Wie der Viktor Orbán die EU-Spitze düpiert – und die ihn nun kaltstellen will

Seite 2: Warum die EU eine schlechte Verliererin ist

Allein: Die EU-Spitze und ihre Staats- und Regierungschefs sind schlechte Verlierer. In den Augen vieler ist Brüssel eben ein wenig wie der blöde Onkel bei den Familienfeiern der Kindheit, dem man beim Mikado-Spiel zwei der wertvollen blau-rot-blauen Stäbchen wegnehmen konnte und der dann beim bevorstehenden Siegeszug an der Tischplatte rüttelte.

Khalaf jedenfalls schreibt in der Financial Times, Orbáns rücksichtslose Haltung in einer zentralen EU-Sicherheitsfrage habe Entsetzen ausgelöst. Obwohl er seit 13 Jahren politisches Kapital aus seiner Gegnerschaft zur EU geschlagen habe, seien seine jüngsten Aktionen selbst für Kenner überraschend gewesen.

Die EU versuche nun, seine Macht zu begrenzen, doch Orbán sei vielmehr auf Geld fixiert. Seine Forderung nach den eingefrorenen Milliarden habe er erst spät enthüllt, und jetzt versuche die EU, ihn mit den "vollen Kosten" seiner Isolation zur Vernunft zu bringen. Rumms, voll gegen die Tischkante!

Brüssel laviert: erst zehn Milliarden, dann Isolation

Dabei hatte die EU-Kommission zunächst eine andere Spielstrategie verfolgt. Einen Tag bevor sich die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel trafen, stimmte die Kommission der Freigabe von zehn Milliarden Euro eingefrorener Gelder für Ungarn zu.

Sie argumentierte, Budapest habe ja schließlich Reformen umgesetzt, um die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken. Es war ein offensichtliches politisches Zugeständnis, das signalisieren sollte: Wenn du mitspielst, legen wir unsere Regeln großzügig aus. So zumindest wurde es im EU-Parlament verstanden, von wo es Proteste hagelte.

Orbán fühlte sich bestätigt, er, der noch am Nachmittag des Showdown-Tages mit einer siegessicher lächelnden Ursula von der Leyen zusammensaß, mit Pokerface, wie wir inzwischen wissen. Jetzt will er auch die restlichen 20 Milliarden eingefrorener EU-Gelder für sein Land und droht mit einer langen Ukraine-Blockade.

Was Artikel 7 bringen soll

Die EU muss entscheiden, ob sie nachgibt oder den auf Sanktionen angerichteten "Artikel 7" aktiviert. Der entsprechende EU-Rechtsstaatsmechanismus wurde 2014 eingeführt, "um die Werte der Europäischen Union zu schützen", wie es heißt.

Im Jahr 2021 trat ein neuer Mechanismus in Kraft, der Verstöße gegen die Werte der EU finanziell bestrafen kann, seit 2022 mit Absolution des Europäischen Gerichtshofs.

Das Verfahren nach Artikel 7, das 1997 mit dem Vertrag von Amsterdam eingeführt worden war, kann feststellen, ob eine Gefahr oder bereits eine schwerwiegende Verletzung dieser Werte vorliegt, wobei als schwerste Sanktion die Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedstaates möglich ist.

Was die EU jetzt erklären muss (und kaum kann)

Das Verfahren nach Artikel 7 wurde 2017 erstmals gegen Polen wegen Bedenken hinsichtlich der Justizreformen eingeleitet. Wenn es nun gegen Ungarn in Stellung gebracht wird, muss die EU-Kommission natürlich erklären, wie Viktor Orbáns Reich erst zu einem Drittel frei sprechen konnte, um es dann mit der vollen Wucht der EU-Verträge unter Druck zu setzen.

Nein, hier geht es nicht um Werte, sondern um Ziele. Nur ist niemand in Brüssel oder Berlin mutig genug, zuzugeben, was alle sehen, was auf der Hand liegt. Ein Demokrat und Rechtsstaatler würde sagen: Entweder Orbán verstößt gegen demokratische Regeln und wird sanktioniert, oder er tut es nicht.

Seinen Schachzug in der Ukraine aber indirekt von Hilfsgeldern abhängig zu machen, untergräbt die angeblich wertegeleitete EU.

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