Ein neuer unstressiger Stresstest

Auch beim angekündigten Stresstest von Atomkraftwerken bleibt die Atomlobby strahlender Sieger

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Man kennt sie ja schon, die wenig stressigen Stresstests im Bankensektor. Sie waren weder in den USA noch in der EU das Papier wert, auf denen die Ergebnisse veröffentlicht wurden. Dass nicht einmal die Banken in Irland als Absturzkandidaten entdeckt wurden, die kurz danach das ganze Land mit in den Abgrund gezogen haben, ist bekannt. Das könnte ein warnendes Beispiel sein, doch in Brüssel ist man offenbar lernresistent. Deshalb droht ein ähnliches Desaster auch in Bereichen außerhalb der Kernschmelze im Finanzsystem. Ein solches Manöver, das nur als Beruhigungspille für die Öffentlichkeit dient, soll auch bei den Atomkraftwerken in Europa wiederholt werden.

Während man im japanischen Fukushima den Super-Gau noch nicht im Griff hat, wo noch immer die hochradioaktive Brühe aus den zerstörten Meilern suppt und man zudem noch an anderen Standorten mit Problemen zu kämpfen hat, da rudert man in Europa deutlich zurück, was die zunächst angedrohten Prüfungen der europäischen Meiler angeht. Schließlich ist die Katastrophe mittlerweile zum Normalzustand geworden und die Scheinwerfer der Medien wurden inzwischen an anderen Stellen aufgebaut. So berichtet die Süddeutsche Zeitung heute mit Bezug auf Kreise im Umfeld von EU-Energiekommissar Günther Oettinger, dass auch die angekündigten strengen Tests der Atomkraftwerke den Brüsseler Weichspülgang passiert haben und nun eher stressfrei für die Betreiber ausfallen sollen.

Von den Beschlüssen der europäischen Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel Ende März, die etwa 150 Reaktoren in Europa auf neue Szenarien zu überprüfen, bleibt demnach nichts übrig. Vereinbart worden war, die Meiler darauf zu testen, ob Stromversorgung, Kühlung und zusätzliche Aggregate nach Terrorangriffen, menschlichen Bedienfehlern oder in unverhofften Notsituationen noch sicher funktionieren. Damit sollte auf ohnehin längst bekannte Gefahrenfelder geprüft werden, weshalb die Überschrift in der Zeitung irreführend ist: "EU kippt strenge Reaktor-Tests".

Strenge Tests wären es, wenn man alle Atomanlagen auf alle möglichen Gefahren abklopfen würden und dabei große Puffer angelegt werden müssten. Die Tornados in den USA haben zum Beispiel ein neues Feld offen gemacht und auch brechende Staudämme und viele andere Gefahren müssten einbezogen werden. Zudem müssten auch Zwischen- und Endlager entsprechend geprüft werden. Endlager gibt es freilich noch keines - und wenn man sich anschaut, was im "Versuchsendlager" Asse läuft (Hohe Radioaktivität in der Asse), müsste man ja eigentlich alle Meiler sofort abschalten. Schließlich gibt es ausgerechnet für den gefährlichsten Müll keinen Entsorgungsnachweis, den man aber für sein Altauto genauso braucht wie eine Versicherung, welche mögliche Schäden abdeckt.

Die Atomfreunde in Frankreich und Großbritannien wissen, dass schon bei den geplanten Prüfungen etliche Meiler als unsicher eingeschätzt werden würden, weshalb sie sofort vom Netz gehen müssten. Dass zum Beispiel der französische Altreaktor Fessenheim vor Terrorangriffen nicht geschützt ist (ohne auch nur an Angriffe mit Flugzeugen zu denken), ist seit Jahren bekannt (Warum schmutzige Bomben bauen?). So ist nicht verwunderlich, wenn die Zeitung berichtet: "Informationen aus der EU-Kommission zufolge dringen vor allem Frankreich und Großbritannien auf abgeschwächte Tests." Frankreich stellt mit 59 Reaktoren den Großteil und Großbritannien ist immerhin noch mit 19 vom gefährlichen Strom abhängig.

Angeblich sollen nun auf Vorschlag der Vereinigung der Westeuropäischen Aufsichtsbehörden die Reaktoren nur noch "daraufhin überprüft werden, ob sie Naturkatastrophen wie Erdbeben, Flutwellen oder extremen Temperaturschwankungen standhalten". Und wie üblich sollen offenbar auch bei den gefährlichen Atomkraftwerken die Böcke auch noch zum Gärtner gemacht werden, die immer wieder Störfälle in ihren Anlagen verschwiegen oder geschönt haben. Es sollen die Betreiber sein, die nun nur noch einen "Bericht zu möglichen Gefahren verfassen und an die Kommission senden", berichtet die Zeitung weiter.

Papier ist geduldig. Aber auf derlei Stresstest sollte man, der Umwelt zuliebe, lieber gleich ganz verzichten, was auch billiger wäre. Dafür braucht man kein Papier und kein Geld zu verschwenden. Dass London aber nicht einmal die Ergebnisse dieser "Tests" veröffentlichen will, lässt tief blicken. In britischen Atomkraftwerken geht es offenbar so zu, wie in dem Reaktor, in dem Homer Simpsons in Springfield tätig ist. Da es auch hier nicht um die Sicherheit der Bevölkerung gehen soll, wundert man sich auch nicht mehr, dass nach dem Brüsseler Vorhaben nicht einmal "unabhängigen EU-Fachleuten" Zutritt zu den Reaktoren gewährt werden soll. Die EU-Kommission gibt sich wohl schon damit zufrieden, wenn sie auch nur die Genehmigungsunterlagen einsehen kann und über Lizenznehmer aufgeklärt wird.

Die Kernenergie und Finanzbranche werden also weder effektiv reguliert noch geprüft

Sie sind zu "Too big to fail", wie sich auch in Japan gerade zeigt ("Too Big to Fail" nun auch für Energieunternehmen?). Dass beide Sektoren fähig sind, sogar entwickelte Industriestaaten zu ruinieren, sollte anhand der Milliardensummen klar sein, die eine Kernschmelze in einem Reaktor oder im Finanzsektor kosten. Da in beiden Sektoren die Gewinne stets privatisiert und die Verluste stets sozialisiert werden, droht Japan inzwischen in die Staatspleite abzugleiten (Von der Kernschmelze zur Staatspleite?). Angesichts der Brüsseler Vorhaben, kann nur eines festgestellt werden: Nach der Kernschmelze ist vor der Kernschmelze.

Das hatte unlängst sogar der Internationale Währungsfonds (IWF) für die Finanzbranche festgestellt. "Lediglich an den Symptomen der Kernschmelze im globalen Finanzsystem" sei herumgedoktert worden sei. Angesichts der fehlenden Regulierung, meinte der IWF, werde die "Saat für die nächste Krise gesät". In Brüssel wird derweil wohl gerade auch alles getan, um auch einer Kernschmelze in einem Atomkraftwerk in Europa den Weg zu bereiten. Nach Harrisburg in den USA, Tschernobyl in der früheren UDSSR und Fukushima in Japan rückt nun Europa nach vorne.

Im schwedischen Forsmark reichte dazu sogar fast schon ein simpler Stromausfall aus ("Forsmark ist der Normalfall"). In Spanien laufen zudem noch zwei Fukushima-Reaktoren. Einer ist sogar noch älter als die havarierten japanischen Blöcke. Deren Probleme mit der Notkühlung sind aber sogar schon im Design angelegt, wie seit 1971 bekannt ist. Im spanischen Ascó sind auch gerade bei einem Störfall wieder 14 Arbeiter verstrahlt worden, als 25.000 Liter radioaktiv verseuchtes Wasser aus dem Kühlkreislauf ausgetreten ist und knöcheltief Reaktorgebäude stand. Was genau passiert ist, wissen die Betreiber nicht.

Doch die sind es, die nach Ansicht der EU die Sicherheitsberichte für die "Stresstests" verantwortlich sein sollen. Sie sind es auch, die gerne Störfälle verheimlichen oder beschönigen (Unfallserie und Vertuschung in spanischen Atomkraftwerken) und deshalb sogar zu einer "Rekordgeldstrafe" verurteilt wurden, die sie aus der Portokasse bezahlen können, anstatt ihnen die Betriebsgenehmigung zu entziehen. Dass sich auch Sprengkommandos leicht Zugang zu Reaktoren verschaffen können, hat Greenpeace auch längst demonstriert (Greenpeace besetzt spanisches Atomkraftwerk). Man kann also nur hoffen, dass Islamisten nach der Ermordung von Bin Ladin nicht die schmutzigen Bomben ins Visier nehmen, die überall in Europa herumstehen. Dann würde es wohl nicht bei 191 Toten bleiben, wie bei den Anschlägen 2004 in Madrid. Fukushima dürfte ihnen gezeigt haben, wo die Achillesferse der westlichen Staaten ist.