Es riecht förmlich nach Euro-Bonds

Merkel und Sarkozy schlingern in der Griechenland-Frage weiter herum

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Am späten Mittwoch haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy mit dem griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou ein Krisentelefonat geführt. Wegen der Debatte in der Regierungskoalition vor den Wahlen in Berlin - FDP und CSU debattieren offen über die Pleite oder den Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone - wollte Merkel ein klares Signal setzen. Griechenland sei unzertrennlicher Teil der Eurozone, müsse aber seine Verpflichtungen erfüllen. In der EU wird der Unmut größer, dass sich Merkel und Sarkozy erneut als quasi EU-Chefs aufspielen und deshalb wirft die EU-Kommission erneut die Eurobonds in die Debatte, die Merkel (noch) ablehnt. Ohne sie wird eine Griechenland-Rettung gänzlich unmöglich, wenn ein kräftiger Schuldenschnitt weiter hinausgezögert wird.

Es war zu erwarten, dass die Kanzlerin angesichts der Börsencrashs im Sommer und der Stagnation im Euroraum zum 15. September ein Signal der Sicherheit aussenden wollte. Denn heute vor genau drei Jahren schmierte die US-Investmentbank Lehman Brothers mit den bekannten Folgen für die Weltwirtschaft in die Pleite ab. Im heißen Euro-Sommer fühlen sich derzeit viele Menschen an die Vorgänge erinnert, als die offensichtliche Finanzkrise nicht mehr länger zu leugnen war. Sogar der Chef der Deutschen Bank hatte diese Tage ein Déjà-vu: Auch Josef Ackermann sah deutliche Parallelen zu den panischen Vorgängen im Herbst 2009.

Doch wie üblich blieben die Aussagen Merkel zu Griechenland nebulös und schwammig, nachdem sie zwanzig Minuten mit Sarkozy und Papandreou über das Griechenland-Drama per Telefonkonferenz palavert haben. Von den Griechen sei gefordert worden, die zugesagten und von der internationalen Gemeinschaft geforderten Reformen "strikt und effektiv" umzusetzen, teilte ihr Regierungssprecher Steffen Seibert nach dem Telefonat mit. "Der griechische Ministerpräsident hat die absolute Entschlossenheit seiner Regierung bestätigt, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die gegebenen Zusagen in ihrer Gesamtheit umzusetzen", sagte Seibert.

Das sei die Voraussetzung für ein positives Votum der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäische Zentralbank (EZB) und EU-Kommission, betonte Seifert weiter. Doch schon damit drängt sich eine erste Frage quasi auf: Ist die Troika nicht in Griechenland, um die bisherige Umsetzung und Erfolge der Maßnahmen zu prüfen? Denn davon sollte ihr Urteil abhängen und nicht von neuen Absichtserklärungen der Regierung. Nur dann, so Seifert aber, könne das Land mit der weiteren Auszahlungen von Hilfskrediten rechnen. Das heißt, Griechenland muss neue Versprechungen machen, dann fließen auch weitere Milliarden.

Neue Bühne im Griechenland-Zirkus

Es ist ganz offensichtlich eine neue Bühne im Griechenland-Zirkus errichtet worden, denn genau so lief das schon im Frühjahr. Nachdem die Regierung, die von einer Partei geführt wird, die sich "Gesamtgriechische Sozialistische Bewegung" (PASOK) nennt, im Frühjahr gezeigt hatte, dass sie auch gewillt ist, die Spargesetze zur Not auch mit brachialer Gewalt durchzusetzen, stellte plötzlich die Troika dem Land ein positives Zeugnis aus. Erwartungsgemäß machten sich IWF, EZB, EU-Kommission mit ihrer positiven Einschätzung allerdings in nur wenigen Tagen vollständig lächerlich. Schließlich drängte sofort die Debatte auf die Tagesordnung, dass Griechenland real vor der Pleite steht, weshalb hektisch die Nothilfe 2.0 beschlossen werden musste. Weil man sich nicht auf einen realen Schuldenschnitt einigen konnte, der allein dem Land eine Chance böte, aus der Misere herauszukommen (Und die Milliarden an Griechenland fließen doch), beschloss ein Sondergipfel der EU, diesen Schuldenschnitt teuer weiter zu vertagen. Damit fiel der erneute Bankenrettungsplan mit 120 Milliarden sogar noch 10 Milliarden teurer aus, als die erste eilige Nothilfe gut ein Jahr zuvor (Die hektische Eile nach der langen Weile).

Gewonnen war damit nichts. Genauso wenig wie jetzt etwas nach den neuen Beteuerungen und Versprechen gewonnen ist. Denn die realen Fragen werden erst gar nicht gestellt und können deshalb auch von Merkel, Sarkozy, IWF … nicht beantwortet werden. Es ist absurd zu glauben, dass ein schon hoch verschuldetes Land aus der Krise kommt, wenn ihm immer neue Schulden aufgeladen werden, für die auch immer neue Zinsen anfallen. Es gelingt Griechenland nicht einmal, über die zweite Verringerung der Zinshöhe im temporären Rettungsschirm (EFSF) die Zinslast für das Land so zu senken, dass es sie tatsächlich aus eigener Leistung aufbringen könnte.

Sogar die immer neuen Sparpläne sind nicht einmal mehr dazu in der Lage, die steigenden Zinsen zu finanzieren, was das Land nun von der Rezession in die Depression führt. Sogar die griechische Regierung musste einräumen, dass der harte Sparkurs, der längst an die Substanz geht, die Wirtschaft 2011 um mehr als 5% schrumpfen lassen wird. Das bedeutet noch höhere Steuerausfälle als ohnehin erwartet. Da kann die Regierung neue Steuern ankündigen, wie sie will, die Bilanz wird negativ ausfallen. Die angekündigten Entlassungen im öffentlichen Dienst, werden zudem die Sozialkosten erhöhen. Das bedeutet erneut, dass Einnahmen für Steuer- und Sozialkassen wegfallen und die Kaufkraft weiter einbricht.

Das Rezept ist das Rezept für ein Desaster und keinesfalls ein Rezept zur Verbesserung der Lage. Wer Griechenland ruinieren will, um es letztlich zum freiwilligen Austritt aus der Eurozone zu bringen, könnte es kaum besser machen. Längst hat sich breit die Meinung bei Ökonomen durchgesetzt, nur ein realer Schuldenschnitt könne dafür sorgen, dass Griechenland in der Eurozone bleiben und wieder auf die Beine kommen kann. Das sagt auch eine Analyse des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, aus der die Süddeutsche Zeitung zitiert: "Wenn die Rettungspakete nicht ins Uferlose wachsen sollen, führt an einem kräftigen Schuldenschnitt kein Weg vorbei." Einen baldigen Staatsbankrott Griechenlands halten die Ökonomen für immer wahrscheinlicher. Falls Merkel tatsächlich versuchen sollte, die unausweichliche Insolvenz bis nach 2013 zu verschieben, wie sie dann im European Stability Mechanism (ESM) möglich werden soll, der dann den befristeten Krisenfonds EFSF (European Financial Stability Facility) ablöst, wird diese erneute Rettung der Banken, Versicherungen und Rentenfonds für alle sehr teuer. Denn die sollen bis 2013 Zeit erhalten, um sich auf Kosten der Steuerzahler, durch Umschichtung der Staatsschulden auf Rettungsfonds und die EZB, aus Anleihen des Landes zurückziehen zu können.

Eine schnelle Pleite, so gibt die Financial Times Deutschland (FTD) heute Regierungskreise wieder, würde dagegen sofort neue Bankenhilfen in Deutschland nötig machen und das Scheitern der bisherigen Griechenland-Politik allen deutlich machen. Wenn die Troika die nächste Hilfstranche für Griechenland nicht freigeben würde, "brauchen viele Großbanken sofort Geld", zitiert die FTD eine Stimme aus der Spitze der schwarz-gelben Koalition. Deren Vertreter bauch auch gleich eine Drohkulisse auf, wonach eine Insolvenz Griechenland eine Ansteckung anderer Staaten wie Italien nach sich ziehen könne, als ob das real nicht längst der Fall wäre. Ein starker Kursverfall bei deren Staatsanleihen würde deutsche Banken in Bedrängnis bringen und Milliardenabschreibungen würden nötig, wird die Quelle zitiert. "Das müssen wir dann mit dem umgebauten Rettungsfonds EFSF auffangen."

Damit ist klar, dass Griechenland erneut gerettet werden soll, koste es, was es wolle. Dabei ist der Versuch - falls es Merkels Strategie ist, die Insolvenz bis 2013 zu verschieben - längst definitiv gescheitert. Dass nicht nur Irland und Portugal derweil abgestürzt sind und nun sogar die großen Euroländer Spanien und Italien schwer in Bedrängnis sind, macht das deutlich.

Diese beiden Länder zahlen längst viele Milliarden Euro, weil die Zinsen für ihre Staatsanleihen durch den erratischen Berliner Schlingerkurs seit fast zwei Jahren in der Griechenland-Frage explodiert sind. Sogar die massiven Aufkaufprogramme der EZB können die Zinsen der Staatsanleihen für die Länder nicht mehr auf einem erträglichen Niveau halten. Da die EZB durch den politischen Druck auf die Zentralbank längst ihre Unabhängigkeit eingebüßt hat, ist auch sie tief in die Krise gestürzt worden.

EU-Kommission geht auf Gegenkurs zu Berlin

Wer bisher noch Zweifel am Scheitern des Berliner Kurses hatte, muss sich nur anschauen, dass nun sogar die Lage für Frankreich bedrohlich. Dann wird eigentlich klar, dass die unsägliche und teure Flickenpolitik endlich beendet werden muss. Ein Krisen-Telefonat zwischen Merkel, Sarkozy und Papandreou mag zwar die Börsen nach den tiefen Kursstürzen der letzten Zeit zu einer kurzen technischen Erholung bringen, von langer Dauer wird das aber nicht sein. Schließlich drängt, falls man die Griechenland-Debatte nun erneut für einige Zeit teuer vertagen könnte, demnächst Portugal auf die Tagesordnung, wie auch die Kieler Ökonomen meinen.

Zudem zerschlagen die Chefs der beiden Euro-Kernstaaten immer heftiger Geschirr in der Gemeinschaft mit ihrem unsäglichen Vorgehen kaputt. Von der Non-Nein-Achse ist die enge Zusammenarbeit der beiden abstürzenden Regierungschefs längst in eine neue Phase getreten. Sie versuchen, ihre Politik den kleineren Ländern aufzudrücken, und zwingen souveräne Länder und Parlamente nun sogar zu Verfassungsänderungen. Dabei kann Sarkozy zu Hause seine Rezepte selbst nicht umsetzen. Weder dürfte er vor den Wahlen 2012 die Schuldenbremse in der Verfassung verankern, noch dürfte er das Defizitziel 2011 einhalten. Es sei erneut daran erinnert, dass es Deutschland und Frankreich waren, die zuerst gegen die EU-Defizitkriterien verstoßen und damit für ihre Aufweichung gesorgt haben.

Der Unmut über Merkel und Sarkozy wird nicht nur in Brüssel immer größer, sondern auch in vielen Mitgliedsstaaten. Bisweilen dringt das in die Öffentlichkeit, wenn sich ein Land traut, Deutschland direkt für Turbulenzen verantwortlich zu machen (Spanien weist Deutschland Schuld für Turbulenzen zu). Doch nun steuert die EU-Kommission auf Gegenkurs zu Berlin. Sie arbeitet mit Nachdruck an den Euro-Anleihen, die Merkel kategorisch als "Weg in die Transferunion" ablehnt. Schon im Oktober würden Vorschläge für die Einführung von Eurobonds gemacht, kündigte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Mittwoch vor dem Europaparlament in Straßburg an.

Sofort ging Berlin auf Konfrontationskurs. Euro-Bonds seien "in der gegenwärtigen rechtlichen Situation der Euro-Zone" nicht hilfreich, verlautete es aus dem Finanzministerium. Damit verweist man auf das kürzlich gesprochene Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Berlin interpretiert das Urteil so, dass damit geklärt sei, dass gemeinsame europäische Anleihen nicht möglich seien, die real Zinsdruck von bedrohten Ländern nehmen können.

Für diese Anleihen, denen wohl auch Merkel in einem neuen Schwenk zustimmen wird (spätestens wenn sie die FDP in die Wüste schickt und sie die SPD erneut braucht), plädiert auch der Chef der Eurogruppe Jean-Claude Juncker seit geraumer Zeit. Barroso bringt auch "Eurobonds light" in die Diskussion: "Einige der Möglichkeiten könnten auch ohne Vertragsänderungen umgesetzt werden", sagte er. Er verweist darauf, dass es auch möglich sei, gewisse Anleihen ohne Änderung der EU-Verträge machen zu können, was sehr lange dauern würde.

Der Druck zu realen Lösungen wird mit der schlappen Konjunktur in der Eurozone ohnehin größer werden. Einige Ökonomen sagen auch Deutschland eine neue Rezession voraus, weshalb sich Berlin nicht mehr als Vorbild zeigen kann. Schließlich wurde Deutschlands XL-Wachstum vor allem von den Exporten generiert. Doch die wurden und werden in Europa über den aufgezwungenen Sparkurs abgewürgt. Nun hat die EU-Kommission prognostiziert, dass die Wirtschaft im Euroraum im zweiten Halbjahr stagnieren wird. Die Brüsseler Behörde korrigierte ihre Prognose damit deutlich nach unten. Die Konjunktur in den 17 Euro-Ländern werde im dritten Quartal nur noch um 0,2% wachsen und im vierten Quartal sogar nur noch um 0,1%. Einen Rückfall in die Rezession erwartet die EU-Kommission aber (noch) nicht. Sie würden es auch nicht sagen, falls sie es erwarten, weil damit der nächste Börsencrash ausgerechnet am 15. September ausgelöst würde.