"Mainstream" und "alternative" Medien: Warum ich schreibe, wo ich will

Viele Bildschirme

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Parteien wollen nicht miteinander regieren, "etablierte" und "alternative" Medien schneiden einander: "Brandmauern" überall. Warum ich dabei nicht mitmache.

"Brandmauern" nennen Politiker all der Parteien, die heute in Deutschland regieren, ihren Beschluss, kategorisch nicht mit den anderen Parteien zusammenzuarbeiten. Man hält die einflussreichen Positionen der Republik in Politik, Wissenschaft und Kultur weitenteils besetzt und bleibt gern unter sich, während neue Kräfte versuchen, die Macht für sich zu erobern.

Dieser normale Machtkampf hat seine Entsprechung in der Medienlandschaft, wo zwei große Journalisten-Lager selbst ihre "Brandmauern" unterhalten. Hier werden nicht Parteien, sondern Medien rhetorisch in "gute" und "schlechte" unterteilt.

Linksliberales Zentrum und Dissidenten

Grob peilend können wir einerseits von einem linksliberalen Journalisten-Lager sprechen, das den Status quo der Republik im Grunde bejaht und die Einbindung Deutschlands in die Politik von EU und NATO stützt.

Ob ein Medium zu diesem Lager gehört beurteile ich danach, ob einige seiner Beschäftigten eines Tages Regierungssprecher werden oder offen ein Parteibuch tragen. Ein großer Teil der Redaktionen von Zeit, Spiegel, Bild, FAZ, SZ und des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehören zu dieser Fraktion.

Dem steht ein Lager in der Wolle gefärbter Gesellschafts- und Regierungskritiker gegenüber, die Deutschland nicht als vollwertigen Rechtsstaat sehen, eine faktische Diskriminierung von Meinungen und Menschen beklagen, die dem linksliberalen Zentrum widersprechen, und die mit Blick auf Deutschland und den Westen überhaupt von Demokratie nur in Anführungszeichen sprechen.

Wo sie eine oder mehrere dieser Positionen öfter artikuliert finden, etwa bei den Nachdenkseiten, der Weltwoche und der Berliner Zeitung (für die ich u. a. auch schreibe), da befinden Sie sich wahrscheinlich in diesem Lager.

Die "Brandmaurer" in beiden Fraktionen wollen von Autoren, die in Medien des anderen Lagers vorkommen, nichts wissen. Ihr Argument ist immer gleich, nur die Bezichtigungsvokabeln variieren: Die Zeitung X sei "AfD-" oder "BSW-nah", sei in "SPD-", "Nato-" oder "Regierungskreisen" verhaftet oder tummle sich in einem "extremistischen" oder gar "verschwörungstheoretischen Milieu".

"Schwurbelei" und "Schlafschafe"

Während Lesekunden des einen Lagers die Stimmen aus dem anderen als "Schwurbelei" von "Radikalen" oder "Verschwörungstheoretikern" abtun, die "unsere Demokratie gefährden", lacht man auf der anderen Seite über "Schlafschafe", die sich die Tagesschau als Fenster zur Wirklichkeit vorstellen, statt sie als "Propagandainstrument" der Regierung zu erkennen.

Michael Andrick

Zwei Annahmen stehen hinter diesem Abgrenzungsgehabe: Erstens geht man davon aus, ein Autor infiziere sich gleichsam durch Präsenz in einem Medium mit den negativen Eigenschaften, die man dem Medium beilegt. Das ist magisches Kontaktschuld-Denken und nicht ernstzunehmen.

Zweitens unterstellen die "Brandmaurer": "Taucht jemand bei Zeitung X auf, dann macht er sich die Meinungstendenz dieses Mediums und seiner Leser zu eigen." Das Interesse Intellektueller, gerade diejenigen zu erreichen, die ganz anders denken als man selbst, wird verkannt oder missdeutet.

Medien und Autoren arbeiten faktisch bei diesem Zirkus verdächtigender Ausgrenzung miteinander zusammen. Viele Autoren achten penibel darauf, nicht bei Medienmarken präsent zu sein, von denen sie vermuten, dass sie redaktionellen Partnern anderswo missfallen.

Wird man z. B. beim Deutschlandradio noch eingeladen, wenn man auch bei Tichys Einblick schreibt und umgekehrt? Könnte eine Polit-Satire auf den Nachdenkseiten die Türen beim Freitag für mich schließen? Spreche ich mit Jasmin Kosubek – ruft der RBB dann noch bei mir an?

Ganze Redaktionen pauschal zu verurteilen, statt dargebrachte Argumente unabhängig vom Sprecher zu prüfen, kommt uns teuer zu stehen: Der Gesichtskreis schrumpft, viele valide Argumente verhallen ungehört und wir verlieren den Kontakt zu andersdenkenden Mitbürgern.

Der letzte Bericht des Ostbeauftragten der Bundesregierung wies denn auch darauf hin, dass überhaupt nur noch 37 Prozent der Deutschen Interesse daran haben, mit Menschen grundsätzlich anderer Auffassung zu diskutieren. Damit wird die Debatte um das Gemeinwohl faktisch breit boykottiert. Das mache ich nicht mit.

Ich verweigere das publizistische "Brandmauer"-Spiel deshalb und veröffentliche überall dort, wo ich im allgemeinen handwerklich sauberen Journalismus vorfinde und wo Freude an Kontroversen herrscht. Beim Spazierengehen zwischen Mauern und Gräben gibt es für alle am meisten zu lernen.

Michael Andrick ist promovierter Philosoph und Kolumnist der Berliner Zeitung. Er lebt in Berlin und publiziert u.a. in Freitag, Deutschlandfunk Kultur und Cicero. Sein aktuelles Buch "Im Moralgefängnis" wurde ein Spiegel-Bestseller.