Politik-Coup mit Start-Chaos: Wagenknecht-Partei schockt Establishment – und kämpft mit sich selbst
Gründungsparteitag steht noch bevor, da steigt die neue Partei bereits in der Gunst der Wähler. Doch der Erfolg sorgt auch für Probleme. Das zeigt interne Kommunikation.
Das hat es in der deutschen Parteiengeschichte bis jetzt nicht gegeben: Obwohl die neue Formation der ehemaligen Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht noch kein Programm und kein erkennbares politisches Profil hat, legt sie in den Umfragen zu.
Überraschender Aufschwung der Wagenknecht-Partei
Der bislang theoretische Aufstieg des "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) überrascht politische Beobachter und sorgt für Nervosität bei den etablierten Parteien. Denn das BSW will bei der Europawahl in diesem Jahr und bei Landtagswahlen antreten. Doch bis dahin gibt es noch einiges zu klären und vor allem zu organisieren, wie interne Dokumente zeigen.
Spannung vor Europawahl: Wachstumspotenzial des BSW
Bereits Ende der zweiten Januarwoche hatte das ZDF-Politbarometer für Aufsehen gesorgt: Rund 20 Prozent der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger können sich demnach vorstellen, für das BSW zu stimmen. Diese Bereitschaft bedeute zwar nicht zwangsläufig, dass diese Wähler ihre Wahlentscheidung auch in die Tat umsetzen würden, hieß es seitens des ZDF.
BSW in Umfragen: Aufschwung oder Überschätzung?
Das Ergebnis aber deute darauf hin, dass das Wagenknecht-Bündnis bei den anstehenden Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst einen deutlichen Einfluss haben könnte.
Dabei hatte das ZDF das Ergebnis journalistisch extrem zugespitzt. Tatsächlich gaben bundesweit nur vier Prozent der Befragten an, für Wagenknecht stimmen zu wollen; weitere 17 Prozent zogen dies nur in Erwägung; beide Mengen wurden addiert.
Gestern dann kam der Sonntagstrend des Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag der Bild am Sonntag. Dort wurde das BSW erstmals regulär neben anderen Parteien abgefragt und kam auf stattliche sieben Prozent.
Aufstieg der Wagenknecht-Partei in regionalen Umfragen
In Brandenburg kommt die neue Wagenknecht-Partei in Umfragen derzeit aus dem Stand auf 13 Prozent, in Thüringen auf bis zu 17 Prozent.
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Die Umfrageergebnisse schwanken zum Teil erheblich, was auch an den unterschiedlichen Fragestellungen liegt. Unbestritten scheint aber das Potenzial der neuen Partei, die eine Rolle zwischen der Linken und der politischen Mitte sucht – und damit offenbar einen Nerv trifft.
Herausforderungen beim Aufbau einer neuen Parte
Soweit die guten Nachrichten – wäre da nicht der beschwerliche Aufbau einer neuen bundesweiten Struktur. Am kommenden Samstag soll in Berlin im ehemaligen DDR-Kino "Kosmos" der Gründungsparteitag des "Bündnis Sahra Wagenknecht" stattfinden. Doch das Vorhaben war offenbar zu ambitioniert.
Kurzfristig wurde bereits am Wochenende online ein Vorab-Gründungsparteitag anberaumt, ohne dass dies außerhalb des ausgewählten Kreises der 450 Delegierten offenbar jemandem aufgefallen wäre.
Vorbereitungen für den Gründungsparteitag des BSW
Die Online-Veranstaltung richtete sich an alle Delegierten des kommenden Parteitages und berührte Punkte, die auch bei der offiziellen Gründung eine Rolle spielen werden – oder sollten. Offenbar im Bewusstsein des Widerspruchs zur bevorstehenden Gründungsveranstaltung bezeichneten die Organisatoren die Vorveranstaltung als "gemeinsame Videokonferenz".
Dieser Beitrag erscheint in Kooperation mit unserer Partnerredaktion, der Berliner Zeitung.
So wolle man "einen reibungslosen Ablauf des Parteitages am 27. Januar in Berlin gewährleisten können", heißt es in der Einladung an den Delegiertenkreis, die Telepolis vorliegt. Man wolle so "möglichst viele organisatorische Aspekte bereits im Vorfeld des folgenden Samstags klären".
Außerdem stellten sich die Kandidatinnen und Kandidaten für Parteiämter und Listenplätze zur Europawahl vor, "so dass bereits auf dieser Veranstaltung Fragen an die Kandidatinnen und Kandidaten gestellt werden können". Online wurde am Samstag auch der Entwurf des EU-Wahlprogramms vorgestellt, "zu dem wir ebenfalls Rückfragen klären möchten"
Offensichtlich wurde damit, dass das Programm für den 27. Januar mit diesen Fragen überlastet gewesen wäre. Damit droht der Gründungsparteitag mehr zu einer Showveranstaltung zu werden als zu einem Forum der politischen Debatte, auf dem Fragen zu Kandidaten und politischen Positionen geklärt werden.
Problematisch erscheinen auch die Fristen. In der Bundessatzung des BSW heißt es zwar, dass "bei außerordentlichen Anlässen" die Einladungsfrist zu Parteitagen "unter Angabe von Gründen bis auf eine Woche abgekürzt werden" könne. In der Regel muss jedoch mit einer Frist von einem Monat eingeladen werden.
Die Einladung zum offiziellen Gründungsparteitag erreichte die Delegierten neun Tage vorher am frühen Abend. Zum Online-Vorparteitag war am 13. Januar eingeladen worden. Gründe wurden nicht genannt. Dies bewegt sich zumindest an der Grenze der eigenen Ansprüche.
Gespräche mit Interessierten seit Monaten
Im Hintergrund laufen die Vorbereitungen schon seit Monaten, auch in Berlin wurden viele Gespräche mit Interessierten geführt, schreibt unsere Partnerredaktion der Berliner Zeitung. Sie wollen die Partei beraten oder ihr beitreten. Klar ist: Das BSW will langsam wachsen. Umso begehrter sind die wenigen Plätze auf dem Gründungsparteitag im Berliner Bezirk Friedrichshain.
Berlin im Fokus: BSW stark in der Hauptstadt
Nun wird bekannt: Berlin wird auf dem Parteitag mit 50 BSW-Mitgliedern vertreten sein. Das sagt Alexander King der Berliner Zeitung. King ist Mitglied des Abgeordnetenhauses, im Oktober hatte er die Linke verlassen, als Landesbeauftragter des BSW organisiert er den Parteiaufbau in der Hauptstadt. Die Bundespartei war am 8. Januar gegründet worden. Landesverbände gibt es noch nicht.
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Unter den Berliner Erstmitgliedern werden demnach "ehemalige Mitglieder der Linken, der Grünen, der SPD und auch der FDP sein, aber auch viele, die bislang noch nie Mitglied einer Partei waren". Auch "kommunale Mandatsträger und andere öffentlich bekannte Menschen" sollen dabei sein. Nach dem Parteitag werde man weitere Mitglieder aufnehmen, sagt King.
Berliner Bezirksverordnete beim BSW
Tatsächlich haben sich dem BSW bereits mehrere Bezirksverordnete angeschlossen. So hatten Reza Amiri aus Friedrichshain-Kreuzberg sowie Martin Rutsch und Christine Scherzinger aus Tempelhof-Schöneberg im vergangenen Jahr ihren Wechsel von der Linken zur Wagenknecht-Partei angekündigt. Die linkennahe Tageszeitung Neues Deutschland berichtete kürzlich, dass sich auch Sven Diedrich dem BSW anschließen wird. Diedrich war bislang Fraktionschef der Linken im Bezirk Mitte.
Wie die Berliner Zeitung erfuhr, gehört auch Jutta Matuschek zu den Erstmitgliedern des BSW. Matuschek saß von 1995 bis 2016 im Abgeordnetenhaus, 2022 verließ sie die Linke. In den 80ern war sie als Wissenschaftlerin am Institut für internationale Politik und Wirtschaft der DDR tätig, anschließend arbeitete sie mehrere Jahre in der Anzeigenabteilung der Berliner Zeitung. Auf dem BSW-Parteitag wird sie sich um einen Platz auf der Kandidatenliste für die Europawahl bewerben.
Mitarbeit: Maximilian Beer, Berliner Zeitung
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