Wird Saddam Hussein der Prozess gemacht?
Zur rechtsstaatlichen Nachjustierung präventiver Kriege und den Lehren aus dem Milosevic-Prozess
Amerikas Zweiklassen-Justiz auf internationaler Ebene ist bekannt (US-Bürger und Alliierte sollen auch mit Gewalt vor dem Zugriff des Internationalen Gerichtshofs geschützt werden). Nicht einmal die Erklärung Mikronesiens, amerikanische GI's nicht an einen künftigen Internationalen Strafgerichtshof auszuliefern, war Amerika zu mickrig, um auf der eigenen Souveränität vor diesem Gericht zu beharren. Immerhin will man sich aber zur Legitimation der eigenen Machtpolitik auch das Instrument einer Aburteilung der bösen Widersacher erhalten. Nach neuesten Ideen der Bush-Regierung soll Saddam Hussein nicht nur besiegt, sondern auch abgeurteilt werden. Der Vorschlag tauchte bereits im März 2002 in der New York Times auf und stieß auf Wohlgefallen bei der US-Regierung. Dort wird bereits eifrig Beweismaterial gesammelt, um die Anklageschriften gegen den demokratischen Diktator, dessen missratene Menschenschinder-Söhne und den unter dem nom de guerre "Chemical Ali" bekannten Ali Hassan al-Majid vorzubereiten (Gerechtigkeit im befreiten Irak). Letzterer, Cousin von Saddam und früherer Offizier im Norden Iraks, soll einer Tonbandaufzeichnung zufolge über die Kurden gesagt habe: "Ich werde sie alle mit chemischen Waffen töten." 18 Tonnen von irakischen Dokumenten wurden in Kurdistan gesichert und in die Vereinigten Staaten gebracht.
Selbst wenn der Tyrannenfang gelingen sollte, ist es aber aus zwei Gründen unwahrscheinlich, dass Saddam Hussein Zellennachbar von Slobodan Milosevic wird. Projektiert ist gegenwärtig ein mit internationalen Juristen besetztes Tribunal, das nicht in Den Haag, sondern im Nachkriegs-Irak der Rechtspflege nachgeht.
Verfahrenshindernisse im Schauprozess
Doch dieser geplante Prozess könnte noch aus einem anderen Grund früher oder später platzen. Das Verfahren gegen den Zaren von Belgrad steht vielleicht in diesen Tagen vor dem Aus. Der Vorsitzende Richter May will zügig zum Ende kommen, da der Gesundheitszustand des Angeklagten ernsthaft angeschlagen ist. Milosevic leidet an gefährlichem Bluthochdruck. Der Verfahrensstress lässt ernsthafte Befürchtungen eines Herzinfarkts aufkommen. Es könnte also sein, dass schon bald die Verhandlungsunfähigkeit des roten Monarchen erreicht ist und dann wäre der Prozess erledigt.
Verfahrenshindernisse dieser Art sind bei so komplexen Geschichtsrevisionen kein Zufall, sondern liegen in der Natur der Sache. Prozesse in Form einer politischen Generalabrechnung drohen immer zu unendlichen Geschichten zu werden, wenn eine Unzahl von Zeugen, Dokumenten, Sachverständigen, von Klägern und Verteidigern involviert sind. Verfahren eben, die einen hohen rechtsstaatlichem Standard voraussetzen, wenn sie nicht in der Farce der Siegermoral enden sollen. Die Prozessstrategie des Angeklagten kann nur darin liegen, die Prozesse zu verzögern, weil ihr Ergebnis aller Wahrscheinlichkeit nach mehr oder minder feststeht. Was am Anfang noch klar und deutlich erscheint, verändert aber im Laufe des Verfahrens sein Gesicht. Die sauberen Sieger werden in den Prozess hineingezogen und der Rollentausch von Klägern, Anklägern und Zeugen, den die internationale Presse längst im Fall der Anklage gegen Milosevic vermerkt, ist nicht mehr abzuwenden (Der Angeklagte als Ankläger). Offensichtlich sträubt sich eine global verschlungene Politik immer wieder erfolgreich dagegen, im Nachhinein mit der rechtlichen Elle vermessen zu werden.
Milosevic ist seit Anbeginn des Verfahren ein unbotmäßiger Angeklagter. Der Löwe von Belgrad kämpft auch im vermeintlichen Untergang und vielleicht wendet sich das Schicksal nun in dem ursprünglich auf zwei Jahre veranschlagten Verfahren. Statt der propagandistischen Veranstaltungen im Stil des Freisler'schen Volksgerichtshofs oder der kafkaischen Justizmühlen Stalins entsteht ein Schauprozesstypus sui generis, aufgeheizt von öffentlicher Aufmerksamkeit und heterogenen politischen Positionen, die zum wenigstens ein rechtsstaatliches Verfahren befrieden kann (Slobodan - Superstar). Im Justizdschungel von Zeugen, die ihr eigenes politisches Süppchen kochen, von Propagandawahrheiten auf beiden Seiten, vor allem aber von schwer nachweisbaren Befehlsketten, jenen der Mafia nicht unähnlich, wo eine beiläufige Bemerkung das Todesurteil über Menschen verhängt, wird die Wahrheit zum historischen Restposten.
Milosevic ist selbst Jurist, er bewegt sich in Den Haag in seinem Element. Zuletzt nahm er den als Zeugen erschienenen kroatischen Präsidenten Mesic in das Kreuzverhör. Allein, wie das Gericht ihm vorwarf, um seine Sicht der Dinge über die Kriege in Kroatien und Bosnien zu beweisen. Strafprozesse setzen ein Minimum an "Unterwerfungsbereitschaft" des Angeklagten voraus, wenn die Justiz ihren gestrengen Lauf nehmen soll. Milosevic ist indes kein zerknirschter Mann, sondern einer, der die Öffentlichkeit seines Prozesses, die medialen Erregtheiten um seine Person genießt und ausnutzt. Wird er nun von der Krankheit eingeholt, würden er und seine Anhänger das wohl endgültig als prozessualen Endsieg verbuchen.
Ein Prozess gegen Hussein könnte in dem Fiasko eines unendlichen Rückgriffs auf Schuld und Mitschuld, internationale Verstrickungen und Verlogenheiten münden
Was verheißen solche Auspizien für einen Prozess gegen Saddam Hussein? Amerika will nicht nur den Sieg, sondern auch die Moral, die den Sieg über das Böse erst vollkommen macht. Eine über dem Recht schwebende Moral wird, wenn es denn opportun ist, mit Gerechtigkeit kräftig nachglasiert. Der Krieg als schnödes Instrument der Selbstvollstreckung würde dann im internationalen Gerichtsverfahren rezivilisiert (Von der juristischen Austreibung des Kriegs). Saddam Hussein als Angeklagter vor einem internationalen Tribunal bleibt eine schwer vorstellbare Fantasie. Traditionell entziehen sich Tyrannen durch Selbstmord oder Flucht der Justiz. Selbst Pinochet, der sich vorübergehend in der juristischen Mausefalle verfing, konnte der fragilen Weltgerechtigkeit auf Krankenschein entkommen, obwohl die Beweise erdrückend waren. Attentate auf Tyrannen sind eine weitere Variante der Geschichtsentsorgung, die auch bereits in Amerika angedacht wurde, um sich diverse Peinlichkeiten eines Gerichtsverfahrens zu ersparen.
Was wären im Fall von Saddam Hussein die Anklagepunkte? Der Bau und der Besitz von Massenvernichtungsmitteln mag eine internationale, letztlich aber relativ kalkulierbare Gefahr sein. Strafbar wäre das nicht per se, wenn der Vorsatz ihres unrechtmäßigen Gebrauchs nicht nachweisbar ist. Bisher ist die Vorbereitung von irakischen Angriffskriegen über das Stadium einer amerikanischen Fiktion nicht hinausgekommen. Saddam Hussein könnte also vornehmlich für seinen Überfall Kuwaits und die Verfolgung und Ermordung oppositioneller, insbesondere kurdischer Bevölkerungsgruppen zur humanitären Rechenschaft gezogen werden. Abgesehen davon, dass eine späte Abrechnung mit diesen Untaten nicht ausschließlich glaubwürdig wäre, sind diese Taten aber nicht der Grund für einen Präventionskrieg der USA (Zur neuen Präventionsmoral alter Krieger; Die amerikanische Abseitsfalle). Amerika hat seit Jahren keine humanitäre Ermächtigungsgrundlage reklamiert, die im Fall des Kosovo bestand und nach Auffassung von Völkerrechtlern legitim war. Den USA wird von Saddams Gegnern ein jahrelanges Desinteresse an der humanitären Situation im Irak vorgeworfen. Die Verfolgung von irakischen Oppositionellen und unbotmäßigen Ethnien wäre daher lediglich ein sekundäres Begründungsmoment in der sehnlichst erwünschten Demontage des Tyrannen.
Ein Prozess gegen Saddam Hussein könnte sich unter den gegenwärtigen Eindrücken des Milosevic-Prozesses, der trotz aller Widerstände des Angeklagten juristisch einfacher zu führen ist, zum Fiasko eines unendlichen Rückgriffs auf Schuld und Mitschuld, internationale Verstrickungen und Verlogenheiten entwickeln. Auch im Fall des Herrn von Bagdad könnte sich die Frage stellen, wer schließlich wem den Prozess macht?
Die Vorzüge eines Militärtribunals, das Angeklagtenrechte etwa im Fall von Terroristen großzügig beschneidet, kann man sich in Sachen "Anständige Welt ./. Saddam Hussein" schon deshalb nicht leisten, weil der ohnehin lauernde Vorwurf der Siegermoral einen solchen Prozess im Rohr krepieren lassen würde (US-Regierung denken über Militärverwaltung im Irak nach). Amerikas nicht ganz uneigennützige Weltsicherungsmaßnahme, die mit reichlich Öl geschmiert werden soll, würde dann die Aufmerksamkeit erfahren, die bisher im Gedröhne der angeblichen Gefahren für die ganze Menschheit noch notdürftig übertönt wird. Wäre Saddam Hussein als Angeklagter gefährlicher, als er es als international isolierter Imperator je war, weil seine Verlautbarungen ohnehin nur als Lügen und Lächerlichkeiten abgetan werden konnten? Was hat Saddam Hussein über Amerikas vormals großzügige Militär- und Wirtschaftshilfe an den Irak zu erzählen (Der Irak, die USA und die Massenvernichtungswaffen)? Wie lautet die ganze Wahrheit über die Mutation des "he is a bastard, but he is our bastard" zum satanischen Oberhasser Amerikas?
Saddams Nähkästchen seiner vormals innigen Beziehungen zu den USA könnte in einem Prozess mehr als ein nur propagandistisches Pulverfass sein, das Bush und den Seinen nach ihrem gerechten Krieg um die Ohren fliegt. Vielleicht aber steigt auch Saddam Hussein solidarisch in die Hölle ab, bevor ihm die Anklageschrift zugestellt werden kann. Präsident Bushs Weltbild würde dadurch keinen Schaden erleiden.