Zu spät und zu wenig: Flutopfer in Spanien greifen Politiker an

Anwohner in Spanien bei Aufräumarbeiten

Anwohner helfen, Politiker inszenieren sich. Bild: Fernando Astasio Avila/ Shutterstock.com

Besuch des spanischen Königspaars in der Flutregion ging nach hinten los. "Mörder!", skandierte die Menge. Das belegt einen grundlegenden Wandel.

So haben sich das Königspaar und der Ministerpräsident das nicht vorgestellt: Bei einem Besuch von König Felipe VI., Königin Letizia und Ministerpräsident Pedro Sánchez in der von schweren Überschwemmungen betroffenen spanischen Gemeinde Paiporta sind die Politiker von aufgebrachten Anwohnern beschimpft und angegriffen worden.

Wie auch Regionalpräsident Carlos Mazón wurden sie als "Mörder" beschimpft, die Opfer der Umweltkatastrophe beschimpften die Besucher anhaltend und zunehmend aggressiv – sie machen Staat und Regierung für Tote und Verwüstung verantwortlich. Die sogenannte "Gota fría", ein Unwetter mit sintflutartigen Regenfällen, hatte in dem 29.000-Einwohner-Ort mindestens 62 Todesopfer gefordert. Weitere Opfer werden unter den Trümmern vermutet.

Hunderte Anwohner und Helfer empfingen die Delegation mit wütenden Protesten. Es flogen Schlamm, Flaschen und Stöcke, während Sprechchöre "Mörder, Mörder!", "Wir haben alles verloren!" und "Verschwindet aus unserem Ort!" skandierten. Die Menge machte vor allem Regierungschef Sánchez für die zu späte Hilfe verantwortlich. Auch Regionalpräsident Mazón wurde zum Rücktritt aufgefordert.

Sánchez und Mazón mussten die Begehung schließlich abbrechen und unter Polizeischutz den Ort verlassen, wobei ein Fahrzeug der Kolonne beschädigt wurde. König Felipe versuchte zunächst, mit den aufgebrachten Bürgern zu sprechen und rief zur Ruhe auf. "Die Einsatzkräfte tun was sie können", so der Monarch.

Letztlich wurde aber auch er unter Schmährufen eskortiert, während Demonstranten "Raus aus unserem Dorf!" riefen. In sozialen Medien warfen User dem Monarchen vor, Umarmungen mit Jugendlichen vor laufender Kamera vor Ort zu haben, um trotz der tödlichen Katastrophe in der Öffentlichkeit gut dazustehen. Wenn dem so ist, ist dieses Ansinnen deutlich misslungen.

Auch Königin Letizia sah sich harscher Kritik ausgesetzt. "Dir fehlt es an nichts, an gar nichts!", schleuderte ihr eine Anwohnerin entgegen. Die sichtlich schockierte Königin suchte ebenfalls das Gespräch und zeigte Mitgefühl: "Wie sollen sie sich nicht so fühlen", äußerte sie angesichts der Verzweiflung. Sie umarmte eine Betroffene, die Trost suchte.

Anwohner und freiwillige Helfer beklagten mangelnde und verspätete Unterstützung durch die Behörden in den fünf Tagen seit der Flutkatastrophe. Tausende Freiwillige hätten den Großteil der Aufräumarbeiten geleistet. Viele hätten alles verloren.

Ein Demonstrant forderte, die Verantwortlichen wegen unterlassener Hilfeleistung und mangelnder Vorwarnung zu inhaftieren.

Ministerpräsident Sánchez wurde nach den Tumulten in die Zentrale des Katastrophenschutzes gebracht. Regionalpräsident Mazón zeigte auf Twitter Verständnis für "die soziale Empörung" und nannte das Verhalten des Königs "vorbildlich". Der geplante Besuch im ebenfalls schwer getroffenen Ort Chiva wurde im Anschluss von allen Beteiligten abgesagt.

Hintergrund ist die verheerende Unwetterkatastrophe, die neben Paiporta viele weitere Orte in der Region Valencia schwer getroffen hat. Anhaltender Starkregen hatte Sturzfluten und Schlammlawinen ausgelöst, die zahlreiche Todesopfer forderten und enorme Schäden hinterließen. Die Anwohner fühlen sich in ihrer Not allein gelassen.

Viele haben Angehörige verloren und stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Dass hochrangige Politiker erst Tage später eintreffen, um Anteilnahme zu zeigen, empfinden sie als Hohn.

Die Ereignisse verdeutlichen die angespannte Stimmung und die enorme Wut der Betroffenen auf die Institutionen. Der Besuch der Regierungsspitzen hat die Situation weiter zugespitzt. Auch das ist ein Novum, denn es zeigt: In dem Maße wie Extremwetterereignisse zunehmen, spitzen sich auch die Reaktionen zu.

Der Klimawandel wird damit nicht in uns fernen Regionen der Welt zum Faktor politischer Destabilisierung, sondern auch hier, im Herzen Europas.