Klimaneutrale Gebäude: Herausforderungen und Chancen für Hausbauer

Maurerkelle mit "CO2"-Schriftzug

Wie lässt sich der Gebäudesektor klimafreundlich gestalten? Welche Strategien sind notwendig, um Klimaziele zu erreichen? Die Zeit drängt.

Gebäude dienen als möglichst geschützter, gesunder und komfortabler Raum zum Wohnen, Arbeiten, Lernen, Einkaufen, Heilen und zur Erfüllung vieler anderer Funktionen. Klimaschutz zählt nicht zu ihren primären Aufgaben. Und dennoch ist es heute unumgänglich, die klimaschädlichen Wirkungen von Häusern und Bauten zu unterbinden.

Hitzewellen und Waldbrände, starke Regenfälle und Überschwemmungen, das Abschmelzen von Arktis und Gletschern – die Folgen des Klimawandels sind inzwischen für alle sichtbar. Die Frage ist: Wie reagieren wir auf diese Situation?

Gewiss, man kann Energiesparhäuser bauen, doch sollte man sich von dieser Bezeichnung nicht verwirren lassen: Sie sparen keine Energie, sie verbrauchen nur weniger Betriebsenergie (vorwiegend Heizenergie) als andere Häuser.

Eine ganzheitliche Lebenszyklusanalyse käme ohnehin zu einer ganz anderen Bilanz: Dass nämlich den größten Energieaufwand und die größte Treibhausgasemission das Bauen selbst verursacht, also die Erstellung von Gebäuden.

363 Tonnen Baumaterial pro Bürger

Bereits heute kommen auf jeden Bundesbürger rund 363 Tonnen verbautes Material in Gebäuden und Infrastrukturen. Das entspricht dem Gewicht zweier Jumbojets oder eines voll besetzten ICE – wohlgemerkt: pro Person.

Der unausgesprochene Konflikt zwischen unseren ressourcenverbrauchenden Gewohnheiten, einer wachstumsorientierten Wirtschaft (mit ihren negativen Klimaauswirkungen) und einem nachvollziehbaren gesellschaftlichen Grundbedürfnis – man möchte in Zukunft mindestens genauso gut leben wie bisher –, dieser Konflikt ist aufgrund der knappen Zeit für die Erreichung der festgeschriebenen Klimaziele nur durch ein Umdenken zu entschärfen.

Umsteuern kaum erkennbar

Doch wie kann dieses Umsteuern gelingen? Muss man doch konstatieren, dass seit gut zwei Jahrzehnten zwar die nachhaltige und damit auch klimagerechte Entwicklung des Bauwesens in Forschung und Praxis auf unterschiedlichen Ebenen vorangetrieben wird, dass viel Wissen gewonnen, Absichten formuliert sowie Anreize und Rahmenbedingungen gesetzt worden sind – aber dass das Planen, Bauen und Betreiben sich in seiner Gesamtheit kaum grundlegend verändert oder gar erneuert hat. Größere Besorgnis indes löst dies augenscheinlich nicht aus.

Bis spätestens 2045 soll in Deutschland laut Klimaschutzgesetz (KSG) das Ziel der Treibhausgasneutralität erreicht werden. Ohne ambitionierte Klimaschutzpolitik im Gebäudebereich ist dieses Ziel nicht zu erreichen.

Dabei geht es zum einen um Fragen nach dem notwendigen Wärmeschutzniveau der Gebäudehülle, dem Energieträger- und Technikmix, über den die thermische Konditionierung der Gebäude erfolgt, sowie die damit einhergehenden Kosten. Zum anderen geht es um die Frage, wie der Gebäudesektor in seiner Rolle als Energieverbraucher und -erzeuger langfristig mit dem gesamten Energiesystem interagiert.

Wenn nun der Gebäudesektor alsbald klimaneutral sein soll, dann bedeutet das entweder, die vorhandenen Gebäude so zu renovieren, dass sie kaum noch Energie verbrauchen (Effizienzstrategie). Oder aber sicherzustellen, dass deren Versorgung mit Wärme, Wasser, Elektrizität usw. komplett über erneuerbare Energien erfolgt (Konsistenzstrategie).

Sofortprogramme mit begrenzter Wirkung

Politisch untermauert wird das mit unterschiedlichen Sofortprogrammen, die sich freilich zumeist nur auf die energetische Sanierung richten. Entsprechend intensiv ist die Debatte über spezifische Maßgaben (etwa "KfW 55"), wobei nicht einmal die Standards für Neubauten dem Anspruch der Klimaneutralität bis 2045 genügen.

Davon, dass der gesellschaftliche Bedarf an bezahlbarem Wohnraum erfüllt wird, sind wir ebenso weit entfernt wie von einer optimierten Nutzung der Gebäude, um ungebremste Flächenversiegelung und den Anstieg im Ressourcenverbrauch zu stoppen.

Der Handlungsdruck ist heute entsprechend groß. Die Klimakonferenz der Vereinten Nationen COP28 hatte gerade erst begonnen, da entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, dass die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung in mehreren Punkten rechtswidrig ist.

Der Gebäudesektor verfehlt die gesteckten Minderungsziele von 5,5 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen pro Jahr um mehr als das Doppelte. Damit ist es gewissermaßen amtlich: Für die Klimaneutralität bis 2045 geht es nicht um kleinteilige Anpassungen in der Baupraxis, sondern es bedarf grundlegender Änderungen.

Regeln sind nötig

Allerdings setzt dies wiederum ein Verständnis der größeren Zusammenhänge voraus. Architektur bzw. das Bauen allein wird es nicht richten. Es braucht auch ein regulatorisches Rahmenwerk. Und vor allem eine andere Art gesellschaftlich-kultureller Praxis.

Als im September 2022 rund 170 Baufachleute aus Verbänden, Universitäten, Architekturbüros und -zeitschriften einen offenen Brief an das Bundesbauministerium schickten, in dem sie ein sofortiges "Abrissmoratorium" forderten, mag sich mancher gewundert haben, was Menschen, die davon leben, dass gebaut wird, zu solch einer radikalen Forderung animiert haben könnte.

Doch nach Jahren interner Debatten und Kongresse zum nachhaltigen Bauen, die lediglich zu politischen Absichtserklärungen führten, ist der Frust unter verantwortungsvollen Planerinnen und Planern deutlich zu spüren. "In Deutschland entstehen jedes Jahr 230 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle, was 55 Prozent des gesamten deutschen Abfalls ausmacht", heißt es in dem Brief und weiter:

Der Gebäudesektor hat zum zweiten Mal in Folge sein Emissionsminderungsziel verfehlt. Um das Sektorziel 2030 zu erreichen, ist eine jährliche Minderung von Treibhausgas-Emissionen um 5,5 Millionen Tonnen nötig – mehr als das Doppelte als der derzeit erreichte Wert.

Zusammengefasst lautete der Vorwurf an die Baupolitik und -industrie: Ihr redet viel und tut wenig.

Zwar zeichnen sich auch im Bausektor die Fehlentwicklungen seit Jahrzehnten ab und die alarmierenden Stimmen apokalyptischer Prognosen und rettender Programme werden lauter.

Aber mit der Halbwertszeit der anvisierten Ziele korrespondiert häufig, dass keine Verantwortung für Getanes und für Zu-Tuendes übernommen wird und fundamental notwendige, erwartbar unbequeme Änderungen auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben werden.

Das gilt sowohl in den um Sicherung ihrer Interessen bemühten Einzelbereichen von Wirtschaft und Wissenschaft als auch in weiten Teilen der Zivilgesellschaft, die ihr Recht auf individuellen Konsum nicht zur Disposition stellen will. Beides flankiert von einer mutlosen und lobbygetriebenen Politik der verpassten Chancen für unausweichliche Transformationen – die Warnungen vor den "Grenzen des Wachstums" ignoriert man lieber.

Veraltete Verfahren und Produkte werden, zum Teil mit erheblichem Aufwand, einem Green-Washing unterzogen. Oder es wird hoffnungsvoll der ingeniöse Gegenzauber technischer Innovation als Zukunftsvision beschworen.

Von vornherein steht man dabei vor einem grundsätzlichen Dilemma: Einerseits verlangt die Klimawende nach Big-scale-Veränderungen und autoritärem Durchregieren mit nationalen und EU-Gesetzen, andererseits braucht es viele zehntausend Small-scale-Interventionen. Es bleibt das sprichwörtliche Problem der Fahrradkette: Wer vermittelt zwischen diesen Maßstäben?

Eine Art Bewusstseinssanierung tut also Not. Dabei geht es um das Erzwingen von Kreislaufwirtschaft, Förderung und Forderung von Bauweisen mit nachhaltigen Baustoffen (nicht nur Holz, auch Stroh und Lehm), Vermeidung von Neubauten durch Umnutzung des Bestands in großem Stil (Stichwort graue Energie), städtebauliche Verdichtung, Verkehrsvermeidung durch Nutzungsmischung u. v. m.

Aber auch in andere Handlungsfelder reicht das Bauwesen hinein; wie die Stichworte Umorganisation des innerstädtischen Verkehrs, Wasserhaushalt ("Schwammstadt"), Mikroklima sowie Artenvielfalt (Begrünung von Stadtraum, Fassaden und Dächern) illustrieren.

Der Ingenieur Werner Sobek, der seit zwei Jahren schwerpunktmäßig die klimarelevanten Faktoren des Bauwesens untersucht, sammelt einschlägige Gruselgeschichten. Eine davon: In und um München stehen aus Umweltschutzgründen keine bezahlbaren Deponien zur Verfügung.

Der Bauschutt wird per Lkw mehr als 500 km weit nach Nordtschechien und Südpolen gekarrt und dort preisgünstig deponiert. (Unter welchen Bedingungen und Umständen ist den reichen Münchnern gleichgültig, es gilt das Prinzip "aus den Augen, aus dem Sinn"). Durch den Lkw-Transport entstehen allerdings Emissionen, die jene der Produktion des Baustoffs übersteigen.

So wundert es nicht, dass die Vehemenz des kritischen Diskurses an allen Fronten zunimmt und ordnende Sichtschneisen in diesem komplex verworfenen Gelände divergierender Meinungen und Interessen immer größere Dringlichkeit erlangen.

Denn trotz eines hohen Maßes an Selbstreflexion und Selbstreferenzialität des eigenen Tuns ist in der Architektur (wie in anderen Gesellschaftsbereichen auch) noch wenig Konkretes greifbar, wie die von außen, von der Welt, aufgeworfenen Fragen und Probleme mit grundlegend neuen Konzepten beantwortet werden sollen und ins Lebenspraktische münden können.

Verändern ist keine triviale, zwangsläufige Angelegenheit – was man im Übrigen ja auch daran sehen kann, wie viel gesellschaftlicher Unwille bei (städte)baulichen Veränderungen oft zum Ausdruck kommt.

Natürlich kann man der Auffassung sein, dass Architektur und Planung zu einer Disziplin gehören, die stark von der Logik des Machens geprägt ist – weshalb Werkzeuge und Prozesse möglicherweise wichtiger sind als Bewertungen und Anforderungen.

Gleichwohl ist es überfällig, eine neue, bestandsorientierte Auffassung der Architektur entwickeln. Es geht nicht darum, ohne Bedacht auf die Mittel größer, besser und schneller zu bauen, sondern darum, nach anderen Bedeutungen zu suchen.

All das ist in der Herausforderung eines klimaneutralen Gebäudebestands bis 2045 mitangelegt. Denn dies ist mitnichten bloß eine technische oder politisch-regulatorische Fragestellung.

Der berühmte, Ludwig Mies van der Rohe zugeschriebene Satz "Less is more" – der freilich die Moderne mit einer gewissen Ambivalenz umgab – könnte nun tatsächlich zum Leitsatz einer umweltbewussten Reparaturgesellschaft werden, die ihr Hab und Gut wieder zu pflegen lernt.