Potsdam-Treffen: Experten kritisieren Preis für "Correctiv"-Bericht

Correctiv steht in der Kritik. Bild: T. Schneider, Shutterstock.com

Branchenvertreter zweifeln an gefeiertem Text zum "Geheimplan gegen Deutschland". Ist Politjournalismus auf Abwegen? Lesen Sie die brisanten Details.

Mitte Juli hatten deutsche Investigativjournalisten beim NDR in Hamburg die Rechercheplattform Correctiv gefeiert. Das Team erhielt dort den renommierten Leuchtturm-Preis des Netzwerks Recherche für seine Reportage "Geheimplan gegen Deutschland".

Der Bericht über ein Treffen von Konservativen und Rechtsextremen in der brandenburgischen Hauptstadt Potsdam hatte Anfang des Jahres wochenlange Proteste von Hunderttausenden Menschen gegen die dort angeblich geschmiedeten Pläne ausgelöst.

Bei der Preisverleihung gab es auch im Zuge einer Podiumsdiskussion keine kritischen Fragen zu der Correctiv-Recherche, kritisieren Branchenexperten nun in einem gemeinsamen Beitrag: Dass es dazu Anlass gegeben hätte, habe sich nur wenige Tage später gezeigt: Ein Gericht untersagte dem NDR vorläufig Teile eines Tagesschau-Artikels, der sich auf die Correctiv-Berichterstattung bezog.

Kurz zuvor hatte Correctiv selbst eine juristische Auseinandersetzung gegen das rechtsgerichtete Onlineportal Nius verloren, das den Bericht und seine Rezeption kritisiert hatte.

Katastrophale Berichterstattung

Die Autoren Christoph Kucklick, Felix W. Zimmermann und Stefan Niggemeier sind sich einig: Der Correctiv-Bericht ist journalistisch schwach, das Verhalten von Correctiv nach der Veröffentlichung fragwürdig und die Berichterstattung vieler Medien eine "Katastrophe". Das schreiben sie in einer Art Generalabrechnung beim Branchenportal Übermedien, in dem sie auch den eingangs geschilderten Ablauf wiedergeben.

Kucklick ist seit 2020 Leiter der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Der Journalist und Rechtsanwalt Zimmermann ist Chefredakteur der Legal Tribune Online. Niggemeier ist Gründer von Übermedien und BILDblog.

Zugleich bekräftigen sie, dass die durch den Artikel ausgelösten Proteste gegen die Verbindungen zwischen bürgerlichen Kreisen und dem rechten Rand gut und wichtig gewesen seien. Das rechtfertige, aber nicht das fragwürdige journalistische Vorgehen der Correctiv-Vertreter.

Die kritische Auseinandersetzung mit dem Bericht dürfe nicht länger konservativen und vor allem rechten Medien überlassen werden, so die Autoren. Sie bemängeln, dass der Text unterstelle, statt zu belegen, raune statt zu erklären und interpretiere statt zu dokumentieren.

Das Schlimmste sei, dass Correctiv eine systematische Unsicherheit darüber erzeuge, was eigentlich die Aussage des Artikels ist und worin der Skandal von Potsdam besteht.

Wenig belastbare Aussagen

Kern der Geschichte ist laut den Autoren ein Vortrag des rechtsextremen Aktivisten Martin Sellner über "Remigration". Sellner sei "das langjährige Gesicht der rechtsextremen Identitären Bewegung" und ein "Star der Szene". Doch alles, was Correctiv aus Sellners angeblich brisantem Vortrag zu zitieren vermag, seien drei Satzfetzen.

Angeblich stellte Sellner laut Correctiv "das Gesamtkonzept", "den Masterplan" vor, wie Millionen von Menschen aus Deutschland zu vertreiben seien. Den brisanten Gedanken einer "Deportation" deutscher Staatsbürger schmuggele Correctiv aber nur über eine "Spekulationskaskade" in den Bericht, kritisieren die Autoren.

"Correctiv" weicht vor Gericht zurück

Bemerkenswert finden die Autoren auch, dass Correctiv inzwischen sogar vor Gericht zu Protokoll gegeben hat, gar nicht behauptet zu haben, dass in Potsdam gemeinsam die Vertreibung von Millionen Menschen nach rassistischen Kriterien inklusive der Ausweisung auch deutscher Staatsbürger geplant wurde.

Unbestritten habe die Recherche zwar gezeigt, dass in Potsdam rechte Ideen von Vertretern des bürgerlichen Lagers diskutiert wurden. Dazu gehört die Idee, dass man "Anpassungsdruck" aufbauen und deutsche Staatsbürger, die als nicht deutsch genug gelten, nötigen müsse, das Land zu verlassen.

Die suggestive Erzählung von Correctiv sei aber weit darüber hinaus gegangen. Der Text behaupte schließlich Dinge, die er dann doch nicht behaupten wolle – "man muss es so merkwürdig sagen", konstatieren die Autoren.

Kampf mit eidesstattlichen Erklärungen

Telepolis hatte bereits Ende März den Chefredakteur des Onlinemagazins Legal Tribune Online, Felix W. Zimmermann, zitiert. Zimmermann hatte sich damals aus fachlicher Sicht mit der Substanz der Vorwürfe in laufenden Rechtsstreits um den Correctiv-Bericht auseinandergesetzt.

Einer der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt war der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau, der in erster Instanz in einem von drei Punkten Recht bekam. Er hatte unter anderem kritisiert, dass seine Äußerungen in der Berichterstattung nicht korrekt wiedergegeben worden seien.

Vosgerau, schrieb Zimmermann damals, werde von Rechtsanwalt Carsten Brennecke vertreten, der zu Beginn des Rechtsstreits seinem Unterlassungsantrag sieben eidesstattliche Versicherungen beigefügt habe. Eine davon stammt von Vosgerau selbst, sechs weitere von anderen Teilnehmern des Potsdamer Treffens. Sie versichern, dass bei dem Treffen keine Abschiebungen von Bürgern mit deutschem Pass besprochen oder geplant worden seien.

Correctiv reagierte darauf mit acht eidesstattlichen Erklärungen eigener Mitarbeiter. Diese versichern, dass ihre Quellen den im Artikel geschilderten Inhalt der Veranstaltung korrekt wiedergegeben haben.

Interessanterweise ging es in dem Gerichtsverfahren nicht um die Kernvorwürfe des Correctiv-Berichts. Vosgerau verlangt lediglich die Unterlassung von Äußerungen, die seine eigene Person betreffen. Die Kernvorwürfe rund um das "Remigrationskonzept" werden weder von ihm noch von anderen Teilnehmern des Treffens gerichtlich angegriffen.

Kernvorwürfe als zulässige Meinungsäußerung

Vosgeraus Anwalt Brennecke erklärte gegenüber der Welt, der Artikel von Correctiv enthalte viele Wertungen, die man äußerungsrechtlich nicht angreifen könne, weil es sich nicht um Tatsachenbehauptungen handele. Dies betreffe insbesondere die Behauptung, auf dem Treffen sei über die Abschiebung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien gesprochen worden.

Correctiv sieht eigene Aussagen als Meinungen

Correctiv selbst sah die zentralen Aussagen der Recherche als Meinungen und nicht als Tatsachenbehauptungen. Das Medium antwortete auf Anfrage der Legal Tribune Online, dass der Artikel "in weit überwiegendem Umfang streng faktisch gehalten sei" und viele Tatsachenschilderungen enthalte. Es habe "keine Flucht in das Werturteil" gegeben.

Doch auf die Konfrontation mit den oben zitierten Aussagen im Correctiv-Bericht, etwa zu Vertreibungsplänen gegenüber Millionen Menschen wegen "falscher Hautfarbe oder Herkunft", heißt es, es handele sich um "Überzeugungen", "unsere Auffassung", "wertende Schlussfolgerungen", "allerdings auf sehr dichter und belastbarer faktischer Basis." Also um Meinungen und keine Tatsachenbehauptungen.

Felix W. Zimmermann

Einigkeit zwischen Angreifer und Verteidiger

Erstaunlich ist, dass sowohl Vosgeraus Anwalt als auch Correctiv zentrale Aussagen der Correctiv-Berichterstattung als zulässige Meinungsäußerungen einstufen. Die Berichterstattung wird also von beiden Seiten als zulässig angesehen und nur in Details zu einzelnen Teilnehmern angegriffen – was nun in zweiter Instanz in Hamburg gescheitert ist.

Politisch ist der Fall insofern fragwürdig, als Meinungsäußerungen juristisch als solche diskutiert und verteidigt, in der Öffentlichkeit aber als Sachurteil verstanden werden. Damit bewegt sich Correctiv an der Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus, was dem Medium auch immer wieder vorgeworfen wird.

Das Prinzip der Trennung von Meinung und Nachricht wurde in der Berichterstattung über das auch wertfrei mehr als fragwürdige Treffen in einer Potsdamer Villa eklatant verletzt. Dies wiegt umso schwerer, als die durch Wertungen bewusst tendenziöse Berichterstattung faktische Macht entwickelte: Nachdem die Geschichte über das Potsdamer Treffen online gegangen war, demonstrierten bundesweit 100.000 Menschen gegen die AfD.

Dass Correctiv öffentliche Gelder erhält und Regierungsvertreter bei diesen Demonstrationen anwesend waren, sollte eher Gegenstand der Debatte sein als das juristische Geplänkel, das derzeit zwischen der politischen Rechten und Correctiv geführt wird, resümierte Telepolis damals.