Wie die FPÖ die Bibel missbraucht – und auf Widerstand trifft
Im österreichischen Wahlkampf bemühen die Rechten das Vaterunser. Die Katholische Kirche wehrt sich. Warum das neu ist.
Es begab sich zu der Zeit, dass in Österreich fein säuberlich gestriegelte Mitglieder der katholischen Jungschar im Spätherbst von Haus zu Haus gingen. Die Kinder lieferten allen Bewohnern im Dorf Adventskränze. Ein schönes und jahreszeitlich passendes Geschenk. Es war allseits willkommen, denn katholisch waren doch alle.
Wer diese Gestecke jedoch genau untersuchte, erkannte Schleifchen mit dem Aufdruck "ÖVP".
Kirche, Staat, Partei, wer wollte da so genau trennen? Diese Zeiten sind längst vergangen. Heute schlägt Pendel in die nahezu entgegengesetzte Richtung, denn die Kirchen gehen nicht mehr mit beim politischen Rechtsruck. Die Entfremdung von sowohl Konservativen als auch Rechten und der Kirche ist wechselseitig.
Wer konsultiert noch die Bibel?
Ein entscheidender Faktor ist zunächst der immer deutlichere Bedeutungsverlust der Religion. Die ist einfach kein Thema mehr in Österreich und allein schon das Wissen über das Christentum ist kaum mehr vorhanden.
Der rund um die unzureichenden Corona-Notfallmaßnahmen in Ischgl über die Grenzen des Landes bekannt gewordenen Nationalratsabgeordnete Franz Hörl sagte zu seinem durch einen schlechten Listenplatz nötig gewordene Vorzugsstimmenwahlkampf: "Ich hätte den Weg der Bibel wählen und mich in die Wüste begeben können, wie Jesus, mich selbst läutern und dann wieder zurückkommen".
Diese als geistreich gefeierte Aussage ist ein schöner Beleg dafür, dass absolut niemand mehr in der Volkspartei in der Bibel liest. Denn – einfach mal nachschlagen bei den Evangelisten Markus oder Matthäus: Christus wurde in der Wüste nicht geläutert, sondern widerstand der Versuchung eines gewissen Teufels. Der ganze Witz der Episode ist, dass sich Jesus eben nicht geläutert hat, sondern seinen Kurs beibehielt. Nun, Hörl hat seine eigene Läuterung offenkundig schon hinter sich.
Kulturkampf: Sind wahre Österreicher christlich?
Zumindest der Formulierung nach sind christlich klingende Aussagen allerdings immer noch ein Lack, der gerne aufgetragen wird. Die in Teilen rechtsextremistische Freiheitliche Partei lässt aktuell im Nationalratswahlkampf den Spruch "Euer Wille geschehe" plakatieren. Im "Vaterunser" findet sich bekanntlich die Zeile "Dein Wille geschehe".
Die Katholische Kirche in Österreich ist wegen dieser Verballhornung not amused. Der Abt Pius Maurer vom Stift Lilienfeld sieht in den Plakaten "geschmacklose Parteipropaganda". Die Wiener Theologin Prof. Regina Polak erkennt darin sogar eine "Postmoderne Dämonie".
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In einer "religiös ausgehöhlten Gesellschaft", so die Theologin, sei der Spruch nicht nur blasphemisch, sondern trachte danach, die weltliche, liberale Ordnung zu zerstören, weil die religiösen Assoziationen ausschließlich dem Eigeninteresse und der Durchsetzung von Macht dienen. Außerdem seien nationalsozialistische Vorstellungen, wie jene vom "Volkswillen" ein zuverlässiges Indiz dafür, dass den Freiheitlichen nichts heilig sei, außer der Erfolg an der Wahlurne.
Volkskanzler, Führer, Erlöser
Eine zutreffende Analyse. Der Vorsitzende der FPÖ, Herbert Kickl, bezeichnet sich selbst als "Volkskanzler". Kurioserweise klagt die Partei gerade die Macher eines Videos, das Kickl im Parallelschnitt mit einem anderen Volkskanzler (Adolf H.) zeigt. Die Klage hat wenig Aussicht auf Erfolg, weil im Video lediglich belegbare Tatsachen angeführt werden. Sowohl Hitler als auch Kickl bezeichneten sich eben als Volkskanzler.
Den irritierenden Widerspruch, sich die gleiche Bezeichnung wie Hitler zu geben, aber mit diesem nichts gemeinhaben zu wollen, nimmt Kickl in Kauf, weil er sich viel von der Titulierung "Volkskanzler" erwartet. Der ist letztlich ein Trick aus der Mottenkiste des Nationalsozialismus, der auch religiöse Gefühle für die eigenen Obrigkeitskonzepte eingesetzt hat.
Goebbels arbeitete bewusst an dem Erlöser-Image Hitlers. Beschlüsse wurden im "Namen des Führers" gefasst. Diesen latent überweltlichen Rang würde der Werbefachmann Kickl gerne für sich beanspruchen.
Nicht im Namen Gottes
Der teils energische Widerstand der österreichischen Katholiken ist bemerkenswert. Es zeigt sich, dass sich die Kirche auf ein weitgehend humanistisches Programm besonnen hat. Niemand spricht mehr von Fegefeuer und ewiger Verdammnis.
Das christliche Menschenbild, das etwa bei Luther im Menschen noch einen "Esel" sah, der entweder von Gott oder vom Teufel geritten wird, ist der humanistischen Auffassung eines freien und verantwortlichen Menschen gewichen.
Dieser Mensch gründet – eine alte Forderung Immanuel Kants – seine Religion auf die Moral und nicht die Moral auf die Religion. So setzen sich heute die Kirchen für Solidarität und Mitmenschlichkeit ein und wettern nicht mehr gegen Ungläubige.
Kirche eine "linke NGO"
Gerade deswegen erntet sie auch oft den Zorn der Rechtsextremisten, die genau diese Spaltung zwischen wir (Christen) und die anderen (Moslems, Juden etc.) benötigen würde. Der Deutsche AfD-Abgeordnete Maximilian Krah bezeichnet die heutige Kirche deshalb als eine linke NGO.
Seine Enttäuschung rührt wohl auch daher, dass die Anbiederung der Rechten an die Kirche nicht gelingt. Die Bischöfe haben den Braten gerochen und können nicht instrumentalisiert werden. Alle populären Vergleiche der Jetztzeit mit den 1930er Jahren müssen hier einen klaren Unterschied zur damaligen Lage erkennen.
Furcht und Zittern
Die FPÖ versucht immer mal wieder die religiöse Karte zu spielen. Der mittlerweile aus der ersten Reihe der FPÖ hinauskomplimentierte ehemalige Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer trat seinerzeit mit dem Schwur "So wahr mir Gott helfe" an.
Und der über den Ibiza-Skandal gestürzte frühere Parteivorsitzende HC Strache fuchtelte auf einer Wahlkampfveranstaltung in Wien einmal mit einem Kreuz in der Luft herum. Er wirkte dabei wie ein Irrer. Die Parteistrategen der FPÖ merkten bald, dass der Kniff nicht zog. Das rechte Publikum hat keinen positiv aufgeladenen Bezug zum Kreuz. Das erhobene Kreuz wirkt auch auf sie eher bedrohlich.
Das Eigentümliche am rechten Kulturkampf ist, dass er weitgehend ex negativo geführt wird. Rechte und Rechtsextreme können immer wortreich sagen, warum sie die Moslems nicht mögen, den Islam, die Afrikaner oder auch noch genereller die Frauen. Dem gegenüber steht immer "unsere Kultur", nur lässt es sich offenkundig nur sehr schwer ausbuchstabieren, was unsere Kultur überhaupt ist.
Vergottung des Wählers
In den Wahlplakaten der FPÖ geht es tatsächlich weniger darum, religiöse Bezüge auszunutzen, als um eine Art der Vergottung des Wählers. Vielleicht artikuliert sich darin schlicht eine Unsicherheit.
Die FPÖ-Führung könnte befürchten, dass sich die ganz ausgezeichneten Wahlprognosen am Tag der Nationalratswahl nicht bewahrheiten werden. "Euer Wille geschehe" klingt dann nach Volksvertretern, die ihr Gesicht in den Staub pressen und wimmern: "Um Gottes willen, wählt uns auch wirklich!" Am 29.9.2024 wird sich zeigen, wie viel diese Anbetung des Wählers genutzt haben wird.
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