Westlich von Spießern, Besitzstandswahrern und besorgten Bürgern

Seite 7: "I left my gal in Old Virginny …"

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In der nächsten Szene sind wir bei den Mormonen, die sich anschicken, hinaus in die Wildnis zu ziehen und erst mal etwas Musik machen, weil der Tag dann gleich viel besser anfängt. Bei den Dreharbeiten zu einem Ford-Film war das genauso. Der Mormone mit dem Akkordeon ist Danny Borzage, der Bruder des Regisseurs Frank Borzage. Jeden Morgen, wenn Ford auf dem Set erschien, spielte Danny ein Lied (meistens den Gospel-Song "Bringing in the Sheaves"). Damit begann der Arbeitstag. Dannys Kurzauftritt in Wagon Master sorgt für einen der selbstironischen Momente, die Ford oft einstreute. So wie der Wagenzug wird sich auch der Film jetzt in Bewegung setzen. Man beachte die Peitsche in der Hand von Wiggs, dem Anführer der Mormonen. Ford spielt da mit dem Bild vom strengen Zuchtmeister, als den sich manche seiner Regisseurskollegen gern sehen wollten (Cecil B. DeMille entschied sich für das Outfit eines Herrenreiters als Arbeitskleidung).

Wagon Master

Borzage stieß 1924 zu Fords Filmfamilie, beim Western The Iron Horse. Mit seinem Akkordeon sollte er die Darsteller in die gewünschte Stimmung bringen. Beim Stummfilm war das so üblich. Ford behielt diese Praxis auch nach dem Übergang zum Tonfilm bei. Vier Jahrzehnte lang spielte Borzage zwischen den Szenen auf dem Akkordeon, und er übernahm kleine Rollen. Wenn Schauspieler von Dreharbeiten mit John Ford erzählen fällt oft sein Name. Fords Filme haben auch da eine musikalische Qualität, wo nicht gesungen wird. Häufig bewegen sich die Darsteller wie zu einer nur von ihnen gehörten Melodie (man sehe sich John Wayne daraufhin an, da wird man sich wundern). Danny Borzage leistete dazu sicher einen Beitrag.

Wagon Master

Die vom Marshall gesetzte Frist ist bald abgelaufen, und die mit Gewehren bewaffnete Bürgerwehr ist da, um die Abreise der unerwünschten Besucher zu überwachen. Wiggs hält eine kurze Ansprache (Mit Gottes Hilfe schaffen wir das) und bittet Sister Ledeyard, noch einmal in ihr Horn zu stoßen, weil es nicht schaden kann, wenn die beiden jungen Pferdehändler Gott etwas zur Hand gehen würden. Als hätten sie nur auf dieses Signal gewartet, kommen Sandy und Travis angeritten. Synchron wie das Tanzpaar in einem Musical klettern sie auf ein Gatter, um von dort den vorbeiziehenden Wagentreck zu beobachten (über solche Gatter bei Ford ließe sich ein ganzes Buch schreiben). Sandy sucht wieder den Blickkontakt mit Prudence und würde Wiggs’ Angebot gerne annehmen. Hier könnte nun eine Dialogpassage folgen, in der die beiden das Für und Wider gegeneinander abwägen. Ford löst die Sache musikalisch und nützt zudem die Gelegenheit, uns einen Einblick in die Beziehung der beiden Freunde zu geben, mit einem Höchstmaß an erzählerischer Ökonomie.

Was wird wohl passieren, fragt Sandy, wenn die Mormonen die Wüste erreichen? Wir haben sie gewarnt, meint Travis, und es gibt einfachere Möglichkeiten, Geld zu verdienen als den, die Siedler durch die Wildnis zu führen. Ein "Selber schuld" und "Wir haben es ja gleich gesagt" passt aber nicht zu diesen beiden. Sie lächeln sich kurz an, dann stimmt Sandy die erste Zeile eines Liedes an, das von einem Mann handelt, der seine Liebste verlässt, weil er sich einem Wagentreck anschließt (in Wagon Master wird das zur Liebsten führen, nicht weg von ihr): "I left my gal in Old Virginny …". Travis antwortet, auch singend: "… fell in 'hind the wagon train." Sandy: "Another I left in Old Missouri …". Travis: "... fell in 'hind the wagon train." Damit ist das abgemacht. Die Freunde werden die Mormonen in das Gelobte Land bringen. An dieser Stelle hätte man eine Grundsatzrede über christliche Werte einfügen können, oder sonst ein paar pompöse Statements über Volk und Vaterland, für die Hollywood gern mal einen Oscar vergibt. Ford-Helden ist so etwas ein Graus. Travis und Sandy helfen, weil die Mormonen es ohne sie nicht schaffen würden. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Wagon Master

Zu einer Instrumentalversion des "Chuckawalla Swing" galoppiert Ben Johnson, der beste Reiter von Hollywood, an den Planwagen vorbei, springt auf seinem Pferd Steel über das Gatter und nimmt seinen Platz an der Spitze des Trecks ein - nicht allein, als klassischer Westernheld, sondern an der Seite von Elder Wiggs, weil das ein Film über das Bilden einer auf Respekt und Solidarität gegründeten Gemeinschaft ist (als Gegenentwurf zur dumpfen Welt der Spießer in Crystal City). Und weil Ford keine idealisierten Helden in weißer Rüstung mag erinnert Travis den Mormonen daran, dass er ihm pro Pferd 50 Dollar schuldet. Der Wucherpreis ist geblieben. Ein Geschäftsmann nimmt mit, was er kriegen kann.

Yipie I oh

Wiggs und Travis besiegeln per Handschlag die Abmachung zwischen den Mormonen und ihren neuen Treckführern, dann schwenkt Wiggs seinen Hut und ruft ein zweifaches "Wagen westwärts". Der "Chuckawalla Swing" geht in die Melodie von "Wagons West" über, und die Sons of the Pioneers singen dieses Lied, während die Siedler einen Fluss überqueren: "Wagons West are rollin’/Out where winds are blowin’/'Cross mountains and plains/Through sand and through rain/Rolls the mighty wagon train ..." Um das mit diesen Vier- oder gar Sechsspännern bewältigen zu können brauchte man erstklassige Fuhrleute. Da ist nichts getrickst, und vorher proben konnte man das sowieso nicht. Für solche Sequenzen wählte Ford mit traumwandlerischer Sicherheit die optimale Position der Kamera aus (in Absprache mit dem Kameramann oder zur Not auch gegen ihn), den Schauspielern und Stuntmen gab er ein paar allgemein gehaltene Regieanweisungen, dann ließ er den Dingen ihren Lauf. Darum ist das so lebendig.

Wagon Master

Wenn Travis, Sandy und die Mormonen den Fluss überschreiten bringen die Strahlen der Sonne das Wasser zum Funkeln. Wer würde da dem matt gewordenen Glanz von Crystal City nachtrauern? Und wer außer Ford hätte es geschafft, sattsam bekannte Westernszenen mit einer so unaufdringlichen Leichtigkeit in ein Musical zu verwandeln? Leider trug dieser Aspekt des Films dazu bei, dass ihn die Mehrzahl der Kritiker, die Wagon Master in den frühen 1950ern zur Kenntnis nahmen, erst recht in die Pfanne haute. Viele Zeitgenossen, besonders die sich intellektuell dünkenden unter ihnen, fanden die Musik unerträglich. Inzwischen hat sich das auf eine seltsame Weise umgedreht. Heute kann man oft lesen, dass die Musik und die Lieder zur Authentizität von Wagon Master beitragen. Genau so war er, der Wilde Westen, ist dann der Tenor. Da hätte Ford sich bestimmt gewundert.

Wagon Master

Stan Jones hätte es verdient, als ein früher Vertreter der Ökologie-Bewegung entdeckt zu werden. Als Ranger im Death-Valley-Nationalpark war er mit den Folgen der Umweltverschmutzung konfrontiert und thematisierte das in seinen Texten. Bekannt aber wurde er mit Liedern für Wildwest-Nostalgiker. Mit (Ghost) Riders in the Sky war ihm kürzlich ein Megahit gelungen. Für Wagon Master schrieb er vier Songs, die auch mehr zur "Yipie I oh, yipie I ay"-Variante der Country- und Westernmusik gehören als in die Sparte "Traditionelle amerikanische Populärkultur des 19. Jahrhunderts", zumal sie von den Sons of the Pioneers interpretiert werden. Die sehr beliebten Sons hatten sich auf weichgespülte, mitunter klagende Versionen von Cowboyballaden spezialisiert. Das ist eingängig und populär, viele ihrer Aufnahmen sind zum Oldie geworden, aber es ist in etwa so "traditionell" wie das, was im friedlich entschlafenen Musikantenstadl der ARD dargeboten wurde. Volksmusik-Puristen rümpfen da die Nase. Ford wusste das genau. Bei einem seiner Biographen habe ich gelesen, dass er von "Riders in the Sky" begeistert war und darum unbedingt ein paar Songs von Jones haben wollte. Alles andere sei ihm egal gewesen. Das verkennt, dass die vier Lieder Stimmungswechsel einleiten und - ganz wie im Musical - so in die Handlung integriert sind, dass sie diese kommentieren und zum Verständnis beitragende Informationen liefern. Da wird nicht einfach nur gesungen, damit die Zeit vergeht oder die Merchandising-Abteilung ein paar Schallplatten verkaufen kann.

Der Bariton, den man da hört, ist Ken Curtis. Fords Tochter Barbara sah ihn im Tonstudio, als die Sons die Lieder von Stan Jones aufnahmen, war fasziniert und glaubte, den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Die daraus resultierende Ehe hielt offiziell bis 1964 und war nicht besonders glücklich. Curtis übernahm fortan kleine Nebenrollen in den Filmen seines Schwiegervaters. Wenn ein Kavallerist, ein Cowboy oder auch mal ein Ire ein Lied singt ist das meistens Ken Curtis. Ältere Semester werden ihn als den Hilfssheriff Festus Haggen in der Fernsehserie Gunsmoke (Rauchende Colts) kennen. James Arness alias Matt Dillon, in Gunsmoke der Marshall von Dodge City, wurde einer der reichsten Männer Hollywoods, weil er seine Gage sehr geschickt investierte. In Wagon Master ist er einer von den Banditen.

Stan Jones und die Sons of the Pioneers sind perfekt gewählt, weil das genau die Westermusik ist, die damals aus dem Radio kam. Wer sich an der mangelnden Authentizität stört liegt völlig richtig, hat aber die Intention missverstanden. "A hundred years have gone since 1849, but the ghostly wagons rollin’ west are ever brought to mind ...", singen die Sons beim Überqueren des Flusses. Das verankert Wagon Master im Jahr 1949, als der Film gedreht wurde, in einer Zeit des Kalten Krieges und der Paranoia, als Amerika immer intoleranter und paranoider wurde. Ford wollte einen Film über die Gegenwart machen, nicht ein Museum mit irgendwie "authentischen" Versatzstücken aus der Pionierzeit auf die Leinwand bringen (vgl. dazu den genialen Romananfang von Kim, und was sich daraus entwickelt). Die Regierung Truman hatte Sicherheitsgesetze verabschiedet, die vor inneren und äußeren Feinden schützen sollten, aber in erster Linie die Atmosphäre vergifteten und die Bürgerrechte aushöhlten. Ford hatte das anfangs befürwortet, unter dem Eindruck von Schnüffelei und Denunziation in Hollywood jedoch umgedacht. Anders lassen sich der Marshall und seine Hilfspolizisten nicht deuten. Im Drangsalieren ungefährlicher, aber von der Norm abweichender Amerikaner sind sie gut. Im Kampf gegen eine echte Bedrohung, die Mörderbande der Cleggs, versagen sie.

Aus dem Balladieren der Sons hätte leicht ein Amerika und seine Werte verklärender Wildwestkitsch werden können. Der für die Arrangements zuständige Richard Hageman unterläuft das, indem er im richtigen Moment musikalische Kontrapunkte setzt, mit die Harmonie störenden Streichinstrumenten oder Gitarren. Ein mit dem Kitsch eng verwandtes Pathos will auch nicht recht aufkommen, weil Ford die Liedtexte mit ironisierenden Bildern kombiniert. "Wagons West are rollin’", singen die Sons of the Pioneers, "[...] and their thunder echoes in the sky." Aber der "mächtige Wagentreck" des Liedes besteht im Film aus sechs bis maximal zehn Fuhrwerken. Einen Treck, dessen Donnern vom Firmament widerhallt, stellt man sich doch irgendwie monumentaler vor. Wo Stan Jones ins Mythische entschwebt, bleibt Ford mit beiden Beinen auf der Erde. Dem Gefühl, dass man da dem Aufbruch in ein neues Leben beiwohnt, und der Schaffung einer neuen Gesellschaft, tut das keinen Abbruch.

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