Frankreich und Deutschland streiten, während Ukraine-Krise sich verschärft

Der ukrainische Präsident Selenskyj, der französische Präsident Macron und Bundeskanzler Scholz im Élysée-Palast, 8. Februar 2023. Bild: Kugler, Bundesregierung

Taurus-Desaster und Macrons "Boots on the ground" spalten beide Nationen. Es zeigt die Uneinheitlichkeit der Europäer. Was dahintersteckt und daraus folgt. Gastbeitrag.

Die Beziehungen zwischen den europäischen Ukraine-Unterstützern werden durch die jüngsten Entwicklungen auf dem Schlachtfeld belastet, die darauf hindeuten, dass die Dynamik Russland zugutekommt, während die US-Finanzierung der Ukraine-Militärhilfe ins Stocken geraten ist.

Molly O'Neal war Professorin in Warschau und Dresden mit Schwerpunkt Mitteleuropa, Russland und Eurasien.

Das deutsch-französische Tandem läuft unrund

Das deutsch-französische "Tandem", das die europäische Integration jahrzehntelang befördert hat, ist durch offen zutage liegende Meinungsverschiedenheiten zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz aus dem Tritt gekommen.

Die jüngsten Reibungen gehen zurück auf die weiter bestehende Weigerung von Scholz, die Lieferung von Taurus-Langstrecken-Marschflugkörpern an die Ukraine zu prüfen, und Macrons höchst umstrittene Erklärung vom 26. Februar, dass die Stationierung von Nato-Truppen in der Ukraine nicht ausgeschlossen werden sollte. Am nächsten Tag schloss Scholz einen Einsatz deutscher oder Nato-Truppen in der Ukraine kategorisch aus.

In den vergangenen zwei Kriegsjahren hat Deutschland seine Kritiker überrascht, als man zum zweitwichtigsten Waffenlieferanten für die Ukraine hinter den USA aufstieg. In den letzten Wochen ist Deutschland jedoch wieder zum Prügelknaben geworden, denn Scholz hat sich geweigert, der langjährigen Forderung der Ukraine nach Taurus-Raketen nachzukommen.

Das scheint die Debatte, wie sie um die Lieferung deutscher Leopard-Panzer im Jahr 2022 entfachte, zu wiederholen, wobei sich die damaligen Hoffnungen auf einen möglichen ukrainischen Sieg erheblich verringert haben.

Deutsche wollen keinen Taurus-Einsatz

Die Ablehnung von Scholz, Taurus-Raketen zu liefern, ist innerhalb seiner Regierungskoalition (zu der neben seinen eigenen Sozialdemokraten auch die Grünen und die Liberalen gehören) umstritten. Er hat zuletzt am 4. März erklärt, dass sein Hauptvorbehalt darin besteht, dass die Taurus-Rakete von der Ukraine nur mit Hilfe und durch die Anwesenheit von Bundeswehr-Mitarbeitern in der Ukraine eingesetzt werden kann.

Eine am 27. Februar veröffentlichte Meinungsumfrage ergab, dass 56 Prozent der Deutschen gegen die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine sind. Eine Mehrheit der SPD-Anhänger lehnte den Einsatz ab (46 Prozent gegenüber 41 Prozent), während eine Mehrheit der FDP-Anhänger sie unterstützte (48 Prozent gegenüber 46 Prozent).

Unter den Regierungsparteien waren die Grünen die einzige Partei, die die Entsendung der Raketen mehrheitlich befürwortete (52 Prozent gegenüber 34 Prozent). Überraschenderweise sprachen sich mehr Befragte, die sich mit der Mitte-Rechts-Opposition, den Christdemokraten, identifizieren, gegen die Stationierung aus als dafür (48 Prozent gegenüber 45 Prozent), obwohl die Unionsfraktion im Bundestag die Bereitstellung der Raketen unterstützt.

Eine große Mehrheit der Befragten (87 Prozent), die sich mit der rechtspopulistischen AfD identifizieren, lehnte die geplante Stationierung ab.

Russisches Leak von Luftwaffenoffizieren zu Taurus

Ein Gespräch zwischen dem Chef der Luftwaffe, General Ingo Gerwartz, und drei weiteren hochrangigen deutschen Luftwaffenoffizieren vom 19. Februar wurde abgehört und am 1. März online veröffentlicht.

Das Gespräch befasste sich ausführlich mit der Frage, wie Taurus-Raketen eingesetzt werden könnten, ohne dass deutsches Militärpersonal vor Ort ist. Die Offiziere bereiteten ein Briefing für Verteidigungsminister Boris Pistorius vor, in dem es um die Durchführbarkeit, den Zeitplan und die praktischen Aspekte des Einsatzes ging, ohne diesen jedoch eindeutig zu befürworten oder abzulehnen.

Die Offiziere erörterten, wie Taurus-Raketen zur Zerstörung der Kertsch-Brücke eingesetzt werden könnten, sprachen sich aber selbst nicht für die Auswahl dieses Ziels aus. Sie kamen zu keinem Ergebnis, wie Deutschland die Raketen effektiv einsetzen könnte, ohne die politische rote Linie bezüglich einer deutschen Militärpräsenz in der Ukraine zu verletzen.

Darüber hinaus wies Gerwartz darauf hin, dass die Zerstörung der Kertsch-Brücke zwar technisch machbar sei, aber den Kriegsverlauf kaum ändern werde. Die Mitschrift dieses Gesprächs wurde vom russischen Staatssender RT veröffentlicht und vermutlich vom russischen Geheimdienst abgefangen.

Frankreich und Großbritannien empört

Die offizielle russische Presse hat das Gespräch der Offiziere fälschlicherweise als ein Komplott dargestellt, das darauf abzielt, die Stationierung der Raketen sicherzustellen und den Kanzler unter Druck zu setzen.

Pistorius bezeichnete die Veröffentlichung des Protokolls als einen Fall von russischer Informationskriegsführung, um Zwietracht unter den westlichen Unterstützern der Ukraine zu säen. Die innerdeutsche Debatte über diesen Skandal konzentrierte sich vor allem darauf, wer die Verantwortung für das unfassbare Versagen der Kommunikationssicherheit trage.

Die Befürworter des Taurus-Einsatzes haben den Vorfall genutzt, um ihre Bemühungen noch einmal zu erhöhen, Scholz zum Umdenken zu bewegen.

Seit der Veröffentlichung des Gesprächs hat Scholz bekräftigt, dass das Problem der Bereitstellung von Taurus-Raketen auf das unüberwindliche Problem hinausläuft, wie ein effektiver Einsatz der Raketen gewährleistet werden kann, ohne selbst zur Konfliktpartei zu werden.

Das durchgesickerte Gespräch bezog sich auf die angebliche Anwesenheit und Beteiligung von britischem und französischem Militärpersonal beim Betrieb der Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp, die der Ukraine von Großbritannien bzw. Frankreich zur Verfügung gestellt wurden. Beide Länder haben ihre Empörung über die laxen Sicherheitsvorkehrungen zum Ausdruck gebracht, die das Abhören des Gesprächs ermöglichten.

Wird Macron der Situation gerecht?

Während Deutschland in seiner charakteristischen Zurückhaltung verharrt, unternahm der französische Präsident Macron den Versuch, ein vereintes europäisches Engagement zur Wiederbelebung der Unterstützung für die Ukraine zu mobilisieren, indem er am 26. Februar in Paris ein eilig organisiertes Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs zur Verteidigung der Ukraine einberief.

Das fand statt, nachdem die Aussichten darauf, die ukrainischen Streitkräfte wiederzubeleben, auf der jährlichen Münchner Sicherheitskonferenz in der Woche zuvor von einer gedrückten Stimmung überlagert wurde. Auf der abschließenden Pressekonferenz des Pariser Treffens machte Macron die überraschende Aussage, dass die Entsendung von Nato-Truppen nicht ausgeschlossen werden sollte, obwohl er einräumte, dass sich noch "kein Konsens" über diese Idee gebildet habe.

Macron scheint die Entsendung von französischen oder Nato-Truppen für Aufgaben jenseits eines Kampfauftrags, wie z. B. die Minenräumung, im Sinn gehabt zu haben. Aber auch diese Idee geriet unter heftigen Beschuss vonseiten eines Großteils der politischen Opposition in Frankreich.

Die Staats- und Regierungschefs beschlossen auf der Konferenz, einen tschechischen Vorschlag weiterzuverfolgen, der eine Aufstockung der bilateralen europäischen Finanzmittel vorsieht, um 800.000 Artilleriegranaten für die Ukraine aus Nicht-EU-Ländern zu kaufen, um die unzureichende Versorgung mit Granaten aus Europa auszugleichen.

Macron reiste am 5. März nach Prag, um diese Idee weiter zu erörtern, und betonte, dass ein möglicher Einsatz von Nato-Truppen nicht ausgeschlossen werden sollte und die Verbündeten nicht "feige" sein dürften. Der deutsche Verteidigungsminister Pistorius bezeichnete diese Formulierung umgehend als wenig hilfreich.

Die Deutschen ärgert es, dass Frankreich, das die Ukraine weitaus weniger militärisch unterstützt hat als Deutschland, anderen aber vorwirft, zaghaft zu sein. Laut dem Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts (zuletzt aktualisiert am 15. Januar) belaufen sich die deutschen Militärhilfezusagen auf 17,7 Milliarden Dollar und die der USA auf 42,2 Milliarden, während Frankreich mit 0,6 Milliarden Dollar weit abgeschlagen ist. Paris hat die Methodik des Kieler Instituts angefochten.

Warum das wichtig ist

Roger Cohen von der New York Times stellte kürzlich fest, dass Macron den Vorstoß unternahm, das Vertrauen der europäischen Ukraine-Unterstützer wiederherzustellen und "strategische Zweideutigkeit" zu erzeugen, um die russische Selbstsicherheit zu attackieren, ohne offensichtlich versucht zu haben, im Vorfeld Unterstützung für seine Initiative zu gewinnen.

Stattdessen legte er die Spaltung der Verbündeten darüber offen, wie weit sie bereit sind, zur Verteidigung der Ukraine zu gehen, und provozierte einen offenen Bruch mit Deutschland. Macrons eigener verschlungener Weg hin zu seiner jüngsten Hardliner-Inkarnation schränkt seine Glaubwürdigkeit dabei ein, Europa hinter sich zu mobilisieren.

Der deutsche Widerstand gegen die Bereitstellung von Taurus-Raketen steht in direktem Zusammenhang mit der Beunruhigung über Macrons rücksichtslose Haltung zu möglichen Nato-Einsätzen in der Ukraine.

Deutschland ist offenbar nach wie vor entschlossen, die Grenze zwischen der Unterstützung der Ukraine, sich selbst zu verteidigen, und der Beteiligung an dem Konflikt nicht zu überschreiten. Die Ablehnung der Stationierung von Taurus durch die deutsche Öffentlichkeit quer durch das politische Spektrum (mit den Grünen als bemerkenswerter Ausnahme) bestärkt Scholz in seiner Haltung.

Mehr Verantwortung lastet auf europäischen Schultern

Auch wenn Macrons Initiative eher zu einer Spaltung als zu einer Mobilisierung einer einheitlichen europäischen Front, die Ukraine zu verteidigen, geführt zu haben scheint, so zeigt sein Engagement doch, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Europa aufgrund des ins Stocken geratenen US-Hilfspakets und der bevorstehenden Wahlen dort mehr Verantwortung für die Bewaffnung der Ukraine tragen wird.

Das bedauerliche Ergebnis dieser jüngsten Entwicklungen ist, dass das deutsch-französische Tandem, das jahrzehntelang für das effektive Funktionieren der EU entscheidend war, ins Wanken gerät.

Dieses offene Zerwürfnis wird als störend empfunden, da die EU als Ganzes auf eine einheitlichere, koordinierte und großzügig finanzierte Aufrüstung hinarbeitet, bei der Berlin und Paris die Hauptakteure sein müssen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Molly O'Neal ist Universitätsdozentin und Wissenschaftlerin mit einer langen diplomatischen Laufbahn, die sich auf Mitteleuropa, Russland und Eurasien konzentriert. Sie war Fulbright-Professorin in Warschau und in Dresden und hat an der Johns Hopkins University in den USA promoviert.