katastrophen in Szene gesetzt, bevor sie sich in der Realität ereigneten. Gerechnet hatte trotzdem niemand mit diesen Ereignissen - auch wenn sich im Nachhinein herausstellte, dass ein Tsunami, wie er Weihnachten 2004 die Küsten des Indischen Ozeans verwüstete, statistisch betrachtet keine große Seltenheit ist (Die Weihnachtsflut kam nicht wirklich überraschend), und auch ein Anschlag wie jener auf das WTC von der North American Aerospace Defense Command (NORAD) für so wahrscheinlich gehalten wurde, dass bereits vor dem 11. September Übungen für den Ernstfall durchgeführt wurden (Anschläge mit entführten Flugzeugen als Bomben waren vorstellbar).

Wie steht es um andere denkbare Katastrophen? Unternehmen wir genügend zum Kampf gegen die Ausbreitung von Infektionskrankheiten und den globalen Bioterrorismus, gegen Cyberterrorismus und gegen Gefahren, die uns durch Nanoroberter und Artificial Intelligence erwachsen könnten? Fassen wir die Gefahr einer plötzlichen globalen Erwärmung wirklich hinreichend realistisch ins Auge? Dieser Frage geht Richard Posner in seinem neuen Buch Catastrophe. Risk and Response nach - und kommt zu überraschenden Ergebnissen.

Auch wenn sie noch so realistisch gehalten sind: Science-Fiction Romane und Katastrophenfilme wie "Deep Impact", Armaggeddon, The Day after Tomorrow) oder der Terminator tragen durch ihre Verquickung von Technik-Phantasien mit religiös inspiriertem Weltuntergangsglauben dazu bei, dass wir Warnungen vor Asteroideneinschlägen, Klimakatastrophen oder einer Machtergreifung der Maschinen als lächerlich abtun. Alles nur Fantasy und Fiction!

Dies zu glauben, ist ein Fehler, meint Richard Posner. Richard Posner, Richter am U.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit, gilt als führender Kopf der Law and Economics-Bewegung und ist Autor von Büchern und Aufsätzen über geistiges Eigentum, Privacy, die Lewinsky-Affäre und die umstrittene US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2000. Posner hat nachgerechnet - und eine Kosten-Analyse erstellt, die uns nahe legt, dass wir mehr zum Schutz von Megakatastrophen unternehmen müssten, als wir das derzeit tun.

"Von Asteroid erschlagen" - so wahrscheinlich wie ein Flugzeugabsturz

Einer der Fälle, denen Posner nachgeht, ist die Gefahr, dass die Erde mit einem Asteroiden zusammenstößt. Posner schätzt, dass 1.148 Asteroide mit einem Durchmesser von einem Kilometer und mehr als möglicherweise gefährliche erdnahe Objekte ( "PHOs" = potentially hazardous near-earth objects) betrachtet werden müssen. Das persönliche Risiko, bei einem Asteroideneinschlag ums Leben kommt, wird von Wissenschaftlern, die Posner zitiert, ungefähr so hoch eingeschätzt wie die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugzeugabsturz oder bei einer Flut tödlich zu verunglücken.

So könnte es aussehen, wenn ein großer Asteroid auf der Erde einschlägt. Bild: Nasa

Statistisch betrachtet, schreibt Posner, ereigne sich alle 500 bis 1.000 Jahre ein Zusammenstoß eines PHO mit der Erde (Gewaltiger Asteroid fliegt nahe an der Erde vorbei). Selbst ein kleiner Asteroid mit einem Durchmesser von nur fünfzig Metern, wie er 1908 im sibirischen Tunguska einschlug (Was, wenn sich eine "fat banana" in unseren Planeten bohrt?), setzt eine Energie von zehn bis fünfzehn Megatonnen frei. Ein Land wie Belgien würde durch einen solchen Einschlag von der Landkarte radiert. Einige Geologen und Paleontologen glauben, dass der Einschlag eines Asteroiden mit einem Durchmesser von zehn Kilometern in Mexiko vor 65 Millionen Jahren zum Aussterben der Dinosaurierer führte. Auch die menschliche Rasse würde durch einen solchen Einschlag vernichtet werden. Mit Kollisionen dieser Größenordnung, so Posner, sei alle 50 Millionen bis 100 Millionen Jahre zu rechnen.

Ein Asteroiden-Warnsystem

Ein Einschlag alle 50 bis 100 Millionen Jahre - das ist nicht gerade häufig. Aber wenn man davon ausgeht, dass ein solcher Asteroid sechs Milliarden Menschen töten würde, und den Schaden aufs Jahr umrechnet, sieht die Sache anders aus: die erwartbare Anzahl der Todesfälle beträgt dann immerhin achtzig pro Jahr!

3,9 Millionen Dollar gibt die NASA jedes Jahr aus, um einen Katalog aller erdnahen Objekte aufzustellen. Maßnahmen zur Bekämpfung der Gefahr sind mit diesem Frühwarnsystem allerdings noch nicht verbunden: Um einen Asteroiden zum Explodieren zu bringen oder aus seiner Bahn zu werfen, bräuchte es größere militärische Anstrengungen (Sancho beobachtet Hidalgo). Gegen kleinere Einschläge allerdings könnte man sich bereits mit rechtzeitigen Evakuationen wappnen.

Die Summe von 3,9 Millionen Dollar muss man auch in Relation zum möglichen Schaden betrachten. 3,9 Millionen, rechnet Posner vor, wären zwar, quasi als Versicherung, angemessen, wenn man allein die statistisch extrem unwahrscheinliche Variante eines Einschlages ins Auge fasst, der zur Auslöschung der gesamten Menschheit führt. In dieser Rechnung aber sind noch nicht die kleineren Unfälle enthalten, die mit einer jährlichen Wahrscheinlichkeit von 1:250.000 auftreten und immerhin noch 1,5 Milliarden Menschen töten können.

Der Wert des Lebens

Die maßgebliche Größe für die Berechung der Auswirkungen von Megakatastrophen ist der Wert eines einzelnen menschlichen Lebens. Anhand von Versicherungsverträgen und von Gefahrenzulagen für besonders risikoreiche Berufe, aber auch mit Blick auf verbreitete Einstellungen gegenüber Risiken, die sich am Gebrauch von Sicherheitsgurten beim Autofahren oder am Konsum von Zigaretten ablesen lassen, beziffern US-Ökonomen diesen Wert eines Lebens auf vier bis neun Millionen Dollar. Genauer gesagt: Beträgt das Risiko, tödlich zu verunglücken, 1:1000, fordern die meisten Menschen dafür eine Kompensation von vier bis neun Millionen Dollar.

Aber im Umgang mit diesen Zahlen, erklärt Posner, ist Vorsicht geboten. Denn man kann nicht schlussfolgern, dass bei einem Risiko von eins zu einer Million sich die genannte Summe im entsprechenden Maße verkleinert. Die mathematische Funktion, welche beschreibt, mit welchem Preisschild Menschen ihr Leben versehen, ist nichtlinear. Ist das Risiko sehr groß, steigt die Summe, die verlangt wird, um das Risiko in Kauf zu nehmen, ins Unendliche. Geringe Risiken hingegen ist man bereit, auch dann zu tolerieren, wenn der Gewinn, den man dafür erhält, vergleichsweise gering ist. (Die Tatsache, dass viele Menschen nur um einer geringer Zeitersparnis halber das Risiko auf sich nehmen, bei Rot die Straße zu überqueren, zeugt davon.)

Dass unsere Präferenzen sich nichtlinear verhalten, hat eine paradoxe Konsequenz: Der Wert eines Lebens ist größer, wenn es um einen eher wahrscheinlichen Unfall, und kleiner, wenn es um einen unwahrscheinlichen Unfall geht. Vereinfacht dargestellt, belaufen sich nach dieser Rechnung die Kosten für eine extrem unwahrscheinliche Megakatastrophe fast auf Null - während der Schaden eines zwar wahrscheinlichen, aber geringeren Unfalls immens ist. Und zwar selbst dann, wenn beide Fälle, mathematisch betrachtet, äquivalent sind.

Simulation des Einschlags eines Komets oder Asteroiden mit einem Durchmesser von 1 km im Meer. 300 bis 500 Kubikkilometer Wasser würden sofort verdampfen. Der Aufschlag entspräche einer Energie von 300 Gigatonnen TNT, das wären die Zehnfache Explosivkraft aller in den 60er Jahren, dem Höhepunkt des Kalten Kriegs, vorhandenen Atomwaffen. Bild: Sandia National Laboratories

Mehr für die Asteroidenabwehr!

Mit Hilfe dieser Überlegungen lässt sich nun berechnen, welchen Schaden ein Asteroid verursacht, der mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:250.000 (d.h. alle 250.000 Jahre) auf die Erde einschlägt und immerhin noch 1,5 Milliarden Menschen tötet.

In diesem Wahrscheinlichkeitsbereich beträgt der Wert eines Lebens nach Posners Rechnung etwa zwei Millionen Dollar. Der zu erwartende Schaden durch einen Einschlag eines solchen Asteroiden beläuft sich demnach auf zwölf Milliarden Dollar. Dies bereits aber ist ein Vielfaches dessen, was allein die USA jährlich zur Abwehr von erdnahen Objekten ausgibt. Die Kosten, die eine (seltenere) Megakatastrophe von größerem Ausmaß verursachen würde, sind in der Rechnung noch nicht enthalten.

Katastrophe im Teilchenbeschleuniger

Auf ähnliche Weise geht Richard Posner ein weiteres Katastrophenszenario an: einen Unfall in einem Teilchenbeschleuniger wie dem Brookhaven National Laboratory in Long Island (RHIC) oder der geplanten Anlage am CERN in Genf (Materie und Antimaterie), bei dem es zur Entstehung von so genannten "seltsamen Quarks" oder "strangelets" kommt. Laut Martin Rees, Physikprofessor in Cambridge und britischer "Astronomer Royal", den Posner als Autorität zitiert, könnte ein "strangelet" alles, mit dem es in Berührung käme, in eine seltsame neue Form von Materie verwandeln. Ein "strangelet-Unfall", so Rees, könnte den gesamten Planeten Erde in eine hyperdichte Kugel von nur hundert Metern Durchmesser verwandeln.

Es ist unklar, wie wahrscheinlich ein solcher Unfall ist. Posner setzt das jährliche Risiko bei eins zu zehn Millionen an - einem Querschnitt der Expertenmeinungen. Der Direktor des RHIC in Brookhaven und sein Team geben eine höhere Wahrscheinlichkeit als obere Grenze an: eins zu einer Million.

Was das bedeutet, kann man sich leicht ein einem Beispiel deutlich machen: Angenommen, die Römer hätten im Jahre 400 v. Chr. einen Teilchenbeschleuniger mit diesem Risikofaktor in Betrieb genommen. Dann bestände, auf 2.000 Jahre betrachtet, eine Unfallgefahr von 1 zu 500! Ein anderes Beispiel: Ein jährliches Risiko von eins zu einer Million, dass jemand an Arsen-vergiftetem Trinkwasser stirbt, würde den USA einen Zoll von 300 Todesopfern im Jahr abverlangen.

600 Billionen Dollar kostet die Auslöschung der Menschheit

Bei einer Seltsame-Quarks-Katastrophe steht das Überleben der gesamten Menschheit auf dem Spiel. Welchen Wert soll man hierfür ansetzen?

Posner führt zwei Faktoren an, die zusätzlich zu der nichtlinearen Funktion, anhand sich der Wert eines Lebens bestimmt, zu beachten sind. Zum einen ist es eine psychologische Tatsache, dass wir Risiken, die unterhalb einer gewissen Schwelle liegen, gänzlich außer Betracht lassen - und auch außer Betracht lassen wollen. Zum anderen aber gewichten wir Risiken derselben Größenordnung, die mit besonders schauerlichen Szenarien verbunden sind, wiederum um Vieles stärker, als dies nach Maßgabe der nichtlinearen Präferenzfunktion geboten wäre. Die durch Markterhebungen dokumentierte Bereitschaft von Flugpassagieren zum Beispiel, in der Folge von 9/11 deutlich höhere Ticketpreise und aufwändigere Kontrollen zu akzeptieren, zeugt davon.

Wahrscheinlich sollte man diesen "Katastrophenfaktor" mit berücksichtigen, wenn man kalkulieren will, was die Auslöschung der Menschheit, in Geld ausgedrückt, kostet. Posner setzt trotzdem lediglich einen Mindestwert an: Er geht aus von der Summe, die sich nach der nichtlinearen Nutzenfunktion für Risiken der Größenordnung einer Seltsame-Quark-Katastrophe ergibt. Das sind 50.000 Dollar für jedes Lebens. Diese Summe verdoppelt er lediglich - weil einerseits zwar auch zukünftige Leben verhindert wird, es aber andererseits, wenn die gesamte Menschheit ausgelöscht wird, keine trauernden Hinterbliebenen gibt. Bei sechs Milliarden Menschen auf dem Planeten Erde macht das 600 Billionen Dollar (danke für den Leser, der uns darauf aufmerksam machte, dass es nicht 600 Trillionen sind, wie hier versehentlich stand). Umgerechnet aufs Jahr ergeben sich, bei einem Risiko von ein zu zehn Millionen, daraus jährliche Kosten in Höhe von sechzig Millionen Dollar.

Gewinne und Verluste

Lohnt sich bei solchen Durchschnittskosten der Betrieb eines Teilchenbeschleunigers überhaupt noch? In der Gesamtrechung müssen diese sechzig Millionen zu den jährlichen Betriebskosten (130 Millionen Dollar) hinzuaddiert werden. Außerdem kommen noch Baukosten in Höhe von 600 Millionen Dollar hinzu.

Der durch einen Teilchenbeschleuniger zu erwartende Nutzen, den man diesen Zahlen gegenüber stellen muss, lässt sich nicht klar kalkulieren: Der gesellschaftliche Gewinn ist ungewiss und der Nutzen für die Grundlagenforschung schwer zu ermessen und noch schwerer zu beziffern, da es für Forschungsresultate dieser Art nur in geringem Maße einen Markt gibt.

Aber egal: was immer auch, auf lange Sicht, der soziale Nutzen von wissenschaftlichem Fortschritt sein wird, die uns der Teilchenbeschleuniger ermöglicht: Glücklicher wird uns dieser Forschritt kaum machen (Größtmögliches Glück für alle!). Und was den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn betrifft, resümiert Posner, sollten wir uns an eine ökonomisch zurechtgebogene Version des Vorsorgeprinzips halten. Selbst bei einer Gewinnchance von fünfzig Prozent wäre kaum jemand bereit, seinen gesamten Besitz zu verwetten:

Simpel ausgedrückt: Der Schaden durch den Verlust eines Armes würde größer sein als der Gewinn, den man durch den Erwerb eines dritten Armes erzielen könnte.

Die ganze Welt der Katastrophen

Auf ähnliche Weise nähert sich Richard Posner auch anderen Katastrophenszenarien: neuen Pandemien) und im Labor gezüchteten Killerviren, die Bioterroristen frei zu Verfügung stehen, plötzlicher globaler Erwärmung, den Risiken von Nanorobotik und Artificial Intelligence, Cyberterrorismus sowie der Ausbreitung von genetisch modifiziertem Saatgut).

Nicht in jedem Fall lassen sich die Risiken, der mögliche Schaden und die Kosten, die zur Verhinderung der Katastrophe aufgewendet werden müssten, akkurat beziffern. Eine generelle Linie wird trotzdem deutlich: Selbst wenn man die Risiken so niedrig wie möglich ansetzt, wird die aktuelle Politik den Gefahren kaum gerecht. Wir müssten mehr ausgeben für die Abwendung von Asteroideneinschlägen, Bioterror, globaler Erwärmung und anderer Katastrophen, als wir dies derzeit tun. Und wir müssen die Risiken wissenschaftlicher Forschung gewissenhafter prüfen.

Dazu, so Posner, bräuchte es eine neue Form der Politikberatung, die sich auf Kosten-Nutzen-Analysen versteht. Das wäre eine Aufgabe für Juristen - wie er selbst einer ist. Dafür allerdings, betont Posner, müssten diese von ihren Vorlieben für die schöngeistigen Humanwissenschaften abgebracht und in ihrer Ausbildung stärker wissenschaftlich geschult werden. Denn genauso wenig, wie die soziale Kontrolle der Wissenschaft den Forschern selbst überlassen bleiben könne, dürfe sie wissenschaftlichen Analphabeten in die Hände gelegt werden.