Bush wollte die Sendezentrale von al-Dschasira in Katar bombadieren
Nach einem geheimen Memo, das dem Mirror bekannt wurde, brachte Blair den US-Präsidenten von dem Plan ab, den lästigen Sender durch Zerstörung zu beseitigen
Die britische Zeitung Mirror berichtet von einem Memo über ein Treffen des britischen Regierungschefs Tony Blair mit dem US-Präsidenten Bush, das am 16. April 2004 im Weißen Haus stattgefunden hat. In dem Memo plädierte Bush für die Bombardierung des Hauptsitzes des Senders al-Dschasira in Doha, Katar. Blair soll Bush nach dem Memo diesen verwegenen Plan ausgeredet haben.
Ganz unwahrscheinlich ist das Vorhaben nicht, auch wenn ein Regierungsmitarbeiter der Zeitung sagte, das sei "keine ernsthafte" Idee, sondern irgendwie humorvoll gemeint gewesen. Ein anderer erklärte wiederum, dass es keinen Zweifel gegeben habe, dass Bush eben dies tun wollte, während Blair dies ablehnte und als großen Fehler bezeichnete.
Dass Bush mit diesem Gedanken gespielt haben könnte, ist allein schon deswegen nicht abwegig, weil bereits im Afghanistan-Krieg – nach Angaben des Pentagon – "zufällig" eine Bombe das Haus in Kabul getroffen hat, in dem die dortige Redaktion von al-Dschasira war. Als einziger Sender im Land brachte er auch andere Informationen und Bilder aus Afghanistan. Zudem galt er für die US-Regierung als störendes Medium, das verdächtigt wurden, mit den Taliban und al-Qaida zusammen zu arbeiten oder jedenfalls anti-amerikanische Stimmungen zu schüren. Allerdings wurde der Sender vom Herrscher in Katar gegründet, einem engen Verbündeten der USA. Er galt bald als eine Art arabischer CNN und sicherte sich einen großen Einfluss (Al-Dschasira: Propaganda-Maschine oder Pionier arabischer Medienfreiheit?, Sex, Religion und Politik).
Auch während der Invasion in den Irak störte der Sender das Konzept der "eingebetteten" Reporter. So veröffentlichte er nicht nur immer wieder Videos oder Ansprachen von Bin Laden, sondern auch Bilder von amerikanischen Kriegsgefangenen. Daraufhin forderte man einen Verbot des Senders, der allerdings auch einige Propagandatricks der alliierten Invasoren aufdeckte (Krieg der Bilder). Zum Kriegsbeginn hatte der Sender eine englische Seite ins Web gestellt (Reif für die Halbinsel?), die daraufhin aber nach einem angeblichen Hackerangriff nicht mehr zu erreichen war (Zensur im Internet). Der US-Provider Akamai, zu dem al-Dschasira dann wechseln wollte, trat wohl aufgrund von großem Druck schnell wieder vom Vertrag zurück (Akamai will nichts mit al-Dschasira zu tun haben).
Anfang April, kurz vor der Einnahme Bagdads, wurde schließlich, angeblich wieder zufällig, das Redaktionsgebäude von al-Dschasira in Bagdad von einer amerikanischen Bombe zerstört. Ein Mitarbeiter wurde getötet, ein anderer verletzt (Bombenzensur oder "Kollateralschaden"?). Kurz darauf beschoss ein Panzer das Palestine-Hotel, in dem alle Journalisten, die sich in der Stadt aufhielten, bekanntermaßen wohnten (Beseitigung und Einschüchterung der Augen der Weltöffentlichlichkeit). Dabei wurden zwei Journalisten getötet und drei verletzt. Das US-Militär behauptet, der Panzer sei vom Hotel aus beschossen worden, Zeugenaussagen von anwesenden Journalisten bestätigten dies nicht (Internationaler Haftbefehl für US-Soldaten).
Auch nach dem Sturz des Hussein-Regimes drohte die US-Regierung dem arabischen Sender – und auch seinem pünktlich zum Irak-Krieg gestarteten Konkurrenten Al-Arabiya -, weil er angeblich mit den Aufständischen kooperiere (Verantwortlich für Chaos und Auflehnung, Medienkrieg im Irak). Die Arbeit der Sender wurde behindert, ihre Büros im Irak geschlossen (Schwierigkeiten mit der Pressefreiheit im Irak). Um gegen die Sender anzugehen, wurde ein amerikanischer Sender für die Region gegründet. Ende März kam es schließlich zu der Ermordung amerikanischer Söldner in Falludscha. Deren Leichen wurden im Triumphzug durch die Straßen geschleift, was in den USA die Ereignisse von Somalia wachrief (Triumph der Grausamkeit). Es war die Zeit der beginnenden Stadtkämpfe (Krieg in den Städten), als deutlich wurde, dass der schnelle Regimesturz noch lange keinen Sieg bedeutete. Im April versuchten US-Truppen dann das erste Mal vergeblich Falludscha, das als Hochburg der Aufständischen galt, einzunehmen. Weil die beiden arabischen Sender wieder Bilder der Verwüstungen und Opfer der Angriffe zeigten, richteten sich erneut Angriffe der amerikanischen Regierung gegen sie ("Falsche Berichterstattung wird in diesem Land nicht erlaubt"). Und Ende April 2004 wurden die ersten Bilder von den Misshandlungen in Abu Ghraib veröffentlicht.
Buch und Blair standen im April 2004 unter hohem Druck. Die Besetzung schien den Händen zu entgleiten, man sprach schon vom Anfang des Endes, mit dem Abzug der Spanier nach den Anschlägen in Madrid drohte auch die Koalition zu zerfallen. Und dazwischen immer wieder eben die unerwünschten und nicht zu kontrollierenden Informationen und Bilder aus dem Irak, die mit veranwortlich dafür gemacht wurden, dass der Aufstand stärker wurde und sich in der gesamten muslimischen Welt ein Anti-Amerikanismus durchsetzte. Dass in dieser Situation Bush laut nachgedacht haben könnte, ob man nicht das Problem auch mit einer Zerstörung des Senders lösen könnte, ist durchaus glaubwürdig.
Das "Top Secret"-Memo von dem Gespräch zwischen Blair und Bush wurde im Mai dem Labour-Abgeordneten Tony Clarke übermittelt. David Keogh, der im britischen Kabinett als Angestellter arbeitete, hatte es Leo O'Connor, einem Mitarbeiter von Clarke, zugesteckt. Nachdem Clarke nicht wieder gewählt wurde, gab er das Memo der britischen Regierung zurück. Gegen Keogh und O'Connor läuft ein Verfahren nach dem Official Secrets Act, also wegen der Weitergabe von geheimen Dokumenten. Über die Inhalte des Memos gab es bislang nur Gerüchte.
Die Sendezentrale von al-Dschasira wäre für eine Bombardierung, so der Mirror, ganz geeignet gewesen. Sie liegt außerhalb von Wohnvierteln im Geschäftsviertel der Stadt, so dass man "Kollateralschäden" in Grenzen hätte halten können. Blair konnte nach dem Memo Bush von dem Plan abbringen, der wohl die Position der USA und von Großbritannien völlig unglaubwürdig gemacht und einen weltweiten Sturm des Protestes hervorgerufen hätte, zumal die Bombardierung auf dem Territorium eines befreundeten Landes nicht mehr als Irrtum hätte ausgegeben werden können.