Westlich von Spießern, Besitzstandswahrern und besorgten Bürgern

Seite 6: Verteidigung der amerikanischen Ideale

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Aber mit Politik kenne ich mich nicht aus, über die religiösen Überzeugungen real existierender oder frei erfundener Minister weiß ich nichts, und gute Filme sind mir lieber als die Selbstinszenierungsversuche von Politikern. In jedem Fall ironisch ist es zu verstehen, wenn Ward Bond in Wagon Master den Anführer der Diskriminierten spielt. Im echten Leben war er in der Motion Picture Alliance for the Preservation of American Ideals aktiv. Sein Freund John Wayne war seit 1949 Präsident der MPA, und Bond war seitdem so sehr mit der Jagd auf - tatsächliche oder vermeintliche - Kommunisten beschäftigt, dass ihm für Filmauftritte wenig Zeit blieb. Fords Haltung gegenüber der MPA war ambivalent. Unter dem Eindruck des sich abzeichnenden Kalten Krieges sowie der antireligiösen Sprüche linker Gruppierungen hatte der gläubige Katholik die Allianz 1944 selbst mit gegründet. In den folgenden Jahren entwickelte sich die MPA zur Speerspitze der Hexenjäger in Hollywood. Ford erlebte mit, wie aus einer Mischung aus echter Besorgnis und einer der Anbiederung beim rechten Rand dienenden Rhetorik eine Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas wurde. Er bezog Stellung gegen die rabiaten Antikommunisten in der Gewerkschaft der Regisseure (auch da war er Gründungsmitglied) wie Sam Wood und Cecil B. DeMille. Doch aus der MPA trat er weder aus, noch distanzierte er sich von ihr, obwohl da die Superpatrioten den Ton angaben, für die nur der ein Amerikaner war, dessen Familie seit Generationen in den USA lebte. Ford, dem Sohn irischer Einwanderer, konnte das nicht gefallen.

Seine Biographen gehen darauf entweder nicht ein, oder sie spekulieren über seine Motive. Ich kann der Vermutung einiges abgewinnen, dass die Mitgliedschaft in der MPA eine Rückversicherung war, die Ford, den Anhänger Roosevelts und des New Deal, davor schützen sollte, selbst auf der Schwarzen Liste zu landen. Wem das zu opportunistisch ist, dem sei die Theorie empfohlen, dass Ford in der MPA blieb, um mäßigend auf Wayne und Bond einzuwirken, die beide lieber im Filmatelier Krieg geführt hatten als an der Front und jetzt unter Rechtfertigungsdruck standen, weshalb sie es mit dem Patriotismus ein wenig übertrieben. Allerdings verliehen Mitglieder wie Ford der Allianz, einem Sammelbecken für xenophobe und chauvinistische Anti-Rooseveltianer, ein Prestige, das sie auch für Gemäßigte attraktiv machte, nicht nur für Kommunistenfresser, sie also weiter in die Mitte der Gesellschaft vorrücken ließ oder, je nachdem, die Mitte zunehmend radikalisierte. John Ford hatte einen extrem komplexen Charakter. Zwischen ihm als biographischer Person und seinem Werk besteht ein Spannungsverhältnis. Für das Zustandekommen guter Filme waren das nicht die schlechtesten Voraussetzungen.

Wagon Master

Es gibt auch die Theorie, dass Ford seine Filmarbeit nützte, um den Superpatrioten eine Lektion zu erteilen. Der von seinem Stunt-Koordinator Cliff Lyons gespielte Marshall wird zum Amüsement des Publikums zweimal abgeworfen, weil ihm Travis ein Pferd verkauft hat, das auf einen Pfiff außer Rand und Band gerät. Dieser Theorie nach landet nicht nur der oberste Polizist einer fremdenfeindlichen Stadt im Staub, sondern auch Lyons als williger Helfer von Ward Bond bei der MPA. Bond selbst hätte Ford demnach eine Lektion in Toleranz erteilt, indem er ihn als Elder Wiggs besetzte. Falls dem so war hätte Bond die Möglichkeit gehabt, dreifach von Wagon Master zu profitieren. Der ewige Nebendarsteller erhielt (1) die Chance, sich in einer tragenden Rolle zu beweisen. Mit einiger Verspätung brachte ihm das (2) 1957 ein Engagement als Star der Westernserie Wagon Train ein, wo er im Fernsehen den Treckführer spielte, bis er 1961 einem Herzinfarkt erlag wie 1949 bereits Sam Wood, Waynes Vorgänger als MPA-Präsident, der sich so in die Verfolgung des "Unamerikanischen" hineingesteigert hatte, dass er gewissermaßen in seinen Stiefeln starb (Merke: Intoleranz kann tödlich sein). Und Bond hätte seinen Auftritt als Mormone, also als Angehöriger einer diskriminierten Minderheit, (3) dafür nützen können, sein borniertes Patriotengehabe zu überdenken.

Sein Wirken in der MPA gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass Wagon Master an Bonds Selbstgerechtigkeit etwas geändert hätte. John Huston musste sich vor ihm demütigen und behandeln lassen wie ein unartiger Junge, um von der Liste mit den mutmaßlichen Kommunisten gestrichen zu werden und weiter Filme drehen zu können. Harry Carey zufolge war Bond, der Sohn eines Bergarbeiters, Fords Meinung nach ein zu Selbstkritik völlig unfähiger Emporkömmling, dem es nichts ausmachte, auf anderen Leuten herumzutrampeln, wenn ihm das ein Gefühl von Wichtigkeit gab. Ford hingegen ertränkte zwischen zwei Filmen seine Selbstzweifel im Alkohol und verbarg die eigene Verletzlichkeit unter der Maske des Regie-Raubeins, was sich bei Dreharbeiten in Grobheiten gegenüber manchen Darstellern äußern konnte. Mag sein, dass er in Bond Aspekte seiner eigenen Persönlichkeit erkannte. Er gab ihm größer werdende Rollen und lebte seinen Hang zum Sadismus an ihm aus. Man erfährt viel über Fords schwieriges Verhältnis zu sich selbst, wenn man die Charaktere betrachtet, die Bond da spielt. In The Wings of Eagles ist er sogar als Fords Alter ego zu sehen, als der Regisseur John Dodge. Am sympathischsten ist Bond als der tolerante Mormone in Wagon Master, den Ford drehte, als er mit sich selbst im Reinen war. In Fords Filmen zeigen die von Bond verkörperten Charaktere auch immer wieder die Fähigkeit zu einer tief empfundenen Empathie, die wenige so hätten spielen können wie dieser Mann, der privat ein unsensibles Trampeltier war.

Jick, Jack, Ginny and the Bean Gun

Ford ist bekannt für seine mit den Augen eines Malers eingefangenen Landschaftsaufnahmen, für die perfekt komponierten Bilder von Menschen in einer unberührt wirkenden Natur. Oft aber sind es die kleinen, scheinbar unwichtigen Momente, in denen sich der Zauber seiner Filme entfaltet. Ein Beispiel: Travis lehnt es ab, die Mormonen in ihr Gelobtes Land zu führen, weil er lieber in Crystal City seinen Spaß beim Kartenspiel haben will als sich auf ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang einzulassen. Er freut sich nicht auf die übliche Pokerrunde, sondern auf eine Partie "Jick, Jack, Ginny and the Bean Gun". Hier sollte man darauf hinweisen, dass im klassischen Western zwei Arten von Cowboys zu sehen sind. Es gibt die Schauspieler mit den Sprechrollen, die unser Bild vom "Wilden Westen" geprägt haben, und es gibt die echten Cowboys, die in Hollywood als Komparsen, Stuntmen und Doubles für die Stars unterkamen, als in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts die riesigen Weideland-Imperien der Rinderbarone zusammenbrachen und Hunderte von Arbeitsplätzen verloren gingen.

Die Wirtschaftsflüchtlinge machten die Erfahrung, dass ihre Reitkunst gefragt war, nicht ihr Wissen über das Leben eines Cowboys. Hollywood warb zwar mit dem Authentizitätsversprechen, doch in der Praxis interessierte sich kaum einer von den Verantwortlichen dafür, wie etwas wirklich gewesen war. Das besondere Hassobjekt der Cowboys war Cecil B. DeMille, der grundsätzlich seine ganz eigene Realität erschuf und sich Zurufe aus der Komparserie verbat. Ford war anders. Er hörte zu und integrierte das, was ihm die ehemaligen Cowboys zu sagen hatten, in seine Filme. Diana Serra Cary, Tochter des Stuntman Jack Montgomery und in der Stummfilmära - als "Baby Peggy" - ein Kinderstar, hat ein aufschlussreiches Buch über ihren Vater und seine Freunde geschrieben, die im sonst nicht immer kollegialen Hollywood eine verschworene Gemeinschaft bildeten. In The Hollywood Posse erzählt sie, wie bei den Dreharbeiten zu My Darling Clementine vier von den echten Cowboys bei einer Pokerrunde mitmachen sollten. Das taten sie nur widerwillig. Im Westen war das Pokern erst sehr spät populär geworden. Die geschichtsbewussten Cowboys klärten Ford darüber auf, dass man damals, zur Zeit der Handlung, fast ausschließlich das offenbar mit dem Skat verwandte "Jick, Jack, Ginny and the Bean Gun" spielte. Ford änderte die Dialoge und erinnerte sich daran, als er Wagon Master drehte.

Wagon Master

Wiggs ist es egal, ob gepokert oder sonst was wird. Die einen spielen Karten, sagt er angewidert, während andere ihr Leben aufs Spiel setzen. Eine Überblendung bringt uns in den Saloon. Travis sitzt beim "Jick, Jack, Ginny and the Bean Gun". Gerade hat er gewonnen. Der Marshall (Cliff Lyons von der reaktionären MPA) hat verloren, ist schlechter Laune und redet über Leute, die er in seiner Stadt nicht haben will, von Mormonen bis zu Pferdehändlern. Travis überlegt kurz, wirft eine Münze in das Glas, in dem die Einsätze gesammelt werden, und sagt: "Ich bin dabei." Vordergründig heißt das, dass er die nächste Runde des Kartenspiels eröffnet. Tatsächlich bedeutet es, dass er sich zu den in Crystal City nicht willkommenen Siedlern bekennt, weil sich in diesem Film die Außenseiter miteinander solidarisieren und man sich irgendwann entscheiden muss, auf wessen Seite man stehen will. Ford war der Überzeugung, dass selbst die kleinste Verrichtung ihre ganz eigene Grazie hat und der Welt ihre besondere Magie gibt. Hier ist es die Bewegung aus dem Handgelenk, mit der Travis die Münze in das Glas wirft. Wer nun einwendet, dass der Zuschauer das nicht mitbekommt: Es gibt kein Verbot, Filme öfter zu sehen. Bei Ford lohnt sich das immer. Mit jedem Sehen werden sie reicher.

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