Volksgesundheit als Vorwand: Steckte hinter Corona-Regeln eine perfide Strategie?
Offen gelegte Gesprächsprotokolle des RKI zur Corona-Pandemie haben für Aufregung gesorgt. Dabei sind andere Aspekte viel erhellender. Ein Essay.
Einen Artikel mit einer Enttäuschung zu beginnen, ist so etwas wie eine journalistische Todsünde. Und doch, das muss hier gleich zu Beginn gesagt werden: Die Herkunft der Pandemie wird nicht endlich zweifelsfrei aufgedeckt werden. Es gibt Anhaltspunkte, die auch auf Telepolis ausführlich zu Wort kommen. Dem wird hier aber nichts Neues hinzugefügt.
Und nein, dieser Beitrag reiht sich nicht ein in die vielfachen Empörungen über Einschränkungen der Grundrechte während der Pandemie, über zu viele oder zu falsche Tests, über echte und unechte Experten, über Schäden für Geist und Körper durch Lockdowns, Kontaktbeschränkungen oder Impfungen.
Wohlgemerkt, das hat es alles gegeben – und wird hier nicht bezweifelt. Nur stellt sich dieser Artikel der Frage: Warum ist das so gelaufen? Was hat zu der Entscheidung geführt, den Bürgern ihre Bewegungsfreiheit zu rauben? Sie zu Maske tragen, Abstand halten, sich testen und impfen zu lassen usw. zu zwingen? Welche Auskunft geben diese Maßnahmen über den Umgang einer kapitalistischen Demokratie mit einer globalen Seuche?
Wenn ein Gesundheitswesen auf eine Volksseuche trifft
Eine Seuche bedroht die Volksgesundheit. Also den Zustand, dass das deutsche Volk in ausreichender Zahl in der Lage ist, zu arbeiten oder arbeiten zu lassen – sowie Kinder zu zeugen und großzuziehen, damit auch in Zukunft genügend Leute zur Verfügung stehen, die arbeiten oder arbeiten lassen. Wieder seit der Zeitenwende auch wichtig: Damit genügend einsatzfähige Soldaten rekrutiert werden können.
Das Gesundheitswesen ist dazu eingerichtet: Es soll die Zivilisationskrankheiten so weit im Griff halten, dass genügend Menschen trotz zahlreicher Schäden funktionieren.
Die Gründe für diese Schäden interessieren nicht: Leistungsdruck, Geldnot, Gift in Luft und Lebensmitteln und was es sonst noch in der ziemlich ungesunden Umwelt gibt, gehören schließlich zu dieser Zivilisation, die man auch Kapitalismus nennen kann, einfach dazu.
So gehen die zahllosen Krankheiten in dieser Gesellschaft ihren Gang. Krebs, Herz-Kreislauf-Versagen, "Rücken", "Knie", Asthma, Allergien, Rheuma, Depression, Diabetes etc. gelten zwar als individuell bedauerlich und werden behandelt.
Sie sind auch aus staatlicher Sicht ärgerlich, weil sie hohe Kosten verursachen. Aber sie gelten als unvermeidliche Begleiterscheinungen.
Denn der Umgang der Wirtschaft mit Mensch und Natur sorgt zuverlässig für die gesundheitlichen Schäden. Und an dieser Sorte Wirtschaft möchte der deutsche Staat schließlich unbedingt festhalten. Sie sorgt für den Reichtum, auf dem er seine Macht gründet. Entsprechend leistet er sich ein umfangreiches Gesundheitssystem.
Eben damit diese Krankheiten nicht ein Ausmaß erreichen, das zu viele Bürger schachmatt setzt. Denn dann ist mit ihnen buchstäblich kein Staat mehr zu machen.
Eine Pandemie zählt nicht zu den normalen Zivilisationskrankheiten
Genau dies droht durch eine Seuche wie die Corona-Pandemie. Das Virus verbreitet sich im schlechtesten Fall in der ganzen Bevölkerung. Es brächte dann große Teile der kapitalistischen Gewinnproduktion zum Erliegen, wie auch die dafür nötige staatliche Verwaltung und Infrastruktur.
Und natürlich ebenfalls gerade das Gesundheitssystem, das für solche Fälle eigentlich eingerichtet ist, also die Pandemie beherrschen soll.
Umso schlimmer, wenn vieles bei diesem Virus zu Beginn unklar ist: Wie verbreitet es sich, in welchem Tempo und in welchen Bevölkerungsteilen bevorzugt? Welche Krankheitsverläufe sind zu erwarten? Wie kann man die Erkrankten behandeln, wo und wie ansteckend sind sie? Wie ansteckend jene, die keine Krankheitssymptome zeigen, aber das Virus in sich tragen? Mit welchen Tests erfährt man von dieser Personengruppe, und wie verhalten sich diese Menschen am besten?
Fragen über Fragen – und die Bundesregierung handelte: Sie richtete einen Krisenstab beim Robert-Koch-Institut ein, zog Virologen, Epidemiologen und weitere Wissenschaftler hinzu.
Das Ziel: die Volksgesundheit nicht zu gefährden. Auf Einzelschicksale wird dabei keine Rücksicht genommen. Sondern es geht darum, den Ausfall zu großer Teile der Bevölkerung zu verhindern.
Gegen die Corona-Viren setzt der Staat Bewährtes ein: Gewalt und Geld
Ein gesundes Volk mit tausend Krankheiten ist daher für den hiesigen Staat kein Widerspruch – solange es genügend zu leisten vermag. Wenn das aber in Gefahr gerät, wird er ungemütlich. Dann aktiviert der Staat alle Mittel, um der Seuche Herr zu werden.
Das heißt, er nutzt seine Gewalt über die Gesellschaft. Er verfügt, was die Leute nun zu tun und zu lassen haben, damit die Seuche nicht weiter um sich greift. Das geht nicht ohne Eingriffe ins normale Leben ab.
Inwiefern diese angemessen oder überzogen waren, inwieweit sie unzulässigerweise Grundrechte beschnitten und ob nicht zu wenig auf die Wissenschaft gehört wurde, wie ungerecht mit Querdenkern umgegangen wurde und die meisten Medien unkritisch die Regierungslinie gegen diese vertraten, stellt den Inhalt der Aufregung nach dem Ende der Pandemie dar – und seit der Veröffentlichung der Gesprächsprotokolle des Corona-Krisenstabs im Robert-Koch-Institut.
Dazu ist bis hierhin festzuhalten: Eine Empörung über den Zynismus der Volksgesundheit hat darin keinen Platz. Vielmehr dreht sie sich darum, dass der Staat zum Schutz ebendieser Volksgesundheit nicht richtig gehandelt habe.
Dabei könnte man daran einiges ablesen, wie es in dieser Gesellschaft um das Gesundheitswesen bestellt ist, um die ziemlich unsichere Lebenslage in dieser Sorte Wirtschaft und um das Gewaltverhältnis zwischen Staat und Bürger.
Der Reparaturbetrieb für die Kranken kostet dem Staat zu viel – muss aber sein
Bekanntlich geriet das Gesundheitswesen in der Corona-Pandemie an seine Belastungsgrenze und teilweise darüber hinaus. Zu wenig Personal, zu wenige Betten für die Intensivpflege von schweren Coronafällen, zu wenig Material wie Schutzkleidung und Masken.
Der Dauerbrenner der Gesundheitspolitik lautet nun einmal: Die Behandlung der Volkskrankheiten ist zu teuer.
Das liegt nicht nur daran, dass sie eher mehr als weniger werden in dieser gesunden Gesellschaft. Sondern auch, weil die Kosten steigen. Denn das Geschäft mit der Gesundheit funktioniert bestens: Schließlich müssen Arztpraxen, Pharma-Unternehmen und die vielen Firmen in der medizinischen Peripherie auf ihren Gewinn kommen.
Und auch die Krankenhäuser, seitdem sie gewinnorientiert zu arbeiten haben. Was ihre Leistungen für die Gesundheit ihrer Patienten, gelinde gesagt, ziemlich einschränkt.
Aus Sicht des Staates grundsätzlich in Ordnung. Nur belasten die Beiträge für die Krankenversicherung die Leistungskraft seiner Gesellschaft – und seinen Haushalt. Die Lohnnebenkosten, zu denen der Anteil der Unternehmen an den Beiträgen für die Krankenversicherung ihrer Beschäftigten zählt, beeinträchtigen die Wirtschaft, sprich den Profit.
Also müssen sie so gering wie möglich gehalten werden. Und die vielen Milliarden Euro Bundeszuschuss im Jahr für die gesetzlichen Krankenkassen gehören natürlich auch begrenzt oder besser gesenkt.
Das Geld könnte sich jede Regierung viel sinnvoller eingesetzt vorstellen. Aber ohne einen halbwegs funktionierenden Reparaturbetrieb für die beschäftigten Menschen läuft die Geldmaschine nicht.
Aus diesem Dilemma sollen dann in schöner Regelmäßigkeit Reformen des Gesundheitswesens führen. Da werden dann etwa Bettenberge in den Krankenhäusern abgebaut, Zuzahlungen für Rezepte erhöht, angehalten oder Behandlungen und Medikationen von den Krankenkassen einfach nicht mehr bezahlt.
Eine auskömmliche Entlohnung der Pflegekräfte und deren ausreichende Anzahl stehen dieser Sorte Reformen entgegen. Ebenso wie eine Vorhaltung von Intensivstationen und Material zum Schutz vor Seuchen.
Die Bekämpfung der Pandemie kostet auch zu viel? Interessiert zunächst nicht …
Das fiel Deutschland beim Ausbruch der Corona-Pandemie auf die Füße. Mehr Personal konnte auf die Schnelle nicht beschafft werden. Auch Schutzmaterial war Mangelware, weil eine ausreichende Vorhaltung mit zu hohen Kosten für das für die Politik ohnehin chronisch zu teure Gesundheitssystem verbunden gewesen wäre.
Zu wenige Notbetten für Corona-Patienten bildeten ein weiteres Problem. Angesichts der bedrohlichen Lage mobilisierte der Staat dann doch nach dem Motto: Koste es, was es wolle.
Das führte dann zu ganz marktwirtschaftlichen Effekten: Unternehmen stellten ihre Produktion um, nahmen für ihre Produkte astronomische Preise. Die Notlage des Staates wurde ausgenutzt – legal und auch illegal, siehe die Skandale um Maskenlieferungen.
Und so manches Krankenhaus verbesserte seine Bilanz durch die Umwidmung von einfachen Pflegebetten zu Intensivpflegebetten, was ebenfalls staatlicherseits üppig gefördert wurde.
Auch auf der ökonomischen Seite seines Volks handelte der deutsche Staat mit einer Reihe von finanziellen Unterstützungen: Kurzarbeitergeld für die abhängig Beschäftigten, Kredite für Unternehmen, außerdem eine einmalige Anerkennungsprämie von 1.500 Euro für Pflegekräfte.
Die Bundesregierung setzte allerdings Prioritäten: Einschränkungen möglichst nur dort, wo der Kern der Wirtschaft nicht berührt wurde. Also durfte vielerorts weitergearbeitet werden, während Schulen und Kindergärten geschlossen wurden, Kulturveranstaltungen ausfielen, Gastronomie und Einzelhandel zum Erliegen kamen.
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Mit einem Mal standen die Existenzen von ziemlich vielen Menschen auf der Kippe. Und Familien wussten nicht, wie sie ohne Schule und Kitas ihren beruflichen Alltag organisieren sollten.
Arbeitgeber stellten die Produktion ein oder fuhren sie drastisch herunter, auch weil die Lieferketten national und international nicht mehr funktionierten. Entlassungen und Kurzarbeit warfen die bedrohliche Frage auf, wie Lohnempfänger ohne Lohn die Monat für Monat anfallenden Kosten würden bewältigen können.
… denn wenn kein Geschäft mehr läuft, erübrigt sich das mit den Kosten
So gut versorgt eine Marktwirtschaft ihre Arbeitnehmer, dass schon ein kurzzeitiger Ausfall des Gehalts viele Haushalte in existenzielle Nöte stürzt.
So anfällig ist diese Art Wirtschaft, dass schon ein kurzzeitiger Stopp der Geldgeschäfte die Unternehmen außerstande setzt, die Gesellschaft mit Gütern zu versorgen. (Eine Ideologie: Es geht um Verkauf mit Gewinn. Ob sich daraus ausreichend Lebensmittel ergeben, hängt von der Kaufkraft der Leute ab. Die ist bekanntlich ziemlich unterschiedlich verteilt.)
So stabil ist diese Marktwirtschaft, dass das angeblich beste System zur Verteilung von Gütern schon nach kurzer Zeit zu kollabieren droht.
In einer auf Geld gründenden Gesellschaft läuft nun einmal nichts mehr, wenn die es mehrenden Geschäfte gestoppt werden. Da können alle Produktionsanlagen unversehrt sein, voll intakt, und auch die sie bedienenden Leute sind noch da. Nichts kaputt, und trotzdem wird nichts hergestellt.
Der Staat wäre der Letzte, der diese für ihn einträglichen Produktionsverhältnisse ohne Not behindern wollte. Doch gerade diese Not war eingetreten.
Die Bundesregierung setzte sehr sachgerecht eine Priorität: Wenn es weder Leute in ausreichender Zahl zu geben droht, die beschäftigt werden können, noch Leute, die sie beschäftigen, also für den Profit ausbeuten, dann wird es überhaupt kein Geschäft mehr geben.
Die staatliche Therapie: Geld für die Wirtschaft, Geld für den Impfstoff
Gleichzeitig setzte die Regierung ihre Mittel dafür ein, dass die Ökonomie das erzwungene Nichtstun, sprich keinen Geldreichtum zu produzieren, überleben würde. Schließlich sollte Deutschland im internationalen Vergleich der Pandemie-Bewältigung möglichst am besten abschneiden.
Da sollten die Unternehmen so schnell wie möglich wieder loslegen können, sobald die Pandemie vorbei wäre. Also gab es staatliche Überbrückungshilfen, Kredite, und die Anforderungen für Kurzarbeitergeld wurden pandemiemäßig ausgeweitet.
Auch für die vielen betroffenen Solo-Selbstständigen, Einzelhändler, Klein-Unternehmer oder Künstler legte der Staat Hilfen auf.
Aus wohltätiger menschenfreundlicher Fürsorge unternahm die Bundesregierung dies nicht. Entsprechend fielen die Voraussetzungen und Kontrollen für diese Unterstützungen aus. Und in vielen Fällen reichten sie bei weitem nicht, beziehungsweise Zahlungen ließen meist lange auf sich warten.
Parallel wurde fieberhaft an Impfstoffen gearbeitet – und für einige Hersteller eine Goldgrube geschaffen. Auch hier setzte Deutschland massiv Geld ein, beförderte mit Biontech sogar einen heimischen Anbieter hinauf in die Weltspitze und achtete sehr darauf, dass zuallererst für die eigene Bevölkerung genügend Impfdosen zur Verfügung standen.
Trotz aller Beteuerungen, man würde die Pandemie international bekämpfen helfen. Für andere Länder und Kontinente galt diese Aussage dann aber doch nicht so ganz …
Erklärtes Ziel: Deutschland kommt am besten aus der Pandemie heraus
Denn wie es sich für einen Staat wie Deutschland gehört, zählt für ihn zuallererst das Funktionieren seines Volks – wohlgemerkt Funktionieren, nicht Gesundheit und Glück für alle.
Es folgen die Nationen, die möglichst als Handelspartner nicht ausfallen sollten: die EU-Mitgliedsländer, die USA – und angesichts des Handelsvolumens natürlich auch China. Wenngleich dessen Anti-Corona-Strategie mit knallharten Hygiene-Regeln und langen Lockdowns hierzulande weitgehend Kopfschütteln auslöste. Zu großer Schaden für die Wirtschaft und in dessen Folge zu viele Ausfälle von Lieferungen.
Was natürlich auch für die deutsche Politik nicht in die Tüte kam: einen Impfstoff aus China oder gar Russland zu übernehmen. Abhängig von diesen zu Rivalen und Feinden Deutschlands erklärten Staaten? Das ging gar nicht. Ergo wurde auf Biontech gesetzt.
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Obwohl die üblichen Vorsichtsregeln bei der Einführung von Impfstoff nicht eingehalten wurden. Werden konnten, weil die Regierung aufs Tempo drückte, um die Pandemie schneller als andere Nationen loszuwerden.
Im Vergleich zu den vielen um den Erfolg am Weltmarkt konkurrierenden Ländern sollte Deutschland mit am besten aus der Corona-Pandemie kommen. Das war das erklärte Ziel, und dafür ließ der Staat seine Muskeln spielen.
Grundrechte wurden zeitweise kassiert, Kritiker dagegen und gegen Test- und Impf-Anordnungen als Querdenker von der herrschenden Politik und den meisten führenden Medien abqualifiziert.
Wissenschaftlicher Rat? Gern, wenn er passt. Aber die Politik entscheidet!
Der Rat von Virologen und Epidemiologen wurde zwar zur Kenntnis genommen. Einerseits aber nur von solchen, die man sorgfältig danach sortiert hatte, ob sie auf Regierungslinie lagen.
Andererseits wurde dennoch politisch entschieden, nicht wissenschaftlich: Beispielsweise galt die Ansteckungsgefahr am Arbeitsplatz nicht als so dramatisch wie die von Kindern in Schulen und Kindergärten.
Die Gewinnproduktion ist nun einmal ein anderes Kaliber für einen kapitalistischen Staat als die schulische Bildung. Letztere kann schon mal aussetzen, erstere, wenn es irgend geht, nicht.
Gleiches galt in den Augen der Politik für den Kulturbetrieb. Die Bespaßung des Volks hatte dann eben mal Pause – auch wenn zu dem Zeitpunkt nicht klar war, welche Ansteckungsgefahr hiervon tatsächlich ausging.
Viele Künstler stürzten in Existenznot und mussten hoffen, irgendwie an die bescheidenen staatlichen Überbrückungshilfen zu kommen.
Skandal: Grundrechte wurden beschnitten – darf der Staat das? Ja, wer sonst?
Was an den staatlichen Zwangsmaßnahmen tatsächlich dazu beitrug, die Verbreitung der Corona-Viren einzudämmen, und was nicht, ist natürlich im Nachhinein sehr viel besser zu beurteilen als währenddessen.
Die Debatte darüber in Anbetracht der erzwungenen Veröffentlichung der Protokolle der Krisenstabssitzungen im Robert-Koch-Institut (RKI) zwischen Januar 2020 und Juni 2023 dreht sich aber weniger um medizinische Erkenntnisse. Vielmehr kreist sie um ein staatliches Verhalten, das sich in dieser Zeit an seinem eigentlichen Auftrag vergangen habe.
Ganz oben auf der Liste steht der vermeintliche Skandal; die deutsche Regierung habe Grundrechte zu Unrecht beschnitten und sich auch über andere Rechte hinweggesetzt. Und die Gerichte hätten ihren Auftrag, das Recht zu schützen, nicht erfüllt – sondern die Maßnahmen der Politik durchgewinkt.
Das Faktum ist nicht zu bestreiten: Ob Lockdown, Kontaktbeschränkungen oder Maskenpflicht – der Staat griff in die Grundrechte seiner Bürger massiv ein.
Die Rechtsprechung erklärte dies allerdings als verfassungsgemäß. Abgewogen wurde zwischen Einzelinteressen und dem staatlichen Zweck, der Pandemie Herr zu werden (eine Übersicht über die Entscheidungen).
Man darf leben, eine Meinung haben und Würde – großzügig, der Staat
Die Grundrechte sind eben nicht sakrosankt, sondern stellen den Kanon dar, wie ein Staat das Verhältnis zu seinen Bürgern regelt. Die Herrschaft erlaubt ihren Untertanen, sich frei zu bewegen und zu versammeln, ihre Meinung zu äußern; ihr Eigentum wird geschützt und ihre Würde geachtet.
Die Menschen dürfen sogar leben – so steht es in einem Artikel ("Recht auf Leben"). Sie mögen glauben, was sie wollen, und die Wohnung ist unverletzlich.
Wenn dies irgendjemand oder eine Institution deklamieren würde, wäre die Reaktion "Was fällt Ihnen ein?" noch die harmlosere. Man darf leben, wie bitte?
Leider muss das ernst genommen werden. Es ist dies der Hinweis auf eine Gewalt, die sich herausnimmt, über Leben und Tod zu entscheiden. Und die auch über alles andere im Alltag der Leute sich vorbehält, es zu dulden, zu beschränken oder zu unterbinden.
Alle Grundrechte stellen eben Erlaubnisse des Staates dar. Sie stehen logischerweise damit unter einem Vorbehalt: Wenn Bürger sie gegen ihn missbrauchen, schränkt er ihre Rechte ein oder streicht sie komplett.
Die freie Bewegung und Versammlung unterbindet etwa die Polizei, also die staatliche Gewalt, wenn sie die öffentliche Sicherheit bedrohen, sprich den Vorschriften für staatskonformes Benehmen widersprechen. Demonstrationen, Protestcamps oder Friedensdörfer werden dann aufgelöst beziehungsweise von vornherein verboten.
Mit der freien Meinungsäußerung ist es dann damit auch vorbei, oder mit der "Unverletzlichkeit der Wohnung", wenn es der Strafverfolgung dient.
Der Mensch darf wollen dürfen, was er von Staats wegen soll
So geht es weiter mit den Grundrechten: Es sind keine Rechte der Bürger gegen ihren Staat. Vielmehr beschreiben sie die Bedingungen, die jedes Individuum bei der Verfolgung seines freien Willens im Staat zu befolgen hat.
Der Mensch darf wollen dürfen, was er von Staats wegen soll. Falls er etwas grundsätzlich anderes will, bekommt er es sehr grundsätzlich mit der herrschenden Gewalt zu tun.
Entsprechend ging die Bundesregierung gegen Coronaleugner, Querdenker und Maskengegner vor. Die herrschende Politik zog ihre Strategie gegen eine verheerende Verbreitung des Coronavirus durch.
Die meisten Medien stimmten darin ein. Manche mahnten nur im Detail mehr Transparenz der Entscheidungen an, bessere Kommunikation, mehr Hilfen für die Pflegekräfte und schnellere Beschaffung von Schutzmaterial.
Und sie setzten wie die Politik auf möglichst rasche Impfungen, gleich, welche Risiken sie angesichts der fehlenden Zeit für die Prüfung der Verträglichkeit in sich bergen würden. Es ging schließlich darum, wieder so bald wie möglich in den Normalbetrieb zurückzukehren, mithin die Geldmaschine der Wirtschaft wieder mit Vollgas laufen zu lassen.
Im Märchenland: Grundrechte schützen die Bürger und sorgen für ihr Wohlergehen
In der Corona-Pandemie hat der Staat von seiner Gewalt Gebrauch gemacht, seine Erlaubnisse, die Grundrechte, teilweise einzuschränken. Dabei gingen Exekutive, die Regierung und Legislative, der Bundestag, rechtskonform vor – wie die Judikative bestätigte. Den Richtern leuchtete der staatliche Notstand ein als ausreichende Begründung für den Eingriff in die Grundrechte.
Zu "Unrecht" war da nichts. Es sei denn, man misst das staatliche Handeln an einem eingebildeten Maßstab: Es ginge dabei um den unantastbaren Schutz der Bürger und die Bedingungen seines Wohlergehens. Und die Grundrechte seien dem Staat übergeordnet, anstatt von ihm erlassen.
Dann, aber auch nur dann, kann man sich trefflich echauffieren, wie die Herrschenden sich an diesen heiligen Gütern vergingen. Dann sind wir aber auch im Märchenland angekommen.
Dort siedeln desgleichen Mutmaßungen und Empörungen an, der Staat habe die Pandemie inszeniert. Nur: Wie konnten Heerscharen von Wissenschaftlern aus aller Welt einschließlich der sie finanzierenden Staaten auf Linie gebracht werden, dass es sich um eine globale Seuche handelte – obwohl es sie gar nicht gab?
Und zu welchem Zweck überhaupt, wofür der enorme Aufwand, der Stopp von Reichtumsproduktion und die damit verbundenen Kosten? Warum der Wettbewerb um die am schnellsten zur Verfügung stehenden Impfstoffe und um den größtmöglichen Zugriff auf sie? Die rund sieben Millionen Toten weltweit und die fast zweihunderttausend Toten hierzulande waren Hirngespinste?
Im Märchenland II: Pandemie wurde inszeniert, um das Volk zu unterdrücken
Aber vielleicht gab es die Pandemie ja doch. Sie wurde aber von den Staaten vom Zaun gebrochen, um das Volk noch besser zu unterjochen, lautet ein weiterer Verdacht.
Solche und eine Menge ähnlicher Überlegungen kursierten während und nach der Pandemie im Netz, auch unter anderem in den Foren von Telepolis. Vorwürfe wie "Obrigkeitsstaat" und "Versklavung des Volkes" fielen.
Der Zweck der Veranstaltung liegt damit im prinzipiellen wie grundlosen Interesse von Staaten, ihre Bürger zu drangsalieren. Und die Pandemie war eine gute Gelegenheit, dies auf einem noch höheren Niveau als in normalen Zeiten zu praktizieren, mit schärferer Überwachung und Disziplinierung.
Tatsächlich haben die Staaten alle ihre Macht wohl in Anschlag gebracht, um ihre jeweilige Strategie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie bei den Bürgern durchzusetzen.
Aber eben darum ging es: Die Funktionsfähigkeit des Volks aufrechtzuerhalten. Auf Einzelschicksale in Altenheimen oder Kindergärten, bei besonders betroffenen Berufsgruppen und Branchen, wurde dabei keine Rücksicht genommen.
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Die Gewalt setzte eine deutsche Bundesregierung nicht um ihrer selbst willen ein. Sie war vielmehr das Mittel der Politik in Zeiten der Pandemie. Was auch sonst in einer Gesellschaft, die mit Gewalt zusammengehalten wird. Denn nur mit ihr münden die tausenden Interessengegensätze einer Konkurrenzwirtschaft in ein profithaltiges Bruttosozialprodukt. Jeden Tag wird auf Basis der Gesetze Recht gesprochen, und Polizei und Justiz setzen es um.
Diese Disziplinierung des Volkes ist kein Selbstzweck, sondern folgt einem klaren Plan: Alle Gesellschaftsmitglieder bei der Verfolgung ihrer jeweiligen Karrieren auf eine im Ergebnis möglichst maximale Herstellung von in Geld gemessenem Reichtum zu verpflichten. Und in Zeiten der Pandemie sie so weit an die Kandare zu nehmen, dass das Virus eingedämmt werden kann.
Im Märchenland III: Es ging doch nur darum, die Pharmakonzerne reich zu machen
Davon haben sicher einige Pharmakonzerne und Anbieter von Schutzmaterial profitiert, und einige, wie die erwähnte Biontech, erlebten einen kometenhaften Aufstieg. Nach Ansicht mancher Kritiker lag darin der wahre Grund für die staatlichen Maßnahmen gegen die Pandemie: Einen Raubzug dieser Branche zu ermöglichen, auf dass sie sich die Taschen auf Kosten der Allgemeinheit vollmachte.
Die Wahrheit ist langweiliger. Da nun einmal auch das Gesundheitswesen privatwirtschaftlich läuft, hatte die Bundesregierung sich an die einschlägigen Unternehmen zu wenden.
Die erkannten streng marktwirtschaftlich die Not des Nachfragers, noch dazu in Anbetracht eines knappen Angebots und nutzten dies für ihre Preisgestaltung großzügig aus. Ganz zu schweigen von den Millionen Euros, die die Staaten in aller Welt für die Forschung an Impfstoffen aufwendeten.
Die Länder zahlten bereitwillig, ließen sich in nicht wenigen Fällen über den Tisch ziehen. Doch ging es um nichts Geringeres als die Sicherung der staatlichen Existenz.
Entsprechend wurde auf das Geld weniger geschaut. Außerdem: Gegen einen ordentlichen Profit hat kein kapitalistischer Staat etwas einzuwenden – wenn er einem selbst zugutekommt, versteht sich. Und darauf achtete die Bundesregierung schon.
Pandemie, Aufstand, Krieg: Im Notstand definiert der Staat Regeln neu
Die etwas andere Bilanz der Corona-Pandemie sieht damit so aus: Die Seuche traf auf ein auf Kante genähtes Gesundheitswesen. Der Betrieb zur Instandhaltung der Bürger für Beruf und Familie lässt schon in normalen Zeiten tausende Krankheiten zu, ohne dass an der Volksgesundheit gezweifelt wird. Einer Volksseuche war er zunächst bisher nicht gewachsen.
Der Bedrohung durch ein für Teile der Bevölkerung lebensbedrohliches Virus begegnete die Bundesregierung mit drastischen Maßnahmen, die sie gegen Widerstand in der Gesellschaft mit ihrer Gewalt durchsetzte, flankiert von der Mehrheit der Wissenschaft und der Medien. Damit stürzte sie eine Menge Leute in existenzielle Not und griff in ihre Grundrechte ein.
So handelt ein Staat, der sich in seiner Existenz bedroht sieht. Das kann im Falle einer Pandemie sein. Viel mehr rechnet man mit Ereignissen wie Katastrophen, Aufständen und Krieg: Hierfür hat sich Deutschland schließlich 1968 das "Siebzehnte Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes" gegeben, die Notstandsgesetze.
Die Bundeswehr kann zur Abwehr von Aufständen – neben der Polizei – im Inland eingesetzt werden. Eine Reihe von Grundrechten gilt dann nicht mehr. Unter anderem das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis und die Freizügigkeit, sprich: Abhören ist grundsätzlich erlaubt, und der Staat kann den Bürgern vorschreiben, wohin sie gehen dürfen und wohin nicht.
Was der Umgang der deutschen Regierung mit der Corona-Pandemie lehrt: Der Staat setzt die von ihm gesetzten Regeln für seine kapitalistische Gesellschaft außer Kraft oder schränkt sie ein, sofern sie seiner Krisenbekämpfung im Wege stehen.
Und er bringt für eine befristete Zeit neue Regeln in die Welt. Eben damit diese Gesellschaft so schnell wie möglich in den normalen Gang des Geldgewinns zurückkehren kann.
Auf Einzelschicksale wird dann keine Rücksicht genommen, auch nicht auf abweichende Meinungen. Sodass am Ende die gewöhnliche Volksgesundheit wieder das schöne Funktionieren der Bundesrepublik gewährleistet.