Geld, Einfluss, und Lobbyismus: Über den Grund der Haushaltskrise spricht kaum jemand
Investitionsstau wird größer, der Haushalt kleiner. Und der Bundestag billigt den Irrweg der Regierung. Wer profitiert von diesem Systemfehler? Ein Gastkommentar.
Über Geld redet man nicht. Genau das sollte man jedoch mit Blick auf den Bundeshaushalt tun. Jetzt lässt sich aufgrund des Verfassungsurteils und der "fehlenden" 60 Milliarden eine öffentliche Debatte nicht mehr verhindern.
Doch der Diskurs ist geprägt von Nebelkerzen, Täuschungen und Ablenkungen von dem, um das es wirklich geht: um unser Geld, um Einfluss und Profitlobbyismus. Ein besonders deutliches Beispiel hierfür ist der Verteidigungshaushalt.
Der Haushalt schrumpft
Unser Wirtschafts- und Geldsystem ist so angelegt, dass alles zwanghaft wachsen muss: Die Wirtschaftsleistung, die Einnahmen, der Profit – damit steigen notwendigerweise auch die Kosten und die Ausgaben des Staates.
So stieg auch der Bundeshaushalt immer weiter auf eine Rekordmarke von knapp 500 Milliarden Euro im Jahr 2021. Natürlich war dies auch der Coronazeit geschuldet.
Aus dem Krisenmodus ist man seitdem allerdings nicht herausgekommen.
Zudem sprechen alle Wirtschaftsinstitute – gleich welcher Ausrichtung – wie zum Beispiel das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), von einem wachsenden Investitionsstau.
Dennoch wurde der Haushalt zurückgefahren, und im nächsten Jahr sollen nur noch knapp 446 Milliarden Euro bereitgestellt werden.
In vielen Bereichen wird eingespart, und niemand wehrt sich dagegen. Das alles wäre, wie meistens, geräuschlos über die Bühne gegangen.
Doch dann gab es das Urteil des Verfassungsgerichts.
Sparen gilt in Deutschland als große Tugend, und die Schuldenbremse als die heiligste Kuh der Politik in der Jetztzeit.
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Dabei wählen gerade die Länder, an denen man den eigenen Finanzkapitalismus immer gern orientiert – etwa die USA – einen deutlich abweichenden Weg: mehr Investitionen, mehr Schulden, weniger sparen.
Die aktuelle Debatte in Deutschland aber ist nahezu absurd.
Kaum jemand in der Politik oder der Öffentlichkeit stellt die relevanten Fragen, wofür man investiert und was man besser einspart. Das Thema scheint völlig tabu zu sein. Wer profitiert eigentlich von diesem System und wer bleibt auf der Strecke?
Die Zukunft des "Sparens" in Gefahr
Die "Zukunftskoalition" war sich beim Sparkurs sehr einig. Angestrebt wurden Kürzungen in vielen Bereichen.
Der Haushalt wäre noch deutlich geringer ausgefallen, wenn man dort nicht noch die 60 Milliarden eingepreist hätte, die eigentlich für Maßnahmen in der Coronazeit vorgesehen, aber damals nicht ausgegeben wurden.
Sie wurden umgeschichtet und sollten vor allem für Klimaschutzmaßnahmen und Senkungen der Energiekosten eingesetzt werden.
Weil dafür die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt wurde – wofür es eine sehr zwingende Begründung bedarf – hat im November das Bundesverfassungsgericht diese Umwidmung als verfassungswidrig erklärt und damit die Regierung ins Chaos gestürzt.
Auf einmal gibt es eine Diskussion, die man eigentlich gar nicht gerne hätte – ums Geld, die Schuldenbremse, über Einkünfte und Kosten.
Es ist also wichtig, dass wir mal über Geld diskutieren und über Einnahmen und Ausgaben. Aber dann muss alles auf den Tisch.
Dann reden wir auch über die Lobbygeschenke, warum das "Sparen" in einigen Bereichen nicht gilt und die Auflösung der Gewaltenteilung beim Haushalt.
Wir müssten auch grundsätzlich über unser gesamtes Geldsystem reden. Aber dies ist in unserer eindimensionalen Politikblase undenkbar. Schon die aktuelle Debatte überfordert uns.
Es ist von der herrschenden Politik nicht gewollt, dass sich die Öffentlichkeit verstärkt mit dem Haushalt beschäftigt. Zu gut hat die Indoktrination und Vernebelung funktioniert.
Schuldenbremse sticht Sozialstaat
Ich weiß aus eigener Erfahrung, basierend auf vielen Haushaltsdebatten, dass der vermeintliche Sparzwang vor allem als Disziplinierungsmittel betrachtet wird. Durch den Sparzwang wird verdeutlicht, dass nicht viel zu erwarten ist.
Mit der Schuldenbremse wurde ein ideales Instrument geschaffen, das absurd in die Verfassung aufgenommen wurde.
Dieses willkürliche, unflexible Instrument erhielt damit einen ähnlichen Rang wie das im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsprinzip (Artikel 20)!
Noch mehr: Das Sozialstaatsprinzip ist sehr unverbindlich und kaum überprüfbar. Die Schuldenbremse hingegen ist sehr konkret und überprüfbar.
Hinzu kommt, dass sich das Parlament sein zentrales Recht, die Aufstellung des Budgets, immer mehr aus der Hand nehmen lässt. Wie bei allen anderen wichtigen Gesetzen und Maßnahmen gibt praktisch die Regierung den Kurs vor.
Nur deshalb kommt dem Finanzminister eine Bedeutung zu, die er theoretisch gar nicht haben sollte.
Die Kolumne "Lobbyland" von Marco Bülow:
11.227 Euro! Fette Diäten für den Mega-Bundestag
Antje Vollmers Erbe: Über Lobby und Moral im kriegstüchtigen Deutschland
Profite für Reiche, Krise für das Volk: Die bittere Wahrheit über Deutschlands Agrarpolitik
Spitzeneinkünfte im Bundestag: Die Politik als Profitmaschine
Wie sich die Grünen in Lobbyismus und Vetternwirtschaft verstrickt haben
Der Bundestag sollte das eigentliche Entscheidungszentrum sein. Er sollte die Regierung kontrollieren und beauftragen. Aber das ist Geschichte.
Die Regierung bestimmt allein, und der Bundestag nickt weitgehend alles ab, denn die Mitglieder der Regierungsfraktionen verstehen sich nicht als Korrektiv oder souveräne Volksvertreter, sondern als Erfüllungsgehilfen der Regierung.
Das Meiste wird einfach durchgewinkt, und selbst beim Haushalt wird nur noch um Kleinigkeiten gerungen.
Ein Teil der Profitlobby hat viel mehr Spielraum und Einfluss auf das Geld der Bevölkerung.
Bei den Lobbygeschenken an bestimmte Gruppen wie die Autolobby, Pharmakonzerne und Rüstungsindustrie ist auch von dem sonst propagierten "Sparen" nichts zu merken. Einmal eingeführte Subventionen fließen jedes Jahr, egal, wie sinnvoll sie sind.
Es war eine schöne Regel: Der eine Koalitionspartner gibt diese Subvention, dafür bekommt der Gegenspieler eine andere Subvention.
So haben sich rund 60 Milliarden Euro an gesundheits- und klimaschädlichen Staatszuschüssen angesammelt.
Die Mär der armen und maroden Armee
Ein besonderes Beispiel ist der Bereich Militär und Verteidigung. Hier wird besonders viel getrickst und getäuscht.
Fast alle reden und schreiben davon, dass wir unsere Verteidigung kaputtgespart hätten, dass sie völlig marode und wehrlos sei. Sie wird arm gerechnet, aber am Geld kann es überhaupt nicht liegen.
Kaum jemand spricht davon, dass der Verteidigungshaushalt der Bereich ist, der in den letzten Jahren am stärksten gewachsen ist, von 38,5 auf jetzt 50,4 Milliarden Euro.
Mit knapp zwölf Milliarden Euro ist das ein Plus von über 30 Prozent in nur fünf Jahren – ohne Sondervermögen!
Fast alle Ressorts müssen jetzt wirklich den Gürtel enger schnallen, aber das Militär bekommt auch jetzt deutlich mehr Geld.
Wenn also die Verteidigung tatsächlich so marode ist, wie kolportiert wird, dann liegt hier ein massives Versagen; vor oder man kommt nicht umhin, von Korruption zu sprechen. Denn dann wurden einseitige Lobbygeschäfte aus reinen Profitgründen getätigt, ohne darauf zu achten, ob die Waffensysteme und Rüstungsgüter überhaupt sinnvoll sind.
Nur um das in Relation zu setzen: Mit umgerechnet gut 55 Milliarden US-Dollar liegt das angeblich so wehrlose Deutschland bei den Verteidigungsausgaben weltweit auf dem siebten Platz. Noch vor der Atommacht Frankreich, deutlich vor Ländern wie Australien (32 Milliarden US-Dollar) oder gar Spanien (20 Milliarden US-Dollar).
Israel, ganz anders aufgestellt und mit ganz anderen Gefahren und Nachbarn konfrontiert, gibt mit gut 23 Milliarden US-Dollar nicht einmal die Hälfte aus.
Egal, wie man die Situation dort beurteilt: Niemand würde sagen, dass Israel wehrlos ist.
Aber bei uns wird nie wirklich hingeschaut, geschweige denn diskutiert, wohin das ganze Geld fließt.
Endlich ehrlich über Geld und sein System reden
Wir müssen also über Täuschen, Tricksen und Tarnen reden. Das angebliche "Kaputtsparen" der Verteidigung ist eine Lüge.
Wenn es um mächtige Lobbys geht, ist immer genug Geld da. Zur Not wird noch ein Sonderfonds mit satten 100 Milliarden Euro beschlossen – mit stehenden Ovationen im Parlament und völlig an der Schuldenbremse vorbei.
Auch hier ohne Prüfung, wohin das Geld fließt oder ob es sinnvoll ausgegeben wird. In anderen Bereichen muss das für jeden Cent gemacht werden.
Klimaschutz, Bildung, Kinderarmut! Undenkbar.
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Bei der Kindergrundsicherung muss trotz Koalitionsvertrag gespart werden, es kommt ein lächerlicher Betrag heraus, der niemandem hilft.
Von sozialem Wohnungsbau, Schulsozialarbeit, mehr Geld für die Wissenschaft – alles wichtige Zukunftsinvestitionen – ganz zu schweigen.
Wir brauchen eine transparente und ehrliche Diskussion über das Geld der Bevölkerung. Dann würde klar, dass die Politik uns ein Spardiktat auferlegt, wo wir eigentlich Investitionen bräuchten, und dass wir dieses Geld, auch in unserem jetzigen System, hätten, wenn nicht bestimmte Lobbys so bevorzugt und beschenkt würden.
Aber eigentlich geht es um etwas ganz anderes: Der Mythos von der angeblich lupenreinen Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft wäre noch schwerer aufrechtzuerhalten.
Es geht eben nicht darum, die nächste Generation vor zu vielen Schulden zu bewahren, sondern darum, die Profite einiger weniger zu sichern.
Dabei wird jede Belastung der Zukunft in Kauf genommen, auch der "Kollateralschaden", dass sich die Menschen immer mehr von der Politik abwenden oder denen zuwenden, die die Demokratie abschaffen wollen. 1
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