"Stellen wir uns das Frankreich danach vor"

Vier Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich zeichnet sich ein Dreikampf ab

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Neben dem konservativen Nicolas Sarkozy und der Sozialistin Ségolène Royal werden auch dem Zentrumsdemokraten Francois Bayrou Chancen eingeräumt, nach dem 22. April in die Stichwahl am 5. Mai zu kommen. Dann hätte Bayrou nach Umfragen sogar mehr Chancen sich gegen Sarkozy durchzusetzen als Royal. Doch die Meinungsforscher sind nach dem Debakel 2002 vorsichtig, als es der rechtsradikale Jean-Marie Le Pen, zu deren Überraschung, in die Stichwahl schaffte. Bei 12 Kandidaten, unter denen sich auch der Globalisierungsgegner José Bové befindet, kommt es auf der Linken zu einer Aufsplitterung der Stimmen, die vor allem der Rechten nutzt. Dass die Parti Socialiste (PS) die umstrittene und zur Parteirechten gehörende Royal Sieg für die Mausklickdemokratie? aufgestellt hat, unterstützt die Zersplitterung, weil sie für viele Linke unglaubwürdig ist.

"Das sind nicht die neuen elektronischen Wahlurnen". Bild: franciavota.blogspot.com

Nun will sich Nicolas Sarkozy ganz dem Wahlkampf widmen. Am vergangenen Mittwoch hatte der französische Staatspräsident Jacques Chirac den Rücktritt seines Innenministers für diesen Montag angekündigt. Damit soll der Kritik der Opposition begegnet werden, wonach Sarkozy seinen Posten für seine Kandidatur missbrauche.

In der Fernsehansprache warb Chirac, wenn auch leidenschaftslos, für Sarkozy. Der Noch-Präsident, der auf eine erneute Kandidatur verzichtet hat, würdigte dessen "Arbeit, Engagement und die Resultate, die er als Innenminister erzielte". Mit der Gründung der "Union für eine Volksbewegung" (UMP) vor fünf Jahren, der Sarkozy vorsteht, habe Chirac die Modernisierung des Landes vorantreiben wollen. Da die UMP sich in "ihrer Vielfalt" für Sarkozy als Kandidaten entschieden habe, sei es "nur natürlich, ihm seine Stimme und seine Unterstützung zu gewähren", sagte Chirac.

Ob diese Würdigung Sarkozy im Wahlkampf hilft, darüber ist der sich selbst wohl nicht so ganz im Klaren. Seit 1995 sind die Beziehungen zwischen den beiden schlecht, weil Sarkozy Chirac im Regen stehen ließ und einen seiner Rivalen unterstützte. Sarkozy hat sich inhaltlich schon von Chirac distanziert und einen politischen Bruch angekündigt, wenn er zum Präsident gekürt wird. Er macht Chirac unterschwellig für das Scheitern bei der Modernisierung des Landes verantwortlich und versucht sich in einem politischen Spagat: Er präsentiert sich gleichzeitig als Kandidat der Kontinuität und der Erneuerung.

Chirac ist seit 1995 nicht gelungen, den sozialen Riss zu kitten, der auch in Frankreich immer breiter in der Gesellschaft klafft. In den zwölf Jahren unter seiner Präsidentschaft hat sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet. Knapp vier Millionen Franzosen leben in Armut. Mit 8,6 % ist die Arbeitslosenquote hoch und Jugendliche unter 25 Jahren sind sogar zu 23 % arbeitslos. Doch auch in Frankreich schützt selbst Arbeit nicht vor Armut, denn jeder sechste Job wird nur mit dem Mindestlohn von 1250 Euro bezahlt.

Auch wegen der Kritik an Chirac gehen gut unterrichtete Kreise davon aus, dass Sarkozy frühzeitig den Ministersessel räumen musste. Dafür sei Chirac allein verantwortlich, wird gemunkelt. Erwartet wird, dass Chirac in den beiden Büchern, die kommenden Freitag veröffentlicht werden, seine Kritik an Sarkozy deutlich machen wird. Bekannt ist, dass er in "Mein Kampf für Frankreich" und "Mein Kampf für den Frieden" Sarkozys Liberalismus als "allerletzte Ideologie" verurteilt.

Nach neuesten Umfragen fällt Sarkozys Stern in der Wählergunst nun wieder. Noch am 22. März hatten unter anderem die Meinungsforscher von Ipsos ihm einen klaren Vorsprung prognostiziert. Nach einer neuen Umfrage, die das "Institute CSA" für die Zeitung Le Parisien durchgeführt hat, hätte die Sozialistin Ségolène Royal erstmals nach zehn Wochen wieder zu dem Konservativen aufgeschlossen. Beide lägen demnach nun bei 26 % gleich auf. Sarkozy hätte drei Prozentpunkte im Verhältnis zur letzten CSA-Umfrage verloren, während Royal drei Prozent hinzugewinnen konnte. Nach dieser Umfrage könnte die Präsidentin, der am Atlantik gelegenen Region Poitou-Charentes, die vor der Nominierung durch eine Abstimmung in der PS weitgehend unbekannt war (Ségolène Superstar), in der Stichwahl am 6. Mai den Konservativen sogar besiegen.

Allerdings müssen die Umfragen mit Vorsicht genossen werden, das zeigen schon die großen Schwankungen in den letzten Monaten an, die in der Zusammenstellung auf den Webseiten von Le Monde gut nachvollzogen werden können. Die Tatsache, dass noch etwa 40 % der Wähler unentschlossen sind, macht klar, dass ohnehin noch alles offen ist und auch diese Wahlen wieder für Überraschungen gut sein können.

Eine Überraschung könnte Francois Bayrou sein. Denn der Kandidat der "Union für die französische Demokratie" (UDF) hält sich hartnäckig in den Umfragen bei 20% auf dem dritten Rang. 1998 verwandelte der Zentrumspolitiker, Sohn eines Bauern im südwestfranzösischen Bearn, das Bündnis christdemokratischer und liberal-bürgerlicher Parteien in eine einheitliche Partei und verweigerte später die Fusion der UDF mit der UMP. Bei den Präsidentschaftswahlen 2002 erhielt er knapp 7 % der Stimmen im ersten Wahlgang. In Paris machte er als Erziehungsminister 1994 die Bekanntschaft mit dem Volkszorn. Sein Vorhaben, das öffentliche Schulsystem in Frankreich zusammenzulegen, versenkten Millionen Franzosen mit massiven Demonstrationen, ähnlich wie sie vor einem Jahr die umstrittene Arbeitsmarktreform für Jugendliche (CPE) gekippt haben (Staatsbegräbnis für das umstrittene Arbeitsgesetz).

Angst vor einem Law&Order-"Sarkoland"

Würde es Bayrou in die Stichwahl schaffen, könnte er sowohl gegen Royal als auch gegen Sarkozy gewinnen, sagen die Meinungsforscher. Im Fall von Sarkozy hängt das mit dem Unbehagen zusammen, das der Hardliner bei vielen Franzosen erzeugt. "Stellen wir uns das Frankreich danach vor", ist der Slogan im Wahlkampf seiner UMP. Viele haben Angst davor, dass sich das Frankreich in ein "Sarkoland" verwandelt. Das drückt sich deutlich in einem Bild aus, das derzeit die Mailboxen füllt, in vielen Blogs auftaucht und es sogar in große Tageszeitungen geschafft hat. Es stammt von den Webseiten der Gewerkschaft CFDT. Viele Gewerkschafter haben nicht nur Angst vor seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik, sondern auch davor, dass Sarkozy seine Politik zunehmend polizeilich durchzusetzen versucht.

Mit Law & Order-Parolen und mit Einsätzen der Polizei machte Sarkozy bislang Wahlkampf. Vor allem Einwanderer bekommen seit den Unruhen in französischen Vorstädten 2005 dessen Politik deutlich zu spüren. Der Sohn eines Einwanderers aus Ungarn geht mit der Einwanderungsfrage auf Stimmenfang am rechten Rand, was die Gruppe Zedess in einem bissigen Musikvideo aufgreift. Seit sich mit Bayrou ein aussichtsreicher Konkurrent entwickelt hat, werden seine Töne aggressiver und nationalistischer. So brachte er erneut seine Idee von einem "Ministerium für Einwanderung und nationale Identität" in die Diskussion.

Sarkozy flirtet offensiv mit der Wählerschaft der Front National von Le Pen ("Präsidentschaftskonvent" von Jean-Marie Le Pen), dem derzeit keine Chancen eingeräumt werden, erneut in die Stichwahl zu kommen. Auf Le Pens Linie lagen auch seine Drohungen, als er 2005 vom "Gesindel" in den Vorstädten sprach, die er "mit dem Hochdruckreiniger säubern" will. Als Innenminister hat er einen Teil seiner Politik schon umgesetzt. Wegen der Abschiebungen von "sans papiers" (Papierlosen) hat er vom "Netzwerk Erziehung ohne Grenzen" (RESF inzwischen den Titel "Kinderjäger" erhalten. Kurz bevor "Sarko" seinen Posten räumte, machte er mit einer spektakulären Polizeiaktion am Freitag Wahlkampf und ließ die Direktorin einer Pariser Vorschule verhaften. Valérie Boukobza hatte vermittelnd eingegriffen als in der vergangen Woche Polizisten sans papiers vor ihrer Schule auflauerte. Die Verhaftung von dort eingeschulten Kindern und ihrer papierlosen Eltern konnte von anderen Eltern verhindert werden, wobei es mehrfach zu Tumulten kam.

Gegen Sarkozy werden Bayrou große Chancen in einer Stichwahl eingeräumt, weil er moderater ist und dann Stimmen der Linken auf sich ziehen würde, um einen Polit-Rambo als Staatsoberhaupt zu verhindern. Deshalb dürfte Sarkozy eine Stichwahl gegen Ségolène Royal vorziehen. Bayrou könnte sich, wenn er es statt Sarkozy in die Stichwahl schafft, auch leichter mit den Stimmen der Rechten und der Mitte gegen die Sozialistin durchsetzen.

Die unglaubwürdige Sozialistin

Hat Sarkozy Probleme mit den Stimmen aus der Mitte, hat Royal Probleme mit den Stimmen aus der Mitte und aus der Linken. Für die Mitte gilt sie als unrealistisch und für viele Linke ist sie unglaubwürdig. Die PS-Kandidatin weckt sogar tiefe Zweifel in der eigenen Partei. Viele Genossen zweifeln, ob sie es bei der Militärstochter, die zum rechten Flügel der Partei gehört, überhaupt mit einer Sozialistin zu tun haben. Vor allem ihre Äußerungen zur schwer erkämpften 35-Stunden Woche ließen bei vielen Linken und Gewerkschaftlern die Alarmglocken erklingen. Schon im vergangenen Sommer verwies sie auf negative Auswirkungen der Reform. Im einem Interview im Januar legte sie noch einmal nach: "Man wird in einigen Fragen das Bestehende in Frage stellen müssen", sagte sie zur 35-Stunden Woche. Sie versuchte zwar zu relativieren und erklärte, es gehe nicht darum, die 35-Stunden-Woche generell abzuschaffen: "Lockerungen könnten jene Unternehmen betreffen, die der internationalen Konkurrenz ausgesetzt sind." Da kaum anzunehmen ist, dass sie nur in Kleinbetrieben bestehen bleibt, darf die Äußerung als Angriff auf die Arbeitszeitverkürzung aufgefasst werden.

Schon deshalb bietet sie keine Wahlalternative für die Parteien links von der PS, auch wenn sie populistisch Verbesserungen für die auch Frankreich verarmende Bevölkerung verspricht. Links von ihr treten drei Trotzkisten an: Arlette Laguiller, Olivier Besancenot (mit 32 Jahren der jüngste Kandidat) und Gérard Schivardi. Daneben machen ihr auch noch die Kommunistin Marie-George Buffet und die Grüne Dominique Voynet und der Bauernführer und Globalisierungsgegner José Bové die Stimmen in der ersten Runde streitig.

Deshalb versucht Royal gegenüber Sarkozy ihren Schwerpunkt etwas mehr zur Sozialpolitik hin zu verschieben, um auch die Linke anzusprechen. Sonst könnte es ihr passieren, dass sie gar nicht in die Stichwahl vordringt. Deshalb verspricht sie, den Mindestlohn bis zum Ende der Legislaturperiode von 1250 auf 1500 Euro anzuheben. Dazu sollen 120.000 Sozialwohnungen gebaut werden und sie verspricht auch Verbesserungen im Bereich, Arbeit, Bildung- und Gesundheit, von der die Unterschicht profitieren soll. Ein arbeitgebernahes Institut hat ihre Ausgabenpläne auf knapp 63 Milliarden Euro beziffert. Woher die kommen sollen, ist unklar.

Doch auch sie wirbt um die Mitte. Gegen die Gewalt von Jugendlichen in den Vorstädten will auch sie mit hart durchgreifen. Sie will die Stadtteilpolizei wieder aufbauen und die Justiz soll besser ausgestattet werden, um Täter schnell bestrafen zu können. Frauen, die in Frankreich oft Gewalt ihrer Partner ausgesetzt sind, will sie über ein neues Gesetz besser schützen.

Auch sie zieht die nationalistische Karte, wenn sie "ein stärkeres Frankreich" und sogar eine "neue Republik" aufbauen will. Angesichts der starken EU-Skepsis in Frankreich will Royal die Stellung des Landes in der EU stärken und eine neue Abstimmung über die EU-Verfassung durchführen. Die Bevölkerung soll auch über einen Beitritt der Türkei zur EU abstimmen können, während sie sich in der heiklen Frage nicht positioniert.

Auffällig ist, dass sich die drei aussichtsreichsten Kandidaten nun auffällig kritisch zu Europa und dem in Frankreich an der Volksabstimmung gescheiterten Staatsvertrag äußern, für deren Annahme aber alle drei einst geworben hatten. Auffällig ist auch, dass offenbar keiner der linken Gegner des Staatsvertrags dies für sich nutzen kann. Abzuwarten bleibt, wie sich die Kampagne für Le Pen entwickelt und ob er auch diesmal gegen die Umfragewerte für eine Überraschung sorgen kann. Klar ist, dass das Land, das immer wieder große und starke soziale Bewegungen hervorbringt, wegen der Zersplitterung der Linken erneut rechts regiert werden wird. Die mildeste Variante wäre mit Royal eine rechte Sozialdemokratin.