"Warum Berlin Spanien attackiert?"

Spanien versucht den geballten Unmut über die Regierung auf Deutschland umzulenken

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Spanien sieht sich als Opfer der deutschen Bundeskanzlerin. Ohne dass es die Regierung offen sagt, wird in spanischen Medien, die der Regierung sehr nahe stehen, versucht, Unmut über den drastischen und unausgewogenen Sparkurs in Richtung Berlin abzulenken. So schießt vor allem El País gegen Angela Merkel und Deutschland. "Merkel will uns regieren", ist ein Beitrag in der größten spanischen Tageszeitung überschrieben. Am gleichen Tag wird zudem getitelt: "Warum Berlin Spanien attackiert." Público sieht ebenfalls "Deutschland im Mittelpunkt der Attacken gegen Spanien" und meint damit vor allem die Deutsche Bank unter Josef Ackermann.

Der liberale britische Vizepremier hatte kürzlich in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen spanischen Fernsehen die Grundzüge der Sparpläne seiner konservativ-liberalen Regierung vorgestellt (Britische Regierung will Reiche am stärksten belasten). Vielleicht hätten die Regierenden in Spanien, die sich Sozialisten (PSOE) nennen, dem liberalen Nick Clegg zuhören sollen. Schließlich müssen beide Länder von einem Haushaltsdefizit herunter, das im vergangenen Haushaltsjahr bei etwa 11% lag. Anders als die spanischen Sozialdemokraten bittet die Koalition aus Konservativen und Liberalen in London aber vor allem die zur Kasse, die mehr Geld zur Verfügung haben. Es wird zudem eine Bankenabgabe eingeführt, die Kapitalertragsteuer deutlich angehoben und der von Labour von 40% auf 50% erhöhte Spitzensteuersatz beibehalten (Britische Regierung will Reiche am stärksten belasten).

Derlei findet man in den spanischen Sparpaketen nicht. Madrid kürzt nur Ausgaben, erhöht die Mehrwertsteuer, streicht Sozialleistungen, senkt sogar die Löhne von Staatsbediensteten, friert die Renten ein und erhöht das Renteneintrittsalter. Statt Besserverdienende an den Kosten der Krise zu beteiligen, denkt man in der PSOE lieber darüber nach, Steuerhinterziehern für ihre Schwarzgelder einen lukrativen Ablasshandel anzubieten. Als Krönung einer höchst merkwürdigen sozialdemokratischen Politik, wurde gestern im Parlament noch das Dekret zur Arbeitsmarktreform bestätigt, das den Kündigungsschutz fast komplett beseitigt.

Das ist eigentlich eine Maßnahme, die in den Giftkasten der ultrakonservativen Volkspartei (PP) passt. Tatsächlich hatte diese ähnliche Reformen 2002 versucht, scheiterte aber an einem Generalstreik. Dass sie mit den Reformen weitgehend einverstanden ist, machte sie mit ihrer Enthaltung deutlich. Gegen das zweite Sparpaket hatten die Rechten noch mit Nein gestimmt. Die schwer angeschlagene Minderheitsregierung unter José Luis Rodríguez Zapatero brachte nur mit der knappen Mehrheit von einer Stimme durch das Parlament. Das wäre gestern schief gegangen. Denn Antonio Gutiérrez, Ex-Führungsmitglied der Arbeiterkommissionen (CCOO), wollte das Spiel von Zapatero nicht mitmachen und enthielt sich ebenfalls. Schließlich mobilisiert die größte spanische Gewerkschaft zum Generalstreik im September und beteiligt sich erstmals sogar an einem Generalstreik im Baskenland am kommenden Dienstag (Spanien muss besonders für französische und deutsche Banken sparen).

Letztlich ließ die PP eine Arbeitsmarktreform durchlaufen, die von den Konservativen in der EU gefordert wurde, als das EU-Rettungsnetz auch unter Spanien aufgespannt wurde. Dass die Konservativen der Regierung gestern keine tödliche Niederlage bereiteten, dazu hat Merkel ihren Beitrag geleistet. Vor dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche redete sie dem Oppositionsführer Mariano Rajoy in Brüssel ins Gewissen. Warum auch sollte man gerade jetzt diese Regierung stürzen, die sich vor den Konservativen hertreiben lässt und deren Politik macht? Merkel dürfte Rajoy erklärt haben, dass es besser ist, wenn sich die PSOE jetzt die Hände schmutzig macht, die wegen dieser Maßnahmen ohnehin abgewählt werden wird oder am Generalstreik im September zerbricht.

Ohnehin hat die Regierung mit dem Dekret nichts gewonnen. Weil eine dekretierte Arbeitsmarktreform verfassungswidrig ist, wird diese Reform das Land den ganzen Sommer über beschäftigen. Denn sie muss nun als einfaches Gesetz durchs Parlament gebracht werden. Damit bleiben Spielräume, um sie sogar noch weiter zu verschärfen, wie es die Arbeitgeber oder die Zentralbank (Banco de España) fordern oder um die Minderheitsregierung darüber stolpern zu lassen, falls sie verwässert würde.

Merkwürdige Theorien und Vermutungen

Der stolpernde Zapatero greift nun erneut populistisch in die Trickkiste und versucht den wachsenden Unmut im Land abzuleiten. Er sieht gerne finstere Mächte wirken, statt selbstkritisch seine improvisierte Politik zu hinterfragen. Deshalb setzte er schon seinen Geheimdienst auf Spekulanten an, als er im Frühjahr "Angriffe von Investoren und die Aggressivität bestimmter anglo-amerikanischer Medien" ausmachte. Nun schießt man sich in Madrid auf "Madame Non" ein. Madrid versucht damit an den Unmut gegen Deutschland anzudocken, der sich in Griechenland an den deutschen Sparforderungen entwickelt hatte. Dabei spielten aber historische Forderungen der Griechen nach Reparationen eine Rolle. Dazu kam der Ärger in Athen über die billige Kampagne, die in Deutschland gegen die angeblich so "faulen Griechen" hochgezogen worden war. Letztlich kommt das wahltaktische Manöver neben den Griechen ganz Europa und vor allem die deutschen Steuerzahler sehr teuer zu stehen.

Derlei passiert mit Spanien nicht. Trotzdem überraschte am Sonntag die größte Tageszeitung El País ihre Leser gleich mit mehreren Artikeln, die ganz offensichtlich den Unmut im Land auf Berlin lenken sollen. Ein Hintergrundartikel titelt: Merkel will uns regieren. Ein zweiter Artikel ist mit einer Frage überschrieben: Warum Berlin Spanien attackiert? Das Argumentationsmuster ist in beiden Fällen sehr ähnlich. So erklärt im ersten Fall Joaquín Prieto den Lesern, dass die Kanzlerin von den internen Schwierigkeiten in der schwarz-gelben Koalition und den eigenen Sparplänen abzulenken versucht. Damit wird die Rolle Spaniens in der öffentlichen Diskussion in Deutschland völlig überschätzt.

Merkel hätte sich "nicht einmal die Mühe gemacht", ihre Sparpläne mit den EU-Partnern in Brüssel abzustimmen, wird zudem kritisiert. Damit wird letztlich zugegeben, dass Spanien längst nichts mehr eigenständig entscheidet. Der Autor verstrickt sich aber tief in merkwürdige Theorien. Er behauptet sogar, Merkel hätte den französischen Präsidenten mit der Verschiebung des Treffens in Berlin kürzlich dazu gebracht, dass sich Nicolas Sarkozy der deutschen Idee einer europäischen Wirtschaftsregierung "beugte". Dabei ist es vor allem Sarkozy, der diese Idee vorantreibt. Merkel versucht dieses Wort stets zu vermeiden, wie sich auf dem EU-Gipfel wieder gezeigt hat. Doch angeblich benutzt die Kanzlerin diese Wirtschaftsregierung sogar, um die "Spanier und die Gesamtheit der Europäer fast unter einem Diktat zu halten".

Wie im zweiten Artikel über die angeblichen deutschen Attacken auf Spanien, fußt die Argumentation von Prieto vor allem auf Meldungen die in Deutschland vor dem EU-Gipfel veröffentlicht wurden, dass schon an einem Rettungspaket für Spanien gearbeitet wird (Spanien muss besonders für französische und deutsche Banken sparen). "Offenkundige Falschmeldungen" nennt der Autor die Berichte. Er lässt völlig aus, dass die spanische Wirtschaftszeitung El Economista den geplanten Umfang von 250 Milliarden Euro nannte, den die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) als Kreditlinie bereitstellen würden. Die Zeitung berief sich "auf mit dem Vorgang vertraute Personen". Sie deutete an, dass die Informationen aus dem IWF stammen dürften, dessen Führungsgremium zu einer geheimen Sitzung zusammengetreten sei, um ausschließlich über Spanien zu beraten.

Beim Versuch von Andreu Missé und Claudi Pérez auf die selbst gestellte Frage eine Antwort zu geben, warum Deutschland angeblich Spanien angreife, wird ebenfalls auf ein Berliner Ablenkungsmanöver abgehoben. "Deutschland versteckt die Schwäche seiner Banken mit Attacken auf die spanische Wirtschaft", wird als Antwort gegeben. Wortreich wird Zapatero dafür gelobt, dass er "nach Monaten der Ablehnung" auf dem EU-Gipfel gegen Merkel habe durchsetzen können, dass die Ergebnisse von Bankenstresstests veröffentlicht werden. "Berlin sah sich gezwungen", der Veröffentlichung der Stresstest-Ergebnisse zuzustimmen, wird ausgeführt. Dafür habe die Ankündigung gesorgt, dass Spanien seine Ergebnisse veröffentlichen werde, wird als Begründung geliefert. Damit werde Spanien die Zweifel zerstreuen, die auf seinem Bankensystem lasten. Die Begründung ist dürftig. Schließlich sah sich Spanien auch nicht gezwungen, spekulative Leerverkäufe zu verbieten, nur weil das Berlin im Alleingang vorhat.

Und man fragt sich, warum Spanien das angesichts der massiven Spekulation gegen das Land nicht längst tut? Angesichts ständig steigender Refinanzierungskosten hätte das Land auch längst die Ergebnisse des Stresstests veröffentlichen können, um die explodierenden Zinsen für spanische Staatsanleihen in den Griff zu bekommen, wenn die Banken tatsächlich so gut dastehen? Doch die spanischen Banken immer stärker auch am Tropf der Europäischen Zentralbank. Nach Angaben spanischen Notenbank haben sich die spanischen Institute dort im Mai die die Rekordsumme von 85,6 Milliarden Euro geliehen. Man fragt sich auch, warum sich das Land einen Bankenrettungsfonds mit fast 100 Milliarden Euro leistet, wenn alles zum Besten um die Banken steht?

Es stellt sich auch die Frage, ob die Veröffentlichung von Ergebnissen eines Stresstests, der diesen Namen verdienen würde, sich nicht als Bumerang für Spanien erwiese und damit den ohnehin schwachen Euro in die Tiefe reißen würde. Schließlich musste gerade vergangene Woche eingeräumt werden, dass die Kreditausfälle in Spanien im April einen neuen Rekord erreicht haben. Die Banco de España gibt offiziell einen Durchschnittswert für alle Institute von fast 5,4% an. Allgemein wird eine Ausfallquote ab 5% als gefährlich eingestuft. Die Banken liegen nach Angaben der Notenbank also genau auf diesem Mittelwert, während die teilweise schon kollabierenden Sparkassen schon über 5,5% liegen. Der harte Sparkurs, der die Arbeitslosigkeit steigen und das Land tief in die Rezession zurückwerfen wird, dürfte die Kreditausfälle von privaten Haushalten und Firmen sogar noch weiter ansteigen lassen.

In Deutschland, aber vor allem in Frankreich ist man über diese Lage besorgt, schließlich kommen zwei Drittel der 600 Milliarden Euro, die Spanien von europäischen Banken geliehen wurden, aus Frankreich und Deutschland. Erwarten sollte man aber von den Stresstest-Ergebnissen ohnehin nicht viel. Das Schauspiel beim Vorbild USA war ernüchternd. Dort wurde der Vorgang als Schmierentheater bezeichnet. Die Kriterien waren so gestrickt, dass nichts anderes als die gewünschten Ergebnisse herauskommen konnten.

Um aussagekräftig zu sein, müssten in der EU zunächst einheitliche Kriterien für einen Test entwickelt werden, dem die Banken unterzogen werden. Die Durchführung müsste zudem kontrolliert werden, sonst könnte man bewusst hinters Licht geführt werden, wie es Griechenland und Ungarn mit den Defizitmeldungen vorexerziert haben. Ohnehin ist inzwischen bekannt, dass vor der Lehman-Pleite in den USA der Regierung die Schieflage der Bank bekannt war. Der Öffentlichkeit wurde die Lage aber ebenfalls bewusst verschwiegen (Lehman-Pleite: Die Behörden wussten alles). Welche Details über die Stresstests in Europa veröffentlicht werden, wird ohnehin erst am 13. Juli auf der Sitzung der Finanzminister entschieden.

General Ackermann auf Eroberungszug

Doch die Meldungen von deutschen Angriffen beschränken sich nicht allein auf El País. Am Montag legte Público nach und titelte: Deutschland im Zentrum der Attacken gegen Spanien. Demnach spekuliere vor allem die Deutsche Bank mit viel Geld gegen Spanien. Die Bank unter "General" Josef Ackermann sei "stets auf Eroberung" aus. Die Bank wird von der Zeitung in den Kreis von angelsächsischen "Finanzhaien" eingeordnet. Público schrieb mit Bezug auf Veröffentlichungen der Deutschen Bank, dass die mit 800 Millionen Euro darauf spekuliert, dass die Aktien von spanischen Banken und Unternehmen fallen.

Vor allem gegen den großen Konkurrenten BBVA halte die Bank Shortpositions in einer Höhe von 592 Millionen Euro. Sie gewinnt dann, wenn die Kurse der Aktien fallen. Dabei handelte es sich um eines der vielen absurden Börsenspiele. Angesichts ständig fallender Kurse in den letzten Monaten in Madrid handelte es sich um ein sicheres Geschäft. Die Deutsche Bank hat es nach eigenen Angaben nicht mit Eigenmitteln ausgeführt, sondern für Kunden.

Erstaunlich ist, dass in keiner Zeitung das Problem benannt wird, dass Deutschland tatsächlich sein Lohndumping anderen EU-Ländern als Modell aufdrückt, angeblich um deren Wettbewerbsfähigkeit zu steigern (Ist Deutschlands Sparsamkeit schuld an den Problemen?). So lobte Merkel auch das Zapateros Dekret zur Arbeitsmarktreform. Doch dann müssten die Anhänger der Sozialdemokraten ja ihren Präsidenten fragen, warum er sich diese Politik aus Brüssel oder Berlin diktieren lässt. Schließlich ist er der Ministerpräsident eines souveränen Staates. Er hätte wegen einer Staatsverschuldung, die deutlich unter der Quote Deutschlands liegt, auch noch genug Spielraum, um dieses Dumping nicht mitzumachen. Spanien hat schließlich nicht einmal die Hälfte der Staatsschulden Italiens oder Griechenlands (Griechenlands Defizit ist nochmals gestiegen).

Mit 55% Staatsschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag das Land auch deutlich unter den fast 70%, die Großbritannien ausweist. Und ausgerechnet von der Koalition aus Liberalen und Konservativen wird nun vorgeführt, dass man ein hohes Defizit auch anders als mit einer einseitigen Sparpolitik a la Merkel abbauen kann, die fast ausschließlich die Schwächsten zur Kasse bittet. Doch dafür müsste man Politik machen, gestalten, statt sich von den Märkten und Konservativen treiben zu lassen. Das hat Zapatero fünf Jahre lang nicht gemacht. Reformen wurden nicht frühzeitig angegangen und jetzt wird hektisch improvisiert und per Dekret regiert.

Sehenden Auges ließ er sich in den Abgrund der Krise spülen, nachdem die Immobilienblase erwartungsgemäß platzte, gerade weil er die Banken im Land nicht an die Leine legte. Sie konnten mit Vorzugsbedingungen unglaubliche Gewinne einfahren, doch das geht nicht lange gut, wie sich jetzt zeigt. Jetzt misst man Bambi, wie Zapatero auch genannt wird, nur noch die Rolle zu, die Drecksarbeit zu erledigen, bevor die Konservativen wieder das Ruder übernehmen. Dass Zapatero als Marionette an europäischen Fäden baumelt, hat er sich vor allem selber zuzuschreiben. Der verzweifelte Versuch, nun den Unmut in Richtung Berlin abzulenken, wird ihn wohl nicht mehr retten.