Jagd auf Separatisten: Im Unterschied zu Belgien wurde Puigdemont in Deutschland festgenommen
Die spanische Justiz hat nach erneuter Blockade einer Regierungsbildung europäische und internationale Haftbefehle gegen den katalanischen Ex-Präsidenten und weitere Politiker ausgestellt
Nachdem alles in Katalonien am Wochenende so ablief, wie es Telepolis vorhergesagt hatte, also auch die dritte Amtseinführung eines Präsidenten durch Tricks der Justiz im Sinne der spanischen Regierung verhindert wurde, kam am Sonntag die Nachricht aus Deutschland, dass Carles Puigdemont dort festgenommen worden sei. Dem von Spanien über die Zwangsverwaltung abgesetzten Präsidenten der katalanischen Regierung wird von der Justiz in Madrid Rebellion und Veruntreuung von Geldern zur Durchführung eines Referendums vorgeworfen. Er hatte sich mit mehreren ehemaligen Ministern nach Belgien ins Exil begeben.
Er ist nun am Sonntagvormittag bei der Einreise mit dem Auto von Dänemark nach Deutschland festgenommen worden. Puigdemonts Anwalt Jaume Alonso-Cuevillas hat per Twitter bestätigt, dass er bei der Einreise aus Dänemark festgenommen wurde, als er sich auf der Rückreise aus Finnland nach Belgien befand. Das Landeskriminalamt Kiel bestätigte derweil ebenfalls Berichte deutscher Medien.
Spanische Medien verwiesen darauf, dass dies auf Basis einer Verfolgung - die Frage der Rechtmäßigkeit ist unklar - durch den spanischen Geheimdienst CNI möglich wurde. Der Geheimdienst habe seine Bewegungen kontrolliert, schreibt die große Zeitung El País, die gewöhnlich von den verschiedenen spanischen Geheimdiensten gut gefüttert wird (Deutsche Polizei nimmt den katalanischen Ex-Präsident Puigdemont fest).
Nun hat in Schleswig-Holstein die dortige Generalstaatsanwaltschaft den Fall übernommen. "Herr Puigdemont befindet sich derzeit in polizeilichem Gewahrsam", erklärte Vize-Generalstaatsanwalt Ralph Döppner. Derzeit werde geprüft, wie lange man Puigdemont auf Basis des europäischen Haftbefehls festhalten könne. Spanien kündigte an, alle nötigen Unterlagen nach Deutschland zu schicken. Ob die Informationen tatsächlich vom CNI stammten, sagte Döppner nicht. Er erklärte nur: "Wir hatten nur die Erkenntnisse, dass er sich in Deutschland aufhalten soll beziehungsweise einreist."
Auch der "Focus" schreibt, dass der spanische Nachrichtendienst die Informationen geliefert habe. Als sich der Katalane von Finnland in Richtung Deutschland aufgemacht habe, hätten die Spanier die Fachabteilung "Sirene" beim Bundeskriminalamt informiert und dann sei von dort aus das Landeskriminalamt in Schleswig-Holstein informiert worden. Puigdemont sei inzwischen in das Gefängnis in Neumünster verfrachtet worden.
Die Entscheidung darüber, ob Puigdemont tatsächlich in Auslieferungshaft genommen werde, wird vermutlich erst am Montag fallen, fügte Döpper an. Das zuständige Amtsgericht müsse sich mit dem Fall befassen. Klar ist, dass sich Deutschland mit der Überstellung nach Neumünster schon jetzt anders verhält als Belgien. Dort war Puigdemont nur kurzzeitig für Stunden nach seinem Gang ins Exil "festgesetzt" worden, weder festgenommen oder verhaftet, wie die Staatsanwaltschaft betont hatte.
Und es ist wohl kaum von den Freunden Spaniens in der GroKo in Berlin zu erwarten, dass man dort das Kind wie in Belgien auch beim Namen nennt, wie es von flämischer und wallonischer Seite bisher der Fall war. So hatte auch der wallonische Ex-Regierungschef Elio di Rupo erklärt, dass der spanische Regierungschef Mariano "Rajoy wie ein autoritärer Franquist" vorgehe. Es sei "schockierend", wenn man Puigdemont inhaftieren würde, hatte der Sozialdemokrat angefügt. Er forderte von Spanien ein Minimum an "Würde" im Umgang mit politischen Forderungen und dass "wir stets Demokraten bleiben" müssen.
Kann Puigdemont einen fairen Prozess in Spanien erwarten?
Gründe, die Auslieferung von Puigdemont zu verweigern, gibt es viele und sie wurden in den letzten Monaten immer gravierender. Die Entwicklungen in den letzten Tagen machen unmissverständlich deutlich, dass er keinen fairen Prozess zu erwarten hat, da Willkür und Rache eine Justiz antreibt, die durch eine fehlende Unabhängigkeit glänzt und stets in der Katalonienfrage im Sinne und nach Vorgaben der Regierung handelt. Wegen fehlender Unabhängigkeit und Mitteln sowie der Einflussnahme der Politik drohen Richter und Staatsanwälte mit einem Streik am 5. April.
Und hätte es noch eines Beweises bedurft, nachdem mit zahllosen Tricks verhindert wurde, dass Puigdemont erneut als legitim demokratisch gewählter Präsident auf den Regierungssitz zurückkehrt, hat nun der Richter Pablo Llarena in den letzten Tagen der Rechtsunsicherheit mit Rechtsumgehung und Rechtsbeugung eine neue Krone aufgesetzt. Dabei störte ihn nicht die Bohne, dass nun sogar der Menschenrechtskommission der UNO ihn und seinen gesamten Gerichtshof, der seine Beschlüsse abnickt, dafür angreift, dass er zivile und politische Rechte aushebelt.
UN-Menschenrechtskommission rügt oberstes Gericht Spaniens
Die Kommission, vor der gerade Puigdemont und die in die Schweiz geflüchtete ehemalige CUP-Sprecherin Anna Gabriel ausgesagt haben, hat Spanien nun gerügt. Die UNO fordert von dem Land, "alle Mittel zu ergreifen", um die Rechte von Jordi Sànchez zu garantieren. Denn dessen Amtseinführung hat der Richter mit fadenscheinigen Begründungen verhindert. Sogar die Zeitung El País, die diesen Repressionskurs stützt, kam nicht umhin, darüber zu berichten, dass die UNO den Obersten Gerichtshof des Landes für die Rechtsverletzung gerügt hat. () Das geschah allerdings nur kurz und nur in der Katalonienausgabe. Den Rest des Landes hält man darüber im Unklaren.
Die Forderung des Komitees, Sànchez den Gang ins Parlament zu erlauben, gilt natürlich und besonders auch für Turull. Darüber hat sich Richter Llarena aber noch krasser hinweggesetzt, da er durch die Inhaftierung verhinderte, dass Turull sich am Samstag dem zweiten Wahlgang stellen und zum Präsident gewählt werden konnte. Denn Llarena ließ ihn erwartungsgemäß am Samstag nicht ins Parlament, womit er erneut gegen bisherige Rechtspraxis und die Unschuldsvermutung verstoßen hat.
Deutlicher kann er seine Befangenheit nicht zeigen, weshalb der Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo von "Rechtsbeugung gegen die Demokratie" spricht und Klagen gegen Llarena empfiehlt, der sich strafbar gemacht habe und seine Richterbefugnisse verlieren müsste. Er habe praktisch alle bisherigen Beschlüsse über das Vorgehen gegen Sànchez schon kompromittiert und nun zum zweiten Mal, so Royo, dem "schwersten Fall von Rechtsbeugung" schuldig gemacht, "die ein Richter in einer Demokratie" begehen könne, sagte Royo. Es war bisher normal, auch Untersuchungsgefangene der baskischen Untergrundorganisation ETA ins Parlament zu lassen.
Im Fall Turull ist das Vorgehen des Richters noch eine Stufe offensichtlicher, da er am Samstag im zweiten Wahlgang hätte mit einfacher Mehrheit gewählt werden können. Die vier Stimmen der CUP waren nicht mehr nötig. So hat die CUP Spanien praktisch in die Hände gespielt, von dem sie sich besonders konsequent lösen will. Die Argumentation für die Enthaltung war, zum Entsetzen vieler ihrer Wähler, dass Turull und die neue Regierung sich nicht konsequent für den Aufbau der Republik einsetzen wollten und eine Rückkehr zum Autonomismus im Sinn hätten.
Die Inhaftierungen und die "Reaktivierung der europäischen Haftbefehle", auf deren Basis nun Puigdemont in Deutschland festgenommen wurde, basiert auf einem Phantasiegebilde des Richters. Er musste diese Haftbefehle in Belgien wegen ihrer Aussichtslosigkeit schon wieder zurückziehen, bevor sie die Justiz in Brüssel abgelehnt hätte. Er konstruiert eine angebliche Rebellion mit einer hanebüchenen Argumentation. Die stellt nicht auf geschehene Gewalt ab, sondern auf ein "Risiko" von Gewalt zur Durchsetzung der Unabhängigkeit in der Zukunft, weil es ja große Mobilisierungen gibt.
Das bedeutet, dass wirkungsstarke Demonstrationen nun in ganz Spanien plötzlich als eine Art "Putsch" gesehen werden können, wenn sich diese Rechtsauffassung durchsetzen würde. Ein Risiko von Gewalt besteht bei großen Mobilisierungen immer, vor allem wenn die spanischen Sicherheitskräfte mit brutaler Gewalt auf friedliche Menschen losgehen, wie beim Referendum am 1. Oktober. Das von der Verfassung eigentlich garantierte Demonstrationsrecht würde so ausgehebelt, wie es längst mit der Meinungsfreiheit passiert, wie nun auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon festgestellt hat (Twittere, wenn du dich traust). Gewalt muss also Llarena herbeifabulieren, da es ohne Gewalt keine Rebellion geben kann, wie zahlreiche Experten immer wieder betonen und die Rechtsverstöße kritisieren.
Es muss für Rebellion eine "gewaltsame öffentliche Erhebung" geben, wie am 23. Februar 1981. Damals stürmte die paramilitärische Guardia Civil bewaffnet das Parlament. Die Putschisten, mit denen der König sympathisierte wurden allerdings nicht für 30 Jahre eingesperrt, da der entsprechende Artikel mit Blick auf diese Vorgänge erst danach ins Strafgesetzbuch aufgenommen wurde und nun missbraucht wird, wie es die Regierung auch mit dem § 155 und der Zwangsverwaltung tut.
Der Mann, der den Artikel zur Rebellion verfasst hat, hält seine Anwendung auf Katalanen für unmöglich. Der Sozialdemokrat Diego López Garrido hatte dabei nie Demonstrationen im Blick. Nicht einmal "Aufruhr" sei auf die Katalanen anwendbar, meint auch López Garrido, sondern nur mutmaßlicher Ungehorsam. Der Großteil der Beschuldigten wird aber nun der Rebellion beschuldigt, die Jordis, bisher nur für Aufruhr inhaftiert, sollen nun aber auch "Putschisten" sein, hat Llarena am Freitag beschlossen.
In Katalonien ist eine neue Phase angebrochen, die Katalanen müssen aufpassen, nicht in die Gewaltfalle zu geraten
Der Parlamentspräsident Roger Torrent hat Turulls Amtseinführung nur unterbrochen und nicht abgebrochen, wie es die spanische Regierung gefordert hat. Sie droht auch Torrent nun schon mit Konsequenzen. Dass jetzt bereits die dritte Amtseinführung mittels der spanischen Justiz verhindert wurde, entsetzt auch Parteien außerhalb der Unabhängigkeitsbewegung. Torrent hat bei seiner Rede nach der unterbrochenen Amtseinführung am Samstag eine "breite Front" gegen die "Eskalation" aus Spanien verlangt, die "für alle Demokraten inakzeptabel" sein müsse.
Das sehen auch Politiker der linken Podemos und der Sektion der spanischen Sozialdemokraten in Katalonien ähnlich, obwohl dort etliche progressive Mitglieder ausgetreten sind, als die PSOE in Madrid die Zwangsverwaltung über den Paragraphen 155 abgenickt hat. Der Podemos-Chef in Katalonien, Xavier Domènech, hält es für unerlässlich, eine "Front" zur "Verteidigung der Demokratie und Freiheit" zu schmieden.
Auf den Straßen wurde der Ton schon seit den neuen Inhaftierungen rauer und der Ton spitzt sich mit der Inhaftierung Puigdemonts weiter zu. Bisher zeichneten sich die großen Demonstrationen der Unabhängigkeitsbewegung stets durch freudiges Lächeln und maximale Friedfertigkeit aus. Das Lächeln wurde den Katalanen nun mit der Repression aber aus dem Gesicht gewischt. Immer stärker macht sich Wut breit, die sich auch in Straßen- und Autobahnblockaden zeigt. Die katalanische Polizei versuchte am Freitag auch gewaltsam, eine Versammlung vor der spanischen Vertretung in Katalonien aufzulösen, da die Menschen nicht nach Hause gehen wollten. Zu hoffen ist, dass die Katalanen weiter besonnen bleiben und nicht in die Gewaltfalle tappen, in die sie Llarena und die spanische Regierung treiben wollen, um die Bewegung zu diskreditieren.
Nach zwei erfolgreichen Generalstreiks gegen die spanische Repression in Katalonien fordern die CUP und viele an der Basis einen neuen Generalstreik und massive Demonstrationen gegen die Inhaftierung von Puigdemont. Die Forderung nach einem "vaga general" wird überall auf den Demonstrationen und Kundgebungen laut, die gerade überall in Katalonien stattfinden. Auch im Baskenland sind in allen Städten heute spontan viele Menschen aus Solidarität auf die Straße gegangen.
Besondere historische Verantwortung Deutschlands
Für Deutschland ist die Frage der Auslieferung von Puigdemont nach Spanien mit vielen Fallstricken und mit besonderer historischer Verantwortung verbunden. Zunächst ist zu beachten, dass es die deutsche Gestapo war, die im besetzen Frankreich den mit deutscher Unterstützung weggeputschten katalanischen Regierungschef Lluis Companys verhaften ließ. So fragen katalanische Medien, ob Deutschland zum zweiten Mal einen geschassten katalanischen Präsidenten an Spanien ausliefert.
Companys wurde schließlich von der Gestapo an die Faschisten in Spanien übergeben, schwer gefoltert und danach erschossen. Vor einigen Monaten hatte schon ein Sprecher der regierenden spanischen Volkspartei (PP) erklärt, dass Puigdemont wie Companys "enden könne", was als Morddrohung verstanden wurde.
Deutschland könnte nun zeigen, dass man aus der Geschichte etwas gelernt hat und die Entschuldigung von Bundespräsident Herzog in Gernika, der sich Bundeskanzlerin Merkel bisher nicht angeschlossen hat, keine Ausnahme bleibt. Puigdemont an die Nachfahren der Diktatur auszuliefern - die PP wurde von Franco-Ministern gegründet und hat sich von Putsch, Diktatur, Folter und Massenmord nicht distanziert -, wäre ein fatales Signal.
Deutschland könnte dabei auch alleine bleiben. Die Schweiz hat schon im Fall Gabriel und beim Besuch von Puigdemont kürzlich in der Schweiz deutlich gemacht, dass man nichts gegen die katalanischen Politiker unternehmen werde, als das spanische Ministerium für Staatsanwaltschaft die Verhaftung gefordert hat. Genau deshalb hat sich die ERC-Generalsekretärin am Freitag ins Schweizer Exil begeben, statt wie der ERC-Präsident Oriol Junqueras in das Gefängnis zu gehen, wo er seit November schmort.
Belgien, das ist auch schon ziemlich klar, wird wohl kaum auf die Reaktivierung der einst zurückgezogenen europäischen Haftbefehle mit Verhaftungen und Auslieferungen reagieren. Das Land liefert auch ein mutmaßliches ETA-Mitglied nicht an Spanien aus, das ständig vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wegen Folter verurteilt wird.
Und dass Großbritannien, wo man in einem verbindlichen Referendum die Unabhängigkeitsfrage Schottlands klären ließ, die ehemalige Ministerin Clara Ponsatí ausliefert, darf bezweifelt werden. Ponsati ist nun wieder als Professorin an einer schottischen Universität tätig. So könnte Deutschland allein als Unterstützer der spanischen Repression in unheilvoller historischer Kontinuität stehen.