Bush bleibt Bush, da helfen keine Wahlen

Die Politik der Irrationalität geht in die zweite Legislaturperiode

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Wahlen sind in Amerika längst nicht mehr nur Wahlen, sondern intrikate Rechtsstreitigkeiten, in der ein Heer juristischer Wahlbeobachter, eilends herbeigerufener Richter und ein eigens für den Wahlakt geschaffenes Gesetz die Stimmauszählung nach der Wahl erst richtig spannend werden lassen können. Der "Help America Vote Act" sollte Amerika beim Wählen helfen, als müsste man dort die technischen Bedingungen der Demokratie noch einmal üben. Von 30.000 Juristen war die Rede, die sich streitlustig um die Wahlurnen scharten, selbst Michael Moore entsendete vorsorglich 1.200 Wahlbeobachter. Reden wir von Verhältnissen wie in Bananenrepubliken, wo "Wahlurnen" verschwinden und Diktatoren deshalb ungestört bis an das Ende ihrer Tage herrschen?

US-Präsident am 2.11. bei der Rückkehr ins Weiße Haus

Vor allem die Swing- bzw. Showdown-States wie Florida und Ohio standen im Mittelpunkt skrupulöser Betrachtung und wechselseitigen Misstrauens, weil Fair Play und demokratisches Selbstverständnis nicht allzu viel zählen, wenn es um den höchsten Machtgewinn geht. Wurden Nichtwahlberechtigte zugelassen? Wurden Briefwähler aus dem Ausland an der Wahl gehindert? Sind die "Wahlmaschinen" Blechtrottel, die diesen Namen auch wirklich verdienen? Hat die US-Army ihre eher republikanisch wählenden Jungs gut für die Wahl "gebrieft", während andere US-"Ausländer" auf verstopften Websites in die Irre geführt wurden (Pentagon sperrt den Zugriff auf offizielle Wahlseite für die US-Bürger im Ausland)?

Nach dem Bush-Gore-Auszähldesaster vor vier Jahren galt nur noch: Trau, schau, niemand. Seinerzeit waren es 537 Wählerstimmen, die im "swing state" Florida den Ausschlag gaben. Bush erlangte die Macht durch eine Entscheidung des Supreme Court, was die landläufige Vorstellung von Gewaltenteilung bei dem wichtigsten Akt der Demokratie irritieren muss. Doch dieses Mal dürften die juristischen Scharmützel weniger spannend werden. Diesmal gewann Bush Florida und sehr wahrscheinlich auch Ohio, kaum mehr "still too close to call" (Update: Das Weiße Haus erklärt Bush zum Wahlsieger).

Der Wahlkampf hatte es in sich: Die Schlacht um das mächtigste Amt der Welt war ökonomisch, aber auch emotional ein Kampf der Superlative. Auch die Wahlbeteiligung in Höhe von 60 Prozent der Wahlberechtigten ist ein relativer Rekord. Allein 1960 bei der Wahl John F. Kennedy versus Richard Nixon waren es 65 % Wahlbeteiligung. Zunächst sind diese Kämpfe ausgetragen. Abzuwarten sind noch einige juristischen Scharmützel, die indes wenig an dem Ergebnis verändern dürften.

Der Neue ist der Alte

...Und versammeln unsere eigene Armee, um diese Massenvernichtungswaffe zu entschärfen, die wir heute noch unseren Präsidenten nennen...

Eminem, Songtext "Mosh"

Knapp daneben, vorbehaltlich einer Karenzzeit des Abwartens gilt ein anderes Ergebnis: Der Neue ist der Alte. "Four more years!", die Parole der Republikaner bleibt also Programm einer hegemonialen, unilateralen Kriegspolitik, die das Selbstverständnis des Westen gehörig erschüttert, aber die Welt keineswegs sicherer gemacht hat (Der Irak-Krieg hat den Terrorismus verstärkt).

Mit dieser Entscheidung des US-Wählers hat sich ein rationales Politikmodell, das vor das Handeln die Analyse und vor den Krieg als ultima ratio die Verhandlungen setzt, zumindest in europäischen Augen desavouiert (Bush-Anhänger zeichnen sich durch Realitätsausblendung aus). Nicht länger gilt eine politische Moral, die wenigstens dann, wenn die Lügen einer Regierung zu offensichtlich sind, Konsequenzen zieht und abtritt. George W. Bush bleibt der Kriegspräsident, der er vor allem sein wollte.

Ist außer dieser Kriegspolitik viel von ihm zu erwarten? Bush war bisher jedenfalls nicht der Präsident, der Verhandlungslösungen suchte, sondern eindimensional seine martialische Wirklichkeit nach dem einfachsten Muster von "Gut und Böse" strickte. Immerhin: Nach der Wiederwahl könnte selbst Bush moderater werden. Innenpolitische, ökonomische und sozialstaatliche Probleme warten zuhauf auf die neue alte Regierung und eine zweite Verlängerung sieht die Verfassung nach einem Zusatz aus dem Jahre 1952 ohnehin nicht mehr vor.

Showbiz-Demokratie

Galt die Frage der Wahl, welches Amerika die Welt die nächsten vier Jahre erleben wird, wie es der Spiegel pointierte? Zumindest ging es um die Frage, welche Restfunktionen eine Demokratie besitzt, solange sie auf der Intensivstation einer Medienöffentlichkeit liegt, die keine kategorialen Differenzen zwischen Showbiz und politischer Selbstdarstellung mehr wahrnimmt.

Sollten die Bürger Europas, ja die Bürger der Welt nicht auch an dieser Wahl beteiligt werden, wenn sich US-Regierungen als die Herren dieser Welt aufspielen und im Alleingang Kriege führen? In Deutschland hätte Kriegspräsident Bush keinen Stich mehr gemacht. Aber in Amerika ticken die Uhren der Patrioten anders. Doch selbst Osama bin Laden hätte wohl auch Bush gewählt, weil eine entschiedenere Konfrontation nicht denkbar ist und der Fundamentalismus jeder couleur "energischen" Gegnern dankbar sein muss. Sollte Bin Ladens termingerechtes Video eine mitentscheidende Wahlkampfhilfe für seinen Erzwidersacher gewesen sein (Bin Laden gibt sich staatsmännisch? Allein dieser Umstand, dass Wahlen durch solche Momente noch im letzten Moment massiv beeinflusst werden können, ist der Beleg für eine unwürdige Stimmungsdemokratie, die ihre eigenen Interessen aus dem Auge verliert.

Wäre Watergate unter solchen Voraussetzungen überhaupt denkbar gewesen? Emotional gesteuerte Demokratien haben das Zeug zum Faschismus. Wirklichkeit wird zur medialen Konstruktion, der sich jede Kritik unterordnen soll. Bush, der Sohn aus superreichem Haus, der den Cowboy und (spät berufenen) Texaner gibt, ist ebenso wie John Kerry eine mediale Figuration. Auch der Herausforderer wollte nicht hinter dem vordergründig jovialen, Insidern nach aber eher unnahbaren Bush zurückstehen, wenn es um Volksnähe geht. Dem Vietnam-Veteranen und Vietnam-Kritiker, Staatsanwalt, Advokaten, Gouverneur von Massachusetts und US-Senator John Kerry fehlte allerdings die populistische "smartness" von Clinton. So wenig seinem "background" nach zu urteilen er als Mann der kleinen Leute durchgeht. Seine Frau Teresa wurde auf seiner Website denn auch nicht als die superreiche Erbin des Heinz-Ketchup-Imperiums dargestellt, die kaum von seinen angekündigten Steuerregelungen irgendetwas zu befürchten gehabt hätte.

Was im Übrigen deutlich macht, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als ein nichtvermögender oder zumindest nicht von der Wirtschaft hoch gesponsorter Kandidat Chancen hätte, US-Präsident zu werden. Kerry wurde zudem von den Republikanern wohl erfolgreich als "Flip-Flopper" diffamiert, als politischer Wendehals, der vielleicht zu sehr taktierte, um einsinnigen Wählertypen zu gefallen. Wie fast immer in Mediendemokratien siegt das jeweilige Identifikationsmodell, das sich der politischen Ambivalenzen entschlägt und für ein verlogenes Modell lebenslänglicher Stringenz optiert. Dabei sind die "Flip-Flops" doch gerade Bushs Spezialität, der seinen Krieg zunächst mit und dann ohne irakische Massenvernichtungswaffen wider jede völkerrechtliche Legitimation rechtfertigte.

Die dunkle Seite der Macht

US-Präsident George W. Bush wurde in seiner ersten Amtszeit zum satiretauglichen Polit-Pinocchio, dessen immer länger werdende Lügennase nicht nur von Michael Moore, sondern selbst von Netzbeschmutzern im eigenen Lager so fröhlich wie folgenlos denunziert werden durfte. Verkroch sich die Kritik zunächst in den gefährlichen Nachwehen des 11.Septembers, versteckten sich die Öffentlichkeiten duckmäuserisch, weil mit martialischen Regierungen so wenig zu spaßen ist wie mit hysterischen Gesellschaften, wurde der US-Präsident im Laufe seines ersten "homerun" bei amerikanischen und europäischen Intellektuellen zur Zielscheibe einer Kritik, die sich von Spott zuletzt kaum mehr unterschied.

Doch Bush-Bashing verschiebt die unabdingbare Kritik auf eine Personalie, wo es doch längst um globale Interessen, international fragile Sicherheitsbündnisse und hochbrisante Polarisierungen bis hin zum "worst case", dem Kampf der Kulturen, geht. Bush ist nicht das Problem, sondern das Symptom einer Demokratie, die in ihrem offenen und rechtsstaatlichen Selbstverständnis schwer gefährdet ist. Hier geht es um eine Politik, die Selbstverantwortung nur noch als intransparente Selbstrechtfertigung kennt.

Demokratie ist nicht nur Kontrolle durch den Wähler, diese launige, aber letztlich doch zu vielen Torheiten verführbare Diva. Demokratie war in "Alteuropa" in seinen besten Momenten auch Ausdruck einer politischen Kultur in der - freilich auch hier schwächer werdenden - Selbstkontrolle der Mächtigen. Schuldeingeständnisse und Rücktritte waren Selbstreinigungen der Demokratie, die die Kontrollmöglichkeiten des Wählers überschritten.

Heute erleben wir dagegen neokonservative Männer und Frauen, die immerfort glauben, dass das Ziel die Mittel heiligt und die politische Mittelwahl den Bürger letztlich wenig bis nichts angeht. Mit der Bush-Regierung wurden Fehler und eklatante Nachlässigkeiten marginalisierbar und versickerten im Dickicht der Geheimdienste. Wie es Bush mit der Transparenz hält, wurde allein durch seine für Ausländer gesperrte Website paradigmatisch dokumentiert (Nicht-US-Bürger sind bei Bush unerwünscht).

Mit dieser Regierung wurden inquisitorische Sicherheitsmaßnahmen und Gefangenenlager prominent, für die sich freie Gesellschaften schämen müssen. Noch mehr schämen müssen sie sich für die mit Wissen von oben geduldete oder gar angeleitete Folterpraxis in Abu Ghraib (Foltern für die nationale Sicherheit). Das war die größte Paradoxie des Zivilisationsrettungsauftrags, dessen sich Bush berühmte, da die Folter zu einem der Kriegsgründe gegen Saddam Hussein herhalten musste, nachdem die anderen Gründe sich im Wüstensand auflösten. Doch nicht nur jene vorgeblichen Feinde werden durch solche Methoden des freien Westens Auftrieb erfahren. In Abu Ghraib wurde der selbstgewisse Glauben an die Humanität des Westens endgültig von der ideologieübergreifenden Blut- und Dreck-Wahrheit des Kriegs überholt.

Hinter dem von der US-Regierung jederzeit geschürten Sicherheitswahn begann ein längst nicht gestillter Gegenterror, der gerade das amerikanische Freiheitsversprechen hintertrieb. Zu dieser demokratiefremden Arkan-Politik gehörte die Daueralarmierung der Terrorgefährdeten in Amerika - diese Clockwork Orange-Mentalität, die den Wähler in die republikanische Wagenburg einfahren lassen sollte. Die Bush-Regierung ist ohne den Alert-Patriotismus, der blind macht, kaum denkbar (Durchsichtiges Spiel mit den Terrorwarnungen). Und diese Angstmacher-Politik, die in Amerika offensichtlich von vielen Wählern als Entschlossenheit missverstanden wird, hat sich durchgesetzt.

Hier handelt es sich nicht um emotionale Intelligenz, sondern um den Atavismus einer Ur-Paranoia, die das Fremde wie Beelzebub austreiben will. Immerhin präsentierte die Ein-Mann-Journalismus-Maschine "Michael Moore" mit "Fahrenheit 9/11" einen Film, der nicht als polemische Abrechnung mit Bush und Familie herunter gespielt werden kann, sondern als notwendiger Subtext einer durch und durch verlogenen Selbstinszenierung amerikanischer Superreicher als Zivilisationswahrer gelten darf.

Warum konnte Bush gewinnen?

Polit-Fundamentalismus und Sicherheitsrhetorik, amerikanischer Internationalismus und simple Pfadfinder-Weisheiten, religiöse Bigotterie und sexuelles Muckertum waren erfolgreich. Der amerikanische Patriotismus, der nicht nach Gründen, sondern schneidigen Handlungen fragt, war sicher eine Ursache, diesen Präsidenten zu bestätigen, der sich weniger um Krankenversorgung und Sozialleistungen kümmert, sondern stattdessen um einen vagen Begriff amerikanischer Macht und Herrlichkeit.

Gebt ihm eine Ak-47, soll er gehen und seinen eigenen Krieg führen, Soll er so seinen Daddy beeindrucken, Kein Blut mehr für Öl, wir haben unsere eigenen Kämpfe hier zu Hause auszutragen...

Eminem, Songtext "Mosh"

Oder gehen wir nur durch ein dunkles Tal, während uns Pfadfinder Bush an der Spitze heimleuchtet? Bush wird seine brachiale Antiterror-Strategie, wenn man es überhaupt als Strategie bezeichnen will, fortführen. Doch die bisherige Lehre dieser Kriege lautet: Terroristen besiegt man nicht in Kriegen, weder in Afghanistan noch gar im Irak, der just zu dem Pulverfass wurde, das Kriegsgegner immer prophezeit hatten. Aber Kriegspräsidenten wechselt der US-Wähler offenbar nicht aus. Insofern mögen sich die unerträglichen, bürgerkriegsartigen Zuständen im Irak von einer Schwachstelle dieser Regierung zu einem Aktivposten eines unverdrossenen Kriegers und Wahlkämpfers verwandelt haben.

Wie geht es weiter?

Die Welt darf nun mit der Fortsetzung des amerikanischen Internationalismus rechnen. Der Terrorismus der fundamentalistischen Amerika-Hasser wird dadurch weiteren Auftrieb erfahren. Und daraus könnten dieser US-Regierung weitere Legitimationsgründe erwachsen, ihre Feldzüge fortzusetzen. Was ist mit Syrien? Was ist mit den atomaren Ambitionen des Iran (Der Konflikt um das iranische Atomprogramm spitzt sich zu? Allein der israelisch-palästinensische Konflikt, der eines der zentralen globalen Konflikte ist, kommt in der hypertrophen Sicherheitsagenda Bushs nicht wirklich vor. So wenig wie der nordkoreanische Potentat bislang entschärft werden konnte.

Bush wurde in den letzten Wahlkampftagen nicht müde zu verkünden, dass er der Welt weiter die Freiheit bringen wolle - seine Freiheit, die jener Freiheit Südvietnams nicht unähnlich sein könnte. Auch hier spielt es für die Selbstwahrnehmung dieser Regierung scheinbar die geringste Rolle, bisher lediglich in der gewaltsamen Demontage fremder Systeme erfolgreich gewesen zu sein. Neue Demokratien, die diesen Namen verdienen, haben wir bisher nicht gesehen.

Bush hat bislang das Selbstverständnis der amerikanischen Freunde auf die härteste Probe gestellt: Gibt es eine europäische Solidarität zwischen Alt-Europa und Osterweiterung gegenüber einem hegemonial agierenden Amerika? Wie halten wir es in Zukunft mit der Uno? Gibt es einen Dialog mit dem Islam? Wie bekämpft man Terroristen? Gilt international gleiches Recht für alle? Gibt es eine internationale Gerichtsbarkeit für Kriegsverbrecher? Wie viel Rechtsstaat leisten wir uns überhaupt noch? Fragen über Fragen, die eifrig ventiliert und kaum gelöst wurden. Der amerikanische "action-loop" hat die europäische Gemächlichkeit, Fragen hin zu her zu wenden, überholt.

Europa tut die Bush-Rosskur in der präsidialen Verlängerungszeit sicher gut. Denn es gilt sich nun verstärkt auf die eigenen Tugenden, so sie vorhanden sind, zu besinnen und die europäische Demokratie als eine internationale Herrschaftsform vorzustellen, die sich nicht auf periodische Versprechungen unter dem vorübergehenden Druck der Wahlen bescheidet. Es geht um ein alltägliches Modell transparenter Selbst- und Fremdkontrolle, das nicht zuletzt auch den Feinden der Demokratie, islamistischen Fundamentalisten und Dschihadisten, den Rang abläuft.

Demokratie wirbt für sich durch ihren Vollzug, nicht durch die Verordnung von Topdown-Demokratien (http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/mein/14960/1.html), die im Irak nichts zu Stande gebracht hat und in Afghanistan auf tönernen Füssen steht. Wenn sich die Glückseligkeit erzwungener Demokratien auch in Zukunft nicht einstellt, könnte jedoch der West-Fundamentalismus versus orientalischem Fundamentalismus die bellizistische Zukunft der nächsten Jahre bestimmen.