Selbstentmachtung der Ratingagenturen

Nach dem Rundumschlag und der Abstufung des EFSF am Montag kam es nicht zum Börsencrash, stattdessen sinken die Zinsen für Problemländer

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Da hatte Standard & Poor's (S&P) am Freitag zum Generalangriff auf den Euro geblasen, doch an den Finanzmärkten wurde so reagiert, als hätte die Ratingagentur die Kreditwürdigkeit von Ländern wie Frankreich und Spanien sogar verbessert. Beide Länder konnten danach Staatsanleihen billiger loswerden, obwohl Spanien sogar um zwei Stufen herabgestuft wurde. Verunsicherung machte sich nicht einmal dann breit, als S&P am Montag nachsetzte und nun auch die Bonität des EU-Rettungsschirms erwartungsgemäß herabstufte. Den absurden Bewertungen wird immer weniger Glauben geschenkt, womit die Macht der US-Agenturen zerfällt. Damit steigt auch die Bereitschaft, ihnen Ketten anzulegen.

Offensichtlich hat sich S&P mit dem Vorstoß ein Eigentor geschossen, das zugleich bei den beiden anderen großen Agenturen einschlägt, auch wenn Fitch und Moody's den großen Schritt von S&P noch nicht gegangen sind. Moody's hatte nach der seit langem angedrohten Abstufung Frankreichs sogar ausdrücklich erklärt, dem Land die Bestnote 2012 nicht aberkennen zu wollen. Damit versucht offensichtlich Moody's zu retten, was zu retten ist, um die Glaubwürdigkeit der Agenturen nicht völlig zu zerstören.

Doch es sollte nicht vergessen werden, dass es Moody's war, die den Startschuss zur Hatz auf Portugal gegeben hatte (Kreist auch über Portugal der Pleitegeier?). Das Land wurde von dieser Agentur regelrecht in die Pleite gestuft, obwohl es keine wirtschaftlichen Fundamentaldaten gab, die das hätten rechtfertigen konnten. Schließlich preschte im Fall Portugals die Agentur ebenfalls vor, um Portugal sogar auf Ramsch-Niveau abzustufen. Damit wurde der Angriff auf die großen EU-Länder Spanien und Italien eingeleitet, das weiter nahe am Abgrund steht. Die Agenturen spielen sich die Bälle zu. Und so war es heute die Ratingagentur Fitch, die plötzlich damit kommt, dass die Pleite Griechenlands nicht mehr abgewendet werden könne. Das ist nun wirklich ein alter Hut angesichts der bisherigen Nothilfemaßnahmen.

Doch auch dieser Vorstoß sorgte nicht mehr für die erhoffte Unsicherheit an den Finanzmärkten. Für Spanien hat sich die Lage an der Zinsfront sogar deutlich weiter entspannt. Sogar die Abstufung des Landes durch S&P konnte die Tendenz nicht brechen. Das Land kann nun wirklich aufatmen, nachdem es am Dienstag erfolgreich Staatsanleihen versteigern und fast 5 Milliarden Euro zu einem erträglichen Zinssatz einnehmen konnte. Erneut haben sich die Renditen im Vergleich zur letzten vergleichbaren Auktion zum Teil halbiert, wie im Fall der Anleihen mit einer Laufzeit von 12 Monaten. Statt gut 4% wie im Dezember musste Spanien dafür nur noch gut 2% Rendite bieten. Nicht ganz so deutlich war der Abschlag bei der Versteigerung von Anleihen mit einer 18-monatigen Laufzeit. Musste Spanien dafür im Dezember noch eine durchschnittliche Rendite von fast 4,3% bieten, belief sie sich nun auf 2,4%.

Damit folgte Spanien dem französischen Nachbarn. Denn Paris konnte schon am Montag direkt nach der Abstufung seine Anleihen billiger an den Mann und an die Frau bringen. Insgesamt 8,6 Milliarden Euro konnte Frankreich zur Refinanzierung einnehmen. Papiere mit einjähriger Laufzeit gingen durchschnittlich für 0,41% weg. Bei der letzten vergleichbaren Auktion waren es noch gut 0,45%. Auch für Anleihen mit kürzeren Laufzeiten musste das Land geringere Renditen bieten. Der definitive Test für Frankreich steht allerdings noch aus. Am Donnerstag will das Land Bonds mit langen Laufzeiten zwischen 2 und 30 Jahren versteigern. Sollten auch die günstiger über den Tisch gehen, wäre sogar das Argument wie am Fall Spanien widerlegt, dass die erwartete Abstufung schon eingepreist war. Eine Einpreisung rechtfertigt keine Halbierung der Renditen.

Obwohl S&P am späten Montag sogar den temporären europäischen Rettungsfonds herabstufte, änderte auch das nichts daran, dass sogar der EFSF seine Bonds ohne Probleme am Dienstag versteigern konnte. Der European Financial Stability Facility nahm bei der Auktion gut 1,5 Milliarden Euro ein. Die Anleihe war sogar mehr als dreifach überzeichnet. Die Rendite lag nur bei knapp 0,27%. Frankreich musste am Montag für fast vergleichbare Papiere mit einer Laufzeit über 25 Wochen gut 2,8% bieten. So schön wie Deutschland hatten es aber weder der EFSF noch Frankreich. Für sechsmonatige Bundesanleihen akzeptierten die Anleger letzte Woche erstmals sogar negative Zinsen, womit sie weniger Geld zurückerhalten, als sie ausgegeben haben, um ihr Geld sicher zu parken.

Dass die Abstufungen praktisch keine negativen Spuren hinterlassen haben, zeigte sich auch an allen Börsen in Europa. Zum Teil gab es am Dienstag kräftige Gewinne und der Frankfurter Leitindex DAX verzeichnete zeitweise ein Plus von fast 2%. Ähnlich sah es auch auf anderen Parketts aus. Schwächer verlief der Handel in Spanien. Der IBEX war am Montag der einzige Leitindex, der mit 0,01% ein leichtes Minus ausgewiesen hatte und steht auch heute nur leicht im Plus.

Die Regulierung der Ratingagenturen rückt näher

Es zeigt sich, dass die Selbstentmachtung der US-Ratingagenturen offenbar in vollem Gang ist. Hatte eine Abstufung der USA durch S&P noch im vergangenen Sommer zu schweren Verwerfungen an den Finanzmärkten geführt (Kommt der große Börsencrash?), nimmt man nun praktisch nicht einmal mehr Notiz davon, dass neun Euroländer und der EFSF zum Teil um zwei Stufen herabgestuft wurden. Inzwischen setzt sich auch bei hochrangigen deutschen Politikern in aller Breite die Einsicht durch, dass man diese Agenturen an die Kette legen sollte.

Hatte man bisher immer wieder über die Gründung einer europäischen Ratingagentur debattiert, passierte real praktisch nichts. Nachdem schon der stellvertretende Unions--Fraktionschef Michael Fuchs am Samstag die Debatte um eine europäische Agentur befeuert hatte, scheint nun die Verärgerung allgemein in Berlin und Paris so groß zu werden, dass sie in greifbare Nähe rücken könnte. Sogar der liberale Bundesaußenminister Guido Westerwelle sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, es sei höchste Zeit, für mehr Wettbewerb in diesem Sektor sorgen.

Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kritisiert die Agenturen, weil sie Bock und Gärtner zugleich seien. Im Interview sagte er, man müsse "darüber nachdenken, wie wir die Rolle der Ratingagenturen auf das beschränken können, was sie tatsächlich sind". Schäuble erklärte, man arbeite in "Europa an Regeln, die den Ratingagenturen bestimmte Transparenzverpflichtungen auferlegen". Man müsse sicherstellen, dass die Agenturen nicht auch noch eigene Geschäftsinteressen hätten, "denn einige der modernen Finanzprodukte, die die Ursache der Krise 2008 gewesen sind", seien auch "von Ratingagenturen mit entwickelt worden und dann von denen mit der Höchstnote bewertet worden", meint nun auch Schäuble.

Warum die Regulierung der Finanzmärkte in fast vier Krisenjahren aber nicht vorangetrieben wurde und die Agenturen nicht längst entmachtet wurden, darauf antwortet Schäuble nicht. Diese Fragen, die sich fast vier Jahre nach Ausbruch der Krise aufdrängen, wurden aber nicht einmal gestellt. Das ist mehr als erstaunlich, da sogar der Internationale Währungsfonds (IWF) kritisiert hatte, dass diese Agenturen mit ihrer Arbeit eher die Instabilität fördern und dass wegen der fehlenden Regulierung sogar die "Saat für die nächste Krise" gesät werde.

Offenbar wird man nun angesichts der Selbstentmachtung der Agenturen in Berlin, Paris und Brüssel mutiger gegenüber den bisher scheinbar so mächtigen US-Agenturen. Vielleicht nimmt man sich auch ein Beispiel an Barack Obama, der nicht einfach hinnahm, dass S&P dem Land im letzten Sommer die Bestnote aberkannte. Obama hatte selbstbewusst erklärt: "Egal, was irgendeine Agentur sagt, wir waren immer und wir werden immer ein 'AAA'-Land sein." Auf Grund der staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen die Agentur musste plötzlich Deven Sharma nur drei Wochen nach der Abstufung den Hut nehmen und wurde an der Spitze von S&P abgelöst (Chef größter Ratingagentur wird nach US-Abstufungen zurückgetreten).