Verbindungen zwischen den Attentätern in London und Madrid?

Spanischer Geheimdienst hatte Hinweise auf Anschläge

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Die Übereinstimmung zwischen den Anschlägen in London und denen am 11. März 2004 in Madrid sind auffällig. Zudem haben sich zu beiden Massakern die Brigaden von Abú Hafs al Masri bekannt. Die spanische Tageszeitung El Mundo veröffentlicht gestern ein Dokument, wonach der Geheimdienst CNI am 29. Mai einen „Befehl“ an die Mudschaheddin gefunden habe, in Europa zuzuschlagen. Nach Angaben der Polizei soll es auch direkte Verbindungen zwischen den Attentätern in London und Madrid geben. Auch ein Angeklagter im Madrider Al-Qaida-Prozess, wo derzeit das Urteil aussteht, soll möglicherweise in die Londoner Anschläge verwickelt sein.

Wie El Mundo gestern gemeldet hat, sollen die Brigaden von Abú Hafs al Masri Ende Mai im Internet einen „Befehl“ zu neuen Anschlägen erteilt haben. Die Zeitung stützt sich dabei auf den spanischen Geheimdienst CNI, der am 29. Mai auf den Webseiten www.al-ansar.tk einen entsprechenden Aufruf an die Kämpfer weltweit gefunden habe. Diese sollten gegen die „Kreuzzügler“ weltweit loszuschlagen, um die „Schändung“ des Korans zu vergelten. Nach Versuchen, derlei Vorgänge zu vertuschen (Das Guantanamo-Virus), hat US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Mitte Juni erklärt, die Vorwürfe würden „genau untersucht“.

Nach der Beschwörung der Größe Allahs rief die Organisation ihre Zellen im Irak auf, „eine blutige Attacke im Namen des Islam zu starten“. Die USA und „ihre Getreuen, wo auch immer sie sich befinden“, werden gewarnt, dass die „Schändungen des Korans nicht ungesühnt bleiben werden. Bald werden wir antworten, so Gott will."

Der letzte Absatz wird als „Brief an die Mudschaheddin in Europa“ bezeichnet.

Das wahre Gesicht des ungläubigen Kreuzzügler hat sich gezeigt. Wir fordern alle Mudschaheddin der gesamten Welt inständig auf, nach dem Krieg der Ungläubigen und den Schändungen des Korans mit dem erwarteten Angriff zu beginnen. (...) Die Ungerechten sollen wissen, dass sie niedergeschlagen werden.

Nach Angaben von Ermittlern stünden die Brigaden von Abú Hafs al Masri mit Osama Bin Laden direkt in Verbindung, im Unterschied zu anderen Gruppen, die unter dem Label Al-Qaida operierten. Ihr Name soll auf Muhamad Atef zurückgehen, einem direkter Mitarbeiter Bin Ladens, der mit einer Tochter Atefs verheiratet sei. Atef soll 2002 in Afghanistan bei dem wohl ersten Einsatz von bewaffneten Drohnen ums Leben gekommen sein (Ferngesteuerte Waffensysteme senken die Angriffsschwelle).

Die Brigaden Abu Hafs al Masri hatten sich schon zu den Attentaten in Madrid im März 2004 bekannt, bei denen 191 Menschen starben und mehr als 1.500 verletzt wurden. Noch am 11. März war bei der arabischsprachigen Londoner Tageszeitung „al-Quds al-Arabi“ ihr Bekennerschreiben eingegangen ("Terrorists want a lot of people watching, not a lot of people dead"). Sie haben sich auch die Verantwortung für die Anschläge auf zwei Synagogen in Istanbul im November 2003 mit 27 Toten (Terrorismus und Medien) und den Anschlag auf den UN-Sitz in Bagdad im August 2003 zugeschrieben (Chaos als Anti-US-Strategie?).

Den „Befehl“ zum Einsatz, wie El Mundo das Schreiben nennt, habe der CNI aber erst am Samstag an die Kollegen des MI5 in London weiter geleitet. Die Frage, warum das erst zwei Tage nach den Anschlägen und sechs Wochen nach dem Fund geschah, stellt die Zeitung nicht, die für ihre guten Kontakte zu dem Geheimdienst bekannt ist. Hatte man das Papier nicht ernst genommen? Oder haben spanische Sicherheitskräfte wieder ihre Hände im Spiel ("Polizei kontrollierte Chefs der Madrider Anschläge“)?

Weitere Verdächtige

Während Scotland Yard bei den europäischen Ermittlern Informationen über Mohammed el-Guerbouzi (Garbuzi) eingeholt hat, entlastet El Mundo diesen und veröffentlichte gestern ein Interview mit dem 49-jährigen Sprengstoffspezialisten. Der mutmaßliche Mitbegründer der Terrorgruppe „Groupe islamique combattant marocain“ (GICM) wurde von spanischen Behörden bisher als Drahtzieher der Anschläge in Madrid benannt. In Marokko wurde er in Abwesenheit wegen der Anschläge im Mai 2003 in Casablanca (Internationaler Filz) sogar zu 20 Jahren Haft verurteilt. Der radikale Islamist lebt seit 1994 in London und hat die britische Staatsangehörigkeit. Weil er seit Januar 2004 nicht mehr auffindbar war, hatte Scotland Yard vorsorglich die jüdischen Gemeinden in Großbritannien vor möglichen Angriffen gewarnt. El Mundo hatte nach den Anschlägen vom 11. März in Madrid Kontakt zu ihm hergestellt, merkwürdiger ist aber, dass das Interview erst mehr als ein Jahr später veröffentlicht wurde.

Garbuzi tauchte am vergangenen Samstag vor der Presse in London auf. Er bestritt, abgetaucht zu sein und etwas mit den Anschlägen zu tun zu haben. El Mundo dementiert auch weitere Verbindungen der Madrider Attentäter zu Garbuzi. Die Attentäter vom 11. März, die sich später in Madrid in die Luft jagten, hätten ihn nicht aus der Wohnung in Leganés angerufen ("Spanien in eine Hölle verwandeln")m berichtet die Zeitung mit Bezug auf einschlägige Quellen.

Eine Verbindung zwischen den Anschlägen in London wird aber zu zwei Hauptbeschuldigten in den Madrider Al-Qaida-Verfahren hergestellt. Jamal Zougam soll mehrfach Garbuzi angerufen haben und auch einmal in London gewesen sein. Allerdings hält Zougam seine Version aufrecht, er habe mit den Anschlägen in Madrid nichts zu tun (Terroristenjagd auf spanisch). Seine Familie behauptet, er habe zum Zeitpunkt der Anschläge im Bett gelegen und könne die Bomben nicht in die Vorortzüge gelegt haben. Zougam hatte seine Beteiligung an den Anschlagen am 2. Juni erneut bestritten, als er als Zeuge im Al-Qaida-Verfahren aussagte, das seit April zu den Anschlägen am 11. September 2001 in New York und Washington läuft.

Klar ist, dass Zougam den Hauptbeschuldigten aus diesem Prozess kennt: Edim Barakat Yarkas, Abu Dahdah, der auch im Zusammenhang der Londoner Anschläge nun wieder genannt wird. Gegen den hat die Staatsanwaltschaft die Strafforderung am Ende des Prozesses noch erhöht und fordert nun 74.337 Jahre Haft für die 3.000 Toten im WTC. Das soll eher über die dürftige Beweislage hinwegtäuschen. Denn auch gegen den zweiten Hauptbeschuldigten wurde die Strafforderung erhöht. Dabei ist Ghasoub Al Abras schon auf Kaution von 50.000 Euro freigelassen worden. Es gibt keine Beweise dafür, dass seine verwackelten Urlaubsvideos von 1997 zur Anschlagsplanung verwendet wurden, gab die Polizei im Prozess zu ("Polizei kontrollierte Chefs der Madrider Anschläge“).

Auch für den Reporter des TV-Senders al-Dschasira fordert der Staatsanwalt weiter neun Jahre Haft, wobei er keine Hinweise für die Unterstützung von Al-Qaida vorgelegt hat. Dessen Anwalt bezeichnete die Anklage als pure Fiktion. Möglich ist, dass das Urteil unter der derzeitigen Terrorhysterie trotz der Beweisnot negativ für die Angeklagten ausfällt.

Spanische und britische Medien bringen Abu Dahdah nun mit dem „Mastermind“ der Londoner Anschläge in Verbindung, wie Sunday Times den 47-jährigen Syrer Mustafa Setmariam Nasar nennt. Der wurde Ende der 80er Jahre Spanier und wird als einer der wichtigsten Männer Bin Ladens in Europa gehandelt. Er wird seit einiger Zeit auch als Planer des Massakers von Madrid genannt. Zuvor hatte man Rabei Osman El Sayed dafür verantwortlich gemacht, der sich dessen in Telefonaten gerühmt haben soll. Er wurde im Juni 2004 deshalb in Italien verhaftet.

Als Abú Musab Al Suri soll er nun auch in London aktiv gewesen sein, wohin er 1995 gegangen ist. Nach Angaben von El Mundo sollen die spanischen Ermittler Großbritannien bereits vor vier Monaten vor Setmariam gewarnt haben. Es seien im Rahmen der Ermittlungen zu den Anschlägen in Madrid Papiere gefunden worden, aus denen sich eine direkte Bedrohung für England ablesen ließ. Setmariam, der nach 1995 mehrere Jahre in London lebte, soll dort eine Schläferzelle eingerichtet haben. Er wird auch in Verbindung zu Anschlägen auf die Metro in Paris 1995 gebracht. Dafür hatte ihn die britische Polizei einst verhaftet, aber wieder frei gelassen.

Über die Drahtzieher der Anschläge von Madrid ist wenig bekannt

Dass 18 Monate nach den Anschlägen von Madrid noch ein derartiges Chaos in den Ermittlungen herrscht und die Namen der Verantwortlichen und Hintermänner ständig wechseln, hat eine Ursache: Bisher wird in Spanien nicht ernsthaft aufgeklärt. Die Untersuchungskommission wurde im Juni mit dürftigen Ergebnissen beendet (Alles aufgeklärt – trotzdem geht es weiter). Weil nicht ermittelt wurde, was vor dem 11. März passierte, konnte im Ausschuss die Frage nicht geklärt werden, ob die Anschläge zu vermeiden waren. Die Kommission war fast nur damit beschäftigt, was in den drei Tagen zwischen den Anschlägen und den Parlamentswahlen geschehen ist, wie selbst der Kommissionspräsident Paulino Rivero eingeräumt hatte.

Auf 290 Seiten wird der damaligen Regierung unter José María Aznar vorgeworfen, nicht adäquat auf die Bedrohung des islamistischen Terrors geantwortet zu haben. In einer egoistischen Wahlabsicht habe sie vor den Wahlen „die Informationen, die sie von der Polizei erhielt, manipuliert und verdreht“ (Lügen haben kurze Beine, auch in Spanien). Aznar wollte die Anschläge der baskischen Untergrundorganisation ETA in die Schuhe schieben, „um die öffentliche Meinung zu beeinflussen“. Daten, die „vom ersten Tag an“ von der ETA wegwiesen, seien „unterdrückt“ worden. So sollte ein Zusammenhang mit dem Irak-Krieg und eine Beeinträchtigung der PP bei den Wahlen vermieden werden, schließlich hatte Aznar Spanien gegen den Willen der Bevölkerung in den Krieg geführt. „In jedem Fall war es eine Informationspolitik, die einer demokratischen Regierung unwürdig war“, heißt es in dem Bericht

Man kann es schon als Realsatire bezeichnen, wenn Rivero nur vier Tage vor dem Massaker in London erklärte, zukünftige Untersuchungen sollten nicht parallel zu Ermittlungen der Justiz laufen. Doch die ist in Spanien bisher auch nur dadurch aufgefallen, die Verwicklungen der Sicherheitskräfte in die Anschläge zu verhüllen (Spanische Untersuchungen).