Kriegsbilder: Rückkehr im Sarg

Zuerst gab es die Bilder von den Särgen von im Irak gefallenen US-Soldaten im Internet, dann erst wagte eine US-Zeitung die Veröffentlichung

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Dass Bilder eine wichtige Rolle in Konflikten und Kriegen spielen, ist mittlerweile bekannt. Welche Bilder in der globalen Öffentlichkeit zirkulieren, kann entscheidend sein: nicht in erster Linie für den militärischen Sieg, aber für den längerfristige Wahrnehmung der Gegner vor dem Weltpublikum, dessen Sympathien und Hass sich auf den Fortlauf der Geschichte auswirken. Manchmal aber können Bilder von Ereignissen - beispielsweise die Fotografien von der Behandlung der Guantanamo-Gefangenen - auch direkt und nachhaltig die Meinung vieler Menschen beeinflussen. Schon lange sind daher die wirklichen Kriege durch Bilderkriege überlagert. Doch mit der Gegebenheit einer globalen Öffentlichkeit, wie sie vom Internet geschaffen wird, in dem auch Einzelne Informationen weltweit verbreiten können, spitzt sich das Thema der Kontrolle über die Bilder zu.

Das Foto aus der Seattles Times

Der Krieg in Afghanistan sowie der Krieg im Irak und die darauf folgende Besatzung haben die Bedeutung der Bilder und ihre Kontrolle noch einmal deutlich gemacht. Wer die Bilder kontrolliert und sie wie das Pentagon im Irak-Krieg mit den eingebetteten Journalisten direkt in die Massenmedien einspeisen kann, hat einen Vorteil (Die Mutter aller Aufmerksamkeitsschlachten). Doch als der Siegeszug gelegentlich ins Stocken kam und manche vom Pentagon inszenierte Geschichten sich als nicht wahrheitsgemäß herausstellten, drangen auch andere, von den Koalitionstruppen und ihren PsyOp-Abteilungen nicht kontrollierte Bilder stärker durch.

Als Bilder aus Basra von al-Dschasira gesendet wurden, die zeigten, dass es dort keineswegs wie behauptet, einen Aufstand gab, wurde das Hotel der Journalisten beschossen. Den nächsten Konflikt gab es mit den Bildern der gefangenen US-Soldaten (Krieg der Bilder). Und dann, im Vormarsch auf Bagdad, gab es nicht nur vom irakischen Fernsehen, sondern auch von den dort befindlichen Reportern Bilder der Zerstörungen und zivilen Opfer. Auch hier gerieten schließlich Reporter ins Schussfeld amerikanischer Soldaten (Bombenzensur oder "Kollateralschaden"?). Vor allem die arabischen Sender al-Dschasira uns al-Arabia wurden immer wieder einmal für den aufflammenden Widerstand verantwortlich gemacht (Schwierigkeiten mit der Pressefreiheit im Irak) und auch beschuldigt, mit den Aufständischen zu kooperieren (Medienkrieg im Irak) und falsche bzw. einseitige Berichte zu senden. Letzte Konflikte gab es bei den Bildern aus Falludscha, die zeigten, wie Iraker die verbrannten Leichen der getöteten amerikanischen Sicherheitsleute traktierten (Triumph der Grausamkeit) und welche Schäden (Krieg in den Städten) die Angriffe der Amerikaner in der Stadt bewirkten ("Falsche Berichterstattung wird in diesem Land nicht erlaubt").

Das Pentagon hatte den Irak-Krieg, der einfach zu gewinnen schien, erstmals als Live-Krieg für die Weltöffentlichkeit an den Bildschirmen inszeniert (Der "eingebettete" Reporter). Vor dem Krieg wurden nicht nur Reporter gewarnt, unabhängig vom Pentagon in den Irak zu fahren (Bildbereinigung in den Medien), es wurde auch ein Befehl an alle US-Stützpunkte gegeben, der Zeremonien und Berichterstattung über amerikanische Opfer untersagte:

Es wird keine Ankunftszeremonien für verstorbenes Militärpersonal noch eine Medienberichterstattung über diese geben, wenn sie nach Ramstein oder Dover zurückkehren oder von dort starten, alle Zwischenaufenthalte eingeschlossen.

Zudem hat US-Präsident Bush es vermieden, an Begräbnisfeierlichkeiten von gefallenen Soldaten teilzunehmen, um keine bildnerischen Analogien zwischen seiner Person und den im Krieg Getöteten herzustellen.

Bislang ist die Strategie weithin aufgegangen. In den amerikanischen und in den meisten westlichen Medien wurden kaum jemals Bilder der vielen, teils schrecklich verstümmelten verwundeten US-Soldaten gezeigt. Während an den Anschlagsorten im Irak zwar verletzte und tote Iraker in den Medien zu sehen waren, blieben die Opfer unter den Soldaten der Koalitionstruppen aus dem Bild. Und es gab, wie der Befehl es verlangte, auch keine Bilder von Särgen, die in die Heimat gebracht werden.

Zunächst zirkulierten aber letzte Woche bereits Fotos mit Särgen im Internet. Ohne Kommentar und ohne Quelle. Aber das war sicherlich nicht der Grund, warum die Mainstreammedien die Fotos nicht aufgegriffen haben, während beispielsweise Websites wie der Drudge Report, spezialisiert auf Skandale und Aufmerksamkeitserzeugung, schnell übernahmen. Dann aber veröffentlichte die Seattle Times auf der ersten Seite ein Foto von einem Transportflugzeug, in dessen Laderaum Sarg an Sarg stand, alle eingehüllt in die amerikanische Flagge - und erzielte so den von Websites vorbereiteten Durchbruch.

Hunderte von Fotos, die in Flaggen eingehüllte Särge mit toten Soldaten aus dem Irak zeigen, sind im Internet gelandet. Das Pentagon versuchte, alle Bilder von Toten zu verhindern, die am Luftwaffenstützpunkt Dover in Delaware, wo sich die größte Leichenhalle des Verteidigungsministeriums befindet, ankommen. Aber im Internetzeitalter zirkulieren Informationen und Bilder ohne Respekt vor Regierungserlassen.

Matt Drudge

Als Reaktion wurde nun Tami Silicio, die Frau, die das Foto, das von Seattle Times veröffentlicht wurde, in Kuwait gemacht hatte, entlassen. Sie war eine Angestellte von Maytag Aircraft Corp. Und für das Be- und Entladen von Flugzeugen zuständig. Zugleich wurde auch ihr Mann, der dieselbe Tätigkeit in dem Unternehmen ausführte, ohne Angabe von Gründen gefeuert. Die Firma gab lediglich bekannt, dass Silicio Vorschriften des Unternehmens und der Regierung verletzt. Sie selbst sagt, sie habe das Foto nur weiter gereicht, damit die Angehörigen der Getöteten sehen, dass deren Leichen mit Respekt behandelt würden.

Ganz in dem Sinne hatte die Seattle Times ihren Artikel aufgemacht (The somber task of honoring the fallen), wobei allerdings darauf hingewiesen wurde, dass jetzt mehr und mehr Särge vom Irak über Kuwait nach Ramstein und schließlich nach Dover transportiert werden müssen. In einem begleitenden Kommentar hatte Chefredakteur Mike Fancher erklärt, dass man zuerst versucht hat, einen Kontext für das beeindruckende Foto vor seiner Veröffentlichung herzustellen, das der Redaktion zugegangen ist. Es könne zwar manchen als Antikriegs-Statement erscheinen, aber das sei weder Intention der Times noch die von Silicio. Nun ja, man musste sich auf jeden Fall vor Kritik absichern, die so sicher kommen musste, wie das Amen nach Gebet.

Ankunft in Dover

Die Times schob aufgrund der Entlassung noch einmal einen Kommentar nach: Firing holds a message about war. Noch einmal wird bestätigt, dass Times und Silicio keine Kritik an Bush und seinem Krieg üben wollte. Die Entlassung habe aber das Recht von Silicion in Frage gestellt, die Gefallenen zu ehren, aber auch das der Öffentlichkeit, diese Bilder zu sehen. Große Vorsicht waltet, irgendwie scheint dann doch diese die letzte Botschaft zu sein:

Und die Botschaft in diesem Bild? Dass die Regierung es vorziehen würde, dass dieses immer weiter wachsende Kapitel des Kriegs geheim bleibt.

Aufgrund des Informationsfreiheitsgesetzes konnte die Website The Memory Hole einige hundert Fotografien vom Pentagon erhalten, die Ankunft der Flugzeuge mit den Särgen in Dover zeigen. Noch sind die schrecklicheren Bilder geheim. Es gibt sie bereits im Internet. Bilder etwa von den verstümmelten Soldaten, die im Dunklen bleiben sollen.

Update

Inzwischen hat auch das Weiße Haus Stellung zur Veröffentlichung der Fotos genommen. Das Verbot, Särge der gefallenen Soldaten in den Medien zu zeigen, diene, so Pressesprecher Trent Duffy, nur dazu, die Privatsphäre der Familie der Gefallenen und deren Gefühle zu schützen. Ansonsten hätten die Bilder den Präsidenten an die Opfer erinnert, die die Soldaten für die Freiheit geben. Ihr Tod erinnere auch daran, dass die USA gewinnen müssen. Aber eigentlich wirkte der Pressesprecher überfordert, auf die Fragen der Journalisten eine schlüssige Antwort zu geben:

Can I ask you about the flags -- the coffins, rather. Is the President upset by the release of these photos?

MR. DUFFY: Well, the President has seen the photos and his reaction is what he said at the news conference last week, which is that it’s a reminder of the sacrifice that our men and women are providing in Iraq and around the world to protect Americans and to deliver freedom for others. And it’s a testament to their service. And it’s a stark reminder on why we must win. And that as high a price as this is, the price of failure would be that much higher, because you would essentially turn Iraq back over to people who have killed our troops, who have mutilated American bodies and who have participated in the killing of innocent men, women and children -- which is why we must stay firm and transfer sovereignty to Iraq and make sure that we win.

Q If the coffins are useful, perhaps we should keep releasing these kind of photos. He sounds like he’s in favor of them being released.

MR. DUFFY: I didn’t say that, Scott. I said the President spoke to the nation about how he feels when he meets with the families of the fallen, about how he grieves with them and our thoughts and prayers are with the families. In all of this, we must pay attention to the privacy and to the sensitivity of the families of the fallen. And that’s what the policy is based on and that has to be the utmost concern.

Q Okay. I mean, the reaction he had makes it sound like it was useful, but you’re saying that he supports the policy of not releasing any more; is that what you’re saying?

MR. DUFFY: We have to remember that the interest of the families and their privacy and their sensitivity during these tough times is what the policy is grounded in. And that has to be his top concern, and it is.

Q Does he feel that the pictures today invaded anyone’s privacy?

MR. DUFFY: I didn’t get into that with him.

Auch im Verteidigungsministerium zeigt man sich nicht erfreut. Das Informationsfreiheitsgesetz wird mithin weiter eingeschränkt:

Quite frankly, we don't want the remains of our service members who have made the ultimate sacrifice to be the subject of any kind of attention that is unwarranted or undignified.

John Molino, Staatssekretär im Pentagon