Bringt die Justiz Klarheit über Madrider Anschläge?
Kurz bevor der Prozess zu den islamistischen Anschlägen 2004 in Madrid beginnt, wurde der Hauptangeklagte Spanier wegen Sprengstoff- und Drogenhandel verurteilt
Am 15. Februar beginnt Spanien mit der juristische Aufarbeitung der Anschläge vom 11. März 2004. Mit 13 Bomben wurden in der morgendlichen Stoßzeit vier Vorortzüge in der Hauptstadt Madrid in die Luft gejagt. Dabei wurden 191 Menschen getötet und über 1700 Menschen verletzt (vgl. Blutiger Wahlkampf in Spanien). Für die 29 Angeklagten werden insgesamt mehr als 270.000 Jahre Haft gefordert. Die höchste Strafe soll einen Spanier treffen. Für den Polizeispitzel und Sprengstoffdealer fordert die Staatsanwaltschaft 38.667 Jahre Haft. Wegen Sprengstoff- und Drogenhandel wurde er nun schon zu zehn Jahren Haft verurteilt. Ob der beginnende Prozess mehr Aufklärung als die parlamentarische Untersuchung bringt (vgl. "Polizei kontrollierte Chefs der Madrider Anschläge“), muss sich zeigen. Leider sieht es im Vorfeld nicht danach aus. Zwar sitzen auch diverse Handlanger der Sicherheitskräfte auf der Anklagebank, aber verantwortliche Beamte wurden systematisch entlastet oder ihre mögliche Rolle in das Geschehen nicht untersucht.
Erneut versucht sich der Nationale Gerichtshof in einem Prozess gegen islamistische Attentäter. In dem Prozess, der in der Nebenstelle des Sondergerichts in einem Park im Westen der Hauptstadt abgehalten wird, sollen ab dem 15. Februar etwa 600 Zeugen und 100 Gutachter gehört werden. Angesetzt ist er auf ein halbes Jahr, aber es wird in dieser Zeit kaum möglich sein, ein derart komplexes Verfahren zu beenden. Dass es eilig noch vor dem 3. Jahrestag der Anschläge am 11. März beginnt, zeigt etwas anderes: Die Furcht davor, dass sich der Prozess länger als ein Jahr hinziehen könnte. Da in Spanien die Untersuchungshaftzeit auf höchstens vier Jahre beschränkt ist, will man sicher gehen, das Verfahren zu beenden, bevor man die Angeklagten 2008 frei lassen müsste.
Eigentlich sollte auch hier Al-Qaida der Prozess gemacht werden. Doch das ging gründlich schief, als angebliche Unterstützer der Attentäter vom 11. September 2001 in den USA in Madrid 2005 abgeurteilt werden sollten (vgl. Zweifelhaftes Urteil im Al-Qaida-Prozess in Madrid). Statt geforderter Haftstrafen von 75.000 Jahren blieben nach der Revision vor dem Obersten Gerichtshof noch 12 Jahre als Höchststrafe übrig. Von 24 Angeklagten wurden neun frei gesprochen, drei davon erst in der Revision, weil sie zuvor ohne Beweise verurteilt wurden. Eine Verstrickung in die Anschläge vom 11. September gab es nicht, sagten die Obersten Richter.
Anschläge von Al-Qaida „inspiriert“
So ist der Ermittlungsrichter Juan del Olmo vorsichtig und spricht in den 1460 Seiten der Anklageschrift nur davon, dass die Anschläge von Al-Qaida „inspiriert“ seien. Als Beweis führt er vor allem ein Dokument der Webseiten von Global Islamic Media (vgl. Terroristen untergraben das "Monopol über die Massenkommunikation") an, in dem ein „Komitee der Waisen“ im September 2003 für Anschlage vor den Parlamentswahlen im März 2004 geworben habe.
Doch schon hier fangen die Probleme an, denn selbst das geben die nicht her. Das wird deutlich, wenn man sich die Übersetzungen ansieht. "Der Irak im Dschihad, Hoffnungen und Risiken" heißt der Text, auf den sich Del Olmo vor allem stützt, um Al-Qaida als Ideengeber im Bedrohungshintergrund zu halten. Das angeführte Dokument analysiert zwar ausführlich auch die Lage in Spanien und nennt das Land einen "wesentlichen Alliierten" der USA, wirbt aber nicht für Anschläge in Spanien. Es hebt sogar ausdrücklich die großen Mobilisierungen der Bevölkerung gegen die ultrakonservative Regierung unter der Volkspartei (PP) hervor, die Spanien an der Seite der USA und Großbritanien in den Irak-Krieg geführt hat (vgl. Die Proteste in Spanien gegen den Krieg und die eigene Regierung werden stärker).
Als Konsequenz müsse der Widerstand im Irak den spanischen Truppen "schmerzhafte Schläge" zufügen, führt der Text aus. Für die propagandistische Begleitung müsse die Nähe der Wahlen genutzt werden. "Wir glauben, die spanische Regierung hält höchsten zwei bis drei Schläge aus, bevor sie sich zum Rückzug wegen des öffentlichen Drucks gezwungen sieht". Andernfalls sei der Wahlsieg der Sozialisten praktisch sicher, die die Truppen zurückziehen wollten.
Auf den gleichen Webseiten wird später auch in der "Botschaft an das spanische Volk" einer dieser "schmerzhaften Schläge" beschrieben, als sieben spanische Geheimdienstmitarbeiter im Irak gezielt ermordet wurden (vgl. Kritik unerwünscht).
Wenn euch das nicht reicht, was den sieben Spionen passiert ist, um eure Gefühle dahin zu bewegen, eure Söhne zu retten, drängt uns das zu weiteren Widerstandsaktivitäten.
Danach wurde ein hoher spanischer Geheimdienstmitarbeiter in Bagdad erschossen und später traf es auch einen Militärchef (vgl. Spanischer Geheimagent im Irak ermordet).
Dass Del Olmo vorsichtig geworden ist, zeigt sich auch an anderen Punkten. Von 116 Personen, gegen die er ermittelte, und die nicht selten in Untersuchungshaft saßen, werden nur 29 Personen angeklagt. Es erstaunt auch, dass die Höchststrafe für islamistische Anschläge einen Spanier treffen soll, der nicht einmal Moslem ist. 38.667 Jahre Haft fordert die Staatsanwaltschaft für den Asturier José Emilio Suárez Trashorras. Seit vergangenem Donnerstag darf man den Spitzel der Nationalpolizei auch offiziell einen Sprengstoff- und Drogenhändler nennen. Er und sein Schwager Antonio Toro Castro wurden zu zehn und elf Jahren Haft für ihre Deals verurteilt, die über die "Operation Pipol" 2001 erstmals ans Licht kamen.
Beim Transport des Sprengstoffs live zugeschaltet
Sie sollen den Madrid-Attentätern den Sprengstoff geliefert haben. Toro habe, nach der der Verhaftung 2001, im Knast die Kontakte zu den Islamisten geknüpft. Das lief über den inhaftierten Drogendealer Rafa Zuheir, Informant der paramilitärischen Guardia Civil. Der wird ebenfalls auf der Anklagebank platz nehmen, obwohl er die Guardia Civil stets über die Vorgänge informierte und ihr sogar eine Sprengstoffprobe besorgte (vgl. Von Spitzeln, Terroristen und dem schweren Geschäft der Aufklärung). Das sei die einzige bewaffnete Bande gewesen, mit der er kollaboriert habe, sagt Zuheir.
Dabei wusste man bei den Sicherheitskräften ohnehin längst Bescheid, denn inzwischen ist bekannt, dass die mutmaßlichen Chefs bis zu den Anschlägen überwacht wurden. Die Ermittler waren quasi live beim Transport des Sprengstoffs aus dem nordwestspanischen Asturien in die Hauptstadt per Telefonüberwachung zugeschaltet (vgl. Alles aufgeklärt – trotzdem geht es weiter). Selbst die gescheiterte Untersuchungskommission, bei der Nationalpolizei und Guardia Civil stets beteuerten, von all dem nichts gewusst zu haben und von ihren Spitzeln nicht informiert worden zu sein, kam zu dem Ergebnis, die Anschläge wären zu verhindern gewesen (vgl. "Polizei kontrollierte Chefs der Madrider Anschläge“).
Im abgeschlossenen Prozess in Asturien hatte Trashorras Führungsbeamter bei der Nationalpolizei dessen Dienste bestätigt. Der Verteidiger von Trashorras bestand auf der Tatsache, dass sein Mandant den Chefinspektor Manuel García Rodríguez stets über das Interesse der Marokkaner an Sprengstoff unterrichtet habe. Das streitet der weiter ab. Dabei ist auch bekannt, dass die Frau von Trashorras, ebenfalls seine Informantin, ihn kurz nach den Anschlägen anrief und sagte (vgl. Neue Festnahmen, neue Spitzel):
Ich glaube, wir haben es verschissen.
Was da in die Hose ging, ist noch unklar und vielleicht bringt es der Prozess ans Tageslicht, denn auch sie wird wegen Sprengstoffhandels die Anklagebank zieren.
Es ist längst klar, dass die Sprengstoffdeals der Spitzel von den Sicherheitskräften lange systematisch unter den Tisch gekehrt wurden. Nun hat der für die "Operation Pipol" zuständige Staatsanwalt in einem Interview erklärt, von der Polizei 2001 nicht einmal darüber informiert worden zu sein, dass bei Trashorras und Toro 2001 neben Drogen auch der Industriesprengstoff Goma 2 Eco und Zünder gefunden wurden, wie er bei den Anschlägen in Madrid eingesetzt worden sein soll. Haben die Sicherheitskräfte dem Dynamit nur "keine besondere Bedeutung" zugeschrieben oder steckt mehr dahinter? Es fällt auf, dass der Sprengstoffdealer Trashorras damals nicht einmal inhaftiert wurde. Sein Schwager Toro, den er regelmäßig besuchte, machte sich im Knast an Gefangene der baskischen ETA heran und bot ihnen Sprengstoff zum Kauf an.
Die rochen den Braten und mieden den Kontakt zu dem "Großmaul" und "Informanten", wie Abhörbänder belegen. Ist es reiner Zufall, dass der Führungsbeamte der beiden als " als "Veteran" im Kampf gegen die Untergrundorganisation gilt? Oder versteckt sich hinter dem Vorgehen nicht ein Versuch der Unterwanderung der ETA, die mit Straffreiheit bezahlt wurde (vgl. Von Spitzeln, Terroristen und dem schweren Geschäft der Aufklärung). Das wäre zumindest eine Erklärung für den Vorgang.
Verstrickungen der Sicherheitskräfte im Vorfeld ausgespart
Über das Urteil gegen die Toro und Trashorras wurde nun auch bestätigt, dass die Guardia Civil schon vor der der Operation Pipol deren Sprengstoffhandel kannte und es sich um keinen Zufallstreffer im Rahmen der Drogenfahndung handelte. Denn als Beweis wurden für das erste Urteil gegen sie nun die Aussagen eines Informanten der Guardia Civil benutzt. 2001 hatte "Lavandera" ausführlich über deren Tätigkeit berichtet. Doch das bei dem Gespräch aufgezeichnete Band verschwand jahrelang und ein Bericht dazu blieb scheinbar unbeachtet. Trashorras habe sich damals auch erkundigt, wie Mobiltelefone zum Zünden von Bomben nutzbar gemacht werden können (vgl. Von Spitzeln, Terroristen und dem schweren Geschäft der Aufklärung). So wurden die Bomben am 11. März gezündet.
Man fragt sich auch, warum der Chef der Spezialeinheit der Guardia Civil (UCO), bei Zuheir auf der Lohnliste stand, die Untersuchungskommission belogen hat, als es um die Aktivitäten der Sprengstoffdealer ging. Ein Dokument der UCO vom 6. März 2003 beschreibt ausführlich den Handel mit Drogen, Sprengstoff und Waffen im gesamten Staatsgebiet. Das behielt Félix Hernando den Parlamentariern vor. Es habe sich um ein regionales Problem gehandelt, weshalb die Kommandantur in Asturien zuständig gewesen sei, gab er sich uninformiert.
Dass die Verstrickungen der Sicherheitskräfte in die Anschläge oder ihr Wissen darüber im Vorfeld ausgespart werden, wird auch daran deutlich, dass sich der Nationalpolizist Maussili Kalaji nicht unter auf der Anklagebank sitzt, niemals verhaftet wurde und nun pensioniert ist. Er war in islamistische Kreise infiltiriert und hat die Telefone freigeschaltet, die als Zünder benutzt wurden (vgl. Nationalpolizist in Madrider Anschläge verwickelt). Nach den Ermittlungsakten des Richters sei er sogar in den Bombenbau verwickelt (vgl. "Das Absurdeste des Absurden").
Es könnten hier noch viele Ungereimtheiten aufgeführt werden, wie die Beziehungen von Geheimdienstlern in den Zirkel der Attentäter (vgl. Spanische Geheimdienste, Polizeispitzel und Terroristen), die Versuche von Polizisten und Journalisten falsche Spuren zu legen (vgl. Journalismus - in Spanien ein schwieriges Geschäft) etc. Doch neu und interessant ist auch, dass nach fast drei Jahre noch immer nicht restlos geklärt ist, welcher Sprengstoff bei den Anschlägen benutzt wurde. So musste der Gerichtshof nun eine neue Untersuchung anordnen. "Um alle Zweifel zu zerstreuen", soll sie komplett per Audio und Video aufgezeichnet werden. Die zehn ausgewählten Gutachter mussten sich auf vollständige Verschwiegenheit verpflichten und das Ergebnis wird erst zwei Tage vor Beginn der Hauptverhandlung vorliegen.
Auch dessen Herkunft ist weiter unklar. In dem abgeschlossenen Verfahren in Asturien wurde ausdrücklich festgestellt, dass die Quelle von Trashorras Goma 2 Eco unbekannt ist. Meist wird behauptet, das Dynamit stamme aus einer Mine, in der er einst gearbeitet hat. Doch dementierten das die Betreiber der Mine Conchita stets. Es sei unmöglich, die Wochenration von 200 Kilogramm Dynamit unbemerkt zu entwenden (vgl. Neue Festnahmen, neue Spitzel). Das angestrebte Verfahren gegen die Minengesellschaft hat die Staatsanwaltschaft eingestellt.
Dass noch mehr Spitzel in die Anschläge verwickelt sein könnten, darauf verwies kürzlich erneut eine Tageszeitung. Sie berichtete, dass zwei direkt an den Anschlägen Beteiligte ebenfalls Spitzel der der Sicherheitskräfte seien. Mohamed Afalah und Said Berraj werden nicht die Anklagebank zieren, weil ihnen die Flucht gelungen sei. Beide seien enge Vertraute des Militärchefs Allekema Lamari (vgl. Dubiose Verbindungen). Der algerische Terrorist, der über einen "Richterfehler" zufällig frühzeitig aus spanischer Haft entlassen wurde, soll sich mit einem Teil der Attentäter in Madrid in die Luft gejagt haben, als sie von der Polizei umstellt waren (vgl. "Spanien in eine Hölle verwandeln").
Die Zeitung El Mundo, mit einem direkten Draht in den Nationalen Gerichtshof (vgl. Nationaler Gerichtshof geht gegen große spanische Zeitung vor), beruft sich bei dem Bericht auf Aussagen, die der Informant "Cartagena" im Dezember am Gerichthof machte. Demnach habe es mehrere Treffen der Informanten mit der Polizei vor den Anschlägen gegeben. Die hätte Cartagena auch verboten von Afalah zu sprechen, der zur Führung der Attentäter gezählt wird, rechtfertigte er seine späte Aussage.
Es müsste geklärt werden, ob die Anschläge ohne Polizeihilfe möglich waren
So sitzen in Madrid wohl nur Handlanger auf der Anklagebank. Die überwiegende Zahl der Angeklagten sind Marokkaner, die mit den Attentätern kooperiert hätten. Mit Jamal Zougam und Abdelmajid Bouchar werden nur zwei Marokkaner genannt die mutmaßlich Sprengstoffrucksäcke in den Zügen deponiert haben sollen. Insgesamt neun Spanier werden im Rahmen der Sprengstoffdeals angeklagt.
Über die Hintergründe, Beweggründe und Hintermänner wird im Prozesssaal wohl nur wenig ans Licht kommen. Hoffen kann man aber auf die Tätigkeit der Nebenklage der großen Opferorganisation. Die wollte Del Olmo außen vor halten, weil sie dessen Ermittlungen mehrfach kritisierte (vgl. Zwei Jahre ohne Aufklärung der Madrider Anschläge). Denn der Ermittlungsrichter hatte schon frühzeitig die Sicherheitskräfte exkulpiert (vgl. Spanische Wirren im Antiterrorkampf) und die parlamentarische Untersuchung behindert, weil der der Kommission wichtige Dokumente vorenthielt (vgl. Neue Festnahmen, neue Spitzel). Nach politischem Druck musste er die "Vereinigung 11-M" aber zulassen, die nun auch Einsicht in seine Akten hat.
Zu hoffen ist, dass Details auch wieder den Weg in die Presse finden werden, wie es schon im Rahmen der Untersuchungskommission geschah, und sich darüber vielleicht auch der Blick auf die Rolle der Sicherheitskräfte erhellt. Angesichts der bekannten Fakten müsste im Gerichtssaal eigentlich auch geklärte werden, ob die Anschläge ohne deren Mitwirkung möglich gewesen wären. Doch dies steht, wie in Untersuchungskommission, erneut nicht offiziell auf der Tagesordnung.
Von Verstrickungen der ETA in die Anschläge, welche die danach abgewählte Volkspartei (PP) (vgl. Lügen haben kurze Beine, auch in Spanien) herbeifabulierte, ist praktisch nichts mehr übrig (vgl. "Das ETA-Dementi passt Madrid nicht in den Kram").
Dafür fand Del Olmo keine Hinweise. Allerdings sollen drei Gefangene der ETA als Zeugen vernommen werden. Zum Beispiel deshalb, weil bei einem islamistischen Gefangenen, der zum Umfeld der Attentäter gezählt wird, in seiner Zelle eine Formel zur Herstellung von Sprengstoff auf Basis von Unkrautvernichtern gefunden wurde. Doch diese Vorladungen sind an den Haaren herbeigezogen: Weder wird dieser algerische Terrorist in dem Prozess angeklagt, noch wurde ein solcher Sprengstoff am 11. März benutzt. Die Daten lassen sich auch leicht über das Internet finden. Hier dürfte es sich um ein Zugeständnis an die PP handeln, um ihre keine Angriffsfläche zu bieten, die stets kritisiert, das Gericht gehe "Hinweisen auf die ETA" nicht nach. Die hält noch immer wahnhaft an ihrer Therorie fest.